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„Zum schäumenden Humpen“

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Mag selbst der Name etwas irreführend sein, denn „ad catacumbas“ war in der Antike nichts anderes als die topographische Bezeichnung an der alten Via Appia zwischen dem zweiten und dritten Meilenstein, dort, wo die Straße bis zum Zirkus des Maxentius hin fällt, an deren rechten Seite St. Sebastian liegt und von dem aus diese wieder bis zum/ Grabmal der Caecilia Metella hin ansteigt. Allgemein nimmt man an, daß dieser Name Talsenke bedeutet. Nach einer neueren Auslegung von Prof. Egger könnte aber hier an der bedeutendsten aller Konsularstraßen ein Gasthaus gestanden sein, das fiesen Namen trug, der ungefähr mit „Zum schäumenden Humpen“ ins Deutsche übersetzt werden müßte. Diese Bezeichnung geht dann auf St. Sebastian über, das in allen antiken Quellen diesen Namen trägt. So im Chronographen von 355 und in der „Depositio martyrum“. In der „Chronica urbis Romae“ von 309 kommt er ebenso für den Zirkus des Maxentius vor. Da St. Sebastian die einzige Begräbnisstätte ist, die das ganze Mittelalter hindurch zugänglich geblieben war, ist dieser Name bei der Wiederentdeckung frühchristlicher Friedhöfe auf alle unterirdischen Begräbnisstätten übergegangen. Die ursprüngliche Bezeichnung für Katakombe, sei es ober- oder unterirdischer Art, war im Griechischen „xoiut)TT)eiov“ oder „xu|xt)tt|(jiov“, im Lateinischen „coemeterium“, „cimiterium“ oder „domi-terium“, als solcher geht er ja dann in viele indoeuropäische Sprachen über. In Afrika kommt oft die Bezeichnung „area“ oder „area sepul-crale“ vor.

Die alten Straßen entlang

Aber wie haben wir uns nun die Entstehung einer Katakombe vorzustellen?

Das römische Recht erlaubte jedem die Bestattung; selbst Sklaven erlangten nach dem Tod die Rechte eines Freien, und der Leichnam wurde ausgeliefert, wenn jemand darum bat.

Der Familienverband war im römischen Bereich ein wesentlich komplexeres Gebilde, zu dem nicht nur die Blutsverwandten, sondern auch die Freigelassenen und verschiedene andere, die sich unter das Patronat der Familie begeben hatten, bis zu einem gewissen Grad also auch die Sklaven, gehörten. Der Pater familias hatte aber nicht nur gewisse Rechte, sondern unter anderem auch die Pflicht, für das Begräbnis seiner Angehörigen aufzukommen.

Dabei hatte jeder die Möglichkeit,

sich den Ort seiner letzten Ruhestätte frei zu wählen. Die stimmungsvollen Bilder entlang der alten, piniengesäumten Konsularstraßen mit halbverfallenen Mausoleen erinnern heute noch daran, daß man sich einer Straße entlang einen Grund kaufen konnte, um darauf sich sein Grabmal zu errichten. Daneben gab es auch öffentliche Friedhöfe. Oder konnte man auch auf seinem eigenen Grundstück, das nur außerhalb der Stadtmauern gelegen sein mußte, sich sein Grabmal errichten lassen. Gerade die beiden letzteren Arten waren dann die Ausgangspunkte für die unterirdischen christlichen Coemeterien. Durch verschiedene Umstände — Schließung des Massengrabes am Esquilin, Vergrößerung der Stadt, Änderung der allgemeinen Sitte, die Toten erdzubestatten, anstatt sie zu verbrennen, Einfluß des jungen Christentums — war in dieser Zeit das Bedürfnis nach neuen Begräbnisplätzen entstanden. Da nach rö-

mischem Recht dem Eigentümer nicht nur die Oberfläche eines Grundstückes, sondern auch der darunterliegende Grund gehörte, legte man einfach, wenn oben die Begräbnismöglichkeiten nicht mehr ausreichten, einen Gang in die Tiefe und bestattete dort seine Toten. War dieser Gang nun voll, wurde er entlang der Grenze dieses Feldes weiter vorgetrieben, und wenn dies später auch nicht mehr reichte, so wurden dann Quergänge gezogen, wodurch die oft rostartigen Gebilde der Katakomben entstanden. Da dies anfangs rein private Familiengräber waren, läßt sich heute noch an verschiedenen Stellen die ursprüngliche Lage der Felder gut erkennen (so beispielsweise in der bekannten Lucinna-Gruft an der Via Appia). Dabei ist festzuhalten, daß jeder der unterirdischen Begräbnisstätten ursprünglich ein oberirdisches Begräbnisfeld entsprach, die

erklärlicherweise verlorengegangen sind, aber doch immer da waren, wie gerade die Ausgrabungen der letzten Jahre immer wieder bewiesen.

