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Ebene der sterbenden Schlösser

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MARCHFELD, HALBASIEN, lieber das Gänsehäufel und das einstige Arbeitslosenparadies der Lobau hinaus hat der Wiener wenig Drang nach dem Osten. Metternich sagte, daß hinter dem Rennweg der Balkan beginne; Balkan, Halbasien, Asien: Ausdrücke für das andere Landschaftsbild, für die Ebenen, in denen die Robinie (die wir alle Akazie nennen) und der Götterbaum ihre Steppensilhouetten in den großen Himmel halten. Dürre und Melancholie, Teere Straßen und stille Dörfer, dem Wiener ist das zu fad, er ist im Grunde seines Wesens ein Idylliker. Und diese Ebene des Marchfelds hat Größe.

EINE EBENE DER STERBENDEN SCHLÖSSER ist es, und in seiner Südostecke zwischen Niederweiden und Schloßhof wird es zu einer Gegend, in der sich verfallendes Barock zu heroischer Landschaft steigert: einsam, am Rand, im Anblick der Grenze, Gartenfassaden nach Osten hin, überwucherte Treppen, zerschlagene Skulpturen in verwilderten Parks, Dohlengekreisch um die Schlösser des Prinzen Eugen, Trümmer Oesterreichs; keine Fremdenverkehrsattraktionen, keine Baedekersterne, aber wer dort war, weiß mehr von Oesterreich als nach langen Reden bestmeinender Patrioten. Sechs Schlösser sind es, die man sich ansehen sollte, im Herbst am besten.

SACHSENGANG, tausendjährig, eine Wasserburg, baufällig, grau, mürrisch. 1809 hat sie drei Tage gegen die Franzosen verteidigt werden können. Steht sie auf einem alten Awaren-ring, auf einer hunnischen Befestigung? Man suchte hier Attilas Grab.

VIERTÜRMIG, EINE FINSTERE FESTE hinter Bäumen: Schloß Orth. Aus dem alten Wassergraben wurde ein Gemüsegarten. Durch einen barocken Zubau gelangt man an die alte Burg. Ueber der Einfahrt das Schild der Lokalorganisation einer politischen Partei. Die mächtige Festung selbst hat wenige Fenster, und die sind schmal. Stroh schaut heraus. Die Burg des Hornit vom Orte (1137) ist heute ein Getreidespeicher. Im Ehrenhof Staub und Gänse. Hochauf an drei Seiten das Gemäuer, die Südseite offen, weggebrochen einmal. Um die vier Türme kreischen die Dohlen. Im 16. Jahrhundert haben sich die Grafen Salm diese Burg nach dem Vorbild der Wiener und Wiener-Neustädter Burgen ihrer kaiserlichen Herren aufgeführt. Nicht kleiner als diese. Niklas Salm verteidigte Wien gegen die Türken, 1529. Gewiß, das lernt man noch immer in der Schule. Daß die Renaissance bei uns nicht fröhlich war, muß man sich selbst erspüren. Hier, unter vier morschen Türmen nahe der Donau, zwischen Gänsen und Hühnern, die aus dem Staub etwas aufpicken. Wer denkt drüben im Schweizerhof der Wiener Burg vor dem Münzenbrunnen, daß hier...

ECKARTSAU, frischgetünchte Häuserzeilen, Vorgärten mit Astern. Um das Schloß ein weitläufiger Park, gepflegt sogar. Eckartsau ist das einzige von den Schlössern, das intakt ist und eine allgemein anerkannte Funktion hat: Sitz einer Bundesforstverwaltung. Die Funktion der anderen Schlösser ist verborgener. Maria-theresiengelb leuchtet der einstöckige Bau zwischen Kastanien und immergrünen Kugelbüschen. Die Farbe Oesterreichs, heiter, auch wenn es regnet. Weißer Kies knirscht unter, den Füßen, anheimelnd, einladend. Die Ost-und Südfassade bürgerlich schlicht, aber stilvoll. Der Mann, den die Schüsse von Sarajewo trafen, hat sie 1897/98 umbauen lassen. Die Westseite barock, der Giebel bekrönt von Diana, die über die Auwälder blickt. Der Nordtrakt ist der älteste, er stammt noch vom mittelalterlichen Schloß und wurde in den barocken Neubau (1722—1732) einbezogen. Und alles ist harmonisch, ist ein Ganzes, ist österreichische Architektur, nicht großartig, aber so, daß man es sich kaum anders vorstellen kann. Die selbstverständliche Ausschöpfung der selbstverständlichsten Möglichkeit.

Eckartsau, ein stilles schlichtes Schloß in der Au, beherbergte den letzten Kaiser der Donaumonarchie in der Zeit der Novembernebel des Jahres 1918.

Gehen wir von hier aus zum Strom, sehen wir hinüber auf das Südufer, auf den Steilabbruch über dem Austreifen, dort war Carnuntum, war der Rand der bewohnb?ren Erde. Wir kennen es nur von der anderen Seite, nicht von hier, vom Ufer der Barbaren.

VON WEITEM SCHON KÜNDETE bisher das Geschrei hunderter Dohlen den Geistern von Niederweiden das Nahen eines Besuchers.

Nun, nach dem Brand des Schindeldaches, das tausende Löcher hatte und doch von unnachahmlicher Grazie war, haben sich die Vögel auf die Bäume des Parks zurückgezogen: das Unwahrscheinliche geschieht, im Jahr der dreihundertsten Wiederkehr von Fischer von Erlachs Geburtstag wird Niederweiden dem Verfall entrissen, dem es seit 1918 anheimgegeben war. Dieses kleine Jagdschloß, das da so verloren in der Ebene steht, ist einer der makellosesten Barockbauten, die es in unserem Vaterland gibt. Es kommt nicht auf Nürnberger Parteitags- und Smolensker Platz-Maße an, Größe ist mit Meter nicht zu messen. Dies hier ist Größe, diese Mauern, die in die Erde zu sinken schienen. Dieser einstöckige Fischer-von-Erlach-Bau gehörte dem Prinzen Eugen. Fast vier Jahrzehnte lang wußte man in unserem Jahrhundert nichts mit ihm anzufangen. Und der Wiederaufbau begann mit Hammen: beim Niederbrennen der Büsche brannte auch der Dachstuhl ab, in dessen hinreißend zarte Konstruktion man bis dahin von ebener Erde des leeren Gemäuers aus sehen konnte, in Schutt stehend, zwischen cyrillisch und auch anders bekritzelten Wänden. Einmal kam mir beim Betreten des Baues ein Hase entgegengehoppelt. Im Jagdschloß wohnten die Hasen...

Der Park von Niederweiden, in dem auch eine alte Huchtburganlage noch in Spuren erkennbar ist, zeigt Baumgestalten im Stile vieler Meister: Rubens, Waldmüller, Caspar David Friedrich vor allem. Am schönsten aber sind die ergreifenden Baumruinen, die den halbkreisförmigen freien Platz vor der Gartenfassade begrenzen. Uralte Linden, die nur eine ungeheure Anstrengung aufrecht zu halten scheint. Der Wille zum Stil, der sie gepflanzt hat. Die gleichalten Bäume tiefer in der Wildnis des Parks, der in einem stärkeren Gelsenjahr gegen Abend buchstäblich unbegehbar ist, sind längst niedergebrochen und aus einer alten Wurzel wachsen fünf, sechs neue Stämme gegen den Himmel. Besser als das Schloß selbst, das manches Jahr von mannshohen Königskerzen umstanden war, hat die Jagdküche, ein eigener Bau links der Einfahrt, die Zeit überdauert. Man sieht noch die Herdreihe, die Backöfen, die eisernen Haken für die Bratspieße.

ES WAREN GEWALTIGE JAGDEN in diesen Gefilden, die Treiber scheuchten das Wild von den Kleinen Karpathen, von den

Hainburger Bergen herunter, über March und Donau herüber, vor die Büchsen zwischen Niederweiden und Schloßhof. - Und einmal standen an der Straße zwischen beiden Schlössern, entlang der ganzen langen Allee, Fackelträger, an jedem Baum einer. Die Erbin des Prinzen Eugen bot ihren Besitz zum Kauf an. Und Maria Theresia hat gekauft.

Viel zu breit ist diese Allee für die schmale Straße von heute. Diese Straße aber, die ganze Landschaft, wird zu einem Auftakt für Schloßhof, das alles weithin beherrscht.

CANALETTO HAT ES GEMALT. Das ist die einzige Ansicht, die man sich als Postkarte kaufen kann — in Wien. Im Ort gibt es keine Ansichtskarten des Schlosses. Wen interessiert das schon, denken sich die Leute. Schloßhof aber ist der großartige Abschluß Oesterreichs, aus seinen verwüsteten Zimmern sieht man hinüber in die Slowakei. Zum Greifen nah sieht man die Fabriken jenseits der March.

