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Der Hügel von Lavant

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Am Südrand des so geruhsamen Lienzer Beckens liegt etwa halbwegs zwischen dem namengebenden Vorort und dem an der sieli engenden Klause nach Kärnten hin stehenden Nikolsdorf da Dörfchen Lavant. Der Wanderer würde kaum die unscheinbare Siedlung aufsuchen, wenn nicht auf dem Hügel hinter dem Dorf zwei Kirchen in die Landschaft leuchteten, die seit alters her berühmt sind als Wallfahrtsstätten. Die eine, etwa auf zwei Drittel der Hügelhöhe gelegen, ist der Gottesmutter selbst geweiht. Ihre heutige Gestalt, ausgezeichnet durch wohltuende Lichtfülle barocken Glanzes, hat sie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erhalten, doch bezeugt der schlanke Spitzhelmturm zusammen mit anderen Resten, daß schon Jahrhunderte früher ein Kirchenbau hier bestanden hat, den fromme Überlieferung bis in das Jahr 850 zurückverfolgen zu können vermeint, da Papst Leo IV. persönlich die Kirche „kon- sekriert und mit unzählbaren Ablässen dotiert“ habe. Die zweite, kleinere Kirche in ihrer bescheidenen gotischen Formung, im Jahre 1485 installiert und dem Apostelfürsten Petrus geweiht, krönt die Hügelkuppe selbst.

Ist schon das nahe Nebeneinander zweier Kirchen auf einem einsamen, von der großen Verkehrsstraße abseits liegenden Hügel auffällig, zumal das Dorf selbst keinen Kultbau besitzt, so erhöht die noch lebendige Überlieferung solche Auffälligkeit um einiges. -Danach soll die Peterskirche aus dem baulichen Zusammenschluß einer hier bestandenen Schloßkapellc und des benachbarten Rittersaales hervorgegangen sein, während die übrigen Teile der einst den Hügel schirmenden Burg, von wilden Gewalten erfaßt, im Zusammenbruch des tragenden Felsens tief zu Tal abgestürzt wären. Nur ein unterirdischer Gang, über dessen Einstieg zu bestimmten Zeiten geheimnisvoller Nächte blaue Flammen aufloderten, berge als letzten Rest der einstigen Herrenmacht die Truhe mit dem Burgschatz. Deutete eine derartige Erzählung auf das Vorhandensein eines mittelalterlichen Edelsitzes hin, so weiß der schreibfreudige Sekretär von der Patriarchatskanzlei Aquileja Paolo Santonino, der die Gegend anläßlich der Kirchenweihe vom 10. Oktober 1485 besuchte, über den Hügel von Lavant folgendes zu sagen: „Wie die Einheimischen behaupten, war einst auf der Kuppe des Berges ein römisches Kastell. Damit bin ich einverstanden, da noch heutigentags manche Spuren sich zeigen und viele in Stücke geschlagene Marmonsteine mit uralter wohlangeordneter Schrift. Ich möchte glauben, daß die Kapelle aus den Ruinen des Kastells erbaut ist." Wenn auch hier von keinem mittelalterlichen Bau, sondern von einer römerzeitlichen Anlage gesprochen wird, so legten diese verschiedenen Zeugnisse es doch nahe, den Hügel von Lavant einer näheren Untersuchung zu unterziehen. Und diese vor allem von Professor Rudolf Egger ausgesprochene Anregung verdiente um so eher Beachtung, als ja gegenüber von Lavant, nördlich der Drau, schon vor Jahren ansehnliche R.este der Römerstadt Aguntum ausgegraben worden waren, die erkennen hatten lassen, daß die Stadt im Laufe fies vierten Jahrhunderts von einer furchtbaren Vermurung heimge-

