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Feldweg

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Dein Ziel ist ein Feldweg, darin sonst nur die Bauern gehen oder mit ihren Rossen und Kühen fahren. Blaue, mildleuditende Berge jtehen tief im Hintergrund, zwischen dir und ihnen grüne, dienende Erde. Die Welt ist hier sorgfältig abgemessen und hat überall, Feld um Feld, ihren Anfang und ihr Ende. Zudem ist der Weg nicht zwei Männer tief, nicht eingeschlossen in leuchtende lößgelbe Wände. Bloß knietief, unansehnlich schneidet er die welligen Äcker. Zwei spannbreite, staubhohle Gleise durchziehen ihn, dazwischen und an den Hängen stehen Gräser, die hohen schütter, die niedrigen dicht versponnen. Daraus blüht es.

Hellblaue Wegwartsterne sehen dich an wie klare, arglose Augen. Weißer Schierling wiegt im sanften Wind, tellerrunder, häkelzart schäumender Schieier auf unsidirbaren Wellen. Aus wehrbaren, braungrünen Kelchen quillt gekrauster, goldener Bocksbart. Kleine anmutige Distelhecken stehen im gründunklen Rasen, ziervoll geschnitten, von vornehmster Farbe: hellblaßgrau mit einem zarten, grünen Hauch darin. Plötzlich schießt es — dir zur einen Hand — hoch empor. In tausend, tausend gefiederten Blättdien geht sanfter, spielerisch hellgrüner Atem. Du möchtest eine Mauer hoch darüber sein und dich mit fröhlidiem Sprung hineinfallen lassen in die mächtige, lustige, leuchtende Akazienwoge. Eine sanfte schimmernde Wand, steht sie ein gutes Stück am Weg entlang. Dann stockt dein Schritt. Eine kleine

Bucht hat sich geöffnet. Grüne Brandung schäumt, daraus brennen rosarote Flamnu-n-bögen. Du fühlst tiefes, überraschtes Entzücken, und ist dies auch sonst nicht dein Wesen, du nimmst das Messer und führst einen raschen Schnitt. Der entlastete Stamm schnellt auf und der empfangene Zweig, um blühgdldene Kerne voll purpurrosenen, viergeteilten Kapseln, erteilt dir eine sprachbildnerische Korrektur: Pfarrerkapperl? Wekhe Bescheidenheit! Prälatenkapperl — mindestens — müßten sie heißen.

Deine Freude an dem schmalen, schliditen, bunten Feldweg ist groß. Du fühlst didi beschenkt. Ja, du fühlst dich plötzlich geheimnisvoll gerecht, arglos und gut. Und es scheint gewiß: Dieses froherbauliche Behagen kommt vom Schatz des Stillen, von der Unbedenklichkeit des Geringen. Um Wegwarte und Schierling, um Bocksbart, Distel und Spindelstrauch wurde noch keine Schlacht gesdilagen. Du brauchst auch mit niemandem diese Freude teilen. Du glaubst zu wissen, lange müßtest du gehen, bis du einen fändest, der sie begehrt wie du.

Doch — sind sie wirklich so gering, die feldweit Blühenden? Deine unverletzliche Geborgenheit, unversehens daraus zugeflossen, kommt sie nicht vom Urwesen aller Dinge? Tiefe, redlichste Brüderschaft strömt in dich, von allem her, zu allem hin, das atmend weht. Rückten jetzt die ersten Gestirne in den verlöschenden Tag, du würdesr auch sie empfinden als brüderlich nahe Heimaten deiner selbst.

Da wölbt es sich jählings zu einer kleinen Gstetten und du steigst zehn Schritte hinauf. Weingärten, Weinberge feiern mit der Sonne ein übersprühendes Fest. Hast du dir schon einmal ihr spätes, zu Lichtkünsten erhobenes Laub aufmerksam angesehen? Hütendes, Schirmendes, Kaiserliches ist an dem Weinblatt, Priesterliches. Macht und Segen scheint es vorzustellen. Selbstherrlich breitet es sich, leuchtet purpurn wie Herrschermäntel und gottfestlich grün wie seidene Meßgewänder. Und golden, golden blüht es, wahrhaftiges Sinnbild weltlicher, geistlicher Hoheit und Gewalt. „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.“ Hätte dieser Gedanke ein höheres Kleid küren können? Eines, das lebensvoller, blühender, erdhafter, himmelwürdiger gewesen wäre? Bauer, Herbst, Künstler, Gott, sind das nicht nahe Straßen? Wir sehen den brennenden Weinstock im Oktobergiianz glühgelber Erden, sternweiter, blauüefer Himmel, milchblanker Wolken und wir denken: schneeweiße Hostie in schimmergoldener Fron-kichnamsmonstranz, rundüber Wein und Ähren. Wir denken Säulenschäfte, Säulenköpfe mit Reben, Ranken, Blattwerk, Trauben. Und es birgt dieses Sinnbild so viel deutende Kraft, daß seine weite Synthese gleich wieder übersdiwingt ins wesltfrohe andere. Wir sehen die Wimpel, die über unserer Jugend wehten — auf Bergen, Burgen, über Tälern, Strömen — und wir hören uns singen:

„Ich bin der Weinstock,

Ihr seid die Reben,

Und aus den Reben fließt edler Wein.

Drum sag ichs nodi einmal,

Schön ist die Jugend!“ Weiter gehst du. Unten stehen nur mehr Mais, Rüben, Kartoffel, fast aller Halm ist gestürzt. Erste Herbstfeuer brennen. Feierlich löst sich der steigende, ziehende Rauch von Asche und Erde. Nur das eintönige Hämmern eines Traktors und der Zuruf eines Knechtes, der sein Roß lenkt oder tadelt, dringt zu dir. Sonst gelten Stille, Verharren, Reife-Auf und ab wogt um dich das Weingebirg, breitschultrige Rücken, steil abgerissene Hänge, mannigfaltige Kuppen, kleine, große Becken und Talfurdien schaffen anmutige Wirrsale-Sattschwarzer Acker das Tal, gelbleuchtender Löß der Hang, zu Reditecken geschnittene, geduckte Wälder, Teppiche, Schleppen die Weingärten. Über Stufen und Wellen fließen brennende Farben. Mildrot, Blutrot, Purpurrot — Goldrot, Blaurot, Dunkelrot — \oi-gold, Gold, Gelb und Grün in allen Hellen und Tiefen. Darüber blühen Himmel, milchweiß, körnigsatt, fernentief, weltenblau.

Als du zurückgehst, steht es rechts und links wie lächelnd im Spalier. Du trägst ja den Pfarrerkapperlzweig. Da scheinen dich die anderen zu grüßen, weill du eines der ihren erwählt hast.

Zwielidit, Dämmerung fällt ein. Der Staub in den Gleisen schwelt unwirklich hell. Sdiwarzgrün flimmern die Gräser. Die blauen Sterne, die weißen Schleic-rscheibchen, die goldgelben Bartquasten, die graugrünen Distelheckchen schweben darüber wie fremdartiger Schein. Immer schärfer wachsen die Kontraste. Die Blumen brennen wie winzige Lampione. Da neigst du den Pfarrerkapperlzweig wie zum Spiel gegen den glimmenden Hang. Behutsam senkst, legst du ihn in den nachtgrünen Grund und je mehr du ihn näherst, desto magischer glühen sie auf, die Goldkerne, die gespaltenen Rubine, die abendfunkelnden Blätter und Zweige. Auf nacht-dunklem Rasenwiderschein dürfte ein Kleinod ruhen.

Du willst dich selbst verlachen ob des närrischen Spuks, in den du dich hineinverwunschen, und du sagst dir, daß es Blumen, Blüten, Früchte, Gräser sind, Blumen und Gräser in der ersten Stunde der Nacht. Doch nur tiefer glühen und leuchten die Sterne, Krönlein, Bartbüschel, Heckchen, blühen und leuchten, als wären sie wahrhaft edles Metall, farbfunkelnder Stein. Wolltest du anstoßen, glaubst du, sie müßten wundersam erklirren und leise hallend vertonen.

Acht Tage darauf bist du in der Fremde. Dort will man viel von dir und du hast wenig Zeit für das deine. Aber sie sind beharrlich, die großen Herzsduläge, die dir das Weinland abforderte, und sie bieten dir oft ihr gutes, erregendes Entzücken. Eine Zeitlang würdest du diese Erinnerung fast nicht brauchen. Auch in die landweiten Buschraine und Wälder des fremden Landes fiel der Herbst. Doch es fehlte das Kaiserliche, Priesterliche des Weines. Je grauer aber dann das ermüdende Jahr aus den Feldern steigt, desto näher rüdu die lodernde Heimat. Wenn dein Auge hungert, sieht es nadi innen. Dann leuchtet wieder die Welt.

Doch auch .die kleinen Feldwegfreunde gehen oft mit dir wie brave Leute, die wenig Worte machen, aber dich nicht mehr lassen.

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