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Unser Juwel: Der Verduner Altar

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Dieses altehrwürdige Augustiner-Chorherrenstift Klosterneuburg ist ein wahres Kleinod alter Kunst in Österreich. Hier hat jetzt auch der weltberühmte Verduner Altar, eine der herrlichsten Goldschmiedearbeiten des Mittelalters, wieder seine Heimat. In verschwenderischer Pracht und Reichtum breitet sich schimmerndes Gold, durchbrochen von leuchtenden Farben kostbaren Emails, über die Tafel aus. Es ist eine Pracht künstlerischer Farbenfreude, die anlockt, und ein tiefes Geheimnis, das sich nur dem Ehrfürchtigen erschließt.

In seiner heutigen Form stellt sich das Werk als Triptychon dar, über das die 51 Platten der Darstellung verteilt sind. Das Material ist feuervergoldetes Kupfer, in das der farbige Grubenschmelz eingelassen ist. Nur wenige, stark leuchtende Farben sind verwendet: Blau, Rot, Grün, Gelb und Weiß sind wohlausgewogen auf die feierlichen bildlichen Darstellungen, die reizvollen Ornamente und die heraldisch wirkenden Schriftbänder verteilt. Die einzelnen Tafeln schließen nach oben durch eine Kleeblattform ab. Rund um diese Bildchen legt sich ein Spruchstreifen. Zierliche Säulen — ebenfalls in Email in den Goldgrund eingelegt — verbinden die einzelnen Darstellungen miteinander. Über diesen Säulchen schmiegen sich um die Kleeblattform reich wechselnde Ornamentbänder.

In drei Reihen übereinander sind die Platten angeordnet. Die einzelnen Reihen sind wieder durch Spruchstreifen umfaßt. Die Darstellungen bilden in ihrer Abfolge ein theologisches Programm, wie es bei den christlichen Bildzyklen des Mittelalters immer angestrebt war. In der mittleren Reihe sind die Hauptereignisse aus dem neutestament-lichen Heilsgesdiehen angeordnet, links mit der Verkündigung an Maria beginnend, rechts mit der Herabkunft des Heiligen Geistes schließend. Diese Darstellungen werden in der oberen und unteren Reihe von Szenen aus dem Alten Testament begleitet, die von den Kirchenvätern als Vorbilder des neutesta-mentlichen Heilsgeschehens gedeutet wurden. Etwa die Darstellung der Anastasis, das ist die Befreiung der Gerechten des Alten Bundes aus der Vorhölle durch die Erlösung Christi, umgeben die Befreiung des Judenvolkes aus der Knechtschaft Pharaos und die Tötung des Löwen durch Samson als Sinnbild der Überwindung des Todes durch Christus. Die Zwickel zwischen den Bildtafeln füllen Halbfiguren von Engeln, Propheten und Darstellungen der christlichen Tugenden. So nimmt die Bildfolge durch diese Ausgestaltung zu einem großen Programm einen feierlich kündenden Charakter an. Sie wird in den sechs letzten Tafeln des rechten Flügels des Triptychons durch Darstellungen aus den Letzten Dingen abgeschlossen. Hier bricht das Schema des feierlichen Dokumentieren durch die alt-testamentlichen Vorbilder ab. Wie eine Prophetie, so folgen nun Schlag auf Schlag die einzelnen Szenen: das Erscheinen Christi auf den Wolken des Himmels, die posaunenblasenden Engel, die Auferstehung der Toten, das himmlische Jerusalem, Christus als Weltenrichter und die Hölle. Wie das Buch der Bücher mit der unfaßbaren Vision des Sehers auf Pathmos schließt und wie die Schlußworte des heiligen Textes die Brücke

hinüber zur Ewigkeit schlagen, so schließt auch hier das Buch der Darstellung wie eine weite Vision. Es ist eine Bibel in bildlich knapper Form.

Solche Darstellungen waren im Mittelalter sehr häufig. Als sogenannte „Biblia pau-perum“, als Armenbibel„ sollten sie auch denen, die des Lesens unkundig waren, das Heilsgeschehen immer lebendig vor Augen führen. In den verschiedensten Formen kommen solche Zyklen vor. In Österreich besitzen wir einen berühmten zum Beispiel in G u r k. Dort schmückt er in einer Freskenreihe das Gewände der Vorhalle des Domes, links das Alte, rechts das Neue Testament. Auch der Bilderzyklus in Klosterneuburg diente vermutlich als „Biblia pau-perum“. Er hatte seinen Platz urnsprünglidi an der Ambo, die sich am romanischen Lettner der Stiftskirche befand, von wo während des Gottesdienstes Epistel und Evangelium der feiernden Gemeinde verkündet wurden.

Dieser Bilderzyklus nun war von Propst Werner von Klosterneuburg, derll94 den Bischofsstuhl von G u r k bestieg, bestellt worden. Als Künstler wird Meister Nikolaus von Verdun genannt. Von, ihm ist noch ein zweites Kunstwerk erhalten, der Marienschrein in Tournay aus dem Jahre 1207. Unser Meisterwerk ist, wie berichtet wird, 1191 vollendet worden.

In seiner alten Form dürfte es bis 1320 (die einzelnen Berichte geben die Jahreszahl nicht genau übereinstimmend wieder) erhalten geblieben sein. In diesem Jahre wütete ein Brand, durch den die Kirche schweren Schaden litt. Der Vierungsturm stürzte ein und dadurch wurde der Lettner und somit auch unser Meisterwerk beschädigt. Ja, es war notwendig, das Werk Meister Nikolaus' der kunstfertigen Hand der Wiener Goldschmiede zu übergeben, die es restaurieren sollten. Dabei erhielt es nun seine heutige Form als Triptychon. 6 Platten wurden ergänzt. So sind nun auf dem Mittelteil 27, auf den beiden Flügeln je 12 Platten angebracht. Auch die Rückseite des Triptychons wurde geschmüdtt. 4 Tafelbilder zieren sie. Sie zählen zu den ältesten Tafelmalereien unserer Heimat. Auf der Rückseite des Mittelteiles ist der Tod und die Krönung Maria, auf den beiden Flügeln die Kreuzigung und das „Noli me tangere“ dargestellt. Die Bilder sind mit leuchtenden Temperafarben gemalt und mit reichem Blattgold geschmückt. In ihrer Form zeigen sie noch das starke Vorherrschen der Linie. Sie eint Figur und Landschaft zu einem herrlichen Rhythmus. Eine starke Durchgeistigung kennzeichnet die Werke. Überaus prächtig sind die Tafeln. Sie sind in Form und Material etwas Neues gegenüber der Vorderseite des Altars. Aber in der künstlerischen Höhe, der Kostbarkeit der Ausführung und dem tiefen Leben des Inhalts reihen sie sich würdig der kunstvollen Vorderseite an.

Erst 1329 war die umfassende Restaurierung und Neugestaltung des Werkes Meister Nikolaus' vollendet. Und wieder zierte das erlesene Kunstwerk das Gotteshaus des Stiftes. Im Barock sollte — wie so viele österreichische Stifte — auch Klosterneuburg ein neues Kleid erhalten. Nur ein Teil davon ist ausgeführt worden. Doch in der neuen Stiftskirche fand der Verduner Altar keinen Platz mehr. Er wanderte in die Schatzkam-

mer, wechselte wieder seinen Platz, bis er

schließlich in der Sankt-Leopolds-Kapelle einen würdigen Rahmen fand.

Bei jeder Platte des Altars ist auf eine rhythmische Füllung der Fläche Bedacht genommen, so daß jedes Bild in sich ein geschlossenes Ganzes gibt. Die Komposition erstrebt einen klaren, symmetrischen Bildaufbau. Ein schmaler Bodenstreifen nur dient zum Aufbau der wenigen Figuren. In diesen zeigt sich eine erstaunlich klare Beobachtung der Körperverhältnisse. Ebenso ist beim Gewand auf einen schönen Faltentwurf Rücksicht genommen. Die Darstellung der Bewegungen ist meisterhaft beherrscht. In Antlitz und Körper macht sich ein Streben nach Schönheit im antiken Sinne geltend. Doch ist eine Verbindung von geistigem Ausdruck und antikem Schönheitsempfinden bedacht. Somit erweisen diese Darstellungen in ihrem klaren Aufbau, der Geschlossenheit der Komposition und der Schönheit des Details eine Anknüpfung an ein antikes Erbe. Und doch sind sie wesentlich etwas anders, das sich in einer viel stärkeren Flächengebundenheit und einer Durchgeistigung des Ganzen ausprägt.

Schon das Ikonographische zeigt einen Zusammenhang mit der byzantinischen Kunst. So die Darstellung unseres Bildes wie die Anastasis, wie Christus über den gefesselten Hades hinschreitet und das Stammelternpaar zu sich emporzieht, ist kennzeichnend für byzantinische Bildwerke. In der Renaissance des elften Jahrhunderts hat sich in Byzanz ein Stil emporgerungen, der s|jne glanzvollste Ausprägung in den Mosaikzyklen von Hosios, Lukas und Daphni erreicht hat. Nur aus der eigenartigen Stellung von Byzanz ist seine Kunst verständlich, aus den beiden Wurzeln der höchst eigenständigen Kunst dieses Kulturkreises: aus seinem antiken Erbe und seiner geistig-christlichen Orientiertheit. An die Werke dieser byzantinischen Renaissance des elften Jahrhunderts erinnern die Bilder unseres Verduner Altars. Auf irgendeinem Wege wird, wie so oft, die byzantinische Kunst auch hier

auf die Schöpfung dieses Kunstwerkes eingewirkt haben.

Während des vergangenen Krieges war das Werk im Stift geborgen. Die Emailplatten waren abgenommen und Flügel und

Mittelteil des Altares auseinander genommen gewesen. Jetzt ist der Altar teilweise schon wieder zusammengesetzt, teilweise befindet er sich in Restaurierung. So wundervoll die Aufstellung in der Leopoldskapelle wirkt, so ist sie für das Werk selbst schädlich. Ins-besondere im Frühjahr ist die Luftfeuchtigkeit derart groß, daß das Material des Kunstwerks darunter leidet, Trotzdem setzt sich das österreichische Denkmalamt wieder für dieselbe Aufstellung ein. Denn der Verduner Altar findet dort nicht nur einen herrlichen künstlerischen Rahmen, sondern gewinnt dort auch innerhalb des religiösen Lebens seine volle Sinnerfülltheit. Die schädlichen Lufteinflüsse hofft man durch eine Apparatur — die im Räume in keiner Weise auffallen wird — aufheben zu können.

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