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Blick in die Werkstatt

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Jede große Kunst ist symbolisch, selbst ßolche, bei der man zunächst nicht daran denkt. Handel-Mazzetti aber übt bewußt, wie mancher andere Verfasser geschichtlicher Romane — zumal Conrad Ferdinand Meyer —, die Kunst der Symbolik. Was man an ihr naturalistisch genannt hat, trifft ja nur einen Teil ihres Werkes, denn man meinte damit den Zug krasser Darstellungsweise, der sich besonders in der Schilderung von Marter-und Hinrichtungsszenen offenbart. Aber ihre Kunst ist im Grunde Überhöhung und Übersteigerung, also unnaturalistisch. Das ewige Ringen um menschliche Seelen, den Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Gläubig und Ungläubig — in historischem Gewände — weiß die Handel-Mazzetti immer wieder zu stärkster Wirkung zu bringen. Gewiß, sie scheut vor den aufwühlendsten Mitteln nicht zurück, nervenaufpeitschende Situationen und Schilderungen machen ihre Romane oft zu einer Lektüre, die nicht jedermanns Sache ist, ja sie weicht sogar manchmal der Motivik des Kriminal-, ja Kolportageromans nicht aus. Aber sie unterwirft diese Mittel eben doch ganz anderen Zwecken, auch wenn sie alle Register zieht, vom süßen Schwärmen zarter Mädchenseelen bis zum Fortissimo brutalster Gier und ekstatischen Jubels. Ihre Vorliebe für die Zeit des Barocks, der Gegenreformation, ist nicht zufällig, sondern sowohl durch das Glaubensthema wie durch seelische Artung bedingt. Auch der Gestaltung anderer Stoffe, die in anderen Jahrhunderten angesiedelt werden, haftet daher etwas vom barocken Furioso oder verzückter Ekstatik an, denn die innere Artung bleibt die gleiche.

Jedes Kunstwerk ist eine eigene neue Welt, vom Künstler geschaffen und belebt. Alles darin ist aufeinander bezogen, geht wie organisch auseinander hervor. Jedes Steinchen muß auf seinem Platze sein, jedes Motiv hat $eine Funktion und steht in einem großen Zusammenhange. Der geschlossene Kosmos einer Dichtung läßt das immer wieder erkennen. Jedes Werk bringt eine bestimmte Atmosphäre mit sich, atmet ein unverkennbares Flui-dum, das einem wie der Duft einer Landschaft in Erinnerung bleibt, auch wenn man alles einzelne vergessen haben sollte. Alles in einer Dichtung hilft solche Atmosphäre schaffen, weshalb dasselbe Motiv in anderer Umgebung ganz anderen Sinn haben kann.

Handel-Mazzetti benützte zu ihren historischen Romanen eine theatralische, eine szenische Form, die die intensivste des Epikers genannt werden kann, weil sie auf unmittelbare Verlebendigung ausgeht. Darum sind manche ihrer Werke geradezu wie ein Drama aufgebaut. Sie streben einem Ziel auf allen Umwegen wie im Drama unbeirrbar entgegen. Der Großteil ihres Werkes ist Dialog oder seelischer Monolog, rein epischer Bericht wird auf ein Minimum reduziert und wirkt oft wie die Szenenangabe des Schauspiels. Arbeitet so ihre Kunst überhaupt mit den Mitteln der Bühne, weil sie die eindrucksfähigsten und packendsten sind, so schaltet sie überdies häufig eine Theateraufführung oder ähnliches ein, also'Szenen, die das Theater im Roman bewußt als Mittel benützen, und 2war bezeichnenderweise in Romanen, die in ganz verschiedenen Zeiten spielen, so daß diese Szenen nicht stoffbedingt sein können, sondern eben ein inneres Gesetz von Handel-Mazzettis Schaffensart erkennen lassen. Was die große Handlung des Romans in breiten Strichen durchführt, wird in der kleinen Szene der Theateraufführung oder ähnlicher Veranstaltungen keimhaft gegeben. Und es ist darum kein Zufall, daß diese Aufführungen, Zeugnis barocker Vorliebe für das Schauspiel, meist in den Beginn des Romans oder an Wendepunkte verlegt werden, nicht immer mit gleicher Funktion und Wirkung, immer aber zu gleichen künstlerischen Zielen.

Solche Theateraufführung ist nie Selbstzweck, sondern Anlaß zu einer Szene, die für den Fortgang des Romangeschehens entscheidend wird. Wie bei Gottfried Keller das vaterländische Fest, bei Theodor Fontane die Landpartie, so wird bei der Handel - Mazzetti die Theateraufführung zu einem kennzeichnenden Bestandteil ihrer Werke, auch wenn sie nicht einen Höhepunkt oder gar die Zentralszene darstellt. Denn die Dichterin empfindet unstreitig theatermäßig — man darf dabei gar nicht an die Versuche fürs Klostertheater denken, die von ihr vorliegen —, sie baut alles für einen Bühnenraum und auf einen Bühnen-xaum hin. Und konzentriert äußert sich dieser Schauspieltrieb in der Gestaltung von Theaterszenen, die seelisch große Szenen vorbereiten helfen. Vom „Meinrad Helmperger“ angefangen bis zum .Graf Reichard“ zieht sich eine Kette solcher Szenen durch das Lebenswerk der Dichterin, nur ganz wenige Bücher sind davon auszunehmen. Zunächst erfolgt die Verwendung noch zaghaft, mehr um Zeit- und Lokalkolorit zu geben. So wird im „Meinrad“ das Spiel, das der Kremsmünsterer Pater Simon Rettenpacher zur Neunhundertjahrfeier der Gründung seines Stiftes schrieb, mit der Motivierung aufgeführt, der kleine Protestant Edwin MacEndoll solle durch die Erlaubnis zum Mitspiel für die Kirche gewonnen werden. Aber die darauffolgende schwere Auseinandersetzung scheint gerade das Gegenteil zu erreichen, typisch dramatische Expositionsszene. Die „Hamlet “-Aufführung englischer Schauspieler in Berlin, der Edwin mit seinem Vater später beiwohnt, hat keinen sichtbaren inneren Zusammenhang mit der Romanhandlung, obwohl sich ein solcher ebenso wie beim Kremsmünster Gründungsstück leicht konstruieren und betonen ließe. Noch ist die Dichterin sich ihrer Möglichkeiten nicht ganz bewußt und versteht sie nicht voll auszunützen. Anders bereits in „Jesse und Maria“. Das Spiel vom „Ägyptischen Joseph“, das der evangelische Prädikant Fabricius aus Rochlitz in Meißen zur Hochzeitsfeier des jungen Jesse von Velderndorff geschrieben hat, weiß mit Absicht Spitzen gegen den katholischen Glauben anzubringen und deutet so ideell und pragmatisch auf die kommenden Auseinandersetzungen vor. Das „Alexandriner“-Spiel mit seiner Tefor-matorischen Tendenz scheint freilich eher dem 16. Jahrhundert als der Zeit um 1660 anzugehören; es wurde von der Dichterin frei erfunden. Wenn aber später, als Maria Schinnaglin in Krems um die Entsendung einer Glaubenskommission bittet, bei der Vorsprache im Jesuitenkloster Verse aus einem Jesuitenschauspiel, „t)e captivitate et morte Mariae Stuardae reginae“ ertönen, so ist der symbolische Hinweis von der Glaubensheldin auf die Romanhandlung offenkundig; ebenso wenn beim Besuch eines Krippentheaters Adam und Eva und andere Bilder beziehungsreich ausgelegt werden. Hier wird bereits der Vorgang der Spiegelung und Rückstrahlung deutlich. Im „Deutschen Helden“ gibt es bei der Dekorierungsfeier des Invaliden Prehauser durch Erzherzog Karl, den Sieger von Aspern, eine Fülle von feinsten Anspielungen auf das Hauptproblem: Gnade oder Gerechtigkeit, und der Fußfall Frau von Tessenburgs, die für ihren wegen Mordes zum Tode verurteilten Gatten bittet, ist nicht nur aus pragmatischen Gründen in diese Szene verlegt. Da Thema von Kleists „Prinz von Homburg“ leuchtet in neuen Farben und mit neuer Wendung auf, und es gehört zur Atmosphäre des Romans, daß Kleist wiederholt beschworen wird. Selbst die Bücher um die kleine „Rita“, die in die Gegenwart um 1900 führen, bringen Theaterszenen, eine im Variete Ronacher, ein Liebhaberkonzert („Brüderlein und Schwesterlein“), kontrastieren aber die Mächte der Finsternis und des Lichts allzudeutlich, wenn eine Aufführung von Gounods Oper „Margareta“ (Faust) zum Hintergrund genommen wird („Ritas Vermächtnis“). In der „Deutschen Passion“, dem Roman um den Theologen Sand, der den Schriftsteller Kotzebue ermordete, gibt den Anlaß zu weiteren Verdächtigungen der Beziehungen zwischen Sand und der Jenenser Professorentochter Else Walch eine gesellige Unterhaltung, bei der lebende Bilder gestellt werden, als letztes improvisiert das „Rosenwunder der Hl. Elisabeth auf der Wartburg“. Welch vielfältige Symbolik klingt da an vom Namen der Heiligen bis zum Schauplatz der Burg, auf der vor kurzem noch das Fest der Burschenschaft gefeiert worden ist, christliches und nationales Wallfahrtsziel zugleich. Und auch die Erlösung des gequälten Vaters Walch von seinen Zweifeln an der Reinheit seiner Tochter bringt wieder eine Theateraufführung bei den Englischen Fräulein in St. Pölten, bei der Else die heilige Cacilia so kindlich-unschuldig verkörpert, daß jeder Verdacht schwindet. Schon hier ist der Legendenstoff bewußt auf die Bedürfnisse des Romans hin gewählt, denn auch Cacilia muß ihre

Reinheit, die von einem Engel bewacht wird, verteidigen. Breiteste Entfaltung aber gewinnt das Schauspielthema dann im ersten,Band der „Frau Maria“. Da will man zur Bereinigung politischer Schwierigkeiten die Anwesenheit König Augusts des Starken von Sachsen in Quedlinburg benutzen, um seine Hilfe zu erbitten. In einem Spiel, das seine ehemalige Mätresse Aurora von Königsmark schreibt, soll ihm die Lage des Stifts vor Augen geführt werden. Aber Aurora kann es sich nicht versagen, persönliche Momente einzuflechten, und der König versteht und ist erbost. Dieses „Spiel von den zehn Jungfrauen“, nach der Parabel des Matthäus-Evangeliums, verfehlt also sein Ziel; aber Maria von Bronnen bestrickt den König, der sie sich erbeuten möchte. Und nun Schlag auf Schlag. Das Spiel endet, der König ruft Maria vor sich, während der Unterredung schießt ein Feuerstrahl neben den beiden empor, Werk einer Rivalin. Fast werden der König und Maria versengt, eine Szene voll tiefster Symbolik, wenn man die weitere Entwicklung der Dinge ins Auge faßt. Hier wird bewußt und gekonnt mit allen Mitteln gearbeitet. Fast jedes Wort weist über sich hinaus und ist doppeldeutig, und das innere Feuer ist nicht so rasch zu löschen wie das Theaterfeuer. Und noch im letzten Werk, In „Graf Reichard“, wird im Wiener Ursulinenkloster ein „Alexius'-Spiel aufgeführt, das wieder der Feder der Dichterin entstammt und zu ausdeutenden Zielen Verwendung findet.

So zieht sich das Motiv der Theateraufführung durch das gesamte Schaffen Handel-Mazzetti, was tiefer blicken läßt Denn solche Szenen gaben neben der Er zielung von Zeitkolorit und „Atmo Sphäre“ — es werden immer ent sprechende Stücke gewählt — die Mög lichkeit zur Schilderung gesellschaftliche: Zusammenkünfte, aus denen sich Weite' rungen entfalten ließen. Und alles steht, besonders später, irgendwie mit dem Hauptthema des Romans im engverzahnten, symbolischen oder motivischen Bezug. Zeichen bewußter eindringlicher Kunstübung.

So läßt auch dieses kleine, anscheinend nebensächliche Moment erkennen, wie die Künstlerin allmählich reifte und zu dem wurde, was sie für ihre Zeit unbestritten war: Meisterin des kulturhistorischen Romans.

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