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Die Generationsbilanz einer Elite

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Während dreißig langer Jahre, die so schnell vergingen, haben wir auf den Kulturseiten der FURCHE versucht, durch kritische Berichte aus Wien, den Bundesländern und den wichtigsten europäischen Kunststädten, sowie von den verschiedenen Festspielen, unsere Leser darüber zu informieren, was auf dem Gebiet des Theaters, der Oper, der Konzertmusik sowie in der bildenden Kunst und im Film, einschließlich des Fernsehens, während der letzten Jahrzehnte geschah. Wert und Aufgaben der Kritik — das ist ein weites Feld und ein unerschöpfliches Thema, über das es nicht nur eine Fülle brillanter Essays und ganze Bücher gibt, sondern dem immer wieder auch Podiumsdiskussionen und mehrtägige Kongresse gewidmet wurden...

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Während dreißig langer Jahre, die so schnell vergingen, haben wir auf den Kulturseiten der FURCHE versucht, durch kritische Berichte aus Wien, den Bundesländern und den wichtigsten europäischen Kunststädten, sowie von den verschiedenen Festspielen, unsere Leser darüber zu informieren, was auf dem Gebiet des Theaters, der Oper, der Konzertmusik sowie in der bildenden Kunst und im Film, einschließlich des Fernsehens, während der letzten Jahrzehnte geschah. Wert und Aufgaben der Kritik — das ist ein weites Feld und ein unerschöpfliches Thema, über das es nicht nur eine Fülle brillanter Essays und ganze Bücher gibt, sondern dem immer wieder auch Podiumsdiskussionen und mehrtägige Kongresse gewidmet wurden...

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Bedenkt man die Wirkung, die ein Kunsturteil, an viele tausend Leser herangetragen, auslösen kann, so wird die Verantwortung evident, die der Kritiker zu tragen hat. Daher würde ich persönlich („wenn Sie mich fragen?“), zumal es „Eignungsprüfungen“ auf diesem Gebiet nicht gibt, für ein Mindestalter von etwa 30 Jahren plädieren. Denn des Problematischen bleibt auch für den reiferen, mit Sachkenntnis und Sensibilität ausgestatteten Kunstkritiker noch genug. So zum Beispiel hat auch der um Sachlichkeit ehrlich Bemühte seinen eigenen, ganz persönlichen Geschmack, seine Vorlieben und Phobien. Und sein Temperament soll der Kritiker zwar unter Kontrolle halten, aber keineswegs verleugnen. Das schützt ihn vor Fadesse und langweiligem Fachjargon. Hier freilich lauert auch eine Gefahr: Daß der Krittler sich zum Clown oder zum Beckmesser erniedrigen läßt. Und das Schielen nach der Wirkung, oft nur durch ein billiges Wortspiel hervorgerufen, gehört — leider — zu den professionellen Deformationen dieses aufregenden, anstrengenden, engagierten und gefährlichen Berufes.

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Wie auch immer: Nie sollte der Kritiker vergessen, daß seine „Objekte“ Menschen sind, produktive oder reproduzierende Künstler, beide von mimosenhafter Empfindlichkeit. Die Ausnahmen sind selten. Und auch sein Lesepublikum ist sehr sensibel und oft fanatisch für den oder jenen Künstler, diese oder jene Richtung engagiert.

Die unabdingbare Fähigkeit, sein Urteil zu „verbalisieren“ (die wir auch gleich an den Beginn unserer Ausführungen hätten setzen können), birgt die Gefahr des um jeden Preis brillanten Formulierens, die wir bereits angedeutet haben. Kommt aber noch die Neigung oder Willfährigkeit (dem Publikum oder seinen Dienstgebern gegenüber) hinzu, deren Sucht, Personalien, Indiskretionen, Hintertreppengeschichten oder die Schilderung der Spiele der Mächtigen hinter den Kulissen zu enthüllen, so hat der Kritiker die in ihn gesetzte Erwartung als Journa-

Zist, d. h. als Tagesschreiber, zwar erfüllt, seinen Beruf, seine Berufung, seinen Auftrag und die Moral des Kunstkritikers aber verletzt, oft für immer vertan.

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Wir haben auf diesen Blättern bewußt darauf verzichtet, Stories zu bringen. Auch mit Fragen der Administration, der diversen Direktorien

und Machtkämpfe, die sich ja zuweilen im Tempo jener der Französischen Revolution abspielten, zumal auf Wiener Boden, haben wir uns an anderen Stellen des Blattes beschäftigt: in der Innenpolitik oder in Leitartikelform auf der ersten Seite. Denn für den Kunstkritiker gilt nur, was zwischen halb acht und zehn Uhr (bei einer Wagner-Oper oder einer Strehler-Inszenierung dauert's ein wenig länger) auf der Bühne oder einem Konzertpodium geschieht oder was in einer Galerie zu sehen ist. Die Vermengung nämlich von Kolportage und Reportage mit dem Kunstbericht, der Kunstkritik ist verhängnisvoll. Es hat sie in früheren Zeiten zwar auch schon gegeben, sie erreicht in unseren Tagen aber ein Ausmaß, daß die eigentliche „werkimmanente“ Kritik durch allerlei News, Prognosen — meist falschen — und Kombinationsspiele fast ganz verdrängt ist.

