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AUCH ICH WAR IN CAPRI

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Noch heute ladet das Restaurant „Zum Kater“ zum sinnlichen Verweilen; die altbekannte Künstlerkneipe nämlich aus der Zeit der Romantik, das Refugium des fahrenden Schülers um 1800 ...

Noch heute prangen zu beiden Seiten der deutschen Aufschrift die zwei steinernen Köpfe des schwarzen Katers Hiddigeigei, wie zur Zeit Viktor Scheffels, nach dessen personifizierter Tiergestalt in seinem „Trompeter von Säckingen“ die Weinstube benannt wurde.

Die gemütlichen Räume des heute bereits sehr vornehmen Restaurants zieren immer noch alte Graphiken und Aquarelle bekannter Künstler des vorigen Jahrhunderts. Angeblich sind es die von Künstlerhand beglichenen Zechschulden der „leicht beschwingten“ Musensöhne gewesen; Zechschulden, die Maestro Michele Pagano, der verständnisvolle Freund und Gönner der Künstler, gerne an Zahlungs Statt annahm. Denn bei ihm traf sich vor einem Jahrhundert alles, was auf unbekümmerter Musenfahrt Capris Boden betrat.

Und so finden wir in seinem alten, in Eselshaut gebundenen Fremdenbuch — dem polizeilichen Meldezettel von anno dazumal — Namen vereinigt, die uns ein gutes Stück deutscher Kunst- und Kulturgeschichte erzählen.

Die anfänglich bescheidene Osteria Michele Paganos wuchs sich bald zu einem ansehnlichen Künstlerquartier aus. Heute ist es das luxuriöse Hotel Manfredi Pagano, unweit der alten Künstlerkneipe, das ein Urenkel jenes Michele leitet und in welchem das alte Fremdenbuch als kostbares Familienvermächtnis wohlbehütet und verwahrt liegt.

Voll Stolz weist Herr Pagano außerdem auf einen alten Brockhaus hin, in dem sein Familienname ausdrücklich genannt ist, und zwar unter „Capri — Blaue Grotte“. Es sei dies der Dank des Verlegers Heinrich Brockhaus gewesen, der mit Datum vom 26. April 1834 als sehr zufriedengestellter Gast im Fremdenbuch aufscheint.

Von den vielen internationalen Berühmtheiten sollen hier nur einige wenige genannt werden. Namen, die eigenhändig im Fremdenbuch eingetragen sind, oft mit humorvollen Versen und Skizzen beschäftgt, ja sogar mit allmählich verblassenden Spuren roten Capriweines umflort... Gaudeamus! Pereat tristitia!

August Kopisch, der Maler und Dichter („Die Heinzelmännchen“ und „Als Noah aus dem Kasten kam“) ist der erste deutsche Name. Er beschreibt am 17. August 1826 die — vermeintlich — von ihm entdeckte Blaue Grotte. Sicherlich, er war der erste nachweisbare Fremde, der das magische Zauberreich dieser seit Kaiser Tiberius verrufenen und von den Einheimischen in abergläubischer Furcht gemiedenen Grotte befuhr. Seine Entdeckung, sein von den Capresen bewunderter Mut — entgegen ihrer heillosen Gespensterfurcht —, findet nach einem zweiten Grottenbesuch am 2. Juli 1828 nochmals im Fremdenbuch einen langen Vermerk. Die Grotta Azzurra schwelgt in silbrigem Blau und Grün und : Gelb der Wellenreflexe. -Kopisch' Name findet man heute noch in jedem italienischen Reiseprospekt von Capri.

August von Platen ist am 19. Oktober 1827 auf Capri zu Gaste, bevor er dem Gotenzuge weiter folgt und in Calabrien, bei Cosenza, Alarichs Grab im Busento besingt. Platen liegt bekanntlich in Syrakus begraben; sein Grabmal steht heute noch in einem Privatgarten, pietätvoll gepflegt.

Giuseppe Führich, Pittore di Austria, zusammen mit dem Wandergefährten A. Zimmermann, Pittore di Saxonia, sind vom 26. bis 27. Juni 1829 eingetragen.

Dr. HermannHärtel, Musikverleger di Liptia, erscheint mit Familie vom 13. bis 16. Juli 1830 und dann nochmals am 11. Mai 1831 im Fremdenbuch.

Ein sehr weit gereister Gast, Samuel J. B. Morse aus New York, Stati Uniti di Amerika, hat sich im Juli 1830 verewigt.

Felix Mendel ssöhn-BarthoIdi, Prussian, so unterfertigt am 10. Juni 1831 schroff und kurz der Tondichter des überaus zarten „Leise zieht durch mein Gemüt liebliches Geläute. Klinge, kleines Frühlingslied, kling hinaus ins Weite!“ So zarte Melodie würde man dem „Prussian“ fast nicht zumuten.