Oft wurde aber auch ein breiter, geräumiger Gang in einen Abhang vorgetrieben oder eine aufgelassene Sand- oder Puzzolangrube als Begräbnisstätte verwendet. Nach den neueren Forschungsergebnissen beginnen die frühesten christlichen Sammelbegräbnisstätten erst um die Mitte des 2. Jahrhunderts.

Diese ursprünglich privaten Begräbnisplätze gingen im 3. und, besonders in nachkonstantinischer Zeit, im 4. Jahrhundert in kirchlichen Besitz über. Nun wurden nahegele-

gene Begräbnisstätten miteinander verbunden, und dadurch entstand das riesige, oft verwirrende Netzwerk von unterirdischen Gängen.

Damit kann aber keine Regel aufgestellt werden, denn nicht alle Katakomben waren zuerst private Begräbnisstätten und wurden dann zu öffentlichen. Es gab einige, wie die zuletzt entdeckte, die immer im Privatbesitz geblieben sind, aber auch solche, die von Anfang an als „Gemeindefriedhöfe“ errichtet wurden. So hat schon Papst Zephyrm (199 bis 217) an der Via Appia ein Coemeterium errichtet, zu dessen Vorsteher er seinen Diakon und späteren Nachfolger Calixtus bestellte. In diesem vielleicht ersten Gemeindefriedhof wurden die Päpste des 3. Jahrhunderts beigesetzt, Calixtus selbst aber noch in seiner Familiengruft an der Via Aurelia, die im März 1960 wiedergefunden wurde. Am Beginn der kirchlichen Verwaltungsperiode unterstanden die Coemeterien den sieben Regionaldiakonen und sind später in die Verwaltung der Presbyter der einzelnen Pfarreien übergegangen, so daß jede Pfarrgemeinde ihren eigenen Friedhof hatte.

Selbstverständlich waren für die Ausschachtung und Pflege der sich oft über mehrere tausend Quadratmeter erstreckenden unterirdischen Friedhöfe eigene erfahrene Leute bestellt, die im Dienst der Kirche standen. Diese Fossoren haben nun kein eigenes System der Ausschachtung entwickelt, sondern ihre Gänge eben dort vorgetrieben, wo sie den besten und widerstandsfähigsten Tuff fanden, um so dem unterirdischen System einen möglichst festen Halt zu geben.

Ältere und jüngere Regionen

Den heutigen Archäologen interessiert natürlich, wie die Entwicklung einer Katakombe vor sich ging. Ein Blick auf den Plan genügt, um zu sehen, wo die älteren und wo die jüngeren Regionen sind. Trifft man auf kurze, winkelige und hohe Gänge, so weiß man sofort, daß man sich in einer Region befindet, in der man noch auf engem Raum beschränkt war. Hier trifft man fast immer auf hohe Galerien, deren einzelne Teile auch noch verschieden tief sind. Ein normaler Gang war etwa zwei Meter hoch, eben so, daß der Fossor mit der Hacke bequem ausholen konnte. Hohe Gänge wurden natürlich immer nach unten hin ausgeschachtet, so daß ältere Gräber nach oben und die jüngeren nach unten hin zu liegen kamen. Manchmal geschah es sogar, daß Grabkammern mehrere Meter in der Höhe liegen, oftmals sogar unzugänglich wurden.

Später, als die Katakomben unter kirchliche Verwaltung kamen, entstanden die langen, rechtwinkeligen Gänge, die sich deutlich von den früheren abheben.

Die einfachste Bestattungsart war ein „Loculus“, ein in die Wand ausgehöhlter Schacht, in welchen der Tote waagrecht hineingelegt wurde, wobei das Fußende praktischerweise immer schmäler gelassen wurde als das Schulterende. Dieser wurde dann mit einer Marmorplatte, auf der meist eine Inschrift angebracht war, oder bei ärmeren Gläubigen nur mit einfachen Ziegeln verschlossen. Vornehmere Leute konnten sich ein „Arcosol“, eine bogenförmig in die Wand geschlagene Nische, leisten, in welche der Tote dann senkrecht gebettet wurde und dessen

Bogen und Rückwand meist mit Malereien ausgeschmückt war. Oft findet man auch kleine Grabkammern, die entweder einer Familie oder einem Kollegium gehörten. Diese hatten in den etruskischen und“ römischen Grabkammern ihre Vorbilder. Sie sind meist viereckig und nach oben hin gerade oder gewölbt abgeschlossen. Manchmal gibt es in ihrem Inneren Bänke für rituelle Totenfeiern; ihre Tür war meist verschließbar.

Die teuerste und kostspieligste Art war natürlich ein Sarkophag, den sich erklärlicherweise nur ganz wenige leisten konnten. Dabei war es aber nicht immer Regel, daß diese oberirdisch oder an sichtbarer Stelle aufgestellt waren, sondern es wurden oftmals auch Sarkophage gefunden, die man in die Erde gegraben hatte. Die Skulpturen wechseln nach dem Stil und Empfinden ihrer Zeit.

Märtyrergräber und Basiliken

Leider sind die Grabbeigaben, deren es nach Berichten der ersten „Erforscher“ viele gegeben haben muß, fast gänzlich weggeschleppt worden. Gerade diese wären uns heute wertvolle Belege für das private Leben der römischen Kulturwelt.

Ergreifend sind in ihrer Einfachheit und Schlichtheit auch die Malereien. Bis zum Ende des 3. Jahrhunderts sind es nur wenige Szenen aus dem Alten und Neuen Testament, die immer wieder dargestellt wurden. So der Gute Hirt, die Arche Noe, die Jonas-Szenen, die Aufer-weckung des Lazarus', Oranten, die alle heilsgeschichtlichen Charakter haben. Oftmals erschienen auch Bilder aus dem Leben des Verstorbenen oder Darstellungen heidnischer Mythen.

Die biblischen Szenen werden am Ende des 3. Jahrhunderts häufiger; allmählich beginnt man auch heidnische Legenden in christlichem Sinn zu interpretieren, so Orpheus, Amor und Psyche, und im 4. Jahrhundert kommen neue Sujets von mehr allgemeinerem Charakter hinzu, die aus den Basiliken stammen. So Christus mit dem Apostelkolleg oder Christus mit Petrus und Paulus. Schließlich gibt es noch eine weitere Gruppe, die Gruppe nach dem 5. Jahrhundert, als die Katakomben schon nicht mehr zu Bestattungszwecken dienten. Sie bezieht sich auf Tod und ewiges Leben.

Um diese Zeit beginnt überhaupt für die Katakomben ein neuer Abschnitt. Da auch Märtyrer oft unterirdisch begraben wurden, waren ihre Gräber sehr bald Mittelpunkt allgemeiner Verehrung, besonders unter Papst Damasus (366 bis 384). Hatte man bisher am Todestag eines Verstorbenen das Refrigerium, das Totenmahl, ■ gefeiert, das bei Märtyrern entsprechend groß gehalten, später auch mit der Eucharistiefeier verbunden wurde, so begann man nun unter Damasus Märtyrergräber umzugestalten.

Es gab ja schon sehr früh — zumindest seit dem 3. Jahrhundert — oberirdische Coemeterialbasiliken, die für den Totengottesdienst dienten. In einer dieser Basiliken wurde Papst Sixtus (257 bis 258) von den Häschern Valerians mit seinen Diakonen gefangengenommen und hingerichtet. Nun wurden diese kleinen Basiliken in gleicher Form möglichst über dem Märtyrergrab, in manchen Fällen ganz- oder halbunterirdisch, angelegt. Diese anfangs kleineren Kapellen wurden dann im 5. und 6. Jahrhundert, als die Katakomben nicht mehr als Begräbnisstätten benutzt wurden, besonders vergrößert und von den frommen Pilgern der folgenden Jahrhunderte besucht und verehrt. Aus dieser Zeit stammen die Itinerarfen, die uns viele wertvolle topographische Hinweise geben und manchmal auch Abschriften enthalten.

Als im 7. und 8. Jahrhundert die Erhaltung der Heiligtümer immer schwieriger wird, lassen die Päpste die Reliquien in die Stadt übertragen. Viele Eingänge zu den Katakomben waren ohnedies schon verfallen. Nun werden großteils auch die unterirdischen Märtyrerkirchen zugemauert, geraten allmählich in Vergessenheit und harren ihre'“ Wiederentdeckung, die ja bis zum heutigen Tag noch nicht abgeschlossen ist.

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