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Es riecht nach Suppengemüse

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DEN ERFOLG EINER VERANSTALTUNG pflegt man in Zahlen zu messen, in Geldsummen, die man eingenommen, oder Besucher, die man empfangen hat, Dem Vernehmen nach waren in dieser Hinsicht die bisherigen Gartenschauen ein Mißerfolg. Die Besucherrekorde der WIG in der ersten Woche sind wohl abgeklungen, aber eine ungewohnt gründliche Organisation der public relations konnte auch weiterhin einen guten Besuch sichern. In dem halben Jahr, da die WIG geöffnet hat, ist eine Unzahl von Sonderveranstaltungen programmiert, und Attraktionen, die mit Garten und Blumen nur wenig gemeinsam haben, aber niemals ihre Anziehungskraft verlieren, wie Weinköst, Bierhalle, Ladenstraße, Donauturm usw., werden auch dann für gute Kassa sorgen, wenn der Reiz des Neuen verebben wird.

AN JENEM BESUCHSTAG — einem sogenannten Familientag mit gesenkten Preisen, der diesen Bemerkungen zugrunde liegt, war allerdings von Besucherrekorden nichts zu merken. Es war leicht, Parkplatz, Karte, Rikscha und Weinglas zu erhalten, die Sessel des Gartenlifts glitten ohne Fracht dahin, und das Bierzelt war leer. Es war ein Tag ohne Ereignisse, die Ausstellungshallen, bis auf die Briefmarken- Motivschau, waren geschlossen und rochen nach Tischlerleim und Holz, und die größte Betriebsamkeit entfaltete die Funkstreife, die auf den Wegen und Straßen der Gartenschau hin und her raste, als gelte es, den Dieb einer seltenen Blume zu fangen und die Diebsbeute sicherzustellen, bevor sie verwelkt. Der Platz beim Haupteingang war von der Indifferenz einer Industriemesse, das bronzene, wasserum- sprühte Wahrzeichen schien mehr ein Symbol der Technik denn der Natur zu sein, und in den Betonschüsseln kamen die bunten Blumen kaum zur Geltung. Der Rasen war noch dünn, und die Latschenkiefer ließen alles eher als die Donau vermuten, auf deren Nähe nur die langgezogenen Sirenentöne der Donauschlepper und -dampfer aufmerksam machten. Hinter dem Donauturm fiel das gerüstartige Gebilde des Gemüseturms auf, in dem in Paternostern Karfiol, Kren, Kohl, Zeller, Zwiebel, und was alles noch in eine gute Suppe gehört, an einem Gärtner vorbeigleitet, der sich nicht mehr mit gebeugtem Rücken in langen Gemüsebeeten abzurackern braucht. Die Leseiibel- baschaulichkeit, die man diesem Gewerbe zuschreibt, scheint durch die Erfindung, die da vorgeführt wird, ihre Erfüllung gefunden zu haben, man stellt sich den Gärtner mit einer Illustrierten in der Hand vor, ein Schaltbrett, dessen rote, blaue und vielleicht auch grüne Signale die moderne Idylle vollständig machen.

Nach Suppengemüse riecht es übrigens auch in dem grauen Zelt, dessen Drehtür zwei Portiere hüten, und das den Garten des XXI. Jahrhunderts, eine Mondlandschaft, birgt. Hier, und sonst nirgends, wird die Anonymität der Gestalter gelüftet. Eine graue Tafel weist darauf hin, daß der utopische Garten eine Idee des Herrn Zentralinspektors Karl Gruber ist. Innen streuen zylinderförmige Lampen buntes Licht auf Schüsseln mit weißem Kies, in den bizarre Pflanzen gesetzt sind. Aus dem Boden erheben sich weiße Türmchen, weiße Bodenlichter leuchten rhythmisch auf, Sphärenklänge erklingen, und der Duft, der nicht nur eine Suppe, sondern überdies ein großes Stück Rindfleisch suggeriert, ist überwältigend. Die bizarren Pflanzen sind nämlich — Rüben, Zeller, Krenknollen. Das XXI. Jahrhundert könnte nicht appetiterregender dargestellt werden.

