6744570-1967_02_14.jpg
Digital In Arbeit

DER SALZBURGER SCHATZ

Werbung
Werbung
Werbung

Durch den Reichsdeputationshauptschluß von 1803 fand das berühmteste geistliche Fürstentum des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, das Erzstift Salzburg, ein unrühmliches Ende. Als Spielball der damaligen Mächte verlor es nicht nur völlig seine einstige politische und kulturelle Bedeutung; Salzburg wurde im folgenden Jahrzehnt auch seiner bedeutendsten Schätze beraubt.

1803 zog der von Napoleon aus Florenz vertriebene Großherzog Ferdinand III. als erster Herzog und Kurfürst von Salzburg in die Bischofstadt ein. Die staatliche und kirchliche Einheit des Landes, die bis dahin in der Person des Metropoliten gegeben war, wurde zerbrochen, die geistliche Gewalt von der weltlichen Macht, der sakrale Besitz vom herrscher-lichen getrennt. Ferdinand nahm die Schätze der Silberkammer an sich, ließ sie jedoch gleich vor den anrückenden französischen Truppen nach Buda in Sicherheit bringen. Als er 1805 zum Großherzog von Würzburg avancierte, wurden ihm die Schätze nachgesandt. 1814 wurde der Habsburger wieder als Großherzog von Toskana eingesetzt. Aus den deutschen Ländern, die er nun wieder aufgeben mußte, nahm er jedoch die aus diversen geistlichen Höfen zusammengeholten Kunstgegenstände mit. Sie wurden nach der Vertreibung der Habsburger vom italienischen Staat übernommen und verschwanden aus dem Bewußtsein der Heimatkundler wie der Kunsthistoriker.

*

Selbst als 1883 durch einen Zufall auf einer bis dahin Ben-venuto Cellini zugeschriebenen Goldemailschale im Palazzo Pitti das Wappen des Landes Salzburg und das von Erzbischof Wolf Dietrich entdeckt worden war, verfolgte man zunächst diese aufschlußreiche Spur nicht weiter. Ein heute als Tafelservice desselben Fürsten bekanntes Ensemble wurde erst in der Zwischenkriegszeit zunächst als bedeutende deutsche Arbeit um 1600, sodann als Werk des hervorragenden Goldschmiedes Hans Karl identifiziert. Der Salzburger Historiker Franz Martin konnte es hierauf im Inventar nachweisen, das 1612 nach dem Sturze Wolf Dietrichs aufgenommen wurde. Die Durchsicht der weiteren Inventare, die seit 1585 erhalten sind, ergab weitere wertvolle Nachrichten, vor allem die Gewißheit, daß der Großteil der Salzburger Silberkammer in Florenz zu suchen sei. Im Salzburger „Doraschatz“ blieben nur jene Geräte zurück, die im Zusammenhang mit den liturgischen Funktionen in der Kathedrale standen.

Der weithin bekannte Kunsthistoriker und -händler Doktor Kurt Rossacher — er zeichnet auch als Herausgeber der Zeitschrift „AiLte und moderne Kunst“ — hatte in der Bronzensammlung in Florenz schon im Jahre 1945 „deutsche Schalen“ gesehen. Bei seinem ersten Besuch im Palazzo Pitti entdeckte er zwischen italienischen Stücken etwa zwanzig unbeschrif-tete Gegenstände aus Salzburg. Er entschloß sich zu systematischen Forschungen, deren Teilergebnisse er in mehreren wissenschaftlichen Aufsätzen publizierte: Rossacher konnte schließlich bei 13 Nummern dieses Museums die Salzburger Provenienz nachweisen. Bei 102 Pretiosen ahnte man bis dahin nichts davon. Dieser Erfolg ist nur der profunden Sachkenntnis des engagierten Forschers zuzuschreiben. So wurde etwa das große Silberretabel Wolf Dietrichs als alter floren-tiner Besitz geführt. Rossacher erkannte die Verwandtschaft der gravierten Szenen aus dem Marienleben mit einem heute in der Salzburger Residenzgalerie befindlichen Gemälde des erzbischöflichen Hofmalers Kaspar Memberger und konnte es schließlich als Vorlage für die Silbertafeln nachweisen. Wie bei anderen Stücken fand er auch hier erst später den dokumentarischen Beweis für seine Behauptung: das 1805 von kurfürstlichen Beamten vor der Transferierung der Kleinodien angelegte „Inventario della Camera degli argenti“. Weitere Kunstgegenstände aus erzbischöflich-salzburgischem Besitz konnte Rossacher in der Folgezeit in öffentlichen und privaten Sammlungen in Wien, München, London, New York und Rom ausfindig machen. Damit bot sich ihm erstmals die Möglichkeit, die Silberkammer eines geistliches Fürstenhofes zu rekonstruieren.

