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DIE LANDSCHAFT DER DICHTER

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Enea Silvio Piccolomini, später Papst Pius IL, hat um 1440 die Wiener Landschaft beschrieben; Antonio de Bonflni, Historiograph des ungarischen Königs Matthias Corvinus, übernahm die Schilderung fast wörtlich in seine 1545 in Basel erschienene Chronik: „Wiens ganzes Gebiet ist ein ungeheurer, herrlicher Garten.“ Der spätere Schottenschulmeister Wolfgang Scbmeltzl aber ließ in seiner „Comoedia der Hochzeit zu Cana“ (1543) den Wein vom „Kalnberg“ loben.

Verlassen wir Wien über Lainz und Mauer, ehemals Dörfer am südwestlichen Stadtrand, dann kommen wir zuerst nach Rodaun, wo seit 1901 Hugo von Hofmannsthal wohnte; Rainer Maria Rilke, Max Meli und viele andere waren in seinem Haus zu Gast; dann gehörte es der Dichterin und Malerin Maria Grengg, die die Erstausgabe von Josef Weinhebers „Wien wörtlich“ illustriert hat. Felix Braun schildert seinen Besuch im Jahre 1908, die erste persönliche Begegnung mit Hofmannsthal. Reinhold Schneider betritt ein halbes Jahrhundert später im „Winter in Wien“ das Haus und bedenkt aus geschichtsgestimmter Schau Adel und Untergang. Im nahen Enzersdorf, im „Romantikerhaus“, pflegten die Brüder Schlegel, Dorothea Schlegel, Josef von Eichendorff, Zacharias Werner und andere Umgang; Werner ist auf dem dortigen „Biedermeierfriedhof“ begraben. Ebenfalls in Maria-Enzersdorf verbrachte Grillparzer seine Jugendjahre; das Haus gehörte später dem Großvater des Dichters Werner Riemerschmied. Mödling wurde das zweite Refugium (neben Mönichkirchen am Wechsel) für Anton Wildgans seit 1915, dort ist sein Freund Franz Theodor Csokor geboren, im Mödlinger Waisenhaus wuchs Weinheber auf. So gehen von Dichter zu Dichter und von Ort zu Ort die Querverbindungen. Ein Teich im Enzersdorfer Garten hat in Grillparzers „Ahnfrau“ bleibende Erinnerung gefunden, und in Riemerschmieds Gedicht „Ausblick vom Frauenstein (Mödling)“ lebt ein Traum von „Teichen, blind wie abgenützte Spiegel, / um die der Wind sein ebnes Wehen wand“.

Der Wienerwaldwind ... Als leises „Windgeflüster im alten Weichselbaum“ verheißt er Erika Mitterer schönes Sommerwetter; „Vom Hollerbusch fächelt“ er bei Weinheber und läßt den Flieder im Abend schwerer duften, legt sich als Nachtwind „kühl in die schwärzlichen Nußbaumkronen“ und streicht bei Johann Nepomuk Vogl, dem biedermeierlichen Balladendichter, als Westwind „durchs Weinlaub, wie Gebet“. Bei Riemerschmied spielt er die Föhrenorgel — und das ist nur einer der zahlreichen Hinweise auf die Verbindung von Landschaft, Dichtung und Musik im Wienerwald und seiner Poesie.

Bei Mödling liegt die „Königswiese in der Vorderbrühl“, der Peter Altenberg ein Feuilleton geschrieben hat: „Ganz von dunklem Wald umsäumt, wie ein riesiger Teich von hellem grünem Grase... so waren die Wiesen, bevor es Menschen auf der Erde gab“. Landschaftszauber ist aber nicht der einzige Zauber des Wienerwaldes. Da gibt es in den Zauberstücken des Alt-Wiener Volkstheaters Teufelsmühle und Teufelsstein, das Donauweibchen treibt sein Spiel, Ferdinand Knauer hat 1801 die romantische Geschichte aus der österreichischen Vorzeit „Das Wienerwaldweibchen“ erzählt. Sehnsucht nach dem Zauber erfaßt Nikolaus Lenau in einem seiner „Waldlieder“, wenn Merlin bald gewitternd und mit flatterndem Haar, dann aber unter von Mondesblicken gestillten Blättern die Natur belauscht. (Die „Waldlieder“ sind im nördlichen Wienerwald entstanden.) Und einen ganz anderen, gleichsam christlichen Zauber, läßt Felix Braun in seiner Legende „Wunderstunden“ zwischen Klausen-Leopoldsdorf und Heiligenkreuz (im südlichen Wienerwald) zu frommer Poesie erblühen. In Heiligenkreuz sitzt am 30. März 1966 Hans Carl Artmann und teilt seinem „engel“ mit, er wisse noch nicht, wohin ihn der Wind tragen werde, „im wienerwald geht man ja doch bloß seiner nasen nach.“ „die ganzen berg rundherum steht wie frisch badt in der sonn, alles ist so neu als wär's der erste tag und überall aus dem alten iaub kommen die jungen primeln vor.“

