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Die Wende meines Lebens

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Wenn Du den Satz „Wer sucht, der findet“ para-phrasieren wolltest, so könnte man auch sagen: „Wer sucht, wird gefunden“. Du suchst die Gesellschaft wertvoller Menschen, wo Du selber zu einem wertvollen Menschen werden kannst. Du kannst Dir oft selber nicht erklären, welche es sind, und wenn man im Gespräch ab und zu darüber redet — wir sprechen nicht gerne von den ernsten Fragen des Lebens - werden nur allgemeine Begriffe erwähnt wie Wahrheit, Schönheit, Ehre, Arbeit, Geist, Bildung, Schaffen, gerechte Gesellschaft, Offenheit, Freiheit, Autonomie, Aufmerksamkeit, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Freundschaft und Liebe.

Wenn Du diese Konzepte für Dich nicht festlegst, so mißt Du Dich auch nicht daran, weder Dei-r ne Taten noch die Worte. Du sagst Dir nicht, ich bin nahe daran, diesen Wert zu begreifen, inzwischen habe ich andere Werte hintangestellt. Du möchtest ein ruhiges Gewissen haben, und keiner soll im Namen dieser Werte etwas an Dir aussetzen. Deine Belohnung dafür ist das Lob der anderen.

Die Menschen fällen schnell ein Urteil, Du gibst acht, daß der erste Eindruck günstig ausfällt, besonders bei Leuten, die für Dich wichtig sind. Sorgfältig umgeht man schwierige Fragen oder man macht eine überlegene Miene und schweigt, sobald gewisse Themen angesprochen werden. Jeder kann es sehen, daß Du ein gefestigter Mensch bist, mit moralischen Grundsätzen, der eine Meinung hat, ein Mensch, an den man sich wenden kann, der es einmal noch weit bringen wird.

Das klingt vielleicht sehr rhetorisch, denn jetzt kommt das „aber“ das „vielleicht doch nicht“. Denn niemand sieht Deine innere Unsicherheit, Deine Furcht, ob Du wirklich jemand bist oder sein wirst, oder ob Du nur dem Anschein nach eine Persönlichkeit bist? Man erkennt nicht Deine quälende Abhängigkeit, die wiederkehrende gedämpfteRebeIli-~ on gegen Deine Eltern, die Dich lieben und die Du liebst. Du verbirgst es. Du weißt, daß Du keine Ausdauer hast, daß Du fleißig, gebildet und zielstrebig sein könntest, aber lieber zehn neue Aufgaben in Angriff nimmst als zwei schon früher angefangene zu beenden.

Es häufen sich die Unklarheiten und Ungewißheiten der Gedanken und Ideen, es wächst die Zahl derer, zu denen Du nicht zurückkehrst, und Du schämst Dich, sie von neuem aufzunehmen. Deine Treulosigkeit bemerkt man nicht. Man sieht, daß Du ernst bist und sieht nicht, daß Du damit Deine Hilferufe verbirgst: Betrachtet doch nicht meine Persönlichkeit, sondern liebt mich! Du quälst Dich; auch der, der Dir nahesteht, kann Dich nicht leicht durchschauen; nur Du weißt, daß er nur eine äußere harte Schale sieht. Du fürchtest, daß Du jene, die Dein vorgetäuschtes Ich anzieht, verlieren könntest, sobald Du Dein wahres Ich, das Du verborgen hast, zu erkennen gibst. Du fürchtest, daß Du letzten Endes ganz allein bleibst, denn Du bist nicht imstande, neben diesen Menschen länger auszuharren. Du bist für sie Schritt für Schritt oder plötzlich eine Gestalt geworden — ob sie Dich dann verließen, oder ob Du sie verlassen wirst. Du konntest mit jedem beisammen sein, aber keinen wirklich tief begreifen.

Die Schale wird immer dicker, Du suchst weiter, Du suchst Gott und weißt nicht, daß er Dich finden wird. Den, den Du suchst, hast Du schon einmal — wie Du es damals verstanden hast — gefunden, und nachher hast Du ihn in Dir verkümmern lassen. In Deinen frühen Jugendjahren wolltest Du Priester werden, dann hast Du Deinem kindlichen Glauben den Rücken gekehrt; zwischen den Älteren hast Du Dich selber als Erwachsener gefühlt; Du hattest eine Vergangenheit, und für zehn

Jahre im voraus stand Dein Berufsweg klar vor Dir. An Deinem intellektuellen Beruf hattest Du wahre Freude und fandest darin einen Wert.

