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Als Hobby eine Burg

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EINEN KNABENTRAUM ZU BEWAHREN und ihn unter veränderten Aspekten in reifen Jahren zu verwirklichen — dies erfordert schon weit mehr als ein Minimum an Phantasie und Beharrungsvermögen, nämlich eine innere Unanfechtbarkeit, die in ihrem Kern von keiner Wandlung berührt wird. Bei dem gebürtigen Vorarlberger und seit Jahrzehnten in Linz wirkenden Chirurgen Primarius Dr. Hannes Kopf verbindet siich solche Zähigkeit mit den Interessen des sachkundigen Kunstsammlers.

Den Halbwüchsigen zog es immer wieder zu der Ruine der Montfort-

Burg in der Nähe seines Heimatortes Götzis. Goldschnittbände aus dem väterlichen Bücherkasten boten die illustrative Ergänzung und belebten die romantische Empfindung für solche Wanderungen. „Seit damals ließ mich der Gedanke nicht mehr los, selbst eine Burg zu besitzen“, sinniert heute der Sechziger. Die Burg blieb mehr als ein Menschenalter ein Wunschbild für den Facharzt, den man 1938 als „politisch unzuverlässig“ einstufte, doch bald in die Lazarette und auf die Hauptverbandsplätze holte.

ZEHN JAHRE LANG durchwanderte Primarius Kopf das Mühlviertel auf der Suche nach einer verkäuflichen Ruine, die seinen Vorstellungen entsprach. Den schon zum geflügelten Wort gewordenen Stoßseufzer eines österreichischen Aristokraten, „Wer eine Burg oder ein Schloß hat, der ist ein armier Mann“, konterte der Mediziner mit dem optimistischen Satz: „Es kommt nur auf die Größe an.“

1963 hatte er schließlich sein „Lehen“ gefunden. Am 19. Juni, „genau in dem Moment, als die Kardinale zur Papstwahl einzogen“, setzte er seine Unterschrift auf das Dokument, das seinen lange gehegten Wunsch realisierte: von dem Wiener Industriellen, emeritierten Germanenschwärmer und Neutempler Walthari Wölfl erwarb er die Ruine Werfenstein bei St. Nikola-Struden, auf einem steilen Felsen direkt über der Donau gelegen.

Mit dem bröckelnden Gemäuer und dem erhaltenen Bergfried übernahm der Hobbyburgherr auch ein recht sonderbares, verworrenes historisches Erbe.

„DEN WOTANSSITZ IM HOF haben wir expediert. Der war ja nur a Graffelwerk“, erklärt Frau Kopf, Tochter des letzten Deutschmeisterobersten von 1918, mit urwüchsigem Charme. So verschwand die letzte der Kulissen einer bombastisch inszenierten Spießergroteske.

Burg Werfenstein war das „Erzpriorat“ des Neutemplerordens, eines der letzten Männerbünde, die von sich reden machten. Zum Unterschied von der romantisch helmbuschrauschenden biedermeierlichen „Ritterschaft der blauen Erde“ oder der rühmlichen Ludlamshöhle bekannten sich diese Getreuen nicht zur selbstgewählten Narrheit, sondern wählten die unfreiwillige Komik. Doch das war in der Mentalität des ONT-Gründers motiviert. Als Meister dieses Ordens erhob sich Jörg hanz, in Selbstnobdlitierung zum Edelmann von eigenen Gnaden mit dem Prädikat „v. Liebenfels“ samt usurpiertem Wappen eines erloschenen Schweizer Geschlechtes.

Nun, die Jahrhundertwende war eben eine Zeit der „Meister“. Bei Lanz reichte es nur bis zum verklemmten Rassenphantasten, zum streithar-pathetischen Protagonisten einer ersehnten Weltherrschaft der Blond-Blauäugigen, zum Don Quichotte in Förstergamaschen. Im Einmannbetrieb brachte er die Heftchen seiner „Ostara“-Reihe in den Kleinverschleiß. Da raunte er von Ario- heroikern, wetterte gegen „Schrätt- linge“ und „Tschandalen“ und untersuchte mit pseudo-anthropologischer Pedanterie Fußsohlen- und Gesäßformen als Rassenmerkmale.

