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Die Versuchung des ColumL

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Drei Tage sah Columba das Mädchen vor seiner Tür sitzen und ihm stumm und brennend nachblicken, wenn er ab und zu ging. Drei Tage lang redete er es nicht an und stellte ihm keine Frage. Gott hatte ihm große Hellsichtigkeit verliehen, so daß ihm viele verborgene Dinge der Gegenwart und der Zukunft, der Nähe und der Ferne, wie auch die verschwiegenen Absichten, Gedanken und Sünden der Menschen kund zu sein pflegten, warum jedoch diese Jungfrau gekommen war; wer sie war und was sie von ihm wollte, vermochte er nicht zu erkennen.

Also redete er sie am Morgen des vierten Tages an und sprach zu ihr: „Mit dir sei Christus, Jungfrau! Willst du mir nicht sagen, wer du bist und warum du nun schon drei Tage lang in eines Pilgers Gewand an meiner Schwelle sitzest?“

Als die Jungfrau inne geworden war, daß Columba mit ihr reden wollte, hatte sie sich von ihrem Sitz erhoben. Sie kniete aber nicht vor dem Heiligen nieder, wie die meisten taten, weil seine Hoheit sie wider Willen in die Knie zwang, sondern sie blieb aufrecht stehen, ah dem Abt ins Gesicht und sagte: „Aus Gartan in Donegal komme ich, ich bin Maurinn, deine Bruderstochter. Kennst du mich nicht mehr, Crimthan?“

.Crimthan sollst du mich nicht nennen“, sagte der Heilige, „denn diesen Namen habe ich abgetan. Ich kenne dich nicht, du warst wohl ein kleines Kind, als ich Gartan verließ. Aber wenn du meine Verwandte bist und aus meiner lieben Heimat kommst, so sei mir sehr willkommen. Was aber vermochte dich, ohne Schutz über das Meer hieher-zuschiffen? Oder hast du Knechte und Krieger auf Mull zurückgelassen?“ Columba forschte im Antlitz des Mädchens, er fand sich tatsächlich an die Züge seiner Sippe gemahnt, und das Heimweh, das in seinem Herzen immer darauf wartete, geweckt zu werden, begann sich zu regen.

„Ich habe mich fremden Pilgern angeschlossen und keine Begleitung auf Mull zurückgelassen“, sagte die Jungfrau. „Und was mich zu dieser Fahrt vermocht hat, sollst du wissen, Crimthan. Ich bin gekommen, um dich zu fragen, wann du endlich nach Gartan wiederkehren wirst?“

Die Jungfrau tat so, als habe sie nicht gehört, daß der Abt nicht mit seinem alten Namen genannt zu werden wünschte. Es war aber an dem, daß sie ihn nicht Columba nennen wollte.

Columba duldete es und erwiderte ihr: „Ich habe nicht im Sinn, nach Erin wiederzukehren. Meine Brüder und ich haben hier Zellen erbaut, und hier ist unsere Arbeit und unseres Bleibens, es sei denn, Gott beabsichtige, uns in ein Land zu senden, das von Erin noch entfernter ist als diese Insel.“

Die Jungfrau schien mit der Antwort de Abtes nicht zufrieden zu sein. Sie schwieg einen Augenblick und senkte den Kopf, dann hob sie ihn wieder, faßte das Gesicht Columbas fest ins Auge und sagte entschlossen, obgleich man wohl merken konnte, daß e* ihr schwer fiel:

„Es ist aber hohe Zeit, Crimthan, daß du heimkommst, um bei meinem Bruder um mich zu werben, denn ich zähle schon fünf Jahre über zwanzig Jahre, und mein Bruder nennt es eine Schande, daß ich noch nicht vermählt bin.“

Columba wunderte sich sehr, als er diese Worte hörte. „Meine Tochter“, sagte er, „wenn du wirklich meine Ver-

wandte bist, mußtest du doch wissen, daß ich ein Mönch und Priester bin und um keine Frau werbep kann noch will. Wer hat dir einen so unsinnigen Gedanken eingegeben?“

Die Jungfrau errötete und Tränen stiegen ihr in die Augen. Aber sie antwortete mit Festigkeit: „Als ich geboren wurde, warst du fünfzehn Jahre alt, Crimthan. Damals, gleich nach meiner Gehurt, haben deine und meine Eltern uns einander zugelobt.*

„Das mag immerhin so gewesen sein, obgleich ich nie davon gehört habe“, antwortete der Abt. „Aber da es sich zeigte, daß Gott mich zum Priestertum berufen hat, war ein solcher Versprach hinfällig. Wer konnte den Aberwitz begehen und dir davon sprechen?“

„Seit meiner frühesten Kindheit hat meine Amme mir davon gesprochen. Hunderte von Malen hat sie mir eingeschärft, daß ein solches Verlöbnis fester binde als alle Weihen und Eide der christlichen Priester. Und dann, Crimthan, mußt du dieses wissen: ich habe dich sehr lieb.“

Columba staunte, daß eine Jungfrau so reden mochte, doch antwortete er ihr sanftmütig: „Alle Christen lieben einander als die Söhne und Töchter des himmlischen Vaters.“

Die Jungfrau aber antwortete ihm mit großer Kühnheit: „Nicht wie eine Christin einen Christen lieben soll um des Kreuzes und der Erlösung willen, liebe ich dich, sondern wie ein Weib einen Mann liebt, dessen Gattin zu sein es sich sehnt.“

Da verwunderte sich Columba noch mehr, doch bezwang er seinen aufsteigenden Zorn. „Wie vermagst du, eine Jungfrau königlichen Blutes, so zuchtlos zu einem Manne zu reden?“ verwies er sie. „Bist du etwa eine Hexe, und hat Gott dich mir zu meiner Prüfung und Heimsuchung gesandt?“

Bei diesen Worten des Abtes warf das Mädchen die Kapuze zurück, so daß sein schönes, kühnes und r*eines Gesicht sich frei ins Licht hob und der Meerwind durch seine schweren, schwarzen Haare fuhr.