Die körperliche und seelische Vereinigung in der ersten Liebe machten die moralischen Vorschriften der Kirche endgültig unannehmbar. Die Freundschaften, die sich allmählich vertieften, wurden für Dich ein neues Element, in dem die von Institutionen verkündeten Wahrheiten suspekt wurden. Das, woran Du noch glaubtest, wurde immer brüchiger, wenn Du aber jemanden gefunden hattest, der seiner sicher war und einen festen Glauben hatte, so hast Du Deine Sympathie verborgen, hast ihn mit Argumenten angegriffen, nur um etwas von seinem Geheimnis zu erfahren. Wie ist es möglich, zu glauben? Was für ein Verhältnis haben wir zu Gott? Oder was für eins hat er zu uns?

Von Deinem eigenen Ich, das Du vor einigen Jahren gewesen bist, trennt Dich eine tiefe Kluft; mit Deiner bewegten Vergangenheit und Deinen Erinnerungen kannst Du Dich nicht identifizieren. Es wäre eine Niederlage, einen Rückzug anzutreten: zurück zu dem, was Du den „wahren Werten“ zuliebe verlassen hast Du suchst es vor Dir selbst auch nicht zu verbergen, daß Du zu den Erlebnissen, die Du Gott-Erlebnisse nennst, nicht durch Deine eigenen Verdienste hingelangt bist. Die herrliche Landschaft, der Himmel, die Tage, die Nächte, die Wälder, die Täler, die Musik, das Singen, die Kathedralen und ihre Steinfiguren, die reinen menschlichen Gesten, die alten Frauen in kleinen versteckten Dörfern, die zu Hause beten, die Kinder — sie geben uns Nachricht von etwas anderem, und Du ahnst es manchmal: dafür lohnt es sich zu leben.

Manchmal gehst Du in eine Kirche, setzt Dich in die hinterste Bank und schaust nicht auf die Menschen, die sich dort zu Hause fühlen. An einem Palmsonntag hättest Du im Gotteshaus, unter den gotischen Bogen, beinahe die heilige Kommunion zu Dir genommen.

Vor dem Tag der Heiligen Drei Könige hattest Du sie, die jetzt Deine Braut ist, auch schon getroffen, aber von diesem Tag an verursachten Dir die Begegnungen eine unerklärliche Freude. Es wunderte Dich, mit welchen reinen, läuternden Empfindungen ihre Anziehungskraft Dich erfüllte. Wie konntest Du Dich schon am folgenden Tag entschließen, ihr eine Mitteilung zu machen, die sie stören mußte? Du hast ihr Deine Zweifel, Deinen fehlenden Glauben gestanden. Es dauerte nicht lange, da spürtest Du: das ist die wahre Liebe. Und Du fühltest dieselbe Zuneigung auch bei ihr.

War das eine Gabe? Warum müssen wir es als eine Gabe betrachten, daß wir einander heben? Du hast sie zur Messe begleitet, hast Dich aber dort nicht am richtigen Platz gefühlt. Manchmal diskutiert Ihr: sie mit viel Glauben, Du ohne Glauben. Eure Worte verfehlten ihr Ziel, aber Eure Liebe verband Euch trotzdem. Du warst glücklich mit ihr, Deine quälenden Abhängigkeiten lösten sich, die Kruste schien zu schmelzen.

Nach einigen Monaten fühltest Du Dich während der Messe aus dem Kreis der anderen Teilnehmer ausgeschlossen. Eines Tages teiltest Du ihr auch das mit, was Du bis dahin vor ihr verborgen hattest: daß Du auch andere geliebt hast, daß sie nicht die erste in Deinem Leben war.

Sie litt bei diesem Geständnis, und Du sahst ein, wie groß Dein Fehler war. Die Tiefe ihrer Liebe zeigte Dir klar: sie selbst kann nicht die Quelle ihrer Liebe sein, sie hat diese Liebe als Gabe erhalten, und -Ihr seid wahrlich eine Gabe füreinander.

