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Das Arsenal

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90 Jahre — viel für ein Menschenleben, wenig im allgemeinen für ein Bauwerk und noch weniger, wenn es als ein Monumentalbau errichtet wurde. Und doch trägt das Wiener Arsenal, eines der gewaltigsten Bauwerke Österreichs, jetzt, da es 90 Jahre zählt, schon tiefe Altersrunen in seinem Antlitz. Man möchte fragen, ob diese gigantische Anlage, die eine Fläche von 650 Meter zu 450 Meter einnimmt, überhaupt noch fortbestehen wird oder etwa als romantische Ruine und Erinnerung an die wehrhafte Zeit Österreichs der Zukunft überliefert werden soll.

Es war einmal ein stolzer, Bau, monumentaler Ausdruck'der geschichtlichen Großmachtstellung eines Staates. Künstler und Baumeister hohen Ranges, ein Theophil Freiherr von Hansen, Van der Null, Sic-cardsburg und Förster, der Maler Blaas, die Bildhauer Rahl und Costenoble haben an Bau und Ausstattung des Wiener Arsenals mitgewirkt und noch viele andere, die einst an dieser nun verschollenen Symphonie der Formen und Farben mitgeschafft haben, deren Namen aber die Baugeschichte nicht überliefert hat. Neuneinhalb Millionen Gulden waren aufgewendet worden, als 1856 der Bau fertig stand. Er schloß acht Riesenkasernen ein, die auch zahlreiche Wohnungen enthielten, große Fabrikanlagen und als sein Schmuckstück den Prunkbau Hansens: das Heeresmuseum. — Gleich beim Eintritt durch das monumentale Tor grüßt dich die reiche plastisch-monumentale byzantinische Architektonik dieses weitgedehnten Palastes. Einige Schritte weiter und eine kleine Stadt tut sich auf: Sie hatte ihr Gaswerk, eine eigene Kirche romanischen Baustils, eine vollständige Volksschule, Kaufläden und Tabaktrafiken, Vierzig Brunnen besorgten das Wasser, ehe die Hochquellenleitung auch für' das Arsenal sich erschloß. Eine Station „Arsenal“ der Verbindungsbahn liegt heute noch hart am Arsenal und nur wenige Minuten entfernt der mit zwei Geleisen für Lastzüge verbundene Bahnhof der Staatsbahn. „Übers Feld“ hieß das Zwischengelände, wo seit Jahrzehnten nun der große, mit einem Lueger-Gedenkstein geschmückte Schweizergarten an Stelle wogender Getreidefelder sich breitet.

Zu den Gebäuden ,des Arsenals ziehen sich heute noch stille Alleen und Parkanlagen, in denen mächtige alte Bäume schatten; auch einige schmucke, blumenreiche Gärten sind noch in Spuren vorhanden. Alte Zeiten reden hier zu dir und es ist, als sei dort im Arsenal die Amsel und die Taube einem Wechsel ihres Vogellebens nicht unterworfen gewesen, denn nach Krieg und Bombenhagel singt und zwitschert es wieder in Hecken und auf Mauersimsen, ganz wie ehedem auch heute.

Die militärisch wichtigste Anlage des Komplexes war die Artilleriezeugfabrik, mit deren Geschichte der Name ihres einstigen Chefs, des genialen Geschützkonstrukteurs Uchatius, historisch verbunden bleibt. Direktor der Fabrik war der Artillerie-Oberingenieur Thomas W a c h a. Nur eine kurze, stille Gasse des dritten Bezirkes hält noch den Namen Uchatius im Wiener Straßenverzeichnis fest und ein Denkmal über einem Ehrengrabe des Wiener Zentralfriedhofs erinnert an den bedeutenden Erfinder, der im Jahre 1875 als Artillerist sein

Lebenswerk mit der Schaffung der nach ihm benannten Stahlbronzegeschütze krönte. Die Uchatius-Stahlbronze, die das bisherige Stahlrohr ersetzte, gab der österreichischen Artilleriewaffe für lange Zeit ihre Berühmtheit durch die außerordentliche Widerstandsfähigkeit ihres Erzeugnisses. In zahllosen Kämpfen des ersten Weltkrieges bis 1918 bewährten sich diese Kanonen, Haubitzen und Mörser. In der internationalen Fachliteratur oft als bahnbrechender Militärtechniker gefeiert, betätigte sich Uchatius, Feldmarschalleutnant, Geheimer Rat und korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften, auch in mannigfachen Schöpfungen friedlicher Bestimmung. Er war es, der die erste

Petroleumlampe auf dem Kontinent schuf und der aus dem als „Lebensrad“ bekannten Stroboscop — schon Jahrzehnte vor Lumiere — einen als Vorläufer des Kinematographen anzusprechenden Apparat entwickelte; dieser vermochte bereits bewegte Vorgänge durch Projektion von Bildern an der Wand zu zeigen. Sieben Publikationen der Akademie der Wissenschaften, in denen Uchatius sich

über weit auseinanderliegende Wissensgebiete verbreitet, legen Zeugnis ab von der Universalität dieses Geistes. Jeder Stein des heute in Ruinen liegenden Arsenals trägt in gewissem Sinne den Namen Uchatius.

Man ist jetzt darangegangen, wenigstens das schwer getroffene Gebäude des Heeresmuseums soweit wiederherzustellen, daß die wichtigsten Schätze dieser einstigen großen Sammlung hier vielleicht wieder geborgen werden können, mindestens der kostbare Freskenschmuck des Gebäudes nicht verloren geht. Ein Prachtwerk der Architektur ist das in Marmor ausgeführte Stiegenhaus, reich mit Bildwerk und Malerei geschmückt.

Das Museum bot bis zum letzten Kriege eine einzigartige Schau alter und neuer Kriegsgeräte, Rüstungen, Lanzen und Schußwaffen aller Art. Da ist unter den Geschützen aus längst vergangenen Zeiten das Kuriosum eines „Pumhardt von Steyr“, eines aus eisernen ' Stäben zusammengeschweißten Mörsers von etwa einem Meter Kaliber. Es befanden sich hier altehrwürdige Fahnen und Standarten, das Zelt des Sultans Soliman, plastische Schlachtdarstellungen, Personen- und Schlachtengemälde, künstlerische Marmorstandbilder. Ein Teil der Bestände war während des Krieges in den Räumen der Neuen Hofburg gesichert worden und blieb dort erhalten. Leider sind wertvolle Museumsobjekte im Arsenal und in den Bergungsorten Schönborn, Ottenstein und G a m i n g verlorengegangen. Nur ein Teil der dort während des Krieges untergebrachten Objekte konnte wieder festgestellt und gesichert werden. Weniges von dem verschleppten Gut, so einige Bilder und Bücher, konnte noch zustande gebracht werden .

Eine Stätte vieler ernster Erinnerungen ist diese heutige Ruinenstadt des Arsenals. Uber dem schönen Portal des Eingangsgebäudes steht noch das steinerne Riesenstandbild einer gekrönten Austria. Es ist von einem Schuß mitten ins Gesicht getroffen. Blind sieht Austria auf das Vernichtungswerk der Tage des Unglüdcs, das unser Land heimgesucht hat, dodi auch heute noch hochaufgerichtet, als ob sie das lebende Geschlecht mahnen wollte, trotz allem ungebeugt zu bleiben, wie sie, und mutig die Zukunft zu erwarten.

Eine dankenswerte Übersicht über die allgemeine Schadensbilanz der Wiener Museumsbestände gibt die eben erschienene Nummer der .Berichte und Informationen“ des österreichischen Forschungsinstitutes für Wissenschaft und Politik in Salzburg.

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