„Ich bin keine Hexe, Crimthan“, sagte sie, „ich bin aus deinem fürstlichen Geschlecht. Als du ein Jüngling warst, ein Barde und Königssohn, kannte ich dich, obgleich ich noch ein Kind war. Aber mein Herz war schon da Herz eines Weibes, und ich gelobte mir, daß ich mich keinem anderen Manne würde vermählen lassen als dir. Auch als du ein Mönch wurdest, hielt ich an meinem Schwur fest. Ich vertraute darauf, Gott werde dich zur rechten Zeit zu mir zurückführen.“

„Du Törin!“ rief Columba zornig, „hast du gedacht, Gott würde um deines eigensüchtigen Gelübdes willen meine heilige Sendung zerstören? Siehst du denn nicht die Zellen der Mönche, deren Vater ich bin? Hörtest du nicht zu allen Tageszeiten ihren heiligen Chorgesang? Und hast du die Scharen der Pilger und Büßer nicht gesehen, die übers Meer zu mir gefahren kommen, und denen beizustehen Gott mich begnadet hat?“

„Alles das habe ich gehört und gesehen, aber was kümmert es mich? Bin nicht auch ich ein Geschöpf Gottes? Vergangenen Monat hat mein Bruder beschlossen, mich an Dungal zu verheiraten, der der Schwestersohn des Großkönigs von Tara ist. Da wußte ich, daß die Zeit des geduldigen Wartens vorbei war. Da du nicht zu mir kamst, mußte ich zu dir kommen. Denn würde ich Leib und Seele einem Manne schenken, den

ich verabscheue, so müßte ich in Schmach und Unzucht leben, und größere Sünde entstünde, als wenn du deine Mönche verließest, die auch unter einem anderen Abt ein frommes Leben führen können.“

In großem Unmut biß sich Columba die Lippe. Er hatte seit Jahren als ein Mann unter Männern gelebt, und die heillose Torheit der Frauen war ihm fremd.

„Maurinn“, sagte er ernsthaft, „werden denn nicht alle Jungfrauen von ihren Vätern oder Brüdern an einen fremden Mann g*egeben? Leben sie deshalb in Unzucht? Und seit wann ist es Sitte geworden in Erin, daß die unwissenden Töchter sich ihre Gatten selbst wählen, ja, daß sie einem erträumten Bräutigam über das Meer nachfahren?“

„Was Sitte ist in Erin, kümmert mich wenig“, sagte das Mädchen trotzig, „auch bin ich keinem erträumten Bräutigam nachgefahren, sondern dem mir seit je bestimmten. Mich kümmert einzig, daß ich mich nicht einem Fremden und Verhaßten preisgeben will. Du sagst, es sei deine Sendung, der Vater deiner Mönche zu sein. Meine Sendung ist es, die Mutter der Kinder zu sein, die ich von dir empfangen werde.“

Abermals verwunderte sich Columba darüber, daß eine fürstliche Jungfrau so geringe Scham vor einem Manne empfinden könne, und er ahnte, daß eine finstere heidnische Kraft hier im Spiele sein müsse. In Geduld richtete er wieder das Wort an Maurinn.

„Obgleich du meine Verwandte zu sein vorgibst und den Namen der gebenedei-

ten Mutter Christi trägst, meine Tochter, bin ich doch genötigt, dich zu fragen, ob du getauft bist. Bist du nicht etwa noch eine Heidin, und haben die Druiden dir den Geist mit Krankheit verdunkelt und dir das Herz verzaubert?“

„Sicherlich bin ich getauft“, sagte Maurinn. „Der heilige Bischof Finnian selbst hat das Wasser über mich ausgegossen, als ich ein neugeborenes Kind war. Ich bin gesund, und was ich rede, ist die Wahrheit.“

„Dann ist es der Teufel, der dich und mich versuchen will“, sagte der Abt. „Ich werde ein großes Gebet für dich beginnen, geh fort von hier, Maurinn, und komme mir nicht unter die Augen, bevor ich nach dir sende.“

„Worum willst du beten, Crimthan?“ sagte Maurinn bestürzt und traurig. „Dafür, daß ich ablassen soll, dich zu lieben?“ Und obgleich sie bisher aufrecht vor dem Heiligen gestanden hatte, warf sie sich jetzt in die Knie, hob die gefalteten Hände zu ihm auf und bat in herzzerreißender Angst: „Bete nicht um dieses, denn sonst ist mein Leben zu Ende!“

Columba jedoch rief mit strenger und starker Stimme: „Begreifst du denn nicht, daß es mir gesetzt ist, als ein Fremdling und Pilger Gottes zu leben? Geh jetzt fort von meinem Hügel und laß mich allein!“ Er wandte sich seiner Zelle zu und warf keinen Blick auf das Mädchen, bis es den Abtshügel verlassen hatte.

Aus: „Die Versuchung des Columba“,

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