Dann gingst Du zur Beichte. Es war ein halbes Jahr nach dem Fest der Heiligen Drei Könige, und wieder war es für Dich eine unerwartete Begegnung. Sie war neben Dir, als Du in der kleinen Kapelle die Heilige Schrift und das Psalmenbuch geöffnet hast; Du weintest, denn Du trafst auf jene Worte, die Dir nottaten.

Eine Kraft strahlte Dir entgegen, umgab Dich, der gute Hirt holte sein verirrtes Lamm zurück, suchte es, hob es auf seine Schultern und trug es zu den anderen. Du warst ein glimmendes Licht, er löschte Dich nicht aus, Du warst ein geknickter Zweig, er brach Dich nicht. Nicht ein anderer wurdest Du, sondern ein neuer Mensch, so wie ein dunkles Zimmer einen neuen Eindruck macht, wenn man die Fensterläden öffnet. Du hast einfach die Gabe bekommen zu begreifen: Gott liebt Dich. Da bedeutete die Eucharistie Begegnung und Anwesenheit; die Beichte wurde wirklich Bekehrung; die Messe war wirklich Opfer; die Priester waren nicht die Hauptdarsteller eines Schauspiels, sondern Mittler; das Gebet wurde eine persönliche Verbindung zu Gott.

Die Sakramente wurden die Siegel und Quellen der Liebe, die Kirche war das Volk Gottes, die kirchlichen Feiertage waren Anlaß zu Dankbarkeit, zum Miterleben des Erlösungsdramas, des Beispiels der Heiligen, der Vorfahren — alle Geschöpfe waren Werke Gottes, des Wunders. Was Du nicht verstanden hast, was Du nicht geglaubt hast, wovon Du nur Spuren geahnt hast, wurde zur Person. Gott gab Dich Dir selber zurück und erwarb Dich für sich. Alles, was bisher geschehen war, war ein Vorspiel, die Wegbiegungen wurden zu geraden Strecken, die Kluft schloß sich. Uberall leuchteten Wert und Sinn, die Farben wurden glänzender, strahlender. Deine schlechten Eigenschaften verwandelten sich nicht in gute, aber Du teiltest Dich nicht in einen annehmbaren und einen unannehmbaren Teil. Du nahmst auch das Unannehmbare an und fühltest Reue.

Manches muß in einem Zimmer verändert werden, wenn Licht in den Raum fällt, Du sahst ein, daß Sünde nicht das Verletzen von moralischen Normen ist, sondern vielmehr ein Damm, der die Liebe zwischen Dir und Gott, zwischen den Deinen und Dir, zwischen den anderen und Dir hemmt. Diesen Damm zu durchbrechen ist, die Sünde zu bereuen. In der Beichte machst Du die Erfahrung, daß die schon zur Gewohnheit gewordenen Versuchungen, die immer wiederkehren, all die Schwächen unsere Wunden verbergen, die wir erhielten und die wir ganz vergessen haben. Christus verzeiht nicht nur - er heüt, er stärkt uns.

Es gibt immer noch Konflikte, von ihnen werden wir nicht verschont, aber Christus zeigt uns nicht nur unsere Fehler, sondern auch unsere Schwächen. Er nimmt uns bei der Hand, richtet uns auf, erlöst uns.

Durch ihn, mit ihm, in ihm, kannst Du auch Vermittler dessen sein, was er täglich Dir gibt. Du brauchst nicht mehr Dein Verhältnis zu Deinen Eltern und Geschwistern neu gestalten, du kannst sie einfach aufrichtig lieben. Deine Liebe, und später auch Dein Bund fürs Leben, bekommen neuen Inhalt. Deine Freunde, die Dich verlassen haben, vermißt Du nicht mehr, auch ihnen gehst Du nicht mehr ab. Vielleicht kehren sie zu Dir zurück, oder Du findest andere. Du siehst nicht, wie sich Deine Zukunft, Deine Arbeit, Dein Beruf gestalten, welche Früchte Deine Arbeit bringen wird. Unklar spürst Du: wenn Gott Dich jetzt ruft, wird er Dich einmal auch aussenden, und dann mußt Du gehen und tun was er will. Trotzdem fühlst Du die Ruhe, denn im großen wie im kleinen, auf all Deinen Wegen hast Du das Zeichen der Güte Gottes erfahren: Du mußt Dir keine Sorgen machen. Du bist in guten Händen,

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