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Digital In Arbeit

WERKSTATTBERICHT

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Eigentlich ist es der Verrat eines Geschäftsgeheimnisses, wenn ich als Autor über die Arbeitsweise des Dramatikers berichte. Und nur damit entschuldigt sich ein solches Unterfangen — daß jene Arbeit zumeist gar kein Geschäft ist, bestenfalls kein sehr gutes.

Im Anfang ist der Drang, etwas zu schaffen, ein Drang, der sich ein Objekt sucht oder dank einer gnädigen Fügung von einem Objekt gesucht wird, das ihn wie ein Fieber befiel. Eine derartige „Ergriffenheit“ in des Wortes sinnlichster Bedeutung benötigt dazu nicht immer ein persönliches, auf sich übertragenes Erlebnis (wie etwa Goethes „Werther“), sondern lediglich eine gewisse Anfälligkeit derlei Ereignissen gegenüber, die in der Hochspannung des einzelnen dichterischen Nervensystems liegt.

' Durch Bewußtmachung und darauf folgende Gestaltung jene Bedrängnis wieder auszuscheiden — das ist der Verlauf des zur Dichtung führenden Prozesses. Der schon genannte „Werther“ gibt dafür ein klares Beispiel: eine subjektive Katastrophe schuf die Bereitschaft, den Leidensweg des Studenten Jerusalem in sich so zu erleben, daß sie die Niederschrift dieses Bestsellers des 18. Jahrhunderts in Goethe erzwang. Für den gegenteiligen Fall eines rein von außen kommenden Motivs, das keine ossianisch sentimentale, aber eine ingrimmig soziale Erschütterung in dem Dichter auslöste, bietet Georg Büchners „Woyzeck'', der sich aus einer in Leipzig 1824 durch das Schwert gesühnten, psychologisch nie ganz geklärten Bluttat herleitete, ein klassisches Beispiel.

Ausbruch, Verlauf und zum Werk gewordene Ueberwindung, ja sogar die diesen drei Stadien vorangegangene dichterische Inkubationszeit wird je nach der Art der Persönlichkeit des Produktionsträgers, aber auch nach der Gattung seiner dichterischen Gestaltung immer anders sein, weil für Epik, Lyrik und Drama der Schaffensablauf nicht nur genetisch in seiner Einstellung und Dauer, sondern auch technisch in seinen Mitteln wesentlich verschieden ist.

Jede dieser Dichtungsarten besitzt nämlich eine einzig für sie gültige Ausdrueksweise, die verfehlt wirkt, wenn sie ihren Apparat am falschen Ort verwendet, also etwa einen dramatischen Stoff auf epische oder lyrische Weise zu formen trachtet oder ein Gedicht, das sich ebenso als Novelle bringen ließe verfaßt, oder einen Roman, der als Drama konzipiert war. Besonders beim Gedicht wird das deutlich, wenn wir uns erinnern, daß manche der größten Ge- ' dichte unserer Literatur rational nicht auflösbar oder erklärbar sind, wie etwa Mörikes „Du bist Orplid, mein Land ...". Gedichte, voll von einer irrealen Bewußtlosigkeit, die scheinbar fertig aus dem Inneren ihrer Schöpfer dringen, wie aus den Wänden des dalmatinischen Karstes volle Ströme ans Licht quellen. Das genannte Gedicht ist allerdings schon ein Grenzfall und findet bei einzelnen späten Versen Hölderlins, bei Nietzsche und bei Georg Trakl seinesgleichen; in der englischen Lyrik bei T. S. Eliot und seiner Gruppe.

Wenn ich die klinisch anmutenden Worte „Produktionsprozeß“ und „Inkubationszeit“ verwende, so möchte ich das näher begründen. In besagter Inkubationszeit ist der Dichter von einer periodischen geistigen Besessenheit ergriffen, von der er sich durch die Produktion, die eine Art Heilungsprozeß durch Bewußtmachung der Bedrängnis mit nachfolgender Gestaltung bedeutet, zu befreien sucht. Die nämliche Anlage kann freilich, wenn sie nicht künstlerisch gemeistert wird, Zeichen, Ursache und Beginn einer geistigen Erkrankung werden, einer sich erweiternden Seelenspaltung, und durch sie bedingt, schließen sich oft dem Verfolgungswahn ähnelnde Zustände an.

Damit langt diese Betrachtung der Genese der Dichtung auf jenem Punkt an, wo sie vom allgemeinen Umriß auf das Empirische übergeht. Jedermann, auch ich, kann da nur aus persönlicher Erfahrung sprechen — allerdings bleibt die Möglichkeit gewisser Uebereinstimmungen gegeben, aus denen sich rückläufig wieder Gesetze ableiten lassen, die vom Individuellen ins Typische führen.

