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Die Forschungen nach dem Petrusgrab

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Als man nach dem Tode Pius' XI. in den Katakomben von St. Peter nach einem Platz für sein Grabmal suchte, erwiesen sich größere Erweiterungsarbeiten als nötig, um in den engen Gewölben Raum zu schaffen. Zuerst ging man daran, einige Grotten zu öffnen' und deren Boden zu vertiefen; bei dieser Gelegenheit machte man die ersten Funde, die den letzten Anstoß gaben zu den bedeutendsten Grabungen, die die christliche Archäologie vielleicht überhaupt zu verzeichnen hat. Seit dem Erwachen der Renaissance im 15. Jahrhundert, als die abendländische Kultur durch ihre neue allumfassende Beziehung zur klassischen Antike um die Disziplin der Archäologie bereichert wurde, und seit diese junge Wissenschaft durch ihre überreichen Entdeckungen auf römischem Boden die Künste befruchtet und die lebendige Anteilnahme der gesamten zivilisierten Wejt an ihren Problemen zu gewinnen verstanden hatte, hat diese Welt auf den Augenblick gewartet, wo der Erde die Geheimnisse dieses uralten Zentralkomplexes der Christenheit entrissen werden würden. Die Probleme, um die es hier geht, sind außerordentlich vielfältig und ihr Interesse geht weit über das der Archäologen, Historiker und Kunstgeschichtler hinaus: es galt die Frage des Petrusgrabes zu klären, indem man durch Öffnung der Grotten und Gewölbe unter dem Petersdom bis zu ihm selber vordrang. Es galt auch den spät-römischen Friedhof, der dem Vatikan seinen Namen gegeben hatte, auszugraben, ein Vorhaben, das durch die wundervollen Funde, die anläßlich der Basierungsarbeiten für den Baldachin Berninis mitten in der Peterskirche ans Tageslicht gekommen waren,» seinen ersten Impuls erhalten hatte. Es galt schließlich, den Zirkus Neros zu finden, den man unter dem Komplex von St. Peter wußte, und die Fundamente der Petersbasilika Konstantins freizulegen, um endlich eine authentische, maßstäbliche Rekonstruktion dieser ehrwürdigsten Kirche der Christenheit möglich zu machen.

Wenn man aus der strahlenden Schönheit der Peterskirche in deren Katakomben herabsteigt, so ist dieses Hinabtauchen aus der erhabenen Architektur Michelangelos in diese geheimnisvolle Unterwelt frühchristlicher Grotten ein unvergleichliches Erlebnis: man glaubt, wie im Traume die Geschichte der Kirche rücklaufend durchmessen zu haben und plötzlich ihren ersten, urchristlichen Anfängen gegenüberzustehen. Unter diesen Grotten gibt es solche, die seit der Zeit Konstantins des Großen verschlossen geblieben sind — und diese bergen das antike Mausoleum, das damals auf ebener Erde im Freien stand und zu dem die christlichen Zeitgenossen Konstantins gepilgert sind. Darüber aber ist im Laufe von bald zwei Jahrtausenden Schicht auf Schicht, ein wahres Gebirge aufgetürmt worden, Grabkammern und Gewölbe, Mauern und Pfeiler, bis auf der konstantinischen Basilika der immense Bau Michelangelos emporwuchs. Aber auch dieser Bau hat gewissermaßen seine Seele hier unten und der strahlende Glanz der Oberwelt seinen Ursprung im mystischen Dunkel der uralten Uberlieferung vom Grabe des ersten Staathalters Gottes auf Erden.

Pietät und Tradition haben diese Stätte mit einem unvergleichlichen Schutzwall gegen alle Forschung umgeben, die an diesem Ort wie üble Neugier erscheinen muß. Trotz der so überaus freien Atmosphäre des 17. Jahrhunderts waren diese Barrieren auch nach den Funden anläßlich des Baues des Berninischen Baldachins unüberwindlich und sind es durch die kommenden Jahrhunderte geblieben; die Gründe dafür sind mehr als einleuchtend. Schon die technische Seite eines exakten, erfolgversprechenden Vorstoßes in die Unterwelt von 5t. Peter bietet scheinbar unlösliche Schwierigkeiten: enorme Erdarbeiten sind unter den tragenden Grundmauern des Domes nötig, und sie müssen so durchgeführt werden, daß sie das kirchliche Leben im Dom nicht beeinträchtigen Die Mittel zur Lösung dieser Schwierigkeiten hätte wohl schon das vergangene Jahrhundert gefunden, nicht aber •den Mut, mit dem Pius XII. alle Bedenken beiseiteschob, die bisher jeden derartigen Versuch zum Scheitern verurteilt hatten. Bedenken aus der Furcht, daß diese Grabungen die Authentizität der Überlieferung vom Petrusgrabe in Frage stellen oder gar eindeutig widerlegen könnten. Die Bedeutung dieser Frage für die Kirche ist evident, denn seit den ersten nachchristlichen Jahrhunderten hat die gesamte Christenheit dieser Stätte eine Bedeutung beigemessen und eine Verehrung gezollt, die sich nur mit der für das Heilige Grab in Jerusalem vergleichen läßt.

Die römische Vergangenheit dieser Stätte schien noch dem vergangenen Jahrhundert in klarem Lichte antiker Überlieferung deutlich vor Augen zu stehen. Man wußte von einem bedeutenden Friedhof der römischen Kaiserzeit, der sich an der Porta Vaticana und Via Aurelia hinzog, und man glaubte den Zirkus des Nero mit dem Komplex von St. Peter, seine Spina mit dem Obelisken identisch; diese Vorstellung, die wir in fast allen Rekonstruktionen gleichermaßen finden, hatte ihre Ursache neben der dahingehenden Tradition in den Abmessungen des Platzes und seiner Form. Denn unter dem Zirkus des Nero, der ja bei derartigem Bauvorhaben bestimmt kein knauseriger Bauherr gewesen war, hatte man unwillkürlich die Vorstellung von einem Komplex in den Dimensionen des Zirkus Maximus oder des Kolosseums gehabt; und diese Hypothese hatte sich kritiklos bis in die Gegenwart aufrechterhalten. Der scheinbaren Klarheit über die antike Vorgeschichte stand vollkommene Unklarheit über die frühchristliche Geschichte gegenüber. Eusebius, dem die meisten Geschichtschreiber vergangener Jahrhunderte getreulich gefolgt sind, hat uns den Kaiser Konstantin mit all-, zuviel Eifer als den großen christlichen Herr-sdier par excellence erscheinen lassen.

Die Annahme, daß der hl. Petrus sein wenn vielleicht auch nicht erstes, so doch sein Grab schon zur ■ vorkonstantinischen Zeit auf dem spätrömischen Nobelfriedhof an der Porta Vaticana gefunden hat und dort von einer zahlreichen Gemeinde verehrt wurde, hatte von Anfang an die Wahrscheinlichkeit für sich.

In den Quellen der kommenden Jahrhunderte aber finden wir genau so wenig, womit der Historiker und Archäologe viel anzufangen wüßte: Um 200 gibt uns ein Presbyter Gajus einen Hinweis und spricht von einer Trophea Apostolorum an der Via Vaticana, und im Liber Pontificalis vom Anfang des sechsten Jahrhunderts finden wir eine merkwürdige Schilderung des Apostelgrabes, die später mit kaum nennenswerten Veränderungen weitergegeben wurde und auf die sich niemand einen Text zu machen vermochte: es wird uns berichtet, daß das Grab von einem kolossalen, erzenen Würfel umsdilossen sei. Die dunkle Form dieser Mitteilung läßt an eine falschverstandene Varition einer orientalischen Überlieferung denken, und hat nur die Phantasie der Nachwelt beträchtlich angeregt.

Bei diesem Sachverhalt war die große Spannung und das eminente Interesse gegeben, mit der die Welt auf die Veröffentlichung der Resultate der Grabungen wartet, die schon vor Beginn des Krieges in Angriff genommen waren. Die Leitung dieses denkwürdigen Unternehmens hat Pius XII. zwei Laien und zwei Priestern übertragen: Professor Josi, dem Inspektor der Katakomben, und Professor A p o 1 o n i — Pater Kirschbaum S. J., und Pater Ferrua S. J., auf dem Gebiete der christlichen Archäologie Fachleuten ,von Weltruf. Diese Gelehrten wurden wieder mit einem ausgewählten Stab von Mitarbeitern der Universität Rom und des päpstlichen Archäologeninstituts umgeben.