Hier stellt sich zwangsläufig die Frage: Für wen schreibt der Kunstkritiker eigentlich? Für die Künstler? Für die Veranstalter? Oder für sein Publikum? Natürlich sind, während er formuliert, alle diese in seinem Bewußtsein präsent. Vor allem aber sollte es ihm auf die Kunst ankommen. Sie sollte er verteidigen — oder Produkten offensichtlicher Scharlatanerie entgegentreten. Diese vom wirklich Neuen, ehrlich Erstrebten, wenn auch noch nicht ganz Gekonnten und Realisierten zu unterscheiden, bedarf es eines besonderen „Sensoriums“. Und was eben dieses betrifft, muß der Kritiker auch den Mut haben, gegen sein Publikum zu schreiben. Doch auch hier macht der Ton die Musik. Gehässigkeiten und Invektiven sind keineswegs am Platz. Denn auch der Kritiker kann sich irren. Vor allem aber gilt für den ganzen Kunstbereich das Wort Hofmannsthals: „Die Regeln des An-standes und des guten Geschmacks, richtig verstanden, sind wegweisend auch im Geistigen.“

Was nun den Ton, die Art der Kritik, auch wenn sie negativ sein

mußte, betrifft, so konnten wir während dieser vielen Jahre mit Genugtuung einen weitgehenden Konsens nicht nur zwischen allen auf diesen Blättern Schreibenden untereinander, sondern auch mit unseren Lesern feststellen. Von den vielen hundert Briefen, die, soweit sie den Kulturteil der FURCHE betrafen, alle durch meine Hand gegangen sind,

war nicht ein einziger, der von uns eine härtere Gangart, einen schärferen Ton gefordert hätte. — Zwar deckten sich die Urteile unserer Leser im einzelnen nicht immer mit jenen des betreffenden Referenten. Aber zu grundsätzlichen Differenzen ist es, obwohl hier jeder seine freie, unzensurierte Meinung sagen durfte, nie gekommen. Für unsere „Sachlichkeit“ haben uns unzählige, d. h. ungezählte, gedankt. Aber der „Trend“ der Zeit, wie er sich vor allem in der Boulevardpresse manifestiert, scheint in eine andere Richtung zu weisen.

Er betrifft auch das stets beliebter werdende „Interview“, das Frage-und-Antwort-Spiel, das immer breiteren Raum einnimmt. Ich persönlich habe, mit Notizblock oder Tonbandgerät ausgerüstet, in allen diesen Jahren kein einziges Interview gemacht, sondern lediglich den Inhalt einiger Gespräche aufgezeichnet, die mir wichtig schienen: mit Igor Strawinsky, mit Thomas Mann, Reinhold Schneider, Thornton Wilder, Ernst Krenek, Gottfried von Einem und vielleicht noch mit eini-

gen anderen, an die ich mich jetzt nicht mehr erinnere. — „Gespräche“ freilich hat es viele gegeben, mit Schaffenden, Reproduzierenden und Disponierenden. Und da konnte man oft Wichtigeres erfahren, als was bei einem „echten“ Interview herauskommt: eben gerade deshalb, weil der jeweilige Partner wußte, daß er nicht „beim Wort genommen“ wird und auf Diskretion rechnen kann.

Was nun den zweiten Teil unseres Kulturteiles betrifft, die Literarischen Blätter, früher „Der Krystall“, so galt dieser als „konservativ“. Wir selbst empfanden uns als Liberal-Konservative, insofern der Begriff „liberal“ Toleranz und Pluralität be-

deutet. Doch dies mögen die nachfolgend aufgezählten Namen unserer Autoren und Mitarbeiter bezeugen.

Hier veröffentlichten nämlich nicht nur Thomas Bernhard und Christine Busta ihre allerersten Verse (die letztere bereits 1946, noch unter dem Namen Christine Dimt; im Jahr darauf wurde sie durch ein Prosa-Preisausschreiben der FUR-

CHE primo loco ausgezeichnet und einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt), sondern hier schrieben auch die Angehörigen dreier Schriftstellergenerationen von Felix Braun, Paula Grogger, Max Meli, Gertrud von le Fort, Franz Theodor Csokor und Alexander Lernet-Holenia bis zu den jüngsten. Die folgende Reihung bedeutet keinerlei Wertung, sondern folgt ein wenig dem Alphabet: Eugen Andergassen, H. G. Adler, Kurt Benesch, Ingeborg Bachmann, Johann A. Boeck, Thomas O. Brandt, Alois Brandstätter, Milo Dor, Dora Dunkl, Jeannie Ebner, Herbert Eisenreich, Reinhard Federmann, Siegfried Freiberg, Gertrud Fussen-egger, Johann Gunert, Michael Gut-tenbrunner, Hans Heinz Hahnl, Eduard Christoph Heinisch, Peter Henisch, Rudolf Henz, Martha Hofmann, Alma Holgersen, Max Kaindl-Hönig, Franz Kiessling, Kurt Klinger, Paula Ludwig, Julius Mader, Peter Marginter, Albert Mitringer, Erika Mitterer, Doris Mühringer, Adelbert Muhr, Franz Richter, Roman Rocek, Theodor Sapper, Ernst Schönwiese, Hermann Schreiber,

