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Tarockaniens Endstation

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Der sandsteinerne Markuslöwe an der Straße hat noch den Lokomotivenrauch eines halben Jahrhunderts im Rachen. In seiner besten Zeit war er nämlich eine Giebelplastik, er stammt als eines der letzten Relikte vom alten Wiener Südbahnhof. Nun steht das heraldisch getrimmte Tier in Laxenburg, vor einem kleinen Gehege, als Galionsflgur schön-brunnergelber „Rand“-Bemerkungen. Zwischen Wipfeln und Buschwerk ein Mini-Miramar, zinnengesäumt, ärarischer Aufriß der Fassade. An der Treppe korrodieren Eisenkandelaber.

Dieser Bau in der Patina langer Zweckentfremdung ist der alte La-xenburger Hofbahnhof, der noch Immer auf sein Sternchen wartet, das ihm als Denkmal der Kulturgeschichte gebühren würde. Eisenbahnfreunde sollten den Abstecher nicht versäumen, die Vedute lohnt es. Ein vergessener Biedermeierbahnhof, kurz vor dem Ende der Metternich-Ära errichtet, Anno 1845. Wo haben wir in Österreich noch solch ein Zeugnis der beginnenden Technisierung aus dem Vormärz? Schon ehe die Südbahnstrecke über den Semmering führte, trassierte man bereits die Abzweigung von Mödling nach Laxenburg zur kaiserlichen Sommerresidenz. Ganze fünf Kilometer für empfindsame Hofreisen zwischen besonnten, grün aufgeplusterten Hainen. Ein bukolischer Bahnhof, die Endstation von Tarockanien. Gedeckte Kopfbahnhöfe gab es zu Zeiten der Monarchie nämlich nur in Wien, Budapest, Prag und in — Laxenburg. Die Halle unterm Glasdach nahm gar drei Geleise auf, somit war ihr der Wiener Westbahnhof, das Drehkreuz zwischen Paris und Konstantinopel, nur um einen einzigen Schienenstrang voraus! Anekdotisches und Historie, beides spielte sich zwischen der Sedten-trasse und dem luxuriös eingerichteten Hofwartesalon ab. Waggons mit Kronen, Wappen, Emblemen und Mahagonivertäfelung fuhren zwischen beflaggten Perrons ein, der rote Teppich war oft verwendetes Requisit mancher unauffällig abgewickelten Haupt- und Staatsaktion, so wenn Zar Nikolaus II. hierher kam, um sich 1903, vor Ausbruch des Russisch-Japanischen Krieges in Gesprächen mit Kaiser Franz Joseph die Rückenfreiheit zu sichern. Auch von dieser kleinen Kopfstation nach dem Kanon der Amtsarchitektur galt, was Felix Saiten einmal von anderen Szenerien des alten österreichs sagte, nämlich, daß dort das Schicksal Europas „ein bisserl entschieden wurde“.

Der Glanz verblich, mattes Feldgrau beherrschte das “;id, als Kaiser Karl im Frühling 1918 in Laxenburg seinen Verbündeten Wilhelm II. empfing. Vierzehn Jahre lang bewältigte die kleine Flügelbahn dann noch regen Wochenendverkehr, bis Autobuslinien rentabler wurden. Auch das Ende dieser seltsamen tarocka-nischen Institution ist kurios — kurios und zugleich dämonisch: Am 1. April 1932, dem Tag der offiziellen Einstellung des Betriebes, gerät beim Rangieren der letzten Garnitur in Mödling ein einzelner Waggon von selbst in Fahrt. Wodurch er in Schwung kommt, niemand weiß es. Von rätselhaften Kräften gesteuert, rollt er die ganze Strecke bis Laxenburg dahin und prallt mit voller Wucht in die Halle. Als sich die Staubwolken über Knäueln aus zersplittertem Holz und verbogenem Blech senken, sieht der ehemalige Hofwartesalon aus wie nach einem Bombentreffer.

Längst wurde aus der Trasse ein Wiesenstreifen, keine Spur mehr von Geleisen oder Schwellen. Dahinter am Horizont, nahfern, der Anninger, die Höhenzüge gegen Baden zu. Der Epilog für den Bahnhof: zuerst machte man eine Scheune daraus, dann eine Drahtfabrik, schließlich stand er jahrelang leer. Schon erhob sich der Schatten des Demoliererkrampens. Man sann auf eine neue Widmung des alten „unnützen Objekts“. Es wäre vielleicht sinnvoll gewesen, hätte das Niederösterreichische Landesmuseum darin eine verkehrsgeschichtliche Schausammlung eingerichtet. Indes, eine vorläufige Lösung brachten die equestri-schen Laxenburg-Fans. Den Rot-röckigen taugt die einstige Zugshalle als Winterreitschule. Damit wurde — unbewußt — ein Kreis geschlossen: denn anfangs zogen zu gewissen Zeiten nicht Lokomotiven, sondern Pferde die Waggons.

Der Feldmarschall Leopold Graf Daun in Weiß, Rot und Gold war das Urbild eines theresianischen Paladins, ein großer Herr und allegorischer Kriegsheld. Als Karl VI., der barocke Jägerkaiser, noch im Laxen-burger Alten Schloß residierte, umgeben von Büchsenspannern, Falco-nieren und Hatzrüden und in grünem Samt auf den Ebenen Reiher beizte, hatte Graf Daun in der Nähe als Tusculum ein Gebäude aus der Zeit um 1630. Es hieß der „Blaue Hof“ und zwar nicht etwa wegen dieser Farbe, sondern infolge einer sonderbaren Lautmetamorphose des Namens seines ursprünglichen Besitzers, des kaiserlichen Rittmeisters Sebastian von Ploenstein. Der Hofpoet Pietro Metastasio, ein Abbate mit feinem Philosophenkopf, reimte — auf Italienisch klingt es eleganter als ins Deutsche übersetzt — also: „Laxenburg ist kein Schloß / Laxenburg ist keine Stadt / Aber ein schöner Ort / Der Seiner Majestät gefällt.“

Doch erst unter Maria Theresia sollte dieser „schöne Ort“ zur glanzvollen Hofhaltung nobilitiert werden, die fast an Schönbrunn heranreichte. Alles wurde nun in Planung und

Realisierung weiträumiger, großzügiger, durch Zukaufe und Tausch. Den entscheidenden tätigte die Herrscherin mit Daun. Für seinen großen, unwohnlichen Kasten bot sie ihm das wohl kleinere, aber viel modernere und daher komfortablere Dietrich-steinsche Landhaus. Das Retiro des Marschalls besteht noch und zwar nur ein paar Schritte vom Biedermeierbahnhof entfernt — zwei Stimmungskulissen, wo im Gezweig der Doppeladler horstet. Träte uns der Genius loci leibhaftig entgegen, dann erschiene er wohl als barocker Apoll mit Zugstiefeletten an den Füßen und auf den Locken eine steife Eisenbahnerkappe. Seit langem schon heißt das Schlössel im Schatten der großen Linde das „Grünne-Haus“. Nach dem Tod des Heerführers hatte Maria Theresia den Besitz zurückgekauft, als Geschenk für ihre Tochter Marie Christine und deren Gemahl, den Herzog Albert von Sachsen-Teschen, der in diese Wiener Ehe seine habsburgisch ererbte Unterlippe und seinen eminenten Kunstsinn mitbrachte. Hätte Herzmanovsky-Orlando an dem Bahnhof seine helle Freude gehabt, so wären Hugo von Hofmanns-thal und Max Reinhardt gewiß über den Gartensalon des Grünne-Hauses entzückt gewesen. Betritt man diesen Raum, dann vergißt man, daß es je Bomben und Einquartierungen gegeben hat. Die Zeitgeschichte fand draußen statt.

Nobilissima visione! „Die Freuden des Landlebens'' ist das die ganze Empfindungswelt des 18. Jahrhunderts heraufbeschwörende Thema eines der zauberhaftesten Deckengemälde im weiten Umkreis von Wien. Arkadische Heiterkeit erfüllt den Jahreslauf dieser Gärtner, Schnitter und Winzer. Johann Bergl, der gebürtige Nordböhme, malte das Fresko. Er war keiner der Palettenheroen wie Gran, Rottmayr oder Troger, aber ein liebenswürdiges, originelles Talent. Als Trabant des großen Maulpertsch entwickelte er seinen sehr persönlichen Stil. Bergl verstand es, mit dem Pinsel zu fabulieren, in hellen, duftigen Farbtönungen. Berichte aus fernen Ländern über dem Meer regten seine Phantasie an. So bevölkerte er etwa den Stiftsgartenpavillon in Melk mit Gruppen von idealisierten Wilden, herakleischen braunen Lackeln, die bunte Federkronen auf den Köpfen tragen. Was für ein kongenialer Bühnenbildner für Raimunds Feenreiche wäre er doch gewesen! Natur hat bei ihm adeliges Flair, geht in Parkszenerien über, manche Erinnerungen an tatsächliche Begebenheiten boten sich als Motive: da nähert sich aus der Tiefe der Vedute durch ein Spalier Maria Theresia selber, die Augustissima in gebauschter Robe. An einem höfischen Weinlesefest nahm auch Erzherzogin Marie Christine teil und wurde' so zum Modell. Ein Falconier auf cour-bettierendem Rössel soll die großen Beizjagden ins Gedächtnis rufen. Der maiengrün gewandete Weidmann aber, der breitbeinig in Gamaschen unter dem Baum sitzend ins Parforcehorn stößt, das Signal ,,Hirsch tot!“ in die silbrige Oktoberluft bläst, dieser Landjunger ist — ich möchte wetten! — niemand anderer als der vierschrötige Baron Ochs auf Lerchenau, ganz in seinem Element als Nimrod!

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