Nun folgt am 11. Mai 1839 eine erschütternde Notiz, besonders erschütternd für die Freunde unserer gefiederten kleinen Sänger: „Gestern sind hier auf dem Durchzuge bei 10.0 0 0 Wachteln gefangen worden, wie Herr Pagano eben sagte.“ - Nur Wachteln! Und nur ein Fangtag von den langen Rastzeiten unserer Singvögel wurde hier gezählt! —

Am 13. März 1833 läßt Hanns Heinz Ewers (offensichtlich der Ältere; nicht der Alraunendichter) ein launiges Poem vom Stapel, verärgert darüber, daß er auf Capri festsitzt:

Schon Tage vier auf dieser Insel! O Aeolus, du arger Wicht, du hörest nicht auf mein Gewinsel, du hörest auf mein Brummen nicht I Wie lange soll dies denn noch währen? Wie lange dieses Kreuz und Leid? Soll ich in Bosheit mich verzehren? Ertränken mich aus Herzeleid? Zwei Tage nur wollt' ich hier weilen, und zweimal zwei bin ich nun Uierl Und sieh — was künden diese Zeilen? Nichts anderes als Verzweiflung schier. Und jedem, der sie einst wird lesen, wird sich Verzweiflung folternd nah'n: daß ich ein solcher Tor gewesen, des Dichtens mich zu unterfah'n... t

„Der Alraunendichter selbst, Hanns Heinz Ewers (der Jüngere) hat sich mit einer Grußkarte am 12. April 1903 eingestellt. Er liebt das Mysteriöse, das Abwegige. Er schwelgt von der Grotta meravigliosa, von der düsteren, altheidnischen Kultstätte in der Matromania und von der sagen- und schauerumwitterten Blauen Eidechse auf den Faraglioniklippen.

Am 16. Mai 1833 lösen sich einige Unterschriften auf in einem verblaßten Fleck roten Capriweines. Jedoch das übermütige Motto davor erklärt hinreichend die Couleur: „Semper lustig! Numquam traurig!“

H. C. Andersen di Dannimarka zeichnet am 7. März 1834 und am 29. Mai 1846. Das zweitemal mit einem größeren Freundeskreis, aus dem vor allem der Name des dänischen Dichters Henrik Hertz hervorsticht. Beim ersten Besuch,

1834, hinterließ Andersen ein kurzes Gedicht in dänischer Sprache, worin er die Insel, die schönen Kinder, die Ausgrabungen in Pompeji und den Vesuv besingt:

Ich fand ein Land, des' Luft hat Himmelslust, wo unter Pinien schöne Kinder Gruß mir boten, wo Feuer bricht hervor aus Berges Brust, wo alte Städte auferstehen von den Toten.

(Übersetzt von einer anwesenden dänischen Reisegesellschaft.)

Nun folgt am 26. April 1834 Heinrich Brockhaus di Liptia und Ludwig Schwanthalerdi Monaco di Ba-viera (München in Bayern).

Jakob Alt, Maler von Wien, erscheint am 13. August

1835. Dann Guido Goerres (Rhenanus) am 11. September 1841. Wieder ein Münchner, Ludwig Thierseh, Maler, am 6. September 1851.

Am 21. April 1853 vermerkt Joseph Viktor Schef-f e 1 von Karlsruhe, Großherzogtum Baden, daß er vom 11. März bis zum 21. April 1853 hier sehr gut untergebracht war. Ein blitzsauber geschriebener Brief von ihm liegt dabei, in vollendetem Italienisch; ein Dankbrief an „Mio carissime Don Michele Pagano“, datiert vom 29. April 1853 aus Sorrent, also auf der Heimfahrt. Nach Monaten schickt der Dichter an das gastliche Haus Pagano eine spezielle Widmung, und zwar ein Exemplar der Erstausgabe des „Trompeter von Säckingen“.

Der jetzige Hotelbesitzer, Herr Manfredi Pagano, weiß aus der Familienüberlieferung zu erzählen, daß Scheffel selbst, so wie sein philosophierender Kater Hiddigeigei, zu nachtschlafender Zeit auf dem flachen Dach des Hauses auf und ab spaziert ist, während er an seinem Epos arbeitete. Das kam den anderen Gästen des Hauses zu Ohren, und in feucht-fröhlicher Runde wurde der Kaier — seit je ein Attribut trinkfester Studentenschaft — zum Symbol der Künstlerkneipe erwählt.