Im Umkreis der Brühl hat Ferdinand Raimund glückliche Tage verlebt. Nicht umsonst vergleicht sein „Barometermacher auf der Zauberinsel“ sie an Schönheit mit der Schweiz. Raimund ist ihr bekanntester Liebhaber — ein Liebhaber, den es freilich weiter hinaustrieb, nach Gutenstein, von wo er, vermeintlich todgeweiht, an einem gewittrigen Tage der Stadt zustrebte, aber nur noch die Ausläufer des Wienerwaldes in Pottenstein erreichte, ehe er sich eine Kugel in den Kopf jagte; ein Liebhaber, der seiner Toni Wagner 1824 aus der Brühl schrieb: „Jeder Fels und jeder Baum wird mir deinen Namen entgegentönen“, und in anderen Briefen an sie waren es bald die „üppigen Wiesen“, die „blumige Einsamkeit“ und der „leichte Schwung der Schmetterlinge“, die ihn hoffen ließen; ein Liebhaber — aber nicht der einzige. Ernst Moritz Arndt ist auf seiner „Reise durch einen Theil Teutschlands“ (1798), in der er die Umgebung Wiens ausführlich schildert, von den wunderbaren Massen aufeinander getürmter Kalksteine und von den sanften Übergängen beeindruckt, wenn nämlich die Felsen, „oben mit Buchen und Tannen bekränzt, zu Feldern und Wiesen werden und freundlich sich zu den Dörfern hinabsenken“. Auch Adalbert Stifter findet die Gegend reizend. Lenau wollte 1844 in der Klause bei Mödling ein Haus kaufen, um „in dem Felsenneste“ auszuruhen, wie er 1844 aus Stuttgart an Sophie von Löwenthal schreibt; aber es kam nicht dazu; er war schon von seiner Todeskrankheit berührt.

Mitte der neunziger Jahre logierte Hofmannsthal häufig in der Brühl, ließ sich von Arthur Schnitzler Radtouren zusammenstellen. Schnitzler hatte dem Freund 1893 brieflich nahegelegt: „Sie müssen Bicycle fahren lernen!“, und der spätere Briefwechsel zeigt, wie sehr beide diesem Vergnügen, gerade in der Umgebung Wiens, nachgingen. 1904 heißt es dann in einem Schnitzler-Brief, „die vielen mühelosen Dahinraser im Automobil verderben einem die naive Freude“.

Haben wir die Brühl passiert, liegt an der Straße nach Heiligenkreuz Raimunds Domizil Gaaden. Hier vollendete er den „Verschwender“, 1833 im November — keine Jahreszeit für Landaufenthalte. Von einer Fahrt mit Raimund hierher im März 1834 berichtet der Schauspieler Wilhelm Walter: Man unternahm gleich am Ankunftsabend einen Spaziergang in völliger Dunkelheit. Trotz kühlem Wetter früh-

stückte man nächstentags im Freien und dann wurde eine stundenlange Wanderung durch den Wald unternommen. Eduard von Bauernfeld und — mit unangemessener Übertreibung — Ignaz Franz Castelli erzählen, daß eines Sommers Raimund und Grillparzer einander in dieser Gegend getroffen hätten (es könnte aber auch bei Gutenstein gewesen sein), Raimund mit Schriften in der Hand und harz- und pechverschmiertem Anzug. „ ,Aber, Raimund, wie sehen Sie denn aus?' rief ihn der Tragiker an. ,Na, wie soll man denn ausschau'n', erwiderte dieser barsch, ,wenn man auf die Bäum' sitzt und dicht't?' “ (Bauernfeld).