*

Das Ergebnis hat Kurt Rossacher in dem soeben im Salzburger Residenz-Verlag erschienenen Prachtband „Der Schatz des Erzstiftes Salzburg — Ein Jahrtausend deutscher Goldschmiedekunst“ publiziert. Das Werk informiert über die Geschichte und die Schicksale der Sammlung und gibt in 39 Farbtafeln ein anschauliches Bild von den wertvollsten Objekten. Ein exakter, reichhaltig illustrierter Katalogteil mit 239 Nummern verzeichnet und beschreibt alle noch vorhandenen Gegenstände des einstigen Schatzes, ein eigenes Verzeichnis weist auf ihre Standorte hin. So befinden sich 113 höfische Prunkstück im Palazzo Pitti in Florenz, im

Salzburger Domschatz blieben 109 Gegenstände für den liturgischen Gebrauch zurück.

Aus dem gewaltigen mittelalterlichen Bestand wurde in die Gegenwart nur jener Rest herübergerettet, der dem Schmelztiegel der Jahrhunderte entgangen ist. Jeder Erzbischof ließ Schätze seiner Vorgänger einschmelzen, um dem Zeitgeschmack entsprechende Kunstwerke in Auftrag zu geben, um ein neues Tafelservice zu gewinnen oder um Münzen zu prägen. Große Werke aus der Romanik und der Gotik sind deshalb nicht mehr vorhanden, auch nicht Zeugnisse aus der Zeit des heiligen Thiemo (um 1100), dessen Kunsteifer die Nachwelt so beeindruckte, daß die Legende seiner Hand mehrere Madonnen zuschrieb. Auch aus den Jahrzehnten um 1400, in denen die Salzburger Schönen Madonnen und gute Vesperbilder entstanden sind, wurden keine Kleinodien erhalten. Die romanische Kunst kann erschlossen werden aus dem Vergleich mit dem Kommunionkelch von St. Peter, der in das Kunsthistorische Museum nach Wien gelangte. Als ältestes erhaltenes Werk gilt die Staurothek, ein goldbeschlagenes doppelbalkiges Kreuzreliquiar aus dem 11. Jahrhundert, das drei Jahrhunderte später mit einem Bergkristall so geschickt auf einen gotischen Fuß montiert wurde, daß das Kreuz zu schweben scheint. Eine Gruppe von Gegenständen wurde stets mit besonderer Verehrung umgeben, weil man sie für Utensilien des heiligen Rupert, des Gründers der Diözese, hielt. Die Forscher haben deren Nimbus allerdings radikal entfernt und ihnen eine wesentlich spätere Geburtsurkunde ausgestellt: Die „Reiseflasche des heiligen Rupert“ stammt vielleicht aus der Romanik, wurde jedoch im 13. Jahrhundert umgearbeitet. In dieser Zeit erhielt auch der „Rupertikelch“ seine heutige Form. Das „Rupertuspasto-rale“, ein Fragment mit einem Eisenkern und einigen Elfenbeinresten, dürfte in einem Bischofsgrab gefunden worden sein. Auf mehreren Ausstellungen zu sehen war die um 1200 in Limoges entstandene „Hostientaube“ aus vergoldetem Kupfer, mehrfarbigem Email und Türkisen. Sie gilt als Vorform der heutigen Tabernakel.

