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Das Gegenstück von Wetzdorf

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„Die Urbarmachung dieses Berges verdankt der Besitzer seiner Gattin Maria Theresia 1815." Diese Inschrift, in einem verwitterten Sandsteinblock gehauen, kann man nur entziffern, wenn man die wild darüber wuchernden Jasmin, und Fliederbüsche auseinanderbiegt und auf das Gemäuer steigt, das den Waldweg säumt. Grasbewachsen, still und versdi wiegen führt dieser Pfad in halber Höhe des Berges dahin, den Blick ins įšertai über den gelbblühenden Ginster hinweg freigebend. Unten im Tal glänzt der Fluß zwischen den Felswänden, die rechts und links steil aufragen. Dort, wo das Mühlenwehr liegt, scheint eine Wand die Enge zu verriegeln, denn die Zacken stehen knapp hintereinander wie das Gitter eines Gartens. In theaterfrommer ’Absicht geht oft der Mond gerade über den grauen Felsspitzen auf, und wenn das feldmäßig gebaute Obst blüht, die vielen uralten Thuyen im Park ihre langen, dunklen Schatten werfen, dann wähnt man sich nicht im „Bihmschen“, wie die Leute sagen, sondern Weit unten im Süden.

Am rechten Ufer, auf dem sich lang hinziehenden Kamm, stand die schon zur Zeit der Hussitenkriege zerstörte Burg Wranow, aus deren Quadern dann um 1700, abseits auf Wiesenhügeln, das neue Schloß gebaut wurde. Es war Besitz vieler edler Geschlechter, unter anderen der Smircicky, Waldstein und der Grafen Desfours-Walderode. Diese verkauften die Herrschaft Klein-Skal, sūdlicį von Gablonz, 1802 an Franz Zacha-,

rias Römisch, einen aus Nixdorf in Böhmen stammenden, ideal veranlagten Mann, der nun sein ganzes Augenmerk auf die Verschönerung des Gutes wandte. Im Schloß hängt noch sein Pastellporträt, das ihn im blauen Frack, ein Käppchen auf den Silberhaaren, darstellt. Seine Frau Maria Theresia wurde nicht verewigt. Er hatte sie sich vom Nachbargut, wo sie in dienender Stellung war, geholt, aber sie lohnte es ihm schlecht und verließ ihn bald um eines anderen Mannes willen. Kinderlos blieb er zurück, vergrub sich nun ganz in die Naturschönheiten seines Gutes und begann, sich für die Nachwelt bemerkbar zu madien. Die Schule, die Scheunen, das alte Rentamt, das alles war nidit sein Werk, alles stammte noch aus früheren Zeiten, aber in den verfallenen Resten der Burg setzte er sich andere Denkmäler, die bis zum heutigen Tage erhalten sind und von seinem versonnenen Innenleben, seinen romantischen Träumereien und von einen in der Einsamkeit betriebenen Studien erzählen. An der Stelle, wo ehemals die Burgkapelle stand, baute er ein kleines, zweistöckiges, kreisrundes Schlößchen mit drei Zimmern, einer Küche und einer winzigen Terrasse, und zog aus dem Schlosse dorthin. Bunte Glasfenster, die gotisierenden Grisaillefresken, die hohen, schmalen Fenster, aMes spricht die Sprache des frühen 19. Jahrhunderts. In den Räumen hängen alte Empireluster und auf geschnitzten Konsolen stehen Gipsfiguren vom Kaiser Franz und der Kaiserin Karoline. Da hauste der Verlassene, und nur schwer mußte er die Lieblichkeit der Landschaft mit seinem eigenen Schicksal vereint haben. Das innere Ruinenreich — er nannte es sein Pantheon — war von ihm mit 2000 Denkmälern und Inschriften geschmückt worden. Zum Schluß soll er sogar seinen Schneider mit einem Obelisken oder einer Tränenurne bedacht haben, da ihm keine Helden und Bardensänger mehr eingefallen waren. Nidit weit von seiner frostigen, in den letzten Jahren oft vom Blitz getroffenen Behausung liegt in einer geräumigen Felsenkammer — ehemals der Pferdestall der Burg — das merkwürdigste der Denkmäler