In Sulz, nordwestlich von Gaaden, wohnte Wildgans' Jugendfreund, der Schriftsteller Arthur Trebitsch. In einem Brief von 1905 dankt Wildgans ihm für liebe Erinnerung an einen Spaziergang nach dem naheliegenden Wildegg: „Ein Frühsommertag — zwei Menschen, die es miteinander versuchen wollen... Ein grüner, tief grüner Wiesenhang und dort ein Schloß — wie aus dem Märchen... Es gibt Dinge, die sich nicht wiederholen, die uns aber den Trost wenigstens gewähren, daß sie unvergeßlich sind.“ Und doch: In Sulz traf Wildgans im'Dezember 1907 mit seiner späteren Frau Lilly zusammen, und wieder blieb ein Erinnern an zwei Menschen, die „aus der Gleichgültigkeit und Einsamkeit des Lebens... in den tiefen verzauberten Frieden der Natur“ schritten. „In solcher Landschaft soll man in Liebe gehen“, beginnt ein „Wienerwald“-Gedicht Heimdito von Doderers.

Wechselnde Stimmung im Kurort Baden! Ein Eipeldauer-Brief des Josef Richter (1794) richtet die „curiosen Kranken“ aus, die in den Vormittag hmeinschlafen, tagsüber Karten spielen, „wie d' Halter“ fressen, abends ins Theater, ins Casino oder zum Tänzen gehen und bis spät in der Nacht „den Menschern“ nachlaufen. Und der Schwefelgestank! „Ich glaub, d' HÖH kann unmöglich weit von Baden weg seyn.“ Altenberg aber schwärmt die Kastanienblüten an. Grillparzer, 1818 mit der Mutter hier, wird mit der Idee zum „Goldenen Vlies“ beglückt. Grillparzer-Feind Moritz Gottlieb Saphir spottet, im Kurpark hätten sich „mittags schmucke Liebesromane und abends Küsse und ausgetauschte Schwüre“ auf den Zweigen gewiegt. Im gleichen Park spielt übrigens ein Teil der Erzählung „Brennendes Geheimnis“ von Stefan Zweig, die Episode eines Knabenerlebens in einer gewittrigen Nacht.

Wenn hier zum zweitenmal ein Gewitter erwähnt ist, darf man vielleicht an den Bericht von Ludwig August Frankl erinnern, wie er mit Freuraden nach Lenaus Begräbnis (1850) im nächtlichen Garten des Klasterneuburger Stifts, dem Wein und der Erinnerung ergeben, von Lenau sprach. „Kein Luftzug wehte, die Sterne leuchteten ruhig auf die Wipfel der Bäume. Als ich meine Auseinandersetzungen mit den Worten schloß: ,Und so wurde Lenau wahnsinnig!', schlug plötzlich ein Windstoß in die Bäume, so mächtig, daß Zweige an ihnen zersplitterten.“ Gemahnt es einen da nicht auch an Ödön von Horvath, dep Dichter der bitteren „Geschichten aus dem Wienerwald“, der in Paris am Rond-Point auf den Champs-Elysees 1938 von einem im Sturm stürzenden Kastanienbaum erschlagen wurde? In Laaben, ganz im Westen des Wienerwaldes, steht bei Alfred Gesswein, einem Zeitgenossen, im November die Sonne am Ende der Welt; „Zögernd fingert“ der Wind „an den bleichen Fäden der schnellen Zeit“. Ein wenig außerhalb, in Kirchstetten, lebte zuletzt und starb Weinheber und wurde „wie ein geliebter alter Familienhund“ begraben, schreibt Wystan Hugh Auden^ der sich vor einigen Jahren im gleichen Ort angekauft hat.

Im Westen Wiens schmiegt sich an die Stadt der Lainzer Tiergarten, dessen Mauer Johann Nestroy als „Junges der chinesischen Mauer“ bezeichnet hat, liegt Weidlingau, wo Doderer geboren ist, das Karl Kraus in sein Gedicht „Jugend“ gebracht hat. Abseits vom Tal des Wienflusses stoßen wir auf die Kartause Mauerbach und auf Hinterhain-bach, den beliebten Aufenthaltsort Stifters. Der Maler Albrecht in seinen „Feldblumen“ kann von hier durch die Buchenzweige „auf die dämmernden Farben der Tiergartenwälder“ sehen; „höher hängt in dem Laubwerk das blaue Email des Himmels, in tausend Stücke zerschnitten, wie lauter Vergißmeinnicht“.