Im Palazzo Pitti werden weitere zwanzig mittelalterliche Kostbarkeiten gehortet, die in der von Leonhard von Keutschach um 1500 kostbar ausgestatteten Festung Hohen-salzburg standen. Wegen ihres geringen Silbergehaltes kon-ten sie die Gefährdungen durch die prunkliebenden und geldknappen Barockfürsten überstehen. Diese Gegenstände gewähren uns einen sehr informativen Einblick in eine geheimnisvolle Welt. Meist sind es Reliquienbehälter oder Trinkbecher, die aus einem legendenumwobenen Material verfertigt wurden. So stellen die zauberhaften, der Aufbewahrung von Reliquien dienenden „Greifenklauen“ in Wirklichkeit Büffelhörner dan Straußeneier — man hielt sie für Greifeneier — und Kokosnüsse wurden zu Doppelbechern verarbeitet und mit einem kostbaren Rahmen aus Silber und Email umgeben. Die märchenhaftetste Erfindung des Mittelalters stellen jedoch die „Doppelscheuern“ dar. Sie wurden aus Wurzelholz gedrechselt. Im größeren unteren Becher wurde das Getränk bereitgehalten, aus dem oberen wurde es getrunken. Der Goldschmied mußte nur noch einen zierlichen Silberfuß und ein Krönlein dazukomponieren, das in der „Luck“ das Wappen des Besitzers trug. Wurzelholz wurde aber nicht einer Extravaganz wegen genommen. Man schrieb ihm wie dem Zedern- und Ölbaumholz die Kraft zu, Getränke zu reinigen und zu entgiften. Die Notwendigkeit hierfür war auch durchaus gegeben, soll doch Erzbischof Eberhard von Starhemberg 1429 vergiftet worden sein, weil er allzu energisch gegen Mißbräuche im Klerus eingeschritten war.

Der Tod Leonhards von Keutschach, der 1499 noch ein hervorragendes silbernes Legatenkreuz anfertigen ließ, schloß die Epoche der Gotik ab. Sein Koadjutor und Nachfolger Kardinal Matthäus Lang von Wellenburg, der dem Domkapitel den Verzicht auf die strenge Augustinerregel erlaubte, mußte die Aufstände der Bürger und Bauern niederzwingen. Unter ihm verfiel die bis dahin weitbekannte Salzburger Goldschmiedekunst, der Augsburg den Rang ablief. Dazu kam der Bildersturm der Reformation, der auch die katholischen Auftraggeber hemmte. Man begnügte sich mit Anschaffungen für die Hoftafel. Erst unter Erzbischof Johann Jakob von Kuen-Belasy, der 1569 die erste Provinzialsynode zur Durchführung der Trienter Konzils zusammenrief, wurde die Kunst in den Dienst der Gegenreformation gestellt. Er ließ in Augsburg zwei wertvolle Weihwasserkessel für den Dom anfertigen. Unter ihm setzt eine systematische Sammeltätigkeit des geistlichen Hofes ein, die allmählich zur Entstehung der Salzburger Silberkammer führte. Wenn auch weiterhin vor allem „Heiltümer“, also Reliquienbehältnisse, eingeschmolzen wurden, so begann man sich doch für die Seltsamkeiten und Raritäten der früheren Jahrhunderte zu interessieren.

Mit Erzbischof Wolf Dietrich von Raitenau (1587—1612), der während seines Studienaufenthalts in Rom zum Bewunderer der Neuordnung der Ewigen Stadt wurde, begann die große Periode der Barockisierung Salzburgs. In seine Gesamtplanung für Dom und Residenz bezog er auch die Goldschmiedekunst ein: wie die Stadt, hat er auch den Domschatz umgestaltet. Die 84 bedeutenden Gegenstände die von ihm noch erhalten sind, beweisen, daß er die hervorragendsten Meister beschäftigte. Besonders prunkvoll ließ er die festliche Hoftafel ausstatten: der Augsburger Goldschmied Hans KarL auf den wahrscheinlich der Emailschmuck der Krone Rudolfs II. zurückgeht, schuf 1602 in Salzburg das im Palazzo Pitti vielbewunderte goldene Service. Paul Hübner, ebenfalls aus Augsburg, fertigte eine Kanne und 48 Kredenzschalen an, deren Bilderschmuck mit biblischen und mythologischen Themen einen Höhepunkt der verfeinerten Kunst des Manierismus darstellt. Der aus Utrecht gebürtige Goldschmied Paulus van Vianen, der später in Prag für Rudolf II. die Reliefs der Kaiserkrone schuf, hielt sich um 1600 in der Salzachstadt auf und dürfte hier eine goldene Kreuzgruppe geschaffen habe. Daß Wolf Dietrich seine Küstler außerordentlich schätzte, geht aus der Tatsache hervor, daß er selbst als Taufpate für Vianens Sohn aufscheint, während seine Vertrauten als Trauzeugen Hans Karls fungieren.

*

Für diese Pracht mußten freilich wertvolle mittelalterliche Kostbarkeiten in die Schmelztiegel wandern. Wolf Dietrichs Chronist Johann Steinhauser bedauert vor allem den Verlust des mehr als 110 Kilo schweren silbernen Passionsaltares, die er „hiweckgethan und dieselb zu anderer Kirchenzier, als zu Leichter, Ampel und Weichkesseln verbraucht“. Obwohl Wolf Dietrichs Plan durch seinen plötzliche Sturz ein Torso blieb, lassen große Einzelheiten doch das gewaltige Gesamtkonzept erkennen.

Das gegenreformatorische Anliegen der folgenden Salzburger Barockfürsten verlagert die Prunkentfaltung in den kirchlichen Raum. Die Fertigstellung des neuen Domes erforderte neues Altargerät. Besondere Sorgfalt wurde den Monstranzen zugewandt, hatten sie doch ein angegriffenes Kernstück des wahren Glaubens, das Altarsakrament, den Gläubigen wie den Zweiflern zur Verehrung vorzustellen. Einige zauberhafte Beispiele hütet noch heute der Salzburger Domschatz. Neben der „Strahlenmonstranz“ von 1680 kommt der „Pretiosenmonstranz“ von 1697 ein hoher Rang zu. Die kunstvolle Einfügung der 2300 Edelsteine in feinstes Gold-flligran läßt vermuten, daß Fischer von Erlach sie für seinen Bauherrn Johann Ernest Graf Thun entworfen hat.

Das Rokoko maß wiederum der höfischen Repräsentation größten Wert bei. Für die riesigen Tafelservices, die aus Augsburg und Paris kamen, wurde jeweils eine gute Tonne alten Silbers geopfert. Das späteste Beispiel für die alte Pracht liefert das in Salzburg verbliebene meisterliche Reiseservice des letzten geistlichen Landesherrn Hieronymus Graf Colloredo. Das nächste Prunkstück — es schließt den Katalog ab — schenkte bereits der neue Kurfürst dem Dom: einen von Giuseppe Valadier in Rom geschaffenen Kelch in neoklassischer Form. Das Danaergeschenk trägt am Fuß noch die optimistische Widmung: FERDINANDUS DUX AC ELEC-TOR SALISBURGENSIS PRIMUS DIVO RUPERTO EPIS-SALISBURGENSIS PRIMUS DIVO RUPERTO EPISCOPO PRIMO DEVOTUS OBTULIT 1803.

*

Das Salzburger Metropolitankapitel hat Diözesankonservator Dr. Johannes Neuhardt beauftragt, im nächsten Jahr in den Domoratorien eine Ausstellung zu organisieren, in der die alte Silberkammer der Erzbischöfe erstmals wieder geschlossen zu sehen sein soll.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung