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„Marschbefehl“ für Plastiken

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In seiner „Ringstraßensymphonie“ schlägt Fred Hennings auch ein Thema an, dem er den Titel gab: „Das Wandern ist des Denkmals Lust“. Er schildert diverse Übertragungen von Monumenten der Wiener Innenstadt, wie etwa den Ritt des bronzenen Marschalls Radetzky vom Platz Am Hof auf den Stubenring, oder Mozarts empfindsame Reise aus dem Umraum der Staatsoper in den Burggarten.

Früher waren es oft rein geschmacklich oder historisch motivierte Erwägungen, die solche Transferierungen von Plastiken und auch einzelnen Bauteilen bewirkten. Doch während unseres Jahrhunderts diktierten meist zwingende äußere Umstände den „Marschbefehl“: Kriegsschäden, Verlagerungen, Abbruch von Gebäuden, Verkäufe und manche abenteuerliche Wendungen. Gleichsam Schicksale in Stein und Metall. So kam es im Lauf der Zeit Zu einem Austausch von Bildwerken, nicht selten unter recht ungewöhnlichen oder anekdotischen Begleiterscheinungen. Dem kulturellen Wünschelrutengänger bieten sich da überraschende Begegnungen mit allerlei gemeißelten und gegossenen „Leuten und Herrschaften“ samt allegorischem Inventar.

Als markantes Wegzeichen kennen Autofahrer den sandsteinernen Markuslöwen am Straßenrand von Laxenburg. Dieses heraldisch getrimmte Tier hat noch den Lokomotivenruß unzähliger Züge im Rachen, ist es doch eine emeritierte Giebelfigur des zerstörten alten Wiener Südbahnhofs. In der jetzigen, weniger „gehobenen“ Position, kaum mannshoch über dem Asphalt, soll der geflügelte Leu an die historische Südroute nach Venedig erinnern. Sein ebenfalls den Bomben entgangener Bruder verharrte im angestammten Revier. Er wurde zu einer Art Maskottchen des neuen Südbahnhofes.

Laxenburg weist überhaupt einen breit gestreuten Wiener Statuenhain auf. Ein Hauptstück daraus ist freilich längst wieder in die Stadt „repatriiert“. Das kam so: Als Franz Anton Zauner, der führende Meister der klassizistischen Plastik in Österreich, die Arbeit am Reiterdenkmal Kaiser Josefs II. begann, hatte er enorme technische Schwierigkeiten zu bewältigen, denn dieses Werk sollte der erste inländische Monumentalguß in Bronze werden. Zunächst goß der Künstler, sozusagen als Experiment, ein unterlebensgroßes Modell. Bis auf geringfügige Einzelheiten gleicht es völlig der später geschaffenen Figur vor der Nationalbibliothek. Bei Hof fand man, der kleine erzene Imperator würde sehr gut in den Laxenburger Park passen. Und so ritt er, von lebenden Pferden gezogen, auf seinem Mini-Roß durch die lange Allee südwärts bis zum Sommersitz Franz' I. Nach einiger Zeit wurde er aber zurückgeholt. Seither steht er in Schönbrunn, in einem schlichten Geviert beim Eingang zum Botanischen Garten.

Dafür kamen die phatastisch geharnischten barocke Marmorstatuen habsburgischer Herrscher der Plastiker-Dioskuren Peter und Paul Strudl aus dem Schloß Belvedere in die Laxenburger Franzensburg und dort, im Milieu himmelblauer Biedermeiergotik, überdauerten sie alle Wechselfälle. Anno 1839 wurde auf Initiative Kaiser Ferdinands auch ein Konterfei Karls ' VI. in diese steinere Genealogie eingefügt. Die Figur stammte aus Prag, Matthias Braun, der bedeutende Bildhauer des böhmischen Barocks, hatte sie ursprünglich für ein projektiertes, aber nie ausgeführtes Denkmal auf der Moldaubrücke geschaffen.