Dieses Schloß, das Lukas von Hildebrandt in fieberhafter Eile für den alternden Prinzen ausbauen mußte, wurde knapp vor der Jahrhundertwende zur Kaserne degradiert, Reitlehrinstitut der Heeresverwaltung. Kaserne blieb es bis in die jüngste Vergangenheit, es wechselten nur die Uniformen. Die olivbraunen waren die letzten. Den Kriegsschäden folgten farbfreudige Aufschriften der Sieger, Zimmer gibt es, in Waschblau bemalt. In der Sala terrena gibt es neue Wandmalereien, Sehnsuchtsbilder eines Amateurs: eine Holzhütte auf knallgrüner Wiese, eine Jagd, einen See, von Birken umstanden. In vielen Räumen wurde das Parkett verheizt, vornehmlich in Ofennähe. Eine Stuckdecke mit dem Sowjetstern, brettervernagelte Prunkräume, auf dem Savoyerkreuz im Treppenhaus fingerdick Staub, viele Details, alle Phasen der Verwüstung, barbarische und rührende auch. Alles übertrifft aber der — nicht erst 1945 — geschändete Park mit seinen vier Terrassen, mit den Dschungeltreppen und den verstümmelten Figuren. Das war eine Anlage, schöner und mächtiger als der Park des Bel-vedere in Wien... Grillen, raschelndes Gras und Trümmer sind geblieben, eine barocke Ruinenlandschaft von antiker Größe. Sie hat nur keinen Piranesi.

Absurd das untere Gartentor; es wurde renoviert, und zwar mitten im Krieg. Gauleiter Jury wollte das Schloß in neuem Glanz seinem Führer schenken. Die Geschichte hat es nicht geschehen lassen: aus diesem Stück Oesterreich wurde keine Kulisse für tausendjährigen Herrscherkult: hinter der schmiedeeisernen Pracht ist Gestrüpp, dieses Tor führt auf ein Feld, ins Nichts ...' Jetzt begann die Restaurierung mit der Kapelle, vielfältig leuchtet die Sonne in goldenem Barock. Die fremden Soldaten hatten für die Zeit ihres Hierseins das Altarbild umgedreht.

In dieser Gegend, in der man im Hochsommer ganz nah an die Fasane heran kann, sollte man es nicht versäumen, an die äußerste Grenze seines Vaterlandes zu gehen, an die Mündung der March. Drüben die Felsenfaust von Theben, ein Rastplatz der Zugvögel — nun stacheldrahtbewehrt und mit Soldaten gespickt, olivbraune Tschechen. Wachtürme. Auf unserer Seite menschenverlassene Au, nur Gelsenschwärme. Dies ist eine neue Weltgrenze, senkrecht zur alten: ein Koordinatensystem der Geschichte. Und alles war einmal Oesterreich.

AUCH IN MARCHEGG gibt es ein Schloß. „Natürlich“ auch verfallen. Marchegg, die Stadt, die der unglückliche Przemysl Ottokar 1268 gegründet hat, die er größer anlegen ließ, als sie bis heute gewachsen ist, denn sie besteht fast nur aus Plätzen. Es gibt jetzt zwei Marcheggs, das zweite wuchs um die Bahnstation, fast eine Wegstunde südlich des alten, hinter dessen Schloß sich eine Wiesenlandschaft dehnt, wie man sie selten findet. Dort nisten in sterbenden Bäumen die Störche.

Schlösser, die langsam verfallen. Gewiß, man wird sie allmählich restaurieren. Man hüte sich nur vor einer Fassadenkultur. Architekten allein können es nicht schaffen, die Ruinen reden eine große Sprache, sie reden österreichisch. Man könnte Manager in die Ebene der sterbenden Schlösser führen, man könnte in Schloßhof so etwas wie Kulturtagungen am Eisernen Vorhang veranstalten. Der Anblick des Felsens von Theben gibt auf viele Fragen Antwort. Aber man vertreibe die stille Größe nicht aus dieser Ebene, in der sehr vieles sehr klein wird.

WER EINKEHRT IN SCHÖNFELD, acht Kilometer vor Marchegg, findet im Dorfgasthaus übrigens neben einer knallbunten Wur-litzer-music-box eine Sprechzelle mit der Aufschrift „K. k. Staatstelephon“. Ein Denkmal der Kontinuität. Man lächelt und überlegt sich einiges.

UND DIE SCHLÖSSER? Sie reden eine große Sprache. Sie reden österreichisch.

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