Schon die ersten Resultate rechtfertigten die kühnsten Erwartungen, und am Schluß der sorgfältig durgeführten Arbeiten konnten sämtliche Fragen im wesentlichen als geklärt betrachtet und zum Teil auch völlig neuartige, unvergleichliche Funde gemacht werden. An ihrer Veröffentlichung wird zur Zeit immer noch gearbeitet. Nur mit Zurückhaltung geben die beteiligten Gelehrten Auskunft über die gemachten antiken Funde. Über die Detailergebnisse der erfolgten Erschließung des Petrusgrabes wird noch strengstes Stillschweigen gewahrt. Doch der Beweis der Authentizität des Grabes des A p o s t e 1 f ü r s t e n ist eindeutig erbracht. Wir wissen heute, daß unter Konstantin, dort, wo die Peterskirche steht und sich der Petersplatz erstreckt, ein riesiges, spätrömisches Mausoleenfeld bestand, dessen Fläche eine starke Neigung aufwies. Die Nivellierungsarbeiten, die auf Befehl des Kaisers durchgeführt wurden, waren für die technischen Mittel der Zeit so außergewöhnlich umfängliche, daß die Wahl des für ein derartiges Bauvorhaben so ungeeigneten Platzes nur darin seine Begründung haben konnte, daß außerordentliche Gründe der Pietät, eben die Absicht, nach der Sitte der übrigen Apostelkirchen diese Basilika direkt über dem verehrten Grabe des hl. Petrus zu errichten, dafür maßgebend gewesen sein kann. Der weite Platz vor dem konstantinischen Dom wurde über sechs Meter hoch aufgesdiüttet und hat das alte Gräberfeld tief unter sich

Vorstellungen von seinem Stile und seiner Größe völlig falsche waren; es hat sich vielleicht um einen kleinen, privaten kaiserlichen Zirkus gehandelt, in dem der Kaiser sich vor der engsten Hofgesellschaft produzierte und von dessen leichten Bauten sich keine Spur erhalten hat.

Die größte Überraschung waren die wundervollen antiken Gräberfunde, die in ihrer Fülle und ihrer hohen Qualität auch die berühmte Gräberstadt der Isola sacra bei Ostia weit in den Schatten stellt. Eine riesige Zahl vollkommen erhaltener, künstlerisch, kulturgeschichtlich und historisch gleich interessanter Mausoleen der späten Kaiserzeit kamen durch die Archäologen, die sich unter dem Petersdom und dem begraben; der Abhang des Hügels aber wurde tief angeschnitten, um auf dem so entstehenden ebenen Plateau den Bau aufzuführen. Die archäologischen Folgen dieser ausgedehnten Erdbewegung waren äußerst günstige — so sind die Mausoleen des in die Erde gebetteten Gräberfeldes in einem ausgezeichneten Erhaltungszustand auf uns gekommen, der sich am ehesten mit den in der Asche begrabenen Anlagen Pompejis vergleichen läßt. Ihre Gewölbe waren mit der Spitzhacke eingeschlagen und ihr Inneres so mit Erde gefüllt worden, um so eine sichere Basis für den riesigen Bau zu schaffen, dessen genaue .Abmessungen uns heute bekannt sind. Sie haben wesentliche Änderungen gegenüber den bisherigen Rekonstruktionsschemen mit sich gebracht und zahlreiche Bruchstücke und Teilfunde der Fassade der alten Basilika haben uns völlig neue Gesichtspunkte zu ihrer Rekonstruktion gegeben.

Vom Zirkus des Nero wurde nicht die geringste Spur gefunden. Wir können heute mit Sicherheit annehmen, daß er entweder nicht auf dieser Stelle errichtet worden war oder daß eben unsere althergebrachten

Petersplatz unter größter Vorsicht bei ihren unterirdischen Grabungen den Weg durch diese Unterwelt bahnten, zutage. Ebenso viele liegen noch unter der zweiten Hälfte des Petersplatzes, dessen erste Hälfte nur aus Gründen der religiösen Pietät ausgegraben worden ist.

Unter den Fundstücken befinden sich wundervolle Sarkophage mit Dionysosdarstellungen. Wie überhaupt mystische, symbolische Darstellungen aus dem Dionysoskreis und aus den Jenseitsvorstellungen zu den interessantesten Funden gehören. An diese Funde reihen sich andere: Jagddarstellungen, seltene, formschöne Urnen, das Grab einer Senatorentochter mit unschätzbarem Goldschmuck und höchst ausdrucksvolle, vollplastische Porträtköpfe; es wurden jedoch weder die üblichen Familienreliefs gefunden, noch irgendwelche polychrone Funde gemacht, wie überhaupt das Kennzeichnende dieser Mausoleenfunde in ihrer Originalität zu suchen ist.

Mit größter Spannung kann man die unmittelbar bevorstehende Publikation der abschließenden, offiziellen Darstellung erwarten.

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