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Cäsarea

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Störche, Wildgänse, Pelikane folgen dem langsam durch Kappadokiens breite Kornkammer dahinflutenden Halys, der jetzt Kizil Yrmak heißt. Viele Dörfer und Städte spiegelt der Huß wieder, doch die große, weiße Stadt Kayseri ist etwas von seinen rotschlammigen Ufern gegen die Vorberge des Erdschiasmassivs abgerückt, welche an schwülen Sommerabenden längst in schattigem Violett locken, wenn der Orangeschein des flammenden Himmels flimmernde Heißluft in überschwänglicher Fülle über Stadt und Ebene ergießt.

Auf zackigen, mauerumgürteten Anhöhen, nur wenige Gehstunden von Kayseri entfernt, liegen die unbedeutenden Ruinen der römischen Stadt Cäsarea, von Tiberius zu Ehren des Kaisers Augustus so benannt. Etwas weiter westlich wurde die Jahrtausende verschüttete Königsstadt der Het-titer freigelegt, deren Reich Syrien, Kleinasien und den oberen Euphrat umfaßte. Kyklopische Stadtmauern sowie mit Bildwerken geschmüdtte Vorbauten sind wohl erhalten, die Stadt, deren alte Benennung unbekannt ist, heißt jetzt nach dem nahegelegenen Dorfe: Bogazköj.

Einsam träumt das heutige Cäsarea unter der silberig überglitzernden Bläue der aufziehenden Mondscheibe, ebenso ausgestorben, wie seine Mutterstädte, unter der Obhut seiner imposanten Seldschukenzitadelle. Von den Vorbergen des Argäus, des heutigen Erdsdiias, Kleinasiens höchster Bodenerhebung, dessen viertausend Meter aufragender Doppel“,ipfel gebieterisch in den Nachihimmei ragt, spriihen zahllose Flämm-chen, als spähten noch die fröhlich tückischen Feuergeister des Vulkans aus Bergritzen hervor. Es sind die Lichter aus den Kiosken, welche, in den „Bahs“ genannten üppigen Obs gärten gelegen, die Sommer-sitze der Cäsareaner bilden — luftige, nur aus drei Wänden bestehende, durch einen bunten Schiebeteppidi verschlossene Bauten.

Jeder Mensch in Cäsarea besitzt sein Grautier, das ihn abends nach seiner „Bah“ trägt. Wenn nun zur Stunde des großen Aufbruchs ungeduldiges Eselgebrüll erschallt, erheben sich Stubhosen vom dampfencTe* Boden, welche die ganze Stadt in einen gelblodernden Nebeldunst hüllen. Niemand ist hier zurückgeblieben, als ein paar lahm Nachtwächter, wir und die Storchenfamilien, die nun in ihre aussichtsreich gelegenen Nester heimkehren und die Stille durch ihre Klapperkonzerte verscheuchen.

Wenn man sich erst an die Nacht gewöhnt hat, wandert man mit kühner Sicherheit durch die gespenstische Stadt, findet die teils unfertigen, teils zerstörten Häuser recht anmutig und stilvoll, vergleicht blühende Holunderbüsdie mit weißen Spitzentüchern, alte Moscheen mit berühmten, sagenhaften Bauwerken. Leuchtkäfer flirren feurig vorüber, Zikaden singen ekstatisch, das seltsam zaghafte und doch durchdringende Mondlicht läßt den Himmel fahlgrün und unendlich werden, während die freundschaftlich bekannten Gestirne neugierig die Erde Kappadokiens betrachten. Manchmal dringt ein vorwitziges Sternlein zu weit vor, und man glaubt einen trunkenen Jubelschrei zu hören, während sich ein brennender Pfeil rund übers ganze Firmament schwingt —, bis blasse Wolken in irisierender Pracht das Feuerwerk der Sternschnuppen bedecken.

Wir sind in Jen Gegend der Kuppelmausoleen, der Brunnenhöfe und heiligsten Moscheen gekommen, die wir bei Tage selten betreten. Keine Wohngebäude, keine Verkaufsbuden, nur gelbe oder bläuliche Mauern, wie Festungswälle, die in Zwischenräumen von hohen Stalaktitenportalen durchschnitten sind. Blau und grün glasierte Kuppeln ragen auf, Pinien und Zedern strecken ausdrucksvoll sdiweigend und wie beschwörend ihre dunklen Zweige über die zurückweichenden Lehmmaueni. Nur aus Lehm? Nun ja —, ist aber das scheinbar Vergängliche in seiner zauberhaften Wirkung nicht oft ästhetischer als kostbares Dauermaterial?

Die wundersam berückende Landschaft liegt nun in traumhafter Ruhe. — Man würde es nicht für möglich halten, wie diese jetzt ausgestorbene Stadt tagsüber betriebsam und lärmend beschäftigt ist, denn ein gar erwerbstüchtiges Handelsvolk bewohnt dann das weiße Häuserlabyrint. Die ein-heimisdien Kaufkute sind schlauer als selbst Griechen und Armenier. Man erzählt, eines Abends sei ein arabisdier Kaufmann mit seinem Kamel vor einem „Han“ — Einkehr-bof—Cäsareas erschienen, um quasi das Terrain zu sondieren. Den Wirt habe . er gefragt, ob er für einen Halbgroschen Nachtquartier und Essen für sich und sein Tier bekommen könne.

