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Das Spiel der Mächtigen

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In Kürze erscheint das neue Burgtheaterbuch von Fred Henninga mit dem Untertitel „Des Hauses und meine Wandlungen“. Es ist eine Darstellung der persönlichen Entwicklung des Autors und der künstlerischen Geschehnisse im Burgtheater in der Zeit vom 11. März 1938 bis zum Ende des Jahres 1971. Dieses Buch ist ein wichtiger Beitrag zur Zeitgeschichte, darüber hinaus jedoch viel mehr: ein menschliches Dokument und ein von Toleranz und Altersweisheit diktierter Bericht von einem Autor, den wir als Künstler, Wien-Kenner und Menschen gleichermaßen schätzen. — Um von dem Reichtum des Inhalts eine Vorstellung zu geben, setzen wir hier einige Kapitel her: Mein Weg zur Topographie Wiens. Die Gegenspieler Walter Thomas und Goebbels. Der 80. Geburtstag Gerhart Hauptmanns in Wien. Die letzte Premiere vor der Zerstörung des Hauses. Veranstaltungen des Burgtheaters nach dessen Schließung. Die ersten Vorstellungen im Ronacher. Bekanntschaft mit Franz Taucher und Förderung durch Stadtrat Viktor Matejka. Erstes Wiederauftreten nach langjähriger Pause. Die Direktionen Aslan, Gielen, Schreyvogl-Rott und Haeusser-man. Das vierzigjährige Burgtheaterjubiläum von Fred Hennings und die erste Welttournee des Ensembles. Das folgende Kapitel findet sich im ersten Teil des Buches. F.

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In Kürze erscheint das neue Burgtheaterbuch von Fred Henninga mit dem Untertitel „Des Hauses und meine Wandlungen“. Es ist eine Darstellung der persönlichen Entwicklung des Autors und der künstlerischen Geschehnisse im Burgtheater in der Zeit vom 11. März 1938 bis zum Ende des Jahres 1971. Dieses Buch ist ein wichtiger Beitrag zur Zeitgeschichte, darüber hinaus jedoch viel mehr: ein menschliches Dokument und ein von Toleranz und Altersweisheit diktierter Bericht von einem Autor, den wir als Künstler, Wien-Kenner und Menschen gleichermaßen schätzen. — Um von dem Reichtum des Inhalts eine Vorstellung zu geben, setzen wir hier einige Kapitel her: Mein Weg zur Topographie Wiens. Die Gegenspieler Walter Thomas und Goebbels. Der 80. Geburtstag Gerhart Hauptmanns in Wien. Die letzte Premiere vor der Zerstörung des Hauses. Veranstaltungen des Burgtheaters nach dessen Schließung. Die ersten Vorstellungen im Ronacher. Bekanntschaft mit Franz Taucher und Förderung durch Stadtrat Viktor Matejka. Erstes Wiederauftreten nach langjähriger Pause. Die Direktionen Aslan, Gielen, Schreyvogl-Rott und Haeusser-man. Das vierzigjährige Burgtheaterjubiläum von Fred Hennings und die erste Welttournee des Ensembles. Das folgende Kapitel findet sich im ersten Teil des Buches. F.

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Fast alle männlichen Mitglieder des Burgtheaters genossen das Vorrecht, vom aktiven Wehrdienst befreit zu sein. Wenn Einberufungen ins Haus standen, setzte sich Direktor Müthel unter Berufung auf künstlerische Notwendigkeiten mit allen ihm .zur Verfügung stehenden Mitteln dafür ein, daß im Interesse des Hauses von solchen Maßnahmen Abstand genommen wurde. Es gelang ihm, das Ensemble, welches er vor allem durch die Damen Käthe Dorsch, Liselotte Schreiner, Susi Nicoletti, Gusti Huber, Antje Weisgerber und die Herren Paul Hörbi-ger, Curd Jürgens, Horst Caspar, Heinz Moog und Oskar Werner vermehrt hatte, fest zusammenzuhalten. Unter dem Damoklesschwert einer eventuellen Einberufung zum Kriegsdienst war dies natürlich viel leichter als in Friedenszeiten oder gar heute. Keiner der Herren Burgschauspieler von damals hätte es riskiert, seine so bevorzugte und gesicherte Position durch berufliche Extravaganzen aufs Spiel zu setzen. Aber nicht allein darum gab es gerade in jener so schweren Zeit ein wirklich festgefügtes, aufeinander wohl abgestimmtes Burgtheaterensemble. Es war dies nicht zuletzt ein Verdienst von Lothar Müthel.

Dieser 1896 in Berlin geborene, feinnervige Künstler kam von der Musik her. Nach Absolvierung der Berliner Musikhochschule wurde er zunächst Organist. Die ihm angeborene Musikalität war nicht nur für die Entwicklung seiner Künstler-schaft, sondern auch seiner Gesamtpersönlichkeit bestimmend. Hellhörig und feinfühlig lieh er jedem im Haus bereitwillig und jederzeit sein Ohr. Verständnisvoll und wohlwollend ging er auf jedermann ein, ohne jedoch von seiner Überzeugung abzugehen.

Frau Retty erzählte mir von einem Gespräch mit Müthel, das sie anläßlich einer Neuinszenierung von „Romeo und Julia“ mit ihm geführt hatte. Das Liebespaar spielten Gusti Huber und Fred Liewehr. Die Rolle der Amme hatte Müthel Frau Rosa Albach-Re'tty zugeteilt. Sie war im Besitz von Frau Lotte Medelsky gewesen. Frau Retty versuchte nun, Müthel zu bewegen, die Rolle Frau Medelsky zu belassen, um sie nicht zu kränken. In einer sehr menschlich gehaltenen offenen Aussprache hielt Müthel jedoch aus rein künstlerischen Gründen an seiner Entscheidung fest und erklärte Frau Retty, daß er selbst für den Fall einer Ablehnung ihrerseits die Rolle nicht mit Frau Medelsky besetzen würde.

Etwas ganz Gegenteiliges habe ich mit Müthel erlebt. Anfang Dezember 1939 erhielt ich von ihm die Rolle des Feldzeugmeisters Benedek im gleichnamigen Stück von Rudolf Oertel zugeteilt, dessen Premiere für den 23. Jänner 1940 angesetzt war. Zwei Tage nach Erhalt der Rolle ließ mich Müthel rufen. Er empfing mich in seiner ruhigen und freundlichen Art und erklärte mir noch im Stehen, daß die Entscheidung über das, was er mir zu sagen habe, ausschließlich bei mir läge. Er kam mir innerlich erregt vor. Nachdem wir Platz genommen, versicherte mir Müthel, daß es für gewöhnlich nicht seine Art sei, einmal getroffene künstlerische Anordungen zu widerrufen. Doch heute fühle er sich dazu gedrängt. So sehr beeindruckt, ja ergriffen hätte ihn eine Unterredung mit dem damals 68jährigen Doyen des Hauses, Otto Tressler, der ganz außer sich darüber war, daß nicht er die Rolle des Benedek erhalten hätte, die er für die „Trauimrolle“ seines Lebens halte. Müthel erklärte sich außerstande, von sich aus eine Änderung in der Rollenbesetzung vorzunehmen, versprach Tressler am Ende jedoch, sich mit mir ins Einvernehmen setzen zu wollen. Für den Fall meiner Zustimmung wäre er ausnahmsweise bereit, ihm die Rolle zu übertragen. Ich erklärte mich dazu natürlich bereit, wofür mir Müthel aufrichtig dankte. Als ich gehen wollte, ließ er meine Hand nicht los und meinte, leicht verlegen, aber herzlich lachend, dies wäre noch nicht alles. Darauf ersuchte er mich, die Chargenrolle des Erzherzogs Albreoht zu übernehmen. Als ich mich auch dazu bereiterklärte, umarmte mich Müthel fast. Wir waren uns in dieser Stunde menschlich sehr nahegekommen.

Von Tressler aber erhielt ich am 5. Dezember 1939 folgenden Brief:

„Lieber, lieber Fred

Du hast etwas getan, das ich Dir niemals vergessen werde. Meine freudige Dankbarkeit läßt sich mit Tinte und Feder nicht ausdrücken.

Du hast mehr getan, als Du wissen kannst. Du hast mir mein Leben wieder wert gemacht. Und das Schönste. Was mich in Jahrzehnten nicht beglücken dürfte. Ich habe einen Freund gefunden und den gebe ich nicht mehr her! Wann kann ich Dich sehen, Dich umarmen?

Dein Otto“

In der Spielzeit 1939/40, der ersten Lothar Müthels, unterstanden Burg und Oper dem Reichskommissar Josef Bürokel. Dieser robuste, völlig amusische höchste Funktionär, der seinen Amtssitz im Parlament hatte, kümmerte sich persönlich sehr wenig um die Theater. Deren nominelle Leitung hatte der Staatskommissär, Universitätsprofessor Doktor Friedrich Plattner, inne, der schon dem Verwaltungsausschuß unter Seyß-Inquart angehört hatte.Tatsächlich geführt wurde das Burgtheater in jener Spielzeit von Lothar Müthel und der Staatstheaterverwaltung, die ihm in allen administrativen Belangen beigeordnet war.

Im Spielplan zu Beginn der Ära Müthel schienen unter anderem auf: Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“, Anzengrubers „Die Kreuzelschreiber“, Lessings ,Minna von Barnhehn“, die Uraufführung von Gerhart Hauptmanns Komödie „Ulrich von Lichtenstein“, Raimunds „Alpenkönig und Menschenfeind“, Shakespeares „Maß für Maß“, Goethes „Iphigenie auf Tauris“ und Schillers „Kabale und Liebe“.

Aufzupassen hatte Müthel nur auf die Außenstelle von Goebbels' Ministerium, auf das „Reichspropagandaamt Wien“ in der Reisnerstraße. Goebbels war wütend darüber, daß es ihm nicht gelungen war, die Wiener Staatstheater in seine Hand zu bekommen. Sie unterstanden finanziell nicht seinem Ressort, sondern direkt dem Reichs-fmanzministerium, ansonsten aber der alleinigen Vollzugsgewal't des Reichsstatthalters des Gaues Wien.

Lediglich die für das ganze Reich einheitlich geltenden, von der Reichstheaterkammer wahrgenommenen Gesetze boten Goebbels die Möglichkeit zu einer Einmischung. In einer vom Reichsdrama'turgen Dr. Schlösser gezeichneten Verfügung vom 17. Oktober 1939 hieß es zum Beispiel:

„Aus gegebenem Anlaß weise ich darauf hin, daß jedes einzelne Werk im Spielplan der deutschen Bühnen im gegenwärtigen Augenblick mehr denn je zur seelischen Stärkung der Nation beitragen muß. Innere Erhebung und Besinnung kann sowohl durch ernste wie auch durch heitere Werke erreicht werden. Die Voraussetzung aber ist immer, daß sie erfüllt sind von kraftvoller und lebensbejahender Menschlichkeit. Auf keinen Fall ist zu rechtfertigen,, jetzt Werke pessimistischer oder depressiver Grundhaltung zur Debatte zu stellen.“

Diese Anordnung wurde ganz ohne Zweifel mit Rücksicht auf die im Kriegsdienst stehenden Angehörigen der Wehrmacht getroffen, denen seit Kriegsausbruch täglich ein Drittel der Sitzplätze des Burgtheaters zur Verfügung gestellt werden mußte. Ab und zu gab es Vorstellungen, die ausschließlich für die Wehrmacht bestimmt waren und die zu besuchen für deren Angehörigen Pflicht war. Bei einer solchen „Zwangsvorstellung“ ging ich einmal während des Spiels durch das halbverdunkelte Hauptfoyer unseres Hauses und bemerkte, wie sich eine Gestalt hinter einem der straßenseitigen Fenstervorhänge zu verstecken suchte. Es war ein Soldat, der mich beschwor, ihn nicht zu verraten und ihm einen geheimen Weg aus dem Theater zu zeigen, da die normalen Ausgänge von Posten besetzt seien, die darauf zu achten hätten, daß niemand das Haus verlasse. Doch das Stück — ich weiß nicht mehr, welcher Klassiker damals gerade gespielt wunde — langweile ihn zu Tode, und er möchte für sein Leben gem auf ein Bier gehen. Ich geleitete den Armen durch das Büh-nentürl auf der Landtmann-Seite und zeigte ihm den Weg zum Restaurant „Mitzko“.

