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HAUPTMANNS HEIMLICHE LIEBE

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Unbekanntes zum 100. Geburtstag des Dichters am 15. November 1962

“P s mag seltsam erscheinen, daß Gerhart Hauptmann für das im Berliner Osten gelegene Rose-Theater, eines der wenigen Privattheater Deutschlands, eine besondere Vorliebe zeigte. Es war ein Volkstheater nach Hauptmanns Herz, „ein gesundes und volkstümliches Unternehmen“. In ein Jubiläumsblatt der Rose schrieb er: „... Hier herrscht guter, alter Theatergeist und echter Theatersinn, sowohl hinter dem Vorhang als im Zuschauerraum, und wenn sich der Vorhang gehoben hat, so entsteht jene Einheit und Einigkeit, um derentwillen wir das Theater lieben — jenes gemeinsame Sein, in dem sich die Seelen so gerne baden, um verjüngt und erneuert daraus hervorzugehen.“

Nach bitteren Berliner Erfahrungen erschien Hauptmann dies aus kleinen Leuten bestehende Stammpublikum aufgeschlossen und unverbildet und noch nicht angekränkelt von den verdächtigen Allüren des Berliner Westens. Zogen auch seine Schauspiele, vor allen Dingen jene der ersten Schaffensperiode, den Atem aus der Volksseele („Die Ratten“ nannte er selber eine „Berliner Tragikomödie“), so hatte ihn fast bei jeder Uraufführung im Berliner Westen ein inszenierter Skandal erwartet. „Ich stelle mich nicht vor das Publikum, ich stelle mich vor mein Stück“, äußerte er, als er nach der Uraufführungsschlacht der „Jungfern vom Bischofsberg“ vor den Vorhang getreten war.

Das Ungewöhnliche war: das stets gutbesuchte Rose-Theater, das im besten Sinn ein Stück altes Berlin repräsentierte, hielt ohne staatliche Subventionen sein künstlerisches Niveau auf beachtlicher Höhe. Und vor dieser Bühne saßen viele Leute, die schon seit Generationen ihre billigen Stammplätze innehatten. Sie betrachteten die Rose-Bühne als ihr Theater.

So lohnt es, einen kurzen Blick in die Vergangenheit dieser abgelegenen Kunststätte zu tun. Bernhard Rose hatte 1906 die ehemals „Ostejid-Theater“ genannte Schaubühne erworben, wo bereits Josef Kainz in einem Berliner Theaterwinter aufgetreten war, als er sich mit den Theaterleitern überworfen hatte, so daß schon damals das Berliner Westpublikum in den Osten strömte und Kainz siegen ließ. Ein großes Bild des Künstlers mit seiner persönlichen Widmung hing bis zur totalen Zerbombung dieses Theaterbaus in seinem Foyer.

Die allgemein anerkannte künstlerische Stellung erlangte das Rose-Theater, als nach dem 1927 erfolgten Ableben von Bernhard Rose sein Sohn, Paul Rose, die Leitung übernahm, der gegenwärtig Generalintendant des Badischen Staatstheaters in Karlsruhe ist. Er war Schüler von Max Reinhardt und Ludwig Wüllner gewesen und modernisierte bald auch äußerlich das Theater durch den Einbau einer Drehbühne. Liebevoll nahm er sich der Pflege der Bühnenstücke Gerhart Hauptmanns an, der gern zu Proben erschien und manchen Aufführungen beiwohnte. Das Rose-Publikum kannte ihn; es erhob sich stets von den Plätzen, wenn er den Raum betrat.

Ein besonderes Interesse wandte der Dichter dem Plan Paul Roses zu, in seinem Theater den Faust in drei Abschnitten aufzuführen, also einschließlich der „Zueignung“, des „Vorspiels auf dem Theater“ und der beiden Teile der Tragödie. Rose übertrug die Rolle des alten Faust Ludwig Wüllner, die des Gretchens Tony van Eyck. Das Unternehmen gestaltete sich damals durch die erlesene Aufführung zu einem Berliner Ereignis, dem auch die Presse lebhaft zustimmte. Das Publikum verhielt sich wie in der Kirche und bewies, wie „modern“ Goethe zum Volk sprach, wenn diesem der Zugang zu seinem Werk erschlossen wird.

Als ich an Hauptmanns 75. Geburtstag die Aufführung „Vor Sonnenaufgang“ im Rose-Theater erlebte, lud der Dichter mich anschließend ins Adlon ein, wo er mir den Platz zwischen ihm und Margarete Hauptmann anwies. So hatte ich an diesem Abend persönlich viel Gelegenheit, sein Bekenntnis zum Rose-Theater zu vernehmen, das sein Werk einer besonderen Berliner Volksschicht nahegebracht habe. Paul Rose, so meinte er in ab-onderlicher Formulierung, „rieche die künstlerische Atmosphäre“. Man müsse wohl im Osten der Stadt geboren und aufgewachsen sein und von Kindesbeinen an die volkstümliche Theaterluft eingesogen haben, um sich so überlegen auszuken-nen. Auch Traute Rose (der weibliche Star des Theaters) habe die feine Witterung für seine aus dem Volk geborenen Frauengestalten, denn sie besitze schlechthin das Urfrauliche, das Mütterliche, das Schuld zu LInschuld erhebt.

Hauptmann lachte herzlich, als ich ihm erzählte, daß die Familie Rose gelegentlich einer Märchenvorstellung eine kurze Unterhaltung im Parkett erlauscht habe. „ ... Spielen da nicht auf der Bühne die Kinder Roses mit?“ — „O nein“, lautete die Antwort, „die lassen ihre Kinder was Besseres lernen ...“ — Übrigens hatte schon Bernhard Rose seinen Sohn Paul zum Juristen bestimmt; das Theaterblut pulste indessen so stark in ihm, daß der Befehl des Vaters nichts vermochte.

Wie Paul Rose später berichtet, erklärte Gerhart Hauptmann ihm eines Tages mit einer gewissen Resignation: „Wenn man mir in früheren Jahren Regieverpflichtungen übertragen hätte, so würde ich Klassikerinszenierungen geliefert haben, die ohne Vorgänger gewesen wären!“ Dabei deutete er am Rande auf seine Hamlet-Bearbeitung hin. Rose nahm den Dramatiker gleich beim Wort und bot ihm sein Theater für eine solche regiemäßige Einrichtung des Shakespearischen Werkes an. Die beiden folgenden Briefe des Dichters zeigen, daß auch Hauptmann das besprochene Projekt gern aufgriff und in großen Zügen umriß, daß seine Mitwirkung in der Öffentlichkeit nicht besonders herausgestellt werden sollte:

Hotel Bellevue Dresden, am 2. Juni 193

Sehr verehrter Herr Paul Rose!

Auch ich habe oft an unser Gespräch über „Hantlet“ gedacht und den Gedanken erwogen, meine Bearbeitung in Ihrem mir so lieben Hause dargestellt zu sehen. So hat mich Ihr Vorschlag einer Inszenierung des Werkes durch mich selbst sehr gefreut.

Sollte sie sich verwirklichen, so müßte dies in den Monaten Oktober oder November geschehen, da mein Alter und meine

Konstitution mich zwingt, Anfang Dezember den Süden aufzusuchen. — Sie bringen „Fuhrmann Henschel“, und auch das freut mich herzlich.

Meine Frau und ich gehen jetzt nach Agnetendorf, wo ich nach allerlei Unpäßlichkeiten Arbeitsruhe erhoffe. Sobald wir dort wieder eingerichtet sind, werde ich mich nochmals melden, denn ich möchte vorschlagen, daß Sie uns auf dem Wiesenstein besuchen, wo wir alle Einzelheiten der „Hamlet“ -Angelegenheit durchsprechen können — ein Vergnügen, auf das ich mich sehr freue. — Somit viele Grüße und Empfehlungen an Ihr Haus und ein herzliches Auf wiedersehen!

Ihr Gerhart Hauptmann

Inzwischen war das Ehepaar Rose der Einladung nach Schlesien auf den Wiesenstein gefolgt, und es hatten dort ausführliche Besprechungen stattgefunden. Die privaten Bedenken Hauptmanns, öffentlich für die Regie zu zeichnen, werden aus seinem Brief aus Agnetendorf vom 15. Juli 1938 deutlich:

Sehr verehrter Herr Rose!

Seit Ihrem Hiersein mit Ihrer lieben Gattin, das uns noch in freundlichster Erinnerung steht, habe ich mich naturgemäß mit dem Hamlet-Problem wieder tiefer beschäftigt. Je mehr man darüber nachdenkt, je komplizierter wird es. Immerhin stehe ich zu meiner Version und finde, daß damit wesentliche Punkte zurechtgerückt sind.