„Weshalb nicht?“ Und er brachte dem Reisenden eine große Melone und einen Brotlaib. „Iß dich satt, Fremdling!“ sprach der Handsdii. „Doch wenn du fertig bist, tergiß nicht, deinem Kamel Kerne, Schalen und Brotreste vorzuwerfen. Schlafen könnt hr beide hier im Hofe!“

Und er gab dem entsetzten Araber einen Viertelgroschen zurück. Dieser nahm sein Tier beim Halfter und ritt sdileunigst wieder von dannen — nie wieder hat ein Araber die Sjtadt betreten. — Denn wer könnte es an Geschäftstüchtigkeit mit einem Cäsareaner aufnehmen!? —

Wenn in Anatolien die Assentierungskommission der Hauptstadt die tauglich befundenen Burschen auffordert, sich in zwei Gruppen zu scheiden, „rechts die Schrift-kundigen, links die Analphabeten“, so soll es immer wieder vorkommen, daß unter den ersteren einige Rekruten ihren Namen nicht zu schreiben wissen. Zur Rede gestellt, antworten sie stolz: „Was brauchen wir schreiben lernen — wir sind doch aus Kay-seri!“ Und das soll heißen, was aus Kayseri komme, sei hundertmal klüger als alle Schriftgelehrten unter dem Halbmond! —

Die uralte Stadt in der feierlich heroischen Landschaft birgt so nüchterne Spekulanten, daß man glauben könnte, diese seien nur zufällig hieher geraten. Ungerührt sehen sie den leicht violetten Rauch, der um die Doppelgipfel des schneestarrenden Vulkans schlängelt, dafür klügeln sie mit Hingabe die Marktpreise der Wolle, des Sesams, des Opiums aus. Und ob sich die Abhänge des Riesen Kleinasien im Frühling mit dem Gesdimeide der Granat- und Pfirsichblüten schmücken, ob sie im Gold und Purpur des Hochsommers leuchten — die Leute Cäsareas erblicken vor sich nur Zahlen, berechnen unermüdlich ihren, Durchschnitts- und Hödistgewinn.

Wenn das Weinlaub der Vorberge immer wilder erglüht, so daß man meint, es werde nun zu einem Feste des Dionysos gerüstet, dann duftet die Stadt nach Pfeffer, Honig und Sandelholz, sie verwandelt sich sozusagen in einen Gewürzbasar. Über Haus-dächer und Terrassen, über die Brunnenhöfe der gemütlichen Vorortemoscheen werden Stricke gespannt, an welchen im friedlichen Nebeneinander die aus Schaffleisch gefertigten, beizend gewürzten Kay-seri-Würste neben ihren süßen Schwestern aus Traubensyrup und Mandeln baumeln. Auch die „echte“ Kayseri-Pasturmä, im ganzen Orient berühmt und vielbegehrt, wird hier im Herbst an der Luft getrocknet. Sie besteht aus mit Knoblauchsaft und einer Lösung von Paprika und Salz getränktem Rindfleisch. Der Genuß dieser stark gepfefferten, luftgetrockneten, Leckerbissen macht die Stimmen der Cäsareaner krächzend und trocken, und die ganz großen Prasser bringen schließlich keinen Laut mehr hervor und rollen nur noch ausdrucksvoller als sonst ihre Augäpfel.

Wolkenlos, tiefblau sind die Wintertage Kappadokiens. Wenn gegen Sonnenuntergang über Cäsareas immer duftiger gewordenem Horizont allmählich ein bronzefarbiges Spinnwebnetz aufzieht, das sich in den Kuppeln des Argäus gleidisam verfängt, so bedeutet dies zunehmenden Frost, sagen die Leute.

An glasklaren Abenden sieht es manchmal so aus, als schleuderte die in den Kraterschlund des Bergriesen gesunkene Sonne lanzengleiche Lichtbündel nach allen Seiten gegen die heroische Landschaft mit ihren Städtesiedlungen hin. „Das Schild“ nennt man diese Lichterscheinung und hält sie für die Voraussage schwerer Südstürme.

Gletscherweiß und vereist bieten die schultergleich abgerundeten Argäusgipfel sodann dem schneefüßigen Winde eine breite

Angriffsfläche. Dämonisch zuckt es wie blaue Blitze über das Eis des hingebeugten Gletschers, als wollten sich nun jene geheimen Spalten öffnen, in welchen der hingemordete große Seldschukensultan Kai Kobad verschwunden ist und aus welchen er einst in Glanz und Macht wiederkehren solL

Wenn aber, langsam jenes gefürchtete, anfangs fahle Nebeldunstgebilde dem Krater entsteigt, das sich feurig erglimmend jäh zu einem blutenden Kreuze ballt — um im nächsten Augenblicke himmelwärts zu verschweben —, dann erzittern die Menschen und laufen in wildem Schrecken aus der Stadt ins Freie. Bald beginnt das dumpfe Grollen, das unterirdische Getöse, welches einen Erdstoß begleitet.

Sdireckensstumm warten die Verängstigten stundenlang, ob dos Erdbeben sich wiederholen und Casare neuerdings verheeren oder bald verebben werde.

Friedlich erstrahlt die Mondnacht. Erdbeben, Kriege, Völkerwanderungen, Stürme, alles ist hier vorbeigerauscht.

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