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Ein heller Morgen

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Ich weiß nicht, meine liebe Mutter, ob du es gesehen hast, ich weiß nicht, ob du alles siehst wie Gott der Vater, und wahrscheinlich auch sein Sohn, mein Jesus der Christus, also will ich es dir erzählen, ein wenig lustig ist es auch, und du wirst vielleicht lächeln, am Tag deines Dieners Laurentius bin ich krank geworden, ein Mittwoch, heute ist Sonntag, der vierzehnte August, der Vorabend deines Festtages, und ich habe sehr stark geblutet, mein Krankenpfleger war verrückt vor Angst, war kalkweiß im Gesicht, konnte kaum atmen. Halt, hat er gerufen, und danach: zurückhalten! Das läuft ja über Decke und Bett. Der schöne Mar-morboden! Als ob soetwas zurück-zuhalten wäre. Und plötzlich war er nicht mehr weiß im Gesicht sondern krebsrot wegen seines Zornes, denn er hatte erfaßt, daß er das alles wird aufwischen müssen. Dann ist er gerannt und hat erst einmal Tücher geholt und danach den Novizenmeister, der ihn dann aus-sandte, um andere Mitbrüder zu holen. Man hat mich umsorgt, ich habe gebeichtet, den Leib meines Herrn Jesus in seinem Brot-Sein empfangen, danach gleich die Kran-kenölung. Jetzt bin ich wieder allein, nicht ganz, aber fast, denn der neue Krankenpfleger im Sessel neben der Türe schläft tief und fest, also bin ich doch allein bei dir.

Blut. Wasser und Blut. Der Geist und das Leben. Weshalb die Men-schen wohl Angst haben vor dem Blut? Sogar der Novizenmeister hatte Angst. Dann mußte ich ihm erklären. Das Blut fließt, und das Fließen ist das Da-Sein. Wird das Fließen schwächer, sammelt sich Blut an dieser oder jener Stelle, um bald danach auszubrechen. Schwa-ches Fließen ist schwaches Leben. Also, sagte ich ihm, werde ich nicht mehr lange am Leben sein. Danach hatte er wieder Angst und ich mußte ihn fragen, was er für besser halte, das begrenzte Leben hier in dieser Welt oder das unbegrenzte drüben in der Gegenwart des Vatergottes, des Sohnes Jesus, in deiner Nähe. Natürlich drüben, hat er endlich geantwortet. Dann ist er gegangen. Ein ängstlicher Mann. Dabei fällt mir ein, daß ich mich während der zuletzt vergangenen Wochen manchmal gefragt habe, wie du wohl die Männer siehst. Sind sie bloß Kinder für dich? Söhne? Aber der Vatergött ist auch dein Vater. Was gibt es für dich zwischen Vätern und Söhnen? Nichts? Daß ich dein Sohn bin, ist klar. Aber sonst? Doch wozu soll ich jetzt mein Hirn zermartern. Wahrscheinlich werde ich das alles bald wissen.

Meine Mutter. Immer hast du zwi-schen deinem und meinem Vater gelebt, und hast du die grausame Welt der Männer betrachtet, so stand immer das Entsetzen in deinen Augen, wie es in den Augen der Kinder steht, die sich plötzlich einem sehr häßlichem Tier gegenüber sehen, einer großen schwarzen Assel hinter trockenem Holz, den sehr dicken und roten aasfressenden Käfern meiner Heimat, den raschen graugrünen Nattern. Die harte Welt der Männer und die weiche, sanfte Welt der Frauen. Ich erinnere mich nicht, dir je nahe gewesen zu sein. Vieles kann ich mir vorstellen. Die warme und sorglose Geborgenheit des Ungeborenen. Sorglos allerdings bloß, bis es zur Geburt kommt, denn da kann es einem zum ersten Mal ans Leben gehen. Auch an die Zeit danach kann ich mich nicht erinnern. Frauen deines Standes haben Ammen, Kindermädchen, haben Zofen und Mägde. Solche müssen doch auch um mich gewesen sein? Ich weiß es nicht mehr. Oder hat mein harter Vater an Stelle der Kindermädchen und Mägde für mich von Anfang an Erzieher und Knechte angestellt? Wärme? Bloß die Öfen waren warm in Polen.

Du blickst mich an? Die Mutter meines Heilands? Meine Mutter? Diese Augen? Auf mich gerichtet? Daran erinnere ich mich. Mag sein, man hat dir verboten, mich zu ver-wöhnen. Aber in deinen Augen lag die Zärtlichkeit. Meine Mutter und Mutter meines Heilands. In deinen Augen liegt die immerwährende Zärtlichkeit, weil du jenseits der Zeit lebst. Die Liebe der Mutter zum Kind. Und da stehe ich wieder vor dem verschlossenen Tor. Nur Kinder gibt es für dich? Jungfrau und Mutter. Für Jungfrauen kann es doch bloß Väter geben. Sie haben noch nie einen Mann erkannt. Für Mütter bloß Kinder? Mutter und Jungfrau entspricht Kind und Vater? Wo sind die Männer? Auch ich bin schon ein Mann, wenn auch ein sehr junger. Jungfrauen sind zärtlich wie Mütter. Das weiß ich durch dich, meine himmlische Mutter. Wie sind die Frauen?

Plötzlich ist die Nacht da, die warme, seelenbergende römische Augustnacht, die so ganz anders ist als die eisernen Nächte Polens. Deine zärtlich blickenden Augen sehe ich, meine himmlische Mutter und Jungfrau. Braut der Kirche deines Sohnes. Dann also auch meine Braut? Immerwährende, ewige Braut? Ach meine Mutter, ich verstehe so wenig, obwohl man mich so viel gelehrt hat. Allerdings habe ich immer und ausschließlich bei Männern gelernt. Bei harten Männern harte Dinge gelernt. Zärt-lichkeit? Wärme? Der Himmel, den du bewohnst? Der Himmel des Vaters? Deines Sohnes? Mag sein, und wenn es so ist, freue ich mich darauf.

Aber jetzt bin ich noch nicht dort, meine Mutter, ewige Jungfrau, meine immerwährende Braut, jetzt noch nicht. Der Morgen? Das erste Licht des Tages? Diese Wärme? Dieser linde Lufthauch? Nein. Ich bin noch nicht bei dir. Noch nicht. Neben dem Bett soll man mich auf den kalten Steinboden legen. Ist dein Sohn am Kreuz gestorben, kann ich meinen Tod nicht im bequemen Bett erwarten. Ja. Es ist gut so. Der harte und kalte Stein. In jedem, der qualvoll stirbt, erkennst du doch deinen Sohn? Wozu fragen. Ich weiß es doch. Das erste Licht des neuen Tages? Das auch, aber vor allem die leuchtenden Engel, tfas zärtliche Leuchten deiner Augen. Er in der Ferne in seinen sonnenhellen Mantel gehüllt. Der Morgen deines Himmelfahrtstages. Und ohne es verdient zu haben, darf ich neben dir weitergehen.

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