So möge nun eine Autopsie den dichterischen Schaffensvorgang vom Beginn bis zur Vollendung begleiten in all seiner Fragwürdigkeit, die noch am Einfall haftet, in seiner Entwicklung zwischen Hingerissenheit und Selbstkritik, uiäter Prüfung der Wichtigkeit des Materials, der Sprache darin und ihrer Bedeutung im Einsatz.

Dem klinisch prüfenden Ueberblick offenbaren sich die drei folgenden Phasen:

Die erste: In ihr stößt der Dichter auf seinen Stoff. Das ist das Stadium der Inkubation, die schon die ihr arteigene Form in der geplanten Gestaltung wählt.

Die zweite: Der Stoff arbeitet in dem Dichter und erzwingt sich Vervollkommnung seines Ausdruckes auf die ihm zugedachte Art. Hier geschieht die Arbeit am Wort, das Fleisch werden soll.

Die dritte: Bereichert um die im zweiten ersten Phase, oft unter dem Zeichen einer tiefen Depression, weil sie vorwiegend kritisch ist: sie streicht und zweifelt. Zuweilen bleibt der Dichter in ihr stecken und gibt das Rennen auf. Oder die eigenen erfundenen Figuren, die er mit seinem Blut und seiner Einbildungskraft genährt hat, nötigen ihn, den vorgefaßten Plan abzuändern. Verzagt er in dieser Phase, so muß er eine Pause der Distanzierung seiner eigenen Arbeit gegenüber einschalten, die bei einer epischen und lyrischen Behandlung des Stoffes längere Zeit als bei einem Drama währen kann; das Drama, von seinem Autor zu lange allein gelassen, stürzt ein.

In der dritten Phase steht der Dichter im Beginn dem bisher Geleisteten als ein skeptischer Fremder gegenüber, an das er kritisch Hand anlegt. Den groben Zügen der ersten Phase, deren Ausbau in der zweiten geschah, kommt er nun, bereichert um sein Wissen daraus, wieder nahe. Mit dieser Rückkehr zum Umriß, den er nun vertieft und ausfüllt, stellt sich die fiebrige Werkfreudigkeit wieder ein, weil er nun in vollster Souveränität über seinen geformten Stoff schaltet und aus einem fast schon technischen Vergnügen heraus Umstellungen darin vornimmt, die vor allem auf dem Gebiet des Dramas Ueberraschungen für ihn selbst bringen. Der banalste Satz darin kann bis ins Mark erschüttern, wenn er seinen ihm zustehenden Platz einnimmt oder wenn er ein Gefühl aus-

Abenteuerin Henriette, hat er durchschaut. Aber auch er, der ihr nur Rausch bedeutete, so wie sie ihm, ist für sie nicht mehr begehrenswert. Die Lust zwischen ihnen schnellt in Haß um, und im Abschluß eines wüsten Streites bezichtigt sie den Geliebten des Mordes an seinem i eigenen Kind. Da tritt aus dem Gebüsch hinter i der Bank ein Mann in Uniform. „Der Garten i wird geschlossen“, sagt er — nichts weiter. Und dennoch ist er, der Parkwächter, ein Invalide, i in diesem Augenblick der Engel mit dem feurigen Schwert, der das Paar, das gegen das Verbot i vom Baume der Erkenntnis aß, aus dem Paradiese weist. Adam und Eva, die um eine zeitliche Lust einen ewigen Garten verspielen, kehren immer wieder.

Der Autor wirkt hier als Stratege; sein Schreibtisch wird zum Schlachtfeld seiner Gedanken und Gefühle, auf dem er Siege erringt, aber auch Niederlagen erleidet. Denn alle Kunst wird durch Kampf im Innern gefördert, persönlichen Kampf um Verkörperung von Vorstellungen und Situationen.

„Aber die Intuition ... ?" höre ich fragen. Und der auf den Kuß seiner Muse wartende Dichter taucht auf, der sich, von ihr entflammt, begeistert ans Werk macht.

Nun, mit der Intuition ist es so, daß sie den Dichter fast immer belagert; jedem phantasiereichen Menschen bietet sie sich an. Mehr Impuls als Idee, hat sie eine Hochspannung der Nerven zur Prämisse, während welcher ein Dichter reizbar und für seine Mitmenschen nicht immer erfreulich ist: er befindet sich dabei in einer ähnlichen Verfassung wie in jener, die einer geistigen Erkrankung vorangeht, der man aber mit dem Beginn der Arbeit vorzubeugen vermag.