Jutta Schütting, György Sebestyen, Herta Staub, Robert Stauffer, Viktor Suchy, Wilhelm Szäbö, Franz Tassie, Franz Taucher, Walter Toman, Friedrich Torberg, Peter von Tramin, Alois Vogel, Hans Weigel, Erik G. Wickenburg, Franz Hrastnik, Dietmar Grieser, Barbara Frisch-muth, Ilse Aichinger, Lev Detela, Peter Rosei, Alexander Giese und Heinz Gerstinger.

In der FURCHE begannen ihre Laufbahnen als Kritiker und Schriftsteller auch Wieland Schmied und Jörg Mauthe. Brisantes kam von Friedrich Heer, Wilfried Daim, Hans Weigel und Edwin Hartl. Wir erfreuten uns aber auch der Mitarbeit von P. Erich Przywara und Hermann Muckermann sowie zahlreicher Wis-

senschaftler, wie des Philosophen Leo Gabriel, des Bruckner-Forschers Leopold Nowak sowie des vielleicht letzten Enzyklopädisten unserer Zeit Otto Forst de Battaglia. Auch die mit Dr. Funder noch persönlich befreundeten Clemens Holzmeister, der große Byzantinist und Komponist Egon Wellesz sowie Victor Matejka stellten uns wichtige

Beiträge zur Verfügung. — Von Hans Fronius, Albert Birkle und Werner Berg erhielten wir Zeichnungen und Graphiken zur Erstveröffentlichung. Auch Otto Mauer, Georg Josef Strangfeld, Alfred Focke und Diego Goetz zählten zu unseren Mitarbeitern. Ebenso die Germanisten Robert Mühlher und Franz Baumann (Freiburg). Als es noch kein Jahr der Frau gab, hatten wir stets auch zahlreiche Damen als Mitarbeiter, angefangen von der großen Tänzerin Grete Wiesenthal, Imma Bodmers-hof, Lilly von Sauter, Hermen von Kleeborn, Annemarie Düringer und Lotte Tobisch.

Die Namen aller unserer Kunstreferenten und auswärtigen Mitarbeiter sowie unserer prominenten Buchreferenten zu nennen, würde den Rahmen dieser „Bilanz“ sprengen. Wir erwähnen daher nur unseren langjährigen Theaterreferenten Karl Maria Grimme, die Kirchenmusiker Franz Krieg und Franz Xaver Gruber sowie Claus Pack, Karlheinz Roschitz und Goswin Dörfler. Wir gedenken auch in Dankbarkeit der Mitarbeit unserer

Karikaturisten und Illustratoren Romulus Candea, Bernhard Leitner, Susanne Thaler und Anton Watzl sowie der Photographen Horowitz und Doliwa.

Ein besonderes Kapitel wäre Reinhold Schneider zu widmen. Seit meinem ersten Besuch in der Mercy-straße in Freiburg im Breisgau 1947 bestand eine ununterbrochene Verbindung mit ihm, der nicht nur unser treuer Freund und Mitarbeiter, sondern auch einer unserer aufmerksamsten Leser war. Auch daß Frank Thiess, ein Romanautor von Weltgeltung in den zwanziger und dreißiger Jahren, uns in seinen späten Jahren „entdeckte“ und mit hoher Anerkennung bedachte, wie der große Edzard Schaper, daß Kurt Riess (Zürich) unser Mitarbeiter wurde, war für uns eine große Freude, ebenso, daß der führende deutsche Musikkritiker Hans Heinz Stuckenschmidt auf die Anfrage eines großen amerikanischen Meinungsforschungsinstitutes DIE FURCHE als eines der relevantesten Blätter in deutscher Sprache und als das profilierteste in Österreich nannte, gereicht uns zur Ehre. — Auch daß wir zahlreiche Ausländer bei uns zu Gast hatten, war uns sehr willkommen, nennen wir nur die Franzosen Claude Rostand, Eugene Susini, Espiau de la Maestre und Francis Claudon. Auch große Musiker stellten sich zuweilen als Gäste ein, wie Wilhelm Furtwängler, Frank Martin, Boris Blacher, Werner Egk, Gottfried von Einem und viele jüngere Österreicher.

Und sie alle schrieben bei uns für wenig Geld, denn selten, fast nie waren wir in der Lage, einem berühmten Autor ein angemessenes Honorar zu bezahlen. Sie taten es also aus Sympathie, aus Wertschätzung für die FURCHE, wo sie sich in einem Rahmen fanden, der ihnen gefiel...

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