sucht worden war. Die Bewohner hatten daraufhin ihre alten Heimstätten aufgeben müssen; wo sie dann ihre Siedlung neu aufbauten, wissen wir bis heute noch nicht. Da aber dieser Stedlungswechsel in der unruhevollen Völkerwanderungszeit erfolgte und zugleich in jenen Jahrzehnten, da in den Ostalpenländern das Christentum als neue Heilsbotschaft die Menschen erfaßte, so darf von jeder Teilklärung selbst der Siedlungsverhältnisse im Lienzer Raum in mehr als einer Richtung wertvoll förderlicher Aufschluß erwartet werden. Der Hügel von Lavant bot sich als ein solcher Punkt dar. Daß in der zweiten Hälfte des heurigen August tatsächlich mit einer von vornherein begrenzten Bodenuntersuchung nach der Klärung verschiedener Fragen gegriffen werden konnte, ist der rührigen Aufgeschlossenheit des Kulturamtes der Tiroler Landesregierung zu danken; es schuf die materielle Voraussetzung. Doch darf gleich vorweggenommen werden, daß die Ergebnisse die aufgewendeten Mittel reichlich lohnten.

Völlig unerwartet war es, als die suchenden Spaten unmittelbar neben der Peters- kirdie, zum Teil von ihrem Chor überlagert, das streng quadratische Fundament eines keltischen Tempels von etwas über acht Meter Seitenlange freilegen konnten. Die schweren, aus sorgsam behauenen Blöcken und sauberen Eckquadern gefügten Mauern lassen dem Bau ein verhältnismäßig hohes Alter zuerkennen; man wird kaum fehlgehen, wenn man in ihm eine Schöpfung des ersten Jahrhunderts der römischen Kaiserzeit sieht. Freilich muß die Klärung der Frage nach der umsäumenden Ringhalle und jener des Eingangs in den Kultraum späteren Arbeiten vorbehalten bleiben, insofern hiefür nach Möglichkeiten gesucht werden muß, unter die Fundamente der jetzigen Kirche zu gelangen, was natürlich manche Schwierigkeiten bereiten wird. Doch wichtig ist die Erkenntnis, daß der Hügel, worauf übrigens auch mancherlei Volksbräuche hinweisen, schon der ursprünglichen einheimischen Bevölkerung nicht anders wie heute eine Stätte kultischer Einkehr war. Nicht minder wichtig ist die Beobachtung, daß der Tempel einer gewaltsamen Zerstörung zum Opfer fiel und dann in Stücke geschlagene Marmorsteine, die wohl ursprünglich zur Tempelausstattung gehört haben werden, im Innern des Kultraumes verbrannt worden sind. Das läßt die Annahme gerechtfertigt erscheinen, daß die Zerstörer dieser Tempelstätte die Christen jener Gegend waren.

Dies ließe aber auch erwarten, daß an Stelle der heidnischen Kultanlage alsbald ein christlicher Kirchenbau errichtet worden wäre. Zunächst konnte in dieser Art nichts festgestellt werden.

Dafür gelang es, an mehreren Stellen eine starke Ringmauer anzugraben, welche, sich eng an die Linie des felsigen Steilabfalls anschmiegend, den ganzen Hügel umzieht. An der einzigen Stelle, wo die natürliche Bodengestaltung den Zugang zum Hügel ermöglicht, konnten bereits wesentliche Teile einer einst hier bestandenen Toranlage freigelegt werden. Ein Turm, dessen Mauern, in einer besonderen Technik gebildet, über zwei Meter stark sind, schirmte im Westen verteidigend den Torweg ab; aller Wahrscheinlichkeit nach entsprach ihm auf der Gegenseite eine gleichartige Anlage; kom mende Grabungen werden die Bestätigung hiefür dem Boden abgewinnen lassen. An der Innenseite dieser Ringmauer, die einen Gesamtumfang von fast zwei Kilometer aufweist, sind an einigen Stellen Bauten unmittelbar angefügt, doch fanden sich auch Anlagen, die gesondert für sich innerhalb des Befestigungsringes stehen. Die Bauweise und manche Einzelfunde schließen jeden berechtigten Zweifel daran aus, daß diese umfangreiche Anlage in den bösen Zeiten der Völkerwanderung entstanden ist. Als F1 i e h b u r g bot sie den Bewohnern der Umgebung, insbesondere Frauen und Kindern und dem wertvollen Vieh, in den Tagen feindlicher Einfälle Schutz und Schirm. Wir kennen solche spätantike Fliehburgen bereits aus Kärnten und Vorarlberg, allerdings ist die von Lavant, welche die erste ihrer Art auf Tiroler Boden daretellt, von allen bisher bekannten die größte. Um so eher darf man erwarten, daß auch innerhalb ihres Mauerringes eine frühchristliche Kirche errichtet war, so wie dies bei den anderen bekannten Beispielen der Fall ist. Vielleicht bringt die genauere Untersuchung der Fundamente der Peterskirche auf der Hügelkuppe die Klärung dieser bedeutsamen Frage. Vorläufig ließ die Freilegung der südlichen Fundamentmauer dieser Kirche nur erkennen, daß sie über zwei älteren Bauten aufgeführt wurde, von welchen der älteste Bau nach der Art des Mauerwerks mit der Fliehburg allerdings gleichzeitig ist. Daß dieser Fundamentrast einer früheren Kirche zugehört, ist höchst wahrscheinlich.