Der auf Capri heute noch respektvollst genannte Historiker Ferdinand Gregorovius di Königsberg di Prussia „lebte glücklich in diesem Hause, ehrlich und freundlich behandelt, vom 24. Juli bis 21. August 1853“. Er wird — nach dem eigenen Urteil der Capresen — ihrer Eigenart viel eher gerecht, als zum Beispiel Axel Munthe in seinem „Buch von San Michele“. (Siehe das kulturhistorische Werk „Capri, eine kleine Weltbühne“ von Edwin Cerio. Der Verfasser ist aus einer erbeingesessenen alten Patrizierfamilie — ein Nobile — auf Capri; der ungekrönte König der Insel; der arbiter elegantiarum in seinem Bereich. Ihm zur Seite seine kunstsinnige Frau, eine Rheinländerin.)

Am 23. Juli 1855- ist'H'eHwücfes-J fWeMüs Wien «ta-getragen, am 23. Juni 184 eimuRttpÄipt Roegger aus der Steiermark. • --••s--s (yhH~tsyeM ablßtnsMBm) wm Ji Vom 8. bis 24. August 1859 weilte Dr. Ernst Haeckel aus Berlin auf der meerumrauschten Insel. Sicherlich hat auch ihn das Phänomen der einzig und allein nur auf dem schmalen Plateau des mittleren Faraglioni vorkommenden blauen Eidechse beschäftigt.

Was sagen die Biologen zur blauen Eidechse? Eine ebenso ausgefallene Mutation wie die schwarze Eidechse auf den Balearen. Eine Folge der Inzucht auf engstem Lebensraum, bereits durch viele Zehn- oder Hunderttausende von Jahren. Seit jener Erdepoche, als durch tektonische Veränderungen das Mit-telmeerbecken eingesunken war und einzelne stehengebliebene Klippen isoliert wurden. Oder als die Landbrücke, die die Faraglioni bisher mit dem Festland verbunden hatte, abgesunken war.

Noch vor kurzem wagte es kein Caprese, auf der nackten und steilen Felsklippe emporzüklettern und in das sagenhafte Reich der blauen Eidechse einzudringen. Der Fluch, der auf diesem geheimnisvollen Wesen hafte, die Zaubermacht, die es gefangenhalten soll, sie schleuderte den verwegenen Eindringling rettungslos in die Tiefe.

Nun haben es der Gastwirt Luigi und sein Sohn doch gewagt, und es ist ihnen trotz der wütenden Angriffe der dort oben nistenden Möwen endlich gelungen, sechs dieser zierlichen, blau schillernden Tierchen herunterzubringen. Drei davon bekam das Terrarium in Neapel, drei behielt sich der Wirt, der am Fuße der Faraglioni eine Badeanstalt führt, und dem die Attraktion der seltenen Tierschau nun viele Gäste zuführt. Winston Churchill war einer der ersten, der sich in Luigis Fremdenbuch eingetragen hat.

Capri bedauert es heute noch, daß Goethe den Sprung von Neapel auf die Insel wegen der stürmischen See nicht machen konnte. Wenn er schon vom Festland aus begeistert nach Hause berichtet: „Et in Arcadia ego“ (in bewußter Umdeutung des allegorischen Gemäldes von Poussin). was hätte er erst von Capri zu schreiben gewußt? Und man ist ein wenig eifersüchtig auf das herrliche Goethe-Standbild in Rom, auf Sizilien und das Mignonmotiv, das sich Goethe auf seiner Italienreise geholt hat.

In Italien will man das „Haus — auf Säulen ruht sein Dach“ genau kennen, das den Dichter zur zweiten Strophe inspiriert hat. Man weiß in Palermo, daß der „Berg und sein Wolkensteg“, den Goethe in der dritten Strophe besingt, der Monte pellegrino, der Hausberg von Palermo, ist.

Ja, man ist sich auf Capri der Schönheit und des Liebesreizes seines Eilandes durchaus bewußt und findet die Insel über jeden Vergleich erhaben. Aber man trägt die lockenden Reize mit natürlicher Anmut, mit kindlicher Grazie zur Schau, ohne Koketterie, ohne aufdringliche Betonung.

Man erzählt gerne, daß bereits in sagenhafter Vorzeit der alte Odysseus recht beflissen seine Segel im Angesichte der „Klippe der Sirenen“, unweit der Marina piecola, gestrichen haben soll. Es ist ein weit gespannter Boden von Odysseus bis Winston Churchill.

Capri, eine bunte Palette von Farben, von Sprachen und Rassen; heute wie ehedem.

Und immer schon ein Künstlerparadies, ein Orplid der Träumer, ein Arkadien der Schönheitssucher.

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