Ein beschäftigungsloser junger Untermieter, Adolf Hitler, kaufte das Ungeistesgut in der nächsten Trafik.

„Ich wünschte mir diese Burg und war entschlossen, sie zu erwerben, koste sie auch noch so viel“, schrieb Lanz selbst. 1896 war er nach Grein gefahren, um Werfenstein an sich zu bringen. Seine beiden Begleiter, ein Hofbeamter und ein Offizier, scheinen in dem Bericht nur als Armando und Albigero auf, wie Gestalten aus einem Shakespeare-Drama-. Nach vielfältigem Besitzerwechsel und seit Jahrhunderten im Verfall, war das Objekt schließlich an einen britischen Hof kurier gekommen. Mit dessen Erben hatte Lanz nun zu verhandeln. Beim Aufstieg zur Ruine schloß sich der Gruppe ein einsamer Wanderer an. Der Fremde mit dem faszinierenden Blick stellte sich vor: August Strindberg.

So begann die Beziehung zwischen dem Sektierer und dem Dichter, der damals in Dörnach an der Donau lebte. Strindberg zeigte sich von der Szenerie des mythischen Burgfelsens „aufs tiefste ergriffen“. Lanz bot ihm an, als „Fra August“ in den Neutemplerorden einzutreten. Der Schwede war nicht abgeneigt.

DOCH ERST IM JAHR 1907 konnte Lanz auf seiner Burg ein-

ziehen und das nur symbolisch. Werfenstein mit seinen wenigen erhaltenen Turmräumen eignete sich nur zu kurzfristigem Aufenthalt als Versamimlungsstätte.

Zu Pfingsten 1907 wurden die Bewohner von St. Nikola durch einen seltsamen Aufzug aus dem

Schlaf geweckt. Mit Fackeln erleuchtete Wagen fuhren durch den Ort, um Mitternacht stiegen Männer in langen weißen Gewändern mit dem roten Krucken- kreuz auf der Brust zur Ruine empor und hielten dort ihre Feier ab, nach einem Zeremoniell halb Gralsritter und halb Ku-Klux-Klan.

Diese Riten mit kleinen Anleihen beim „Parsifal“ sollen sich bis zum ersten Weltkrieg alljährlich zu Pfingsten wiederholt haben. Doch noch in die Weihnachtszeit von 1907 fällt jenes Ereignis, das, wie Lanz’ ganzes Streben im Dienst seiner verschrobenen Ideologie, unbewußt spätere Entwicklungen präfigurierte, und sei es nur in der Ähnlichkeit der Symbole. Franz Herndl, ein heute längst verschollener Schriftsteller, der als Einsiedler auf der Donauinsel Wörth hauste, berichtet, er habe auf dem Turm von Werfenstein ein Banner gesehen, das auf goldenem Feld vier blaue Lilien um ein rotes Hakenkreuz zeigte. Die erste Hakenkreuzfahne.

IN DIESEM TURM befanden sich übereinander drei Räume, für die Feiern der Neutempler entsprechend ausgestattet, mit Wappenstühlen, Gerät, Darstellungen von Motiven aus dem Nibelungenlied, Minnesängerbildern und kryptischen „Freskenfriesen“ aus bemalten Packpapierstreifen, banal mit Reißnägeln an die Wände geheftet. Dazu die gipserne eiserne Hand — des von Berlichingen. Als sonderbare Ergänzung auch ein altes Sofa, wie in jedem Untermietzimmer von Anno dazumal. Bezeichnend für die dem ganzen anhaftende Vermischung von pubertärer Trivialromantik und muffigem Kleinbürgertum.

Die Pfingsttreffen der Neutempler während der zwanziger Jahre spielten sich nicht mehr geheimnisvoll ab, sondern glichen eher Ausflügen einer Liedertafel. Statt weißer Vermummung schlichtes Touristenzivil. Der Rest war Vereinsmeierei ohne heroische Gebärde. Erhaltene Photos zeigen die ONT-Brüder bei der Siesta im Liegestuhl und in trauter Runde um den Erkertisch des Extrastüberls.

