7005300-1987_40_14.jpg
Digital In Arbeit

Aus für Beethovens Flügel

Werbung
Werbung
Werbung

Meine Damen und Herren! Wir befinden uns hier in der Sammlung der beschädigten Meisterwerke. Ich möchte Sie nochmals auf die Tatsache hinweisen, daß Sie zu den wenigen Privilegierten gehören, denen Zutritt gewährt wurde. Bitte nähern Sie sich den Exponaten mit Ehrfurcht, Sie werden vielleicht die letzten Betrachter dieser Kunstwerke sein!

Der Auftrag, unser wertvolles Kulturgut für spätere Zeiten zu bewahren, ist also nicht erfüllt worden, ja, die Kurzsichtigkeit der verantwortlichen Politiker führte zu einem Aushungern der Museen — die Baulichkeiten verkamen und, was noch schwerer wiegt, die für alte Werke unbedingt notwendigen klimatischen Bedingungen konnten nicht geschaffen werden. In unserer imaginären Sammlung bleiben die zerstörten oder beschädigten Meisterwerke nun für immer den Blicken der Menschen entzogen. Unsere Säle füllen sich allmählich mit zugrunde gegangenen Bildern, Musikinstrumenten, Möbeln und Kunstgegenständen aller Epochen, während aus den Museen die wertvollsten Zeugnisse einstiger Sammeltätigkeit nach und nach verschwinden!

Sehen Sie hier zum Beispiel Albrecht Dürers Allerheiligenbild', oder vielmehr das, was davon übriggeblieben ist beziehungsweise von Restauratoren mühevoll erhalten wurde. Auf der berühmten Altartafel, 1511 für das Nürnberger Zwölfbrüderhaus geschaffen, stellt der Maler die Heilige Dreifaltigkeit, umgeben von den himmlischen Auserwählten, dar, und er versetzt diese Gruppe weit nach oben—zwischen die Wolken. Auf der mittleren Ebene befindet sich das Gottesvolk, ordentlich nach Ständen gruppiert und von Kaiser und Papst angeführt.

Von dieser Ebene blickt man hinab auf eine ideale Landschaft, an deren Rand der Künstler selbst zu sehen ist. Diese wunderbare Landschaft ist es vielleicht, die uns heutige Betrachter am meisten fesselt. Die leuchtende Farbigkeit des Werkes kann mit Worten einfach nicht beschrieben werden, sie muß im Originalzustand noch unvergleichlicher gewesen sein, bevor die mit Ultramarin gemischten blauen und grünen Töne durch chemische Veränderungen ihre Durchsichtigkeit verloren. Vorherrschend sind, eigentlich untypisch für Dürer, Rot und Gold. Das Bild ist auf Pappelholz gemalt und befindet sich bereits seit längerem in unserer Sammlung.

Lassen Sie mich hier einige Worte zu den auf Holz gemalten Bildern sagen: am zuträglichsten für die Kunstwerke sind jene klimatischen Bedingungen, unter welchen sie entstanden sind. Daher müßte man dafür Sorge tragen, daß diese Bedingungen annähernd erreicht werden. In alten Kirchen sind Temperatur und Luftfeuchtigkeit seit Jahrhunderten konstant, was Flügelaltären, Holzskulpturen und hölzernen Altartafeln sehr zugute kommt.

Die Gemäldegalerien hingegen wurden zur Annehmlichkeit ihrer Besucher mit modernen Zentralheizungen ausgestattet, gleichzeitig wäre aber auch für eine entsprechende Raumbefeuchtung zu sorgen gewesen. Da eine klimatische Sanierung, zum Beispiel des Kunsthistorischen Museums in Wien, natürlich sehr teuer ist und selbstverständlich nur bei gleichzeitiger Instandsetzung der Baulichkeiten (der undichten Fenster etwa) voll zur Wirkung kommt, hat man diese Maßnahmen immer wieder hinausgeschoben.

Sehen Sie hier das berühmte Porträt Kaiser Maximilians von Dürer, entstanden 1519. Diesem Gemälde ging eine Zeichnung voraus, die er vom Kaiser ,zu awgsburg, hoch oben awff der pfaltz in seinem kleinen stüble kunterfett' hat. Auch diese Zeichnung, einst Stolz der Albertina, befindet sich zusammen mit Blättern von Raffael, Michelangelo und vielen anderen heute bei uns, da die Graphiken vor allem durch die Autoabgase schwer gelitten haben.

Zurück zu Maximilian, einem der Höhepunkte in Dürers Schaffen. Die charakteristischen Gesichtszüge des Kaisers sind großzügig modelliert, die Farben von einer noblen Delikatesse in ihren Purpur-, Braun- und Grüntönen. Gemalt wurde das Bild auf Lindenholz. Sprünge im Holz führen, laienhaft ausgedrückt, zum Abblättern der Farben, die Restauratoren haben hier Bemerkenswertes geleistet, um den Verfall aufzuhalten.

Nicht mehr zu retten waren dagegen diese beiden Musikinstrumente: der Hammerflügel Beethovens und der Flügel von Brahms. Sicher, sie stehen noch in all ihrer Pracht vor uns, wir können den warmen Farbton des Mahagoni bewundern, uns die Stoßzungenmechanik erklären lassen und die vier Pedale — das wichtigste jedoch, der Klang — ist für immer verstummt!

Hier rechts an der Wand sehen Sie zwei Gemälde von Pieter Bruegel d. Ä. Mehr als ein Drittel aller überlieferten Werke des Meisters befanden sich im Kunsthistorischen Museum in Wien und bildeten dort die Hauptattraktion, deretwegen einst Kunstenthusiasten aus aller Welt nach Wien pilgerten.

Darf ich Ihre Aufmerksamkeit nun auf eine Tatsache lenken, die Sie ohne Zweifel ebenso schaudern macht wie mich: das Kunsthistorische Museum verfügt über keine automatische Brandmeldeanlage! Ich überlasse alles weitere Ihrer Phantasie, bitte stellen Sie sich vor, was dies für eine Gemäldegalerie bedeutet.

Vielleicht haben unsere Kritiker doch recht, wenn sie behaupten, daß der Österreicher keine wirkliche Beziehung zur bildenden Kunst habe, daß er ein Ohren-, kein Augenmensch sei. Müßten nicht eigentlich Tausende junge Menschen für die Erhaltung wertvollen Kulturgutes demonstrieren, wie sie dies für die Erhaltung der Natur tun?

Von Vermeers .Künstler in seinem Atelier' sagte der britische Kunsthistoriker und Museumsdirektor David Piper, daß es eines der bedeutendsten Juwelen der wunderbaren Sammlung im Wiener Kunsthistorischen Museum sei. Es war eines der Juwelen, denn bereits seit geraumer Zeit ist es in unsere Sammlung eingegangen. Selbst was von diesem Werk noch übrig ist, wird den Kenner entzücken: das Modell ist in ein wunderschönes blaues Gewand drapiert, auf dem zarten Gesicht liegt ein scheues Lächeln. Der Vorhang im Vordergrund, die Einrichtungsgegenstände, die Landkarte an der Wand hinter dem Mädchen, die Kleidung des Malers, alles ist mit der Vermeer eigenen Meisterschaft wiedergegeben. Der Künstler war zu seinen Lebzeiten völlig unbekannt. In unseren Tagen erzielte ein Vermeer, sollte er je angeboten werden, astronomische Höchstpreise. Schade, daß kein Kunstfreund dieses Bild je wiedersehen wird.

Darf ich Sie bitten, nun hier rechts einzutreten. Die .Gewitterlandschaft' von Peter Paul Rubens ...“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung