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Heinrich Suso Waldeck

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Am 4. September 1943 starb in St. Veit im Mühlkreis der pensionierte Kooperator August Popp. Die Ortsbewohner liebten den leutseligen alten Priester. Die wenigsten wußten, daß er draußen in der großen Welt unter dem Namen Heinrich Suso Waldeck als einer unserer großen Dichter bekannt war. Sein Leben war oft sturmbewegt und leidvoll gewesen.

In Wscherau bei Pilsen kam er am 3. Oktober 1873 als das älteste Kind des Sdwllehrerpaares zur Welt. Seine väterliche Vorfahren waren Egerländer Bauern. Der mütterliche Großvater war Arzt, die Waldecks stammten aus Oberösterreich und waren Lehrer und Kaufleute. Bald kam der begabte Knabe, der übrigens ein Mitschüler des ebenfalls aus Wscherau stammenden Bildhauers Franz Metzner war, nach Pilsen \ ins Gymnasium, dessen „Überwindung“ ihm nach allerlei tollen Streichen gelang. Er hieß Augustinus und führte, wie einst sein Namenpatron, ein flottes Weltleben, als ihn die Missionspredigt der Redemptoristen erschütterte. Im Sommer 1895 trat er in ihr Kloster zu Eggenburg in Niederösterreich ein, der heiligmäßige P. Janauschek wurde sein Novizenmeister. Nach Ablegung der einfachen Ordensgelübde begann er in Mautern in Steiermark das Theologie-studium, wo er mit P. Adolf Innerkofler als Lehrer und mit dem erst heuer verstorbenen Fran2 Luger als Mitschüler zusammentraf. Seit in der Zelle des heiligen Klemens Maria Hofbauer die Romantiker aus- und eingegangen waren, fanden sich im Redemptoristenorden immer wieder literarisch interessierte Männer, unter denen vielleicht der berühmte Johann Emauel Veith und die zwei Brüder Passy die bekanntesten sind. Auch der junge Luger war ein versteckter Literat und witterte in Popp alsbald den Dichter. Er bewunderte seine Literaturkenntnis und entlockte ihm manchen Zettel mit kostbaren Versen, die Popp achtlos hingeschrieben hatte, um sie wieder zu verlieren. Als die reifen Kornfelder wogten und die Sense rauschte, stand Augustin Popp als Priester am Altare. Im selben Jahre hatte der Schnitter Tod in der Heimat seinen Vater heimgeholt. Von ihm her lag ein dunkles Erbe im Sohn: neben epikureischer Heiterkeit düstere Schwermut. Nach dreijähriger Tätigkeit im Orden als Lehrer im Redemptoristenseminar zu Katzelsdorf bei Wiener Neustadt und an anderen Orten kam er nach Wien. Er merkte, daß er den Anforderungen des strengen Ordenslebens nicht gewachsen war, Arzt und Seelenführer rieten ihm, in Rom um Dispens von den Gelübden anzusuchen. Bevor noch das Gesuch erledigt war, brach August Popp seelisch zusammen. Die folgenden Jahre wirkte er als Seelsorger im Viertel unter dem Manhartsberge. Sein väterlicher Großvater war einst in seiner Jugend als junger Bauer durchgebrannt und nach allerlei Wanderfahrten aus • Frankreich als gelernter Orgelbauer heimgekehrt. Unruhiges Blut pulste auch im Enkel. Im Jahre 1906 ging er aus der Wiener Erzdiözese als Kaplan nach Steiermark. Nach allerlei Mißverständnissen wandte er sich nach Sachsen um Aufnahme als Seelsorger. Als sein Gesuch unerledigt blieb, ging er durch und lebte nun in Dresden als Beamter und Schriftsteller. In späteren Zeiten nannte er diese Periode seine „wirren Jahre“. Sein Gewissen und seine Nerven kamen nicht zur Ruhe. Nach vielen Irrwegen kam er wieder nach Wien. Er hatte schon den Weg zurückgefunden, als er am Aschermittwoch 1913 die Kirche auf der Laimgrube betrat und dort die Fastenpredigt seines Jugendfreundes Professor Luger hörte. Er selber war damals in der Redaktion des „Neuigkeits-Welt-Blattes“ tätig. Nur der Chefredakteur wußte um sein Priestertum und sein trauriges Los. Er sehnte sich nach einer Aussprache mit Luger.In einem erschütternden Briefe vom 7. Februar 1913 gestand er ihm, wie seine kranken Nerven ihn jahrelang fernab vom rechten Wege festgehalten hätten, daß er in diesen Jahren auch in einer Nervenheilstätte gewesen wäre und bekannte, daß er allerdings auch nicht ohne alle Schuld sei. Nach langem Warten während der leidvollen Kriegsjahre konnte er im Jahre 1918 wieder als Seelsorger in der Wiener Erzdiözese wirken. Als Kooperator vor. St. Othmar im 3. Bezirk erteilte er auch Religionsunterricht an der Mittelschule. Im Jahre 1924 trat der so vielfach kranke August Popp als Kooperator offiziell in den Ruhestand, -war aber auch weiterhin tätig als Seelsorger be: Klosterfrauen und im Lainzer Krankenhaus. In diesen Jahren wurde in August Popp der Lyriker entdeckt. In Verehrung für den großen Mystiker nannte er sich Heinrich Suso, von seiner geliebten Mutter fügte er den Namen Waldeck hinzu.

Dr. Michaelis, der Germanist an der Mittelschule, wo August Popp Religionsunterricht erteilte, gewann das Vertrauen des verschüchterten Dichters. Dr. Luger im Verein mit Dr. Katann und Dr. Goja legten ihm die im Laufe der Jahre gesammelten Verse vor. Zu Weihnachten 1926 erschienen in der Officina Vindobonensis die „Antlitzgedichte“. Diese Verse voll Verträumtheit, Schauer, Realistik und Mystik, wie sie in Jahrzehnten zwanglos geworden waren, ließen die literarische Welt aufhorchen und brachten dem Dichter den Preis der Stadt Wien ein. Daß diese Verse veröffentlicht wurden, verdanken wir dem Mut des Verlegers Robert Haas. Mancher andere Verlag hatte abgelehnt. Heinrich Suso Wal deck war eine bekannte Persönlichkeit geworden. In der „Leostube“ sammelte er durch Jahre hindurch allwöchentlich seine Getreuen: namhafte Dichter, Schriftsteller, Musiker, Bildhauer, Maler und mannigfache Kunstfreunde. Meist war die Geisterstunde vorbei, wenn die letzten „Leostübler“, um ihren Meister geschart, das Cafe Fichtehof verließen. Audi namhafte Größen wurden in diesen Kreis eingeladen. Welche Bedeutung dieser Kreis hatte, sagen noch heute die Bücher der „Leostube“. Unter den vielen Namen lesen wir: Richard Billinger, Theodor Csokor, Siegfried Freiberg, Gertrud v. Le Fort, Pauia Grogger, das Künstlerpaar Carry und Gertrud Hauser, Franz Krieg, Petrus Klotz,Adele Kment, Josef Lechthaler, Dora von Stockert-Meynert, Erika Mitterer, Thomas Mann, Josef Mumbauer, Friedrich Muckermann, Josef Neumaier, Karl Pschorn, Paula v. Preradovic, Andre Roder, der die nunmehr im Besitze der Stadt Wien befindliche Suso-Waldeck-Büste geschaffen hat, Ernst Scheibelreiter, Erika Spann-Rheinsch, Ter-ramare, Ernst Thrasolt, Leo Weismantel, Paul Keller, Rudolf Henz und andere. Susos Kreis weitete sich durch seine mannigfachen Radiovorträge. Er war der Gründer und lange Zeit der Träger der „Geistlichen Stunde“. Er wendete sich immer an alle, denn er war überzeugt, daß jede Menschenseele nach den Wahrheiten des Christentums hungere, und er sprach aus einer tiefen Lebenserfahrung. Mancher hat in diesen Jahren durch Suso Waldeck zu Gott gefunden. Als Mitarbeiter der • verschiedensten Blätter und Zeitschriften war er gesucht. Sein literarisches Urteil hatte Gewicht. Gleichzeitig suchten aber auch viele Arme und auch Spekulanten den Dichter, der selten Geld hatte, in seiner Klause auf. Manchem verhalf er in diesen Jahren durch seine Beziehungen zu den verschiedensten Kreisen zu Arbeit und Brot. Und dabei war er längst ein schwerkranker Mann, der oft dem Tode ins Auge sah. In den Nachtstunden saß er bei Zigaretten und Mokka an der Arbeit. Den „Antlitzgedichten“ folgte der Wiener Episodenroman „Lumpen und Liebende“, ein Buch voll Tiefe und Weite, das von Enrika v. Handel-Mazetti und Josef Mumbauer hoch geschätzt wurde. Es erschienen der Versband „Die milde Stunde“ mit dem grandiosen „Psalm zu Gott Geist“ als Höhepunkt und der „Hilde-michl“, Märchen für Erwachsene, die alle irgendwie auf der Insel „Quarinostra“ spielen. Manches Werk war noch geplant. Der März 1938 brachte ein jähes Ende. Suso Waldeck war von der Ravag gekündigt. Ein förmlicher Verfolgungswahn ließ ihn gesundheitlich neuerdings zusammenbrechen. Er stand finanziell vor dem Nichts. Der kurz vorher ihm zugewiesene „österrei-diische Staatspreis“ war längst unter bedürftigen und berechnenden Zeitgenossen aufgegangen. Audi die Tante Marcsa (Fräulein Maria Sipöcz), des Diditers große Wohltäterin seit den zwanziger Jahren, war durch den März 1938 schwer getroffen. In diesen Tagen fand er bei den Klosterfrauen in der Kaiserstraße und später in deren Filiale in St. Veit im Mühlkreis ein neues Heim. Die tatkräftige Hilfe des Wiener Erzbischofs Kardinal Innitzer und die Bemühungen seines treuen Freundes Ernst Scheibelreiter sicherten ihm die Existenz. So schön man ihm das Leben auch machte, er litt furchtbar unter der Vereinsamung. Nur selten konnte er ein literarisches Gespräch führen. Durch die Kriegsereignisse war mancher Faden gerissen. Der Weg in die öffentlidikeit blieb ihm versperrt, da die Reichsschrifttumskammer ihn ablehnte. Jedes Brieflein aus Wien brachte Sonne in seine Stube. Um seine dunklen Nächte wußte nur die treue Pflegerin Schwester Lioba und der biedere Dorfsdimied Josef Gahleitner, der mit kindlicher Liebe den „Herrn Professor“ verehrte. Zeitlebens trugen viele ihr Leid zu ihm, der nach eigenen Irr- und Leidenswegen so viel Verständnis zeigte. So war es auch in St. Veit. Suso Waldeck stand über allen Richtungen, er konnte auch jedem ungeschminkt die Wahrheit sagen. Der Besuch Josef Weinhebers, mit dem er in den letzten Jahren manche Nikodemusnacht in ernstem Gespräche verbracht hatte, war eine seiner letzten Freuden. Der Dichter und Verlagsleiter Richard Knies, mit dem er viele Jahre hindurch in freundsdiaft-lichem Briefwechsel stand, kam auf Susos Verlangen noch wenige Tage vor dem Tode. Schon stand der schweigende Engel an der Pforte und spendete ihm mit ernsten, allzu bleichen Händen den Stab zur letzten Wanderschaft. Auf Drängen des Arztes brachte der Pfarrer den Leib des Herrn. Immer wieder sprachen die sterbenden Lippen: „O vanitas vanitatum!... Dies irae, dies illa... Ich sterbe in der Gnade Gottes. .. Mein Gott, ich lege dir mein sündiges Herz zu Füßen ...“

In einem harten Todeskampf brach dieses Herz am Vormittag des 4. September 1943, vielleicht die reifste Frudit, die der Erde unseres Heimatlandes in diesem Herbst in den Schoß fiel, während draußen vor den Fenstern so fein wie überzartes Glas das Birnenlaub erklirrte.

Nunmehr liegt es an uns, das Gesamtwerk dieses seltenen Mannes, der der unsrige war, der Öffentlichkeit zu schenken. Auch seine Biographie ist im Werden. Manches ist leider schon durch die Kriegsereignisse zugrunde gegangen, mancher wichtige Gewährsmann ist nicht mehr. Es soll schon in der nächsten Zeit mit der Neuauflage und mit erstmaligen Veröffentlichungen der Werke Heinrich Suso Waldecks begonnen werden.

Alle, die ihn gekannt haben, werden gebeten, etwaige Briefe, unveröffentlichte Gedichte, Erzählungen, Photos usw. bekanntzugeben, beziehungsweise im Original oder Kopie im Interesse des Werkes zur Verfügung zu stellen. Besonders begehrt sind biographische Quellen. (Anschrift: Suso-Waldeck-Freunde, Wien, III., Apostelgasse 2.)

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