LÄNGST IN ALLE WINDE ZERSTREUT waren die Requisiten aus der Ära der Blaublonden, als Dok tor Kopf Burgherr von Werfenstein, wurde. Lächelnd erwähnt er einen Paragraphen, der bei solchen Kaufverträgen häufig und mit voller Rechtsgültigkeit eingesetzt wird: nämlich die Klausel, die besagt, daß nach einer Sage auf dem Gebiet der Ruine ein Schatz vergraben sein soll. Falls er gefunden wird, gehört die Halte davon dem Vorbesitzer. „Bei den Adaptierungsarbeiten haben wir wohl da und dort nach- gegraben, aber bis jetzt ist nichts zum Vorschein gekommerft“

Mit dem Kauf übernahm der Primarius auch die Verpflichtung zur denkmalpflegerischen Erhaltung des Baubestandes, der sich allerdings nur auf den Bergfried und einen Ring von Grundmauern beschränkte. Als Experten zog Dr. Kopf den bekannten oberösterreichischen Burgenforscher Dipl.-Ing. Wilhelm Gotting zu Rate. Dieser führte genaue

Vermessungen und gründliche Untersuchungen durch und stellte an Hand von Vergleichen bildlicher Darstellungen die Phasen des allmählichen Verfalls fest. „Es gibt eine Zeichnung von Wolf Huber aus dem Jahr 1531, damals war Werfenstein bereits ohne Dach“, meint Dipl.-Ing. Gotting. Unter den späteren Ansichten der Ruine weist Jakob Alts Stahlstich die reifste Verbindung von romantischer Landschaftskunst mit der Wiedergabe topographischer Charakteristiken auf.

Schutt wegräumen und Freilegen gaben den Auftakt zu der Sinfonia Domestica auf dem Felsen über der Donau. Schrittweise wurde ein bereits mit Gras und Gestrüpp überwuchertes Bauwerk ins Leben zurückgeholt. „Eines müssen wir Lanz zugute halten: wenn er nicht im obersten Geschoß eine armierte Betonplatte hätte einziehen lassen, wäre der Turm wahrscheinlich eingestürzt“, kommentiert Dr. Kopf.

Heute sind die Räume des „Berch- frits“ wohnlich ausgestaltet, mit schönen alten Dingen, die in jahrzehntelanger Sammeltätigkeit zusammengetragen wurden. Auf eine Kamineinfassung ist der Primär besonders stolz, sie besteht aus Ziegeln, die von dem 1945 zerstörten Schloß Weilburg bei Baden stammen. Eines fügt sich zum anderen in diesem Hauswesen, das hier entstand. Im Turm wie in jenem ebenerdigen Anbau, den Dipl.-Ing. Gerhard Sedlak, der Architekt des oberösterreichischen Landeskonservators, errichtete. Mit den Außenmauern aus Bruchgestein und Holz ist der Gesamtstil gewahrt, nach innen aber, der durch Föhren verschönten Terrasse zugewandt, zeigt sich ein moderner Bungalow, der im weiten Halbkreis von mittelalterlichen Mauern umschlossen ist. Alle erforderlichen zivilisatorischen Einrichtungen sind organisch eingeplant, sogar eine Gegensprechanlage ist vorhanden.

„Dort drüben werden wir Blumen anpflanzen“, sagt Dr. Kopf und weist auf einen Streifen Wildwuchs. „Es gibt noch immer vieles zu tun, aber gerade das ist das Schöne daran. Denn dann spürt man, daß das alles nichts Totes, Abgetanes ist, sondern neu auflebt. Und man selbst schlägt Wurzeln darin.“ Diesen letzten Satz spricht er mehr zu sich selbst. Tief unten auf der Donau zieht rauschend ein Schleppzug stromaufwärts. „Ich bin Arzt geworden, weil ich helfen wollte“, spinnt der hagere Mann seinen Gedanken weiter. „Und hier ist es eigentlich das gleiche: nur daß man eben in diesem Fall nicht einen Menschen gesund macht und am Leben erhält, sondern einen alten Bau...“

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