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Südtiroler Kunstwerke als Zeugen

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Das Tiroler Landesmuseum „Ferdinan-deum“ hat bisher in dem kleinen Rundsaal im eigenen Haus eine Reihe von Ausstellungen veranstaltet, die dem Publikum neue und alte Kunst zugänglich machten, den Kontakt mit künstlerischen Kräften der Gegenwart herstellten und durch die glücklich ausgewählten Werke der Vergangen- heit immer auch eine gewisse kunsterzieherische Wirkung ausübten. Es lag also ganz im Geist des Institutes, die mit so vielen Worten betonte Einheit des Landes Tirol nun auch einmal vom Visuellen her vor Augen zu führen, in dem Gedanken, wie stark die stumme Beweiskraft einer Überschau auf kultur- und kunsthistorischem Gebiet sein müßte. Der Bedeutung der Aufgabe, aber auch der Kunstwerke gemäß, wurde diesmal ein größerer Rahmen gewählt und die Ausstellung in den schönen barocken Festsaal der alten Universität verlegt. Aber auch dort erforderten Raum und Zeit eine gewisse Begrenzung, die durchaus der Qualität der gezeigten Kunstwerke zugute kam. Die bildende Kunst des Mittelalters, auf die sich die Ausstellung beschränkt, ist mit nur wirklich erstklassigen Werken vertreten und die Art der Aufstellung, die Altäre und Plastiken frei im Raum von allen Seiten zugänglich macht, erlaubt, sich ihrer auf bestmöglichste Art zu freuen.

Manche von ihnen werden so auch ür gute Kenner von Tiroler Kunst geradezu zur Überraschung. Das gilt vor allem für das kunstgeschichtlich und historisch bedeutendste Stück der Ausstellung, einen Altar aus dem Schloß Tirol, Besitz des Chorherrenstiftes Wilten, den das Museum kürzlich erst restaurieren ließ. Auf den Rückseiten, vorher vollständig übermalt, sind jetzt wieder als Stifter die beiden österreichischen Erzherzoge, Albrecht III. und Leopold III. neben ihren Gemahlinnen sichtbar — eine Erinnerung an die Einverleibung Tirols in den Besitz des Hauses Habsburg unter ihrem Bruder, Rudolf dem Stifter. Rot leuchtet über ihnen als Wappenschild das erste Bild eines Tiroler Adlers. Die Stifterbilder ermöglichen eine genaue Datierung auf das Jahr 1372: wir haben eines jener ganz frühen und seltenen österreichischen Altarwerke vor uns, dessen Tafeln stilistisch in die Richtung der Prager und Wiener Schulen weisen, die einen ganz besonderen Reiz besitzen. Der Einfluß Giottos wird charakteristischerweise nicht direkt, sondern auf diesem Umweg über den Norden in Tirol wirksam.

An dem ältesten Stück der Ausstellung, einem Innichener Codex des 8. Jahrhunderts, hat die von Westen her kommende Kunst der irischen Mönche entscheidenden Anteil, aus dieser Zeit rühren auch die berühmten Wandgemälde von St. Proculus in Naturns her, die wir in Kopien sehen, während eine großartige romanische Monumentalität durch zwei Kruzifixe noch in der originalen Fassung vertreten ist. Gerade bei diesen Kreuzen ist bereits ein deutliches Mitarbeiten eines durchaus dem heimischen Boden entstammenden Elementes sichtbar, Beziehungen zu immer noch in der Volkskunst wirkenden Kräften ließen sich, ebenso wie bei einigen fast modern anmutenden Reliefs des späten 14. Jahrhunderts, unschwer herstellen, der Kunstwissenschaft ist hier noch ein weites Feld dankbarer Spezialforschung offen. Dem Kreis des deutschen höfischen Lebens, der deutschen Heldensage entstammen abgelöste Fresken der Burgruine Lichtenberg im Vintschgau, drei Beispiele für ungezählte ähnlhe Schilderungen in den Burgen und Schlössern Südtirols.

Einzigartig aber wird die Leistung des Landes in jener Epoche der Spätgotik, da sich Malerei, Plastik und Architektur zu einheitlicher Wirkung in der besonderen Welt des gotischen Schnitzaltars zusammenschließen, die kaum irgendwo so stark verwurzelt ist wie im Tiroler Boden und dort auch die schönsten Blüten treibt. Gerade bei Michael Pacher und seinem Kreis, dem wir die hervorragendsten Schöpfungen verdanken, ist die Umwandlung verschiedenster Anregungen von den Niederlanden so gut wie von Italien zu etwas durchaus Eigenem, das seine Prägung ganz von diesem Boden erhält, besonders merkbar.

Es ist interessant, daß wir einige Vorstufen und Vorbilder seiner Kunst unmittelbar vor Augen haben. Von dem Ulmer Meister Hans Multscher, der um die Mitte des 15. Jahrhunderts den großen Altar für die Kirche unserer Lieben Frau in Sterzing schuf, stehen da drei wunderbare Figuren aus dem Gespreng, die es um so schmerzlicher machen, daß der Altarm seiner Gesamtheit zerrissen wurde. Sein Flügel wanderten sogar als Geburtstagsgeschenk Mussolinis in die Sammlung Görings. Ein kleiner musizierender Engel, Erzeugnis der heimischen Schnitzkunst aus St. Siegmund, ist schon ganz von der Anmut erfüllt, die wir in teppichtragenden Engeln von Pachers Hand, vielfach abgewandelt, wiederfinden. Auch der unnachahmlichen männlichen Grazie seiner ritterlichen Heiligen begegnen wir einige Male, am ausgeprägtesten in zwei Pustertaler Figuren vom Ende des 15. Jahrhunderts, die noch ganz seines Geistes sind. Die Stärke seiner Ausdruckskraft zeigt machtvoll ein eigenhändiges Werk, eine Johannesschüssel, uns gleichsam randvoll mit leidendem Sterben geboten.

Von Friedrich Pacher, dem Bruder, stammt der herrliche Peter-Pauls-Altar aus Sterzing, dem Kirchenväteraltar gar nicht ferne in der großartig eingespannten Wucht der heiligen Gestalten, und vier Tafeln eines Flügels mit Darstellungen ausdem Marienlcfeen, wo zam Beispiel die Verkündigung sich in der homiiscb vertrauten Umgebung einer Bauernstube abspielt.

Heimisch und vertraut sind auch alle Namen der Orte, der Stifter, der Künstler, ob sie aus dem südlichen oder, wie später, wo sich das Schwergewicht verlegt, aus dem nördlichen Teil des Landes stammen. Tirolerisch ist die Prägung der Gesichter und Gestalten, deutsch die Sprache dieser Kunst, die keine Trennung kennt zwischen Nord und Süd. Und wenn man am Ausgang der Ausstellung einen Blick auf die seltsame Adlerkarte des Matthias Burg-lediner wirft, der die Täler Tirols in den Körper des Wappentieres hineinkompo-nierte, versteht man besser als je die Selbstverständlichkeit des Wunsches, es möchten sich so wie dort alle Flüsse des Landes ak lebendige Adern, von gleichem Blute gespeist, wieder durch einen einheitlichen Organismus ziehen.

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