IN DER MITTE DES Gartengeländes, durch die Zweige der noch nicht voll aufgeblühten Büsche durchschimmernd, befindet sich ein Rest jener großen Mist- und Schutthalde, die hier gewachsen war, bevor man anfing, die Tausende von Bäumen, Sträuchern und Stauden hierher zu verpflanzen, die das Donauufer jetzt zu einer Kunstlandschaft werden lassen. Über die Ausstellung hinaus sollen sie als Donaupark den Wienern Rekrea- tion und auch botanische Belehrung bieten. Auf der anderen Seite der Kagraner Straße, donauabwärts, erstrecken sich die Donauauen, und jemandem, der sie oft und oft durchwandert hat, fällt die großstädtische, der Donaulandschaft überhaupt nicht verbundene Konzeption des künftigen Donauparks auf. In seiner Aneinanderreihung von gärtnerischen Sehenswürdigkeiten nähert er sich den Gestaltungsprinzipien der „pop-art”, und der volksfestartige Charakter wird noch durch die vielen Gastbetriebe auf dem Gelände unterstrichen. Fast als Bestätigung zeichnet für etliche davon dieselbe Firma, die einst in allen österreichischen Provinzen Volksfeste veranstaltete und die unbändige Kauflust der Bevölkerung nach Elektrogeräten, SW- Möbeln, Teppichen und sogar Büchern zu stillen half. In der Ladenstraße der WIG fand ich denn auch ein Ehepaar, das die meisten der erwähnten Artikel bereits auf Volksfesten verkauft hatte und nunmehr Kognak- und Schnapsgläser anbietet.

Der Donauturm präsentiert gleichsam auf einer Drehscheibe einen größeren und großzügiger gestalteten Garten, der sich zwischen den Karpaten und dem Wienerwald ausbreitet und dem Zuschauer, der in aller Gemütlichkeit seinen Kaffee trinken kann, einen sonst nur durch ausgedehnte Autofahrt oder Fußwanderung erreichbaren Genuß vermittelt. In seiner anmutslosen Funktionalität erscheint der Turm dann wie eine gut geölte Nabe, um die sich die Landschaftsscheibe lautlos dreht.

VOR EINIGEN JAHREN fragten mich mitten am Stephansplatz einige deutschsprechende Touristen nach dem Zentralfriedhof. Sie fragten nach der’ genauen Entfernung, nach seiner Erreichbarkeit durch Straßenbahn und Automobil, und weckten die Vermutung, daß sie die Gräber von Angehörigen besuchen wollten. Doch war es der Zentralfriedhof als Sehenswürdigkeit, den sie kennenzulernen und mit ihren Kameras zu photographieren wünschten. Auf der WIG nimmt man den Euphemismus „Garten der Toten” wörtlich. Grab- und Friedhofsgestaltung wird als Schauobjekt präsentiert, und man weiß nicht: Sollen die Beispiele jene Wahl, die wir alle treffen müssen, ob für uns selbst oder unsere Lieben, erleichtern helfen, sollen sie, wie einige andere Objekte der Ausstellung, zum Konsum anregen? Werden sie bleiben, und ein Bestandteil des Donauparks sein, oder entfernt man sie wieder nach einem halben Jahr, um die künftigen Parkgeher nicht aus ihrer Muße zu schrecken? Die Friedhofsschau befindet sich zwar in der Mitte des Geländes, aber sie ist ein Endpunkt in jeder Hinsicht, und am liebsten würde man sich hier eine Rikscha kommen und sich möglichst rasch zum Ausgang bringen lassen.

DER KUNDENDIENST in der Ausstellung wird nach ungewohnten’ und undurchschaubaren Prinzipien ausgeführt. In der Weinkost muß man sich nicht nur einen Bon an den Kassen holen, sondern gegen einen Einsatz von fünf Schillingen auch das Weinglas. Der Durst, den man nach dem Rundgang durch, die WIG zu haben hat, wird reglementiert, und zwar gleich auf ein Viertel. Das. gewohnte Achtel erscheint als Konsumation zu gering und wird dem Gast verwehrt. Die Rikschas zahlt man nach Zeit, nicht nach der zurückgelegten Strecke. Es kostet Geld, die Gärten links und rechts der Wege zu betrachten, die Betrachtung ist teuer und nicht die Tatsache, daß man befördert wird. Dafür aber geben die Rikschaführer bereitwilligst Auskunft, auch auf die lästigsten Fragen. Die anderen zwei Beförderungsmöglichkeiten, die die Füße schonen,.sind Sessellift und Liliputbahn. Letztere erfreut sich im Prater großer Beliebtheit, wo sie durch die schattige Wildnis des Praters führt. Hier legt sie eine Schleife um die Seebühne und etliche andere Gewässer, und die Praterwildnis wird durch undurchschaubare Eisengerüste in bezug auf den Gehalt an Geheimnisvollem und Unbegreiflichem mehr als ersetzt. In Amerika gibt es ein Beispiel, wie streng die Natur den Regeln des sogenannten Schaugeschäftes unterworfen werden kann: Im „Disneyland” sind auch die Pflanzen — Bäumen und Blumen. — aus Plastik und abwaschbar. Wird schon die nächste WIG den Wienern das Neueste auf dem Gebiet der Natur bescheren?

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