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Ausgrabung eines Traums

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Rekonstruierbar, behaupten die Archäologen, ist das namenlos gebliebene, als Neugebäude bezeichnete Lustschloß im Osten von Wien trotz seiner teilweisen Nutzung als Krematorium und Urnenfriedhof durchaus, ja, manche Fachleute meinen, Kaiser Maximilians II. um drei Gärten gruppiertes „Neu gepeu“ hätte die Chance, abermals zu einem „Wunder der Welt“ zu werden.

Wie die weite Anlage ausgesehen hat, die Maximilian II. ab 1568 in seiner Herrschaft Ebersdorf errichten ließ, weiß man etwa zu achtzig Prozent. Kunsthistoriker haben in dieser Hinsicht anhand von Archivalien die wichtigsten Einzelheiten festgestellt. Bauforscher haben die noch gut erhaltenen Teile untersucht: den mehrmals reparierten und umgebauten, 180 Meter langen, zuletzt zum Pulvermagazin degradierten Haupttrakt, die zinnengeschmückte, mit zehn Rundtürmen bestückte Außenmauer und die unter Kaiserin Maria Theresia verschleppten Architekturteile von der Galerie. Sie bilden nämlich die Beutestücke und Waffen an der Gloriette beziehungsweise die Szenerie der „Römischen Ruine“ im Schönbrunner Park. Die fehlenden zwanzig Prozent wollen die Archäologen ergraben.

Den Beginn hat Stadtarchäologe Ortolf Harl in Zusammenarbeit mit dem Kunsthistoriker Gerhard Seebach im Frühjahr 1986 gemacht. Ihnen gelang es, nicht nur die Stellen zu orten, von denen Baumeister Johann Ferdinand Hetzendorf von Hohenberg die Säulen und Gesimse für seine Bauwerke in Schönbrunn abgebrochen hatte. Sie identifizierten auch die Steinmetzzeichen am

Gebälk der antikisierenden „Ruine“ und an der Gloriette als jene vom Neugebäude.

Und sie erkannten, was weder aus zeitgenössischen Korrespondenzen noch aus alten Ansichten wie jenen von Matthäus Merian 1649 gedruckten Kupferstichen ersichtlich ist, daß nämlich der terrassenartig angelegte Palazzo di piacere zwischen Simmeringer Hauptstraße und Donau mit einer Nord-Süd-Ausdehnung von rund einem Kilometer und 750 Metern von West nach Ost etwas ganz Einmaliges in Europa ist: ein früher manieristischer Komplex, dessen wie ein Riegel inmitten der Gärten stehender Haupttrakt ein Antiquarium war, in dem — in Sälen, Nischen und Grotten — Maximilians Sammlungen aufgestellt werden sollten, während sich im Untergeschoß Stallungen befanden.

Für den Kaiser erworben hatte die Kunstgegenstände der Antiquar und Baumeister Jacopo Strada aus Mantua. Er entwarf wahrscheinlich auch das unter anderem an den Palazzo del Te vor Mantua, an die Villa d'Este in Tivoli und an Schloß Ambras erinnernde Lustschloß, zu dem von Schloß Ebersdorf eine Allee geführt hat. Ob er den Bau, der über Wunsch Maximilians genau auf jener Erhebung errichtet wurde, auf der während der ersten Türkenbelagerung Sultan Süleyman am 27. September 1529 seine prächtige Zeltburg aufgeschlagen hatte, auch selbst ausführte, ist unbekannt. Auf jeden Fall stellte das Lustschloß ein Denkmal politischer Repräsentation dar.

Wie aus Berichten nervorgeht, veranstaltete der Kaiser im Neugebäude auch Bankette mit Tanz. Während die Bankette im Blumengarten stattgefunden haben dürften, spielten die Musiker in einem der von Harl ergrabenen Ecktürme der ebenfalls wieder freigelegten Innenmauer.

Entgegen der Darstellung bei Merian, die achteckige Türme zeigt, konstatierte der Archäologe, daß man sie sechseckig gestaltet hatte. Goldverzierte Stuckfragmente und Keramikbruchstücke von Kachelöfen und Kücheneinrichtungen dokumentieren die luxuriöse Ausstattung dieser Nebengebäude, in denen man im Unterschied zum Haupthaus die Wohngemächer untergebracht hatte. Im nordöstlichen Turm befand sich, wie die Grabungen ergaben, das Bad, in dem der Kaiser seiner schwachen Gesundheit wegen Kuren machte.

Reinhard Prohanka vom Historischen Museum der Stadt Wien, der im September 1987 Harl in seiner Funktion als Grabungsleiter ablöste und bis Ende Oktober 1989 in der durch den plötzlichen Tod des Kaisers 1576 unvollendet gebliebenen Anlage weiterarbeiten wird, fand darüber hinaus die Spuren des Ballspielhauses, des B a 11 spielp la t ze s, eines Pferdestalles und jene Grube, in der sich Maximilian II. zum Staunen der Wiener einen Löwen hielt.

Der Botaniker Carl Clusius verwaltete die Schätze; er war es übrigens auch, der die Kastanie, die Tulpe und die Kartoffel in Wien eingeführt hat. In den Gärten der bereits unter Rudolf II. vernachlässigten Anlage versuchte Clusius, Zitronen, Orangen und Feigen zu ziehen, die allerdings zugrunde gingen. Wo sich das hölzerne Pomeranzenhaus befunden hatte, konnte nachgewiesen werden. Uberhaupt ist die Wiederherstellung der Gärten inklusive ihrer Spazierwege, Zierbeete, Blumenparterres und des im Norden gelegenen Schwanenteiches nicht schwierig. Sie werden nach ihrer Rekonstruktion bezeugen, welche Wunder künstlich gestalteter Natur das 16. Jahrhundert zu bieten hatte.

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