— die Heldenhalle, zehn Jahre nach der Schlacht von Leipzig zur Erinnerung an diesen Sieg errichtet. Sranz Ferdinand Effen- berger, der 1828 ein Buch über das Klein- Skaler Felsenpantheon veröffentlichte, beschreibt es: An- den beiden Seitenfelsen sind zwei Altäre in ägyptischem Geschmack. Auf dem einen steht „Friede", auf dem anderen „Eintracht". Uber beiden hängen Trophäen aus französischen Waffen. Aus der Mitte der Halle erhebt sich edel und ernst auf zwei Stufen ein Altar griediifther Bildung, mit Helm, Sdiwert und Kommandostab. An der Vorderseite die Aufschrift: „Dem Vaterlande un i seinen tapferen Verteidigern“. Auf dem Sdiilde des Helms der kaiserliche Doppel adler. Ehrfurchterweckend schauen von den drei Seitenwänden des Tempels aus eingehauenen Nischen die drei Kolossalbüsten der Herrscher von Österreich, Rußland und Preußen auf den Altar nieder. Noch 72 Namen wurden in die Steine der Ruhmeshalle gemeißelt, sechs Tonurnen sind in einer hölzernen Galerie eingelassen und nach den damaligen Heerführern benannt. Kindlich rührend sind die andächtigen Gefühle dieses Einsiedlers, die in einfach stilvoller Ausführung an Menschen aller Jahrhunderte erinnern wollen. So hatte er die Höhlen, die merkwürdige Eigentöne ergeben, die hohen, steilen Wände, die kleinen Steinaltäre, Pyramiden und Obelisken nach Kaisern, Königen, Dichtern, Sängern und Forschern benannt. Kaiserin Maria Theresia hatte ehemals einen großen Sarkophag, der ringsum Worte der treuen Liebe zum Herrscherhaus trug. Die Inschrift: „Schlaf sanft, Du Größte Deines Stammes“, hatte schon lange den Unwillen mißgünstiger Elemente erregt. Dem Kaiser Josef II. war eine Pyramide gewidmet. Karl IV., König Ottokar, Rudolf von Habsburg, Erzherzog Karl, Andreas Hofer, Zrinyi, Starhemberg, Schwarzenberg, Ulrich von Hutten, Franz Drake, der Gartenkünstler Sickler — alle waren vertreten, aller hatte er gedacht, während „Vater Goethen" erst für die nächste Zeit unter den Bäumen an einer Quelle eine Urne verheißen wurde. Klopstock, Schiller, Herder iind Shakespeare, Ossian waren schon besser weggekommen. Die Höhlen und alten Kaller tragen die Bezeichnungen „Der Zufriedenheit“, „Der Gastfreundschaft", „Der Verborgenheit und Stille", und Ossians Gesänge, Klopstocks Oden bedecken alle Wände. Die älteste Inschrift der Ruine trägt die Jahreszahl 1436 und lautet: „Uff diesem Sitz sass Hans Ritz“. Und das ist eines der schönsten Plätzchen, von dem aus sich der Blick auf das ganze Tal bis weit zum Riesengebirge öffnet. Oft konnte man in den Mienen der Besucher des Pantheons lächelnde Geringschätzung über das sentimentale Gehaben seines Schöpfers wahrnehmen. Aber das Werben um Mitgefühl und Rührung war ja zu dieser Zeit Mode und Franz Zacharias war ein Kind seiner Zeit. Daß er oft auf den Stufen des „Familiendenkmals" saß oder in der schattigen Baumgruppe unten an der Iserwiese, kann man nicht bezweifeln. Die Namen der Eltern und Geschwister ließ Römisdi in den Stein meißeln, doch blieb seiner ungetreuen Gattin solche Verewigung vorenthalten.

Im hochstämmigen Jnchtenwald, an der oberen Grenze des Reviers, liegt der runde Friedhof, den Römisch nach dem noch in der Schloßbibliothek erhaltenen Werk des Gartenkünstlers Sickler anlegen ließ. Uralte Bäume beschatten die wenigen Grabstätten. Immergrün, Efeu und Farne überwuchern dort wild die Hügel und Steine und gerade das Unge- pflanzte und außerhalb aller zärtlichen Sorge Liegende, bezaubert. An der dem Wald zugekehrten Seite des Gottesackers liegt die Grabnische, die Römisdi für sich selbst bestimmte. Das gleiche Jahr, das dem Leben Goethes ein Ende setzte, beendete auch das seine, und er kam nicht mehr dazu, diesem berühmten Zeitgenossen die versprochene Urne zu stiften. Über seinem Grabe trägt eine hohe Frauengestalt mit aufwärts gerichtetem Blick ein großes Kreuz. Die Nische wird von einem griechischen Giebel gekrönt. In der Nähe ruhen einige der 35 Erben, die nach Römisch das Gut übernahmen und so schlecht-. bewirtschafteten, daß die Gebäude bald verwahrlost waren, das Schloß leerstand. Ob zwischen Römisch und dem in Wetzdorf in Niederösterreich lebenden und einstigen

Armeelieferanten, Josef Pargfrieder, der seinem Ideal, dem Feldmarschall Radetzky in Wetzdorf ein ähnliches, mit zahllosen Skulpturen geschmücktes Naturpantheon baute, nähere Verbindung bestand, ist unbekannt. Jedenfalls war ein geistiger Kontakt zwischen beiden vorhanden. Beide lebten nur für die Verherrlichung von Menschen, denen sie Denkmäler einer fast uferlosen Bewunderung errichteten, dem sentimental-romantischen Stil des beginnenden 19. Jahrhunderts entsprechend.

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