Hingegen erwies sich der Mauerrest, der zwischen diesem ältesten Fundament und dem der jetzigen Kirche des heiligen Petrus liegt, als gleichzeitig mit einer Erneuerung des oberen Teils der spätantiken Fliehburg. Damals wurde hier über der alten Ringmauer ein gewaltiger Bergfried aufgeführt, welcher dereinst, als der Hügel noch des heutigen hohen Fichtenbestandes entbehrte, weiten Umblick über den Lienzer Talboden bis hin an die Kärntner Klause gewährt haben muß. Nach Sachlage der Dinge kann diese bauliche Erneuerung der alten Burg und zugleich des Baues an der Stelle der heutigen Peterskirche nur mittelalterlich sein. Ob sie schon in den Jahrzehnten erfolgte, da unter Karls de Großen formender Macht hier die den Südosten des deut-

selten Raumes deckende Mark eingerichtet wurde, was sehr wahrscheinlich ist, oder in einer späteren Epoche des deutschen Ringens um das Alpenland als stets . bedrohten Grenzraum, mag heute noch unentschieden bleiben.

Tatsache ist jedenfalls, daß der Hügel von Lavant, nachdem er erst das Heiligtum einer einheimischen Gottheit getragen hatte, durch Jahrhunderte hindurch eine Stätte schirmender Wehr für die Anwohner der Umgebung war, bis allmählich friedsamer wer- dene Zeiten ihn wieder als Träger der christlichen Wallfahrtskirchen zurückfinden ließen zu seinem ursprünglichen Sinne, Stätte stiller Einkehr bei der hilfreichen und segenspendenden Gottheit zu sein.

In solchen Umrissen ließ vierzehntägige Grabungsarbeit die Geschichte des Hügels wiedergewinnen. Manche Frage, die am Anfang der Arbeit stand, fand so ihre Beantwortung, manche neue trat inzwischen hinzu. Der wichtigsten eine ist die nach dem Verhältnis des Hügels zur Römerstadt Aguntum nordwärts der Drau. Als diese im Laufe des vierten Jahrhunderts den Naturgewalten zum Opfer gefallen war, ist die Fliehburg am Südrand der Talschaft entstanden, nicht etwa als Ersatz der untergegangenen weiträumigen Stadt. Diese bildete vielmehr eine Siedlungsanlage, die aus mancherlei Gründen doch nicht allzu weit von dem alten Aguntum abgelegen gewesen sein dürfte. Daß aber trotzdem die Fliehburg von Lavant in einem besonderen Verhältnis zu dem untergegangenen Aguntum und der an seiner Statt errichteten neuen spätantiken Siedlung stand, legt nicht allein die durch den Spaten festgestellte Größe dieser Fliehburg dar; vielmehr spricht für einen engeren Zusammenhang, daß der Name Lavant nach Ansicht berufener Sprachwissenschaftler noch den alten Namen Aguntum lebendig erhält.

Fragen konnten beantwortet werden; neue brachen auf; es gilt die Arbeit fortzuführen, damit Klärung gewonnen werden kann in wesentlichen geschichtlichen Fragen. Des bedarf die Wissenschaft, danach verlangt aber auch ein österreichischer Landesteil, der aus verechiedentlichen Gründen mehr Beachtung verdiente, als ihm in seiner duldsamen Abgeschlossenheit gemeiniglich zugebilligt wird.

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