Vielen Schreibern fällt angesichts der Wienerwaldhügel der Vergleich mit Meer und Wasser ein: So sieht der vor-märzliche Johann Gabriel Seidl die Berge wie gestockte Wellen stehen, und für die kleinen Täler, in denen die Vororte liegen (sie haben viele Dichter beherbergt: Theodor Körner, Ludwig Unland), fällt irgendwo das Wort Buchten. Auf erste glückliche Ehemonate in Untertullnerbach an der Westbahn bezieht sich das „Triptychon der Liebe“ von Wildgans:

„O Himmel über uns, zerfließender Opal! Im Grase liegen, wie auf einer Zille Dahingetragen, und nur manches Mal Aufschaun, wenn wolkenfern der weh und schrille Schrei kreisender Bussarde, fein wie Stahl, Ein Äderchen der schlaf ernd-süßen Stille Durchschneidet — und aus Träumen sich besinnen, Daß uns kein Strom, kein Nachen trug von hinnen.“

In der Charakteristik der Landschaft bei Altlengbach, die uns Jeannie Ebner in ihrem Roman „Figuren in Schwarz“ gibt, sind die Konturen der Hügel in sanfter Bewegung auf die Ferne, das Ungewisse zu. Als der zurückgehaltene Frühling 1897 plötzlich kam, dünkte er Hofmannsthal „so warm und so farbig, daß die Farben der Blumenbeete, der Baumwipfel und des Himmels mit ihren Contouren auszutreten und die Luft zu überschwemmen schienen“. Schein — er löst auch die festen Konturen der Theaterszenerie auf, wenn Schnitzler für das Bühnenbild seines Einakters „Die Gefährtin“ eine Sommerfrische unweit von Wien vorsieht: „Ganz fern, verschwimmend, mäßige Berge.“ Grillparzer schon hatte erkannt, daß dieses Verschwimmen und Schweben auch den Geist erfaßt: „Man spricht nicht, denkt wohl etwa kaum / und fühlt das Halb-Gedachte.“ Der wache Jung-deutsche Heinrich Laube konnte es am eigenen Leib ersparen: „Ich strich im Geschwätz und Sommerträumerei gedankenlos durch das Grün... nichts weckte mich aus dem Halbschlummer meines Geistes und Herzens.“

Der Wienerwald, wie wir ihn nur aus den Stimmen und Schicksalen einiger Dichter ein wenig kennenlernen konnten, ist — um mit Doderer zu sprechen — „eine nicht unbedenkliche Landschaft“. 1904 schrieb Schnitzler an Hofmannsthal, die Landschaft um Wien habe ihn beinahe immer so ergriffen, „als käme ich nach langen Jahren von irgendwoher in diese heimatliche Wundersamkeit zurück“. In Weidling ist auf eigenen Wunsch Lenau begraben. Nicht weit davon, im Kierlinger Sanatorium, starb Franz Kafka. „Hinter dem Gitter Wald, rötlich belautot... Stille“, schreibt Schnitzler für den 4. Akt seines Schauspiels „Der einsame Weg“ vor, und der Johanna gibt er die Worte, „der Tag ist noch viel schöner und trauriger, als ich ihn je hätte ahnen können“. In den „Wiener Elegien“ von Ferdinand von Saar ist der Geruch der Vergänglichkeit und des Alters zu atmen. Für den jungen Luzemer Rene Altmann, der in Wien lebt, baut die Stadt an jedem Herbsttag „ein kaiserliches Karlsbad in die Luft“. Elegisch schrieb Leopold von Andrian „Dem Dichter Österreichs (Hugo von Hofmannsthal zum 50. Geburtstag)“:

„Entsinnst diu dich, wie einst im Abendwind Schwarzgelb die Fahnen uns entgegenwehten, Da wir, von Versen und vom Duft des späten Augusttags trunken, ausgegangen sind!“

Zuletzt gehen sie einsame Wege, viele Dichter des Wienerwaldes. Sie hören ihrem eigenen Sterben zu. Selbst der kühle Norddeutsche Friedrich Hebbel vermerkte in seinem Tagebuch, Mai 1851, im Vorort Penzing: „Wenn man im Frühling so im Freien sitzt und die Augen schließt, hat man eindämmernd ein Gefühl, als ob man selbst zu leben aufhörte und alles andere von uns freigegeben zu leben anfinge.“ Dieses „milde Sterben“ (Lenau) mag ein' wenig wie der sommerliche Sonnenuntergang erscheinen, in dem Eichendorffs Taugenichts Heimat und Frieden der Liebe findet: „Es schimmerte nur noch wie ein rötlicher Duft über dem warmen verschallenden Abend, aus dem die Donau immer vernehmlicher heraufrauschte, je stiller es ringsum wurde.“

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