Nach der Ausweitung des Krieges im Frühjahr 1940 entschloß sich Hitler endlich, Bürckel aus Wien abzuberufen. Sein Nachfolger wurde am 8. August 1940 Baidur von Schiraoh. Ihm wurde aufgetragen, die Stimmung in Wien wieder zu verbessern, die unter Bürckel und seit dem Ausbruch des Krieges einen Tiefpunkt erreicht hatte.

Schiraoh hatte den Ehrgeiz, Wien zu einem Gegenpol von Berlin zu machen. Als einer der Götter des Parteiolymps wußte er natürlich, daß dies nur auf kulturellem Gebiet geschehen konnte. Dort aber strebte er, gestützt auf die reichen kulturellen Schätze Wiens, nach einer Vormachtstellung und geriet damit in schärfsten Gegensatz zu Goebbels, der es nicht verwinden konnte, daß Hitler die Wiener Kunstins'titute, vor allem die Staatstheater, ausdrücklich Schirach unterstellt und ihm jede Einmischung in dessen Kompetenzen untersagt hatte. Goebbels hätte es gerne gesehen, wenn Wien nach dem Anschluß zu einer in jeder Beziehung von ihm abhängigen zweitklassigen kulturellen Grenzstadt degradiert worden wäre. Schirach hingegen setzte alles daran, sich und Wien glanzvoll in Szene zu setzen.

Nutznießer dieser erbitterten unterirdischen Satrapenkämpfe waren die Wiener Kunstinstitute, vor allem die Staa'tstheater, von denen Schirach meist nur als von „meinen Staatstheatern“ zu sprechen pflegte. Er berief den Chefdramaturgen des Stadttheäters Bochum, Walter Thomas, nach Wien und ernannte ihn zu seinem „Generalkulturreferenten“. Was Schirach zu diesem Schritt be-wog, schildert Thomas in seinem Buch „Bis der Vorhang fiel“. Dort läßt er Schirach sagen:

„Als ich Sie nach Wien holte, war meine Absicht, mir einen Fachmann, der sich besonders auf dem Gebiet des Theaters auskannte, zu verpflichten. Ich wollte ursprünglich einen erprobten Parteigenossen haben, aber so sehr ich mich auch umsah, ich fand niemanden, der den Wiener Ansprüchen genügte. Wie ich Ihnen bei unserer ersten Unterredung sagte, wollte ich keinen Vertreter der Hitler-Jugend, weil ich schon zu viele Mitarbeiter aus meiner ehemaligen Berliner Zentrale nach Wien geholt habe. Aber auch keinen engstirnigen Funktionär, der wie ein Beckmesser die nationalsozialistische Elle an alles legt. Damit hätte ich mir in Wien gleich zu Anfang alles verdorben. Ich sagte Ihnen fernerhin in jener ersten Besprechung, warum ich auch keinen Wiener haben wollte. Wie ich eigentlich auf Sie verfiel, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls wurde ich gewarnt, bevor ich mich überhaupt mit Ihnen in Verbindung setzte. Goebbels hatte die Absicht, mir einen seiner Leute zu schicken, und um dieser Gefahr zu entgehen, habe ich mich kurz entschlossen, Sie zu verpflichten.“

Die Kulturschaffenden Wiens vermeinten Morgenluft zu wittern. Unter ihnen auch der Schriftsteller Dr. Aurel Wolfram, dem die Leitung des „Reichspropagandaamtes Wien“ anvertraut war. Dieser offizielle Exponent von Josef Goebbels auf Wiener Boden bemühte sich in Wort und Schrift immer wieder um Verständnis für die Besonderheit und Eigenart seiner Heimatstadt Wien. Doch alles war umsonst.

Aus „Des Hauses und meine Wandlungen“ von Fred Hennings. 196 Seiten, Herold-Verlag, Wien-München.

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