6569494-1950_13_09.jpg
Digital In Arbeit

Der Weg zurück

Werbung
Werbung
Werbung

Mit der Fremde hat es sein Besonderes. Sie gleicht der Sonne, die in den ersten kalten Frühlingstagen in das Fenster scheint. Vom warmen Ofen, aus der Sicht der gemütlichen Stubenecke, schaut das wohl verlockend aus. Im Haus der Heimat fühlt man nicht die Kälte und den rauhen Lebenssturm, der draußen auf fremden Straßen weht. Man erfährt sie erst wie alles Bittere in der Einsamkeit, die trostlos wird, in der Ferne, die ihre lockende, magische Gewalt verliert, in der bitteren Wirklichkeit, die keine heimatliche Wärme mehr weiß.

Ein kleines Lied der vertrauten Muttersprache vermag dann den wunden Ackergrund der Seele ganz aufzureißen, ein einfacher schlichter Gruß, eine Blume der Berge, eine kleine zarte Erinnerung und Begegnung wird uns auf einmal groß, erschütternd groß und gewaltig. Dann tritt ein Kind vor dich hin, das Kind deiner Jugend, das du selber bist, und beginnt leise zu weinen. Es stört deine Nächte, durchwimmert deinen Schlaf, bittet mit den kleinen Händen, bittet und sagt: Mir ist so kalt; ich möchte heiml Und da du es zur Stille ermahnst und letzten Endes in einer bösen, dunklen Erregung schlägst, wird es wohl verstummen und sich in einen Winkel deines betrogenen, zerrissenen Herzens kauern. Denn du magst tun, wie du willst — sein anklagender, schmerzlicher Blick bleibt. Er verfolgt dich, wohin du auch gehen magst, in welche Betäubung, in welches gewaltsame Vergessen immer —, stets wird er vor dir auftauchen wie ein Bettler, dem du hart die Türe vor seinem Hunger zuschlugst; Du wirst es nicht los, dieses geschlagene, gedemütigte arme Kind in dir, das Heimweh heißt. Auch wenn Fortuna es nach ihrer launischen Göttinnenart gut gemeint und dich gnädig auf die lockenden Arme nahm, auch wenn dich Neid beneidet und Schmeicheleien betören, deine Räume in Licht erstrahlen und die Gäste deines Tisches die Gläser auf dein Wohl erheben. Und je lichter und lärmender, je tosender und tobender das stolze Schiff deines Lebens durch das Meer der Fremde steuert, desto ärmer und verlassener wird es in deinem Innern sein. Angeschmiedet an das Steuer deiner Erfolge und ihrer treibenden Pflichten, das dir unbarmherzig in einem sinnlos rasenden Tempo den Kurs befiehlt, wirst du abendlich ergriffen und leer an den Prunkfassaden deiner Fenster stehen, die noch den verblaßten Schein der Dämmerung tragen; leere Spiegelscheiben ohne Seele und Sinn. Deine Gedanken aber werden vergebens nach dem kleinen Hüttendach deiner Jugend spähen, nach der warmen, stillen Ecke, in der dich deine Mutter im Schoß hielt. Unwiederbringlich dahin! Vielleicht zogst du es vor, sie zu verlassen um einer Eitelkeit willen, in einem lauten Wahn nach Geltung, der einem andern Wahn nachlief, über die Grenze ging dein brausender Wunsch, über alle Grenzen schrie es in dir — die Welt antwortete mit tausend Lichtfeuern, was Wunder, daß die kleine, stille Lampe deiner Kammer und mit ihr das Licht der Heimat erlosch. Nun aber geschieht es, daß dieses zarte, traute Licht von neuem zu schimmern beginnt und über sein Aufleuchten die Hundertzahl der strahlende Saalluster verblaßt. Es geschieht, daß eine ganze Welt in einen Abgrund versinkt und die reinen, klaren Linien deines Kinderlandes aus der Horizonttiefe der Zeit aufsteigen. Da wirst du zum ersten Male das verlorene, geschmähte Kind rufen und es unter heißem, bitterem Schluchzen in die Arme pressen. Du wirst unter den quellenden Tränen rufen; Oh, wüßt ich doch den Weg zurück! — Es ist immer ein schwerer Weg, der Weg zurück. Die Heimkehr fordert ihren Tribut in irgendwelcher Form. Kommst du mit Gütern behaftet, wird sie wohl nach außen hin leichter erscheinen. Aber dein Besitz hängt an dir, du wirst es selbst gar nicht wissen, wie sehr er dich umfängt und geändert und wie ein Stück Stolz ganz oben auf dem Karren, deiner Schätze liegt. Der Weg aber sieht es, der Weg zurück. Die Tannen deines Jugendtales sehen es, die dich unter ihren Ästen spielen sahen; der Bach schlägt erstaunte Wellen bei deinem Einzug, das alte Schulhaus nickt wohl, noch freundlich, aber so unsagbar fern. Das ist lange her, daß du der Unsere Warst, scheinen die Bänke im Schulzimmer zu sagen, spricht der Kirchturm mit seinem Glockenschlag. Lange — du stehst verwundert vor den Dingen, die einst so vertraut waren, verwundert und sogar ein wenig kühl und fremd! Bist du deswegen gekommen, um zu zeigen: seht, das hat mir das Leben gebracht! Geld und Ehre und Gut! Ihr könnt stolz sein auf mich! Ihr habt es nicht um viel weiter gebracht als um die Frucht des Ackers und des Waldes in jedem Jahr. Aber ich?!