Nicht weit von Laxenburg findet man letzte Relikte der Ringtheaterkatastrophe. Rauchgeschwärzt lagerten während der achtziger Jahre sechs aus der Brandruine geborgene Säulen bei einem Badener Steinmetz. Der hoffte auf Wiederverwendung des wertvollen Materials, immerhin war es roter Veroneser Marmor. Das Geschäft kam zustande, und zwar mit Missionspriestern der

„Gesellschaft des göttlichen Wortes“, die an der Südbahn ihr Kloster St. Gabriel errichteten. Frisch poliert wurden die Stüzen, in zwölf Halbsäulen geteilt, der Apsis der neuen Kirche eingefügt. Architektonische Konzepte verbanden sich der Christenpflicht frommen Gedenkens, denn, so liest man in einer Chronik des Missionshauses: mögen sie dort an heiliger Stätte gleichsam als Totenlicht leuchten für die 400 bei dem Brand ums Lebens gekommenen Theatergäste.“

Indirekt machte eine Entscheidung vom Stuhle Petri die kleine Kirche St. Helena im Badener Helenental zum „Exil“ einer reizvollen eigenartigen Schöpfung der Spätgotik. Um 1500 stifteten die Wiener Töpfer einen Dreifaltigkeitsaltar. Aus Ton, ihrem Werkstoff, ließen sie das Relief formen: als Könige gleichen Antlitzes thronen die drei göttlichen Personen inmitten von Zierat, der wie eine Vorahnung des Rokoko anmutet.

Dieser „Töpferaltar“ hatte seinen Platz im Stephansdom. Aber im Jahr 1745 verwarf Papst Benedikt XIV. jene — im ausklingenden Mittelalter gar nicht seltene — Darstellung des Heiligen Geistes in Menschengestalt. Das Relief mußte entfernt werden. Um ganze 50 Gulden kaufte der damalige Herr auf Rauhenstein den bedeutenden Kunstschatz und schmückte damit — was kümmerte ihn privat Roms Veto? — die Kirche seiner Domäne. Dort war und blieb die angefochtene Trinität fürderhin theologischen Disputen entzogen.

Hügelan markiert eine schablonenhafte neue Wohnanlage „im Grünen“ einen der schwersten kulturellen Kriegs Verluste: die Zerstörung des Schlosses Weilburg. Aus den Fenstern blickte einst Erherzog Albrecht auf das filigrane Bronzemodell von Fernkorns Reiterstatue des Erzherzogs Carl, das von Hecken gesäumt im Garten stand. Während der Endkämpfe des Jahres 45 verschwand der fahnenschwingende Feldmarschall. Spurlos, wie es schien.

Dann fand man ihn zufällig im Schuppen eines Buntmetallhändlers. Ganz unheroisch zwecks „Wiederverwendung“ des Materials beiseitegeschafft. Das Heeresgeschichtliche Museum, in dem damals die Schausammlung neu eingerichtet wurde, war der nächstliegende dankbare

Abnehmer. Seither ist diese kleine Plastik der dramatische Akzent und Mittelpunkt des Erzherzog-Carl-Saales.

Auf Burg Feistritz am Wechsel traf nach 1815 kostbare Fracht ein: Sandsteinfiguren aus Versailles! Die hatte Baron Josef Dietrich, der geadelte Großfuhrwerker und passionierte „Antiquar“, aus der Kriegsbeute der Verbündeten erworben. Wahrscheinlich im Rahmen des Austausches und der Kompensation. Denn viele Werke der französischen kulturellen „Demontage“ in Österreich konnten nicht mehr zurückerstattet, sondern nur durch annähernd Gleichwertiges ersetzt werden.

Noch immer stehen diese Statuen im Park. Sie stammen aus einem Zyklus der zwölf Monate. Als Mann im Pelzumhang mit einem Kohlenbecken in der Hand erscheint der Jänner. Im Karnevalswams zeigt

sich der Februar. Der März ist ein Jüngling in tänzerischer Bewegung. Ein Athlet mit Sichel stellt den August dar, die Garbe ist das Attribut des Septembers, eine Weintraube die des Oktobers. Diana kommt als November und ein Mädchen, das einen Gabenkorb hält, ist das Sinnbild des Dezembers.

Die übrigen vier Monate fehlen. Schade, aber so geht es eben zuweilen beim mehr oder weniger freiwilligen Geben und Nehmen. Immerhin, Feistritz kam durch den kuriosen Burgherrn zu einem wenn auch lückenhaften figuralen Kalen-darium aus jener Sphäre, die für das alte Europa der Inbegriff höfischer Prachtentfaltung war. Wer würde solch steinerne Zeugen einstiger Bourbonen-Glorie gerade hier in Niederösterreich vermuten,

Katapultieren wir uns auf unserer Suche ein Stück nach Nordwesten, über die Donau. Um die Jahrhundertwende hatte sich in dem großen Schloß Thürnthal an der Wagramstraße nach Krems eine Stärkefabrik etabliert. Als letzte Reste der barocken Gesamtanlage . waren im verwilderten Park noch einige Skulpturen hinter Hecken und Gebüsch eingesponnen, darunter eine schöne Gruppe „Der Raub der Sabinerinnen“.

Nach 1918 wurde der arg verwahrloste Bau „auf Abbruch“ verkauft. Glatte Fehlspekulation. Mit Krampen und Preßluftbohrern kam man den festungsstarken Mauern nicht bei, da hätte schon ein Skoda-Mörser auffahren müssen. Solch stabiler Schichtung von Ziegeln mit eingesprengten harten Gesteinsbrocken verdankt der architektonisch bemerkenswerte Landsitz seinen Bestand bis heute.

Aber bald meldete sich ein Interessent für die Plastiken: kein anderer als Max Reinhardt. Die Fahndung nach Kunstwerken zur Ausgestaltung von Leopoldkron hatte ihn auch ins Weingebiet geführt. Der altersgraue bemooste Sandstein begeisterte den Professor. Prompt kaufte er die Sabinerinnen und die anderen mythologischen Helden. „Der Transport mußte ungemein vorsichtig bewerkstelligt werden, um das Moos nicht zu gefährden“, schreibt seine langjährige Sekretärin Gusti Adler. Aus der Vergessenheit ihrer niederösterreichischen Heimstatt versetzte Reinhardt die Plastiken in die Szenerie des Leopoldskro-ner Weihers in Salzburg. Später wären sie dort fast im Moorgrund versunken. Nach dem Transit durch das Restauratorenatelier sollen sie nun in den Park des Schlosses Kiesheim übersiedeln, ihren endgültigen Standort. Oder?

Das erste wahrhaft „tiefgreifende“ Bauvorhaben im Bereich der Karlskirche, nämlich die Einwölbung des Wienflusses, bedingte die Demolierung der Elisabeth- und der Tegett-hoffbrücke. Ein gewitzter Steinmetz, sicherte sich die dekorativ gearbeiteten Geländer und verkaufte sie später dem prominenten Orthopäden Adolf Lorenz, der für seine Villa in Altenberg an der Donau „Steintrümmer“ sammelte, wie er selbst sagte, um sie in seine großzügigen Planungen einzubeziehen.

Er hatte einen etwas opernhaft pompösen Geschmack, der sich in den Veduten dieser Sommerresidenz eines Bürgers als Edelmann dokumentierte. Und gerade die gewichtigen Versatzstücke aus dem Wien der ersten „K. u. k. Familienalbum“-Photographen verliehen, zusammen mit weiß Gott woher geholten Karyatiden im Musikvereinssaal-Stil, verleihen der Terrasse von Lorenzens Tusculum die erstrebte feudale Note.

Zwei hoheitsvoll ruhende Sphyn-gen des verschwundenen Palais Rothschild auf der Wieden sind heute in einem Villenpark in Gießhübel bei Perchtoldsdorf zu entdek-ken, dafür ziert nun eine Marmor^-kopie von Antonio Canovas berühmter Gruppe der drei Grazien vom Gießhübler Besitz des Kohlenmagnaten Baron Gutmann höchst unerwartet den Hof eines alten Vorstadthauses im 6. Bezirk.

Die Versetzung von Plastiken ist gewissermaßen ein Pingpongspiel. Wohin der Ball trifft, das hängt von den verschiedensten Zufällen ab. Privatgärten da und dort im Land mögen Endpunkte so mancher Odyssee sein, heimatlos gewordene Statuen werden bereits systematisch gehandelt, denn die Demolierer sorgen stetig für Nachschub. Für diese oder jene Figur gilt der Satz aus eine Ringelnatz-Gedicht: .Woher sie kam, wohin sie ging, das hab' ich nie erfahren.“

Eine der letzten, aber interessanten „Wanderungen“ von Bildwerken führte nach Reichenau an der Rax. Dort stellte Hof rat Prof. Dr. Lothar Machura im offenen Hof seines spätbiedermeierlichen „Hauses auf der Waag“ eine in Wien erworbene marmorne Brunnenwand auf. Außer der Tatsache, daß sie dem Verband der Ringsträßenarchitektur angehörte, war die Herkunft ungeklärt.

Wie der Autor dieser Reportage an Hand von Bilddokumenten ermitteln konnte, wurde die Wand nachträglich aus vier einzelnen gleichen Brunnen von zerstörten Partien der Staatsoper zusammengesetzt. Ursprünglich waren sie in den Logenaufgängen angebracht. Hinter der nun in die Landschaft verpflanzten kleinen Kulisse einstigen Prunks stehen Föhren, und im Herbst weht der Wind von den Bäumen des Berghangs gelbe Blätter über die Steinmasken...

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