Wir dürfen nun, wenn Sie der Sache treu bleiben wollen, nicht den Eindruck einer Sensation machen. Wie die Idee, meine Fassung der Tragödie aufzuführen, von Ihnen ausging, so müßten Sie auch die Verantwortung dafür voll übernehmen. Es darf, glaube ich, nicht scheinen, als ob ich es wäre, der die Angelegenheit neu zur Diskussion stellen wolle. Dadurch würde ihr ein Gewicht beigemessen, das der notwendigen schlichten Hinnahme der Veranstaltung entgegenstehen würde. Man würde womöglich einen Protest herauskonstruieren gegen das Staatstheater und Gott weiß welche Aufführungen.

Der gleiche Instinkt, der mich dies sagen läßt, war es, als Ich Sie bat, für die Regie zu zeichnen. Es ist Ihre Unternehmung und muß es bleiben und Gott sei Dank Ihres schönen Theaters. Als Regisseur hervorzutreten, würde mir außer der Kritik meiner Bühneneinrichtung des „Hamlet“ eine Kritik als Spielleiter zuziehen. Man würde weiß Gott was für ein Wunder von mir erwarten und lange Gesichter machen, wenn es nicht einträte.

Anderseits bin ich natürlich bereit, mein bißchen Bühnenverstand restlos in den Dienst der Sache zu stellen und bei Besprechungen mitzuwirken, die sich um die äußere szenische Ausgestaltung drehen würden, m Mit einem Wort: Sie sollen den Ruhm, zum mindesten mutig gewesen zu sein, allein davontragen, wogegen ich mich bereit erkläre, die Schläge für meine „Hamlet“-Bearbeitung einzuheimsen.

Diese meine Gedanken, verbunden mit vielen Grüßen an Sie und Ihr Haus, kommen hiermit zu Ihnen. Sie werden mir wohl gelegentlich ein paar Worte als Antwort zukommen lassen.

Ihr Gerhart Hauptmann

Die „Hamlet*-Aufführung fand im Oktober 1938 statt, und Hauptmann erschien acht Tage vorher auf den Proben. „Er war“, so schreibt Paul Rose, „im wesentlichen mit allem einverstanden, nur zu einer Differenz zwischen ihm und mir kam es.als er den berühmtem Monolog .Sein oder nicht sein' an einer anderen Stelle fand, als er ihn angesetzt hatte. Er selber hatte diesen Monolog, wenn ich nicht irre, in den 4. Akt verlegt, während er bei Shakespeare einmal in der sogenannten Raubausgabe im 2. Akt und in der Folioausgabe von 1623 im 3. Akt steht. Dieser Monolog muß also schon zu Shakespeares Zeiten als eine Art Arie befunden worden sein, die sich der Hauptdarsteller je nach seinem Belieben in den 2. oder 3. Akt verlegte. Ich glaubte ihn in der Grube der toten Ophelia gut angebracht, aber Hauptmann behagte es nicht. Er stand auf, lief zu seiner Frau, die einige Meter von uns der Probe beiwohnte, und fragte erregt: .Margarete, wie findest du die Position def Monologs?' — .Ausgezeichnet', sagte Margarete. Aber als sie einen zornigen Blick empfing, fragte sie zurück: ,Ja, stammt denn dio Position des Monologs nicht von dir?' Er sagte mir daraufhin nur knapp und kurz: ,Also lassen Sie ihn da, wo Sie ihn hingestellt haben.' “

Solche Diskrepanz war keine Seltenheit bei Proben mit Hauptmann, der, wie auch Behl berichtet, es den Schauspielern nicht immer leicht machte, so daß es zuweilen nicht ohne Ungewitter abgegangen sei.

A uf Grund der sich immer enger zwischen dem Rose-Theater und dem größten deutschen Dramatiker knüpfenden Beziehungen beabsichtigte Direktor Rose, zum 80. Geburtstag einen Dramenzyklus zu Ehren Hauptmanns zu bringen. Aber das Propagandaministerium erhob sofort Einspruch, und Rose mußte sich mit der Aufführung des „Roten Hahns“ begnügen, für die er Ida Orloff verpflichtete. Sie war einst als Pippa die vollendetste Darstellerin dieser zarten Traumgestalt aus dem schlesischen Glashüttenmärchen nach des Dichters Ideal gewesen und hatte Hauptmann auch persönlich nahegestanden. An einem Sonntagnachmittag besuchte er nun mit Frau Margarete die vorletzte Aufführung des „Roten Hahns“, weil er schon um 18.30 Uhr nach Dresden Weiterreisen mußte. Und da die große Pause nach dem 2. Akt nicht länger als eine Viertelstunde dauern durfte, fand nach mehr .als 30 Jahren zwischen Hauptmann und Ida Orloff nur eilt flüchtiges Wiedersehen statt:

Im Jahre 1943 arbeitete er den Schluß seines Schauspiels „Peter Brauer“ für das Rose-Theater um, da dies Werk Anfang der zwanziger Jahre unter der Direktion Heinz Saltenburgs ohne Erfolg geblieben war und er den Wunsch hatte, es nun noch einmal auf der Bühne zu sehen. Aber da zur Zeit der Aufführungen von „Peter Brauer“ die Bombenangriffe auf Berlin zugenommen hatten, sah Rose davon ab, den Autor zur Neufassung seines Werkes einzuladen.

Dann aber nahm das Unheil seinen Lauf. Das Rose-Theater ging durch Brandbomben in Flammen auf. Die Verbindung zu Hauptmann war unterbrochen, da Schlesien von sowjetischen Truppen besetzt worden war und bereits unter polnischer Verwaltung stand. Auf schwierigen Umwegen war es Rose im Frühjahr 1946 gelungen, einen Brief auf privatem Weg nach dem „Wiesenstein“ gelangen zu lassen, der den Antrag enthielt, nach dem Wiederaufbau des Theaters diesem den Namen „Gerhart-Hauptmann-Theater“ geben zu dürfen.

Neben einem mit Wehmut gemischten Hochgefühl, seinen Namen mit einem Kustinstitut verbinden zu sollen, mit dem ^hm durch Jahrzehnte eine enge künstlerische Zusammenarbeit beschieden gewesen war, mag das Wort „Wiederaufbau“ noch einen Hoffnungsschimmer in die letzten Wochen des Dreiundachtzigjährigen getragen haben, den bereits um Schlesien und den Wiesenstein, „den mystischen Schutz seiner Seele“, bangt. Sein Antwortbrief an Rose zeigt, wie sehr Wunsch und Zustimmung in abgewogenem Einklang stehen.

Dald wird es Gewißheit, daß er Schlesien verlassen soll. Der Befehl lautet, daß er mit einigen Stücken seiner Wahl aus dem heimischen Bereich des Wiesensteins ins Innere Deutschlands abreisen muß. Er erhebt sich von seinem Lager und geht durch alle Räume seines Hauses. „Nichts verriet, was dabei in seinem Innern vorging“, berichtet Margarete Hauptmann, die ihn begleitet.

Der greise Hausherr, der einst von sich sagte: „Und nun geh* ich erst noch mal durch meine Bibliothek — wie ein Bauer, der abends vor dem Schlafengehen durch seine Ställe wandert, sich seines Reichtums zu freuen ...“ — heute sieht er in irdischer Ohnmacht die dunkle Gewalt des Schicksals auf sich zukommen: Er muß sie ausschalten, muß jetzt seine Stunde in eigene Regie nehmen, wie er es oft auf der Lebensbühne getan. Er weiß, daß er es nicht über sich gewinnt, Schlesien, das durch sein Werk leuchtet, den Wiesenstein zu verlassen.

Dann kehrte er in seinen Lehnstuhl zurück; auf seinem Knie liegt die Franziskanerkutte, die er einst im Kloster von Santa Margherita erwarb und in der er oft vor Sonnenaufgang meditierte. Er hat sie zum Totenkleid bestimmt und fährt, hin und wieder mit der Hand darüber hin, gleichsam, als wolle er sich mit seinem letzten Gewand anfreunden. Hier auf dem Wiesenstein hat er „Michael Kramer“ gedichtet, den er — die letzte Einsamkeit läuternd - aussprechen läßt: „Der Tod ist die mildeste Form des Lebens: der ewigen Liebe Meisterstück.“

Hauptmann hat in zunehmender Sterbebereitschaft seine Heimatliche mit dem Tode besiegelt, der ihm die Feder aus der Hand nimmt. Im Sarge wird der Vollendete über die Schwelle des Wiesensteins, getragen. Keine Tragödie könnte ergreifender dies durch ein gewaltiges Werk erfüllte Leben dichten.

Das neu zu errichtende Theater harrt freilich immer noch seines Namens und seines Baus in „Ost-Berlin“ ...

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