Drüben beim Bach steht das Haus deiner Wiege. Dort liegt alles, was in dir stand wie in einem Heiligtum. Noch hält dich die Scheu, daß du es nicht bestehst, das Wiedersehen mit ihm, mit dir selber. Wie einfach und schlicht seine Wände, sein Giebeldach, sein gutes, altes Gesicht. In diesem Augenblick drängt es dich, die Schritte schneller zu tun; es ist dir, als ob deine Mutter alles sogleich für dein Kommen zurechtgemacht, deine weißgetünchte Kammer mit dem Bücherbrett, dein sauberes Bett mit dem buntgewürfelten hohen Bettzeug, deine gutgeputzten Schuhe, alles, was immer aus ihrer sorglichen Hand kam. Und als du näher zusiehst, vermeinst du, sie selber an der Tür stehen zu sehen, mit schmalem, bekümmertem Gesicht und weißem Scheitelhaar, mit müden, ausgesogenen Händen und einem immer gleich guten, erwartenden Blick.

Bis du vor dem schlichten Haus hältst im äußeren Glanz deiner Arriviertheit, im erborgten Licht deiner hohen Gönnerschaft. Da ist deine Mutter verschwunden — das Tor verschlossen, das Haus weicht zurück wie ein verschmähtes, armes Kind vor einer vornehmen Dame. Es erduldet dann deinen Zutritt. Fremde Menschen öffnen — — So? sagen sie mißtrauisch und erfahren deine zögernde Frage. Eine ältere Frau glättet schnell die Schürze zurecht. Das seid also Ihr? — Ein scheues, abweisendes Staunen.

Dann weisen sie stumm auf den Friedhof hinüber.

Da sinkt deine Weltgewandtheit, dein kluges, praktisches Erwägen, deine ganze Besitzherrlichkeit im Nu zu einem armseligen Häuflein Asche zusammen. Im Friedhof liest du vom Stein den Namen, der dir das Leben gab. Zu spät! steht verborgen dahinter. Es ist nicht leserlich, dieses Wort, aber du weißt, daß du zu spät gekommen bist. Deine Geschäfte, deine Bindungen, deine klugen, praktischen Erwägungen mit allen scheinbaren und unscheinbaren Erfolgen haben dioh nie freigegeben. Jetzt, in der Stunde deiner schluchzenden Erkenntnis, haben sie sich mit allem Krims und Krams empfohlen. Nur ein Kind, das Kind, das dich herführte, steht voll Reue am Grabe der Mutter — —-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung