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Ostern in New York

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Herr, heute ist der Tag, der Deinen Namen hat.

Ich las in einem Buch von Deinem Einzug in die Stadt,

Von Deiner Lehre, Deiner Angst und von Deiner Passion;

Die Worte weinen in dem Buch leise und monoton.'

Ein alter Mönch erzählt mir, wie sie Dich gekreuzigt haben.

Er schreibt Deine Geschichte mit großen Goldbuchstaben

Fromm in ein Meßbuch, das er auf den Knien hält,

Und plagt sich, andächtig versunken in Deine Welt.

Dicht beim Altar sitzt er in seinem weißen Kleid

Tag für Tag und schreibt und vergißt die Zeit.

Jede Stunde steht still bei ihm, bevor sie sich neigt;

Er aber ist ganz verloren über Dein Leben gebeugt.

Und wenn die Vesperglocken singen, weiß er nicht,

Ob er Dich wirklich sah von Angesicht,

Herr, oder ob Gott selbst auf der Schwelle stand,

Oder ob er nur seine eigene Liebe empfand.

Ich bin genau so ratlos heute wie dieser fromme Mann.

Ein fremdes Wesen wartet im Zimmer nebenan

Hinter der Tür, daß ich rufe, wartet stumm ergeben;

Du bist es, Herr, oder Gott, ich selbst — dos ewige Leben.

Ich kenne Dich nicht, und ich habe niemals nach Dir gefragt. Ich habe auch als Kind nie mein Gebet aufgesagt. Aber heute fällt wie ein Angstschrei Dein heiliger Name mir ein. Mein Herz will der Witwe Leid am Fuß Deines Kreuzes sein; Mein Herz ist die Witwe in Schwarz, die ihren Sohn sterben sah, Wie Carriere sie gemalt hat, wie sie tränenlos, hoffnungslos war.

Ich kenne alle Christusbilder aus allen Museen der Welt; Aber heute bist Du Wirklichkeit, die mich gefangenhält.

Jetzt ist die neunte Stunde, und zu der Stunde sprach

Dein Mund die letzten Worte und Dein Auge brach.

Ich setze mich an das Ufer, an den Rand des Ozeans,

Ich sehe Dein reines Antlitz unter dem Dornenkranz,

Ich höre die reinen Worte von einem deutschen Choral,

Der Deine Not besingt, Deine Tränen und Deine Qual.

In einer Kirche in Siena sah ich Dein Bild

In einer Gruft an der Wand, mit einem Tuch verhüllt.

Und bei Borries-Wladislaw in der Einsiedelei

Steht es in Gold getrieben in einem Schrein.

Zwei schwarze Nägel hat das Bild als Augen,

Und die Bauern knien und küssen diese Augen.

Auf dem Schweißtuch der heiligen Veronika

Stellt der Umriß Deiner Züge sich dar.

Dies Tuch ist das wundersamste Zeichen,

Sein Anblick macht Schwache und Kranke genesen,

Und tausend Wunder ohnegleichen ,

Bewirkt es; ich bin nie dabeigewesen. _ aäfcumA

Vielleicht habe ich den.Glauben und die Liebe nicht,

Diesen Glanz zu erkennen- von. Deinem Angesicht.

Aber ich habe eine große Reise gemacht,

Herr, um Dein Bildnis zu sehen in einem Smaragd.

Gib, Herr, daß mein Gesicht, in meine Hände gepreßt,

Die erstickende Maske der Angst fallen läßt.

Gib, daß diese wilde Verzweiflung sich legt.

Die mir beide Hände vor meine Lippen schlägt.

Ich bin müde und krank. Vielleicht Deinetwegen.

Vielleicht um einen andern. Vielleicht Deinetwegen.

Ich gehe mit schweren Schritten die Straße hinunter zur Stadt, Mit brennender Stirn, gekrümmt den Rücken, das Herz vertrocknet und matt.

Ich sehe um Deine offene Wunde den schimmernden Strahlenkranz,

Und Deine ausgebreiteten Hände zittern im funkelnden Glanz. Rot glühen aus allen Häusern die Fenster von Deinem Blut, Und die Frauen hinter den Fenstern sind wie Blumen aus Blut, Fremdartig böse Blumen, Orchideen, verwelkt und leer, Umgestürzt ihre Kelche hinter Deinen strömenden Wunden. All Dein vergossenes Blut hat ihre Lippen nicht gefunden. Sie haben Rouge auf den Lippen und gehen in Seide daher. Aber Passiflora ist weiß wie Schnee, Deine Blume, und

schimmert im Tau.

Sie ist die schönste von allen Blumen im Garten der Lieben

Frau.

Das Bettelvolk der Armen, für die Du Dein Leben verschenkt, Ist hier in Lagern und Baracken wie Vieh zusammengedrängt. Riesige schwarze Schiffe gehen im Hafen vor Anker Und stoßen sie über die Landungsbrücken im bunten

Durcheinander:

Italiener, Griechen, Spanier, Polen,

Russen, Bulgaren, Perser, Mongolen.

Zirkustiere, die über den Horizont springen

Für ein Stück schlechtes Fleisch, das sie roh verschlingen.

Sie haben nichts zu verlieren als das schmutzige tägliche Brot.

Herr, erbarme Dich ihres Elends und ihrer Not.

Und sieh die Juden an, die hier im Getto leben.

Flüchtlinge aus Polen, heimatlos, preisgegeben.

Ich weiß es wohl, sie haben Dich ans Kreuz gebracht,

Aber glaub mir, Herr, sie sind nicht so schlecht wie man sagt.

In ihren Trödelläden stehen sie im Kaftan,

Bieten alte Kleider, Bücher, Waffen an.

Wie von Rembrandt gemalt sehen sie aus.

Und ich habe heute mein Mikroskop da verkauft.

Herr, solange ich noch zu Dir sprechen kann:

Nimm Dich der Juden in ihrem Getto an.

(Deutsch von Jürgen Schroeder)

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