Uebrigens tritt die Intuition nicht unbedingt stets als Primäraffekt auf. Der Dichter kann auch dank seines einfachen Entschlusses, also durch einen Willensakt, den er setzt, sich für diesen oder jenen Stoff entscheiden, obgleich Stücke aus einem Wurf stärker dadurch gedeihen, daß der Stoff den Autor überfällt. Muß er aber wählen, so trifft er scheinbar nicht immer das Richtige; da helfen ihm dann Intuitionen weiter, die ihm während seiner harten und nüchternen Arbeit seine Menschen und ihre Zusammenhänge blitzartig in einer Tiefe und Stärke enthüllen, wie er sie lediglich auf Grund einer zerebralen Ueberlegung nie schöpferisch zu durchschauen und zu formen vermöchte. Dabei begegnet ihm etwas Seltsames : er stellt fest, daß es eigentlich nur ganz wenige Themen zur dichterischen Formung gibt. Auf welche Weise man ihnen neu nahezukommen sucht, macht den Fortschritt der dichterischen Entwicklung aus, die auf einer gestalteten Erweiterung unserer Lebenserfahrung beruht, und zwar in der Form einer Frage von einer Art, wie sie bis dahin noch nicht gestellt worden war, die sie an uns richtet. Schon die Tragiker der Antike wußten das; unter der Ananke verbarg sich die Frage, die sie an das Schicksal stellten. Die Archetypen ihrer Konflikte waren immer Familienkonflikte einer Elite, den Göttern näher und deshalb im strengen Sinne auch verantwortlicher als der sie kommentierende Chor, der das Volk versinnbildlichte, das nur warnend oder zustimmend, aber nie tätig in die Handlung eingriff.

Vorbedingung jeder Dichtung bleibt die Aufgeschlossenheit zum Erlebnis, selbst wenn es Verwundung oder Schmerz bedeutet; ihm auszuweichen wäre Fahnenflucht. Das Erlebni zwingt zur Konfrontation mit sich und der Umwelt und schafft durch diese Spaltung einen Zustand von innerer Not, der nach Beschwörung verlangt, die durch den Dichter im Zeichen de formenden Wortes geschieht.

Stets war es also jener Zustand von innerer Not, wo der Gott zu uns trat und uns seinem für den Augenblick sinnlos scheinenden Dienste weihte ... Ueber dem Vollendeten vergessen wir später oft den Anlaß: ob er einer persönlichen Leidenschaft entsprang, die sich in einer ihrer Passion verwandten spiegelte wie im „Werther", oder der Empörung über frer des Unrecht, dem man anders nicht beikommen konnte; das bewog Büchner zu seinem „Woyzeck". Was wir aus solchem Zwang in uns schufen, das trug dann den Charakter einer „substitutio vicaria“ an sich, einer stellvertretenden Genugtuung. Denn das bleibt unser? Sendung, über alles Eigenwillige hinaus die Verwandlung der erlebten Not zum Wohle jener zu vollziehen, denen es nicht gegönnt ist, sich im Werke zu befreien. Oder, um diese scherzhaft begonnene Betrachtung ernst im Zeichen eines nach dem Göttlichen blickenden Gleichnisses zu beschließen:

Immer wieder spendet der Dichter von Werk zu Werk sein Fleisch und sein Blut, wenn er den Namen „Dichter“ mit Fug und Recht zu tragen beansprucht.

Stadium erkämpften Werte, ringt der Dichter um Wärme und Farbe für seine Figuren, die sich schon halb von ihm abgelöst haben. Das Werk gedeiht zur Vollendung.

Die erste Phase, erfüllt von der erregenden

Idee, sucht diese ausreifen zu lassen, ehe sie ihre Entscheidung trifft, in welcher der drei Gattungen von Dichtung, Epos, Drama oder Lyrik sie sich ausdrücken wird. Erweckt kann sie werden durch ein persönliches seelisches oder physisches Trauma, aber auch von außen an eine bereits vorhandene innere Anfälligkeit herangetragen werden; beim Gedicht genügt dazu mitunter ein Klang oder eine Farbvision aus den Nachbarbereichen der Musik und der bildenden Künste. Fast skizzenhaft geschieht dann die erste Niederschrift mit allem Reiz einer rohen, wilden Frische, die sie in ihrer späteren Vollendung teilweise wieder einbüßt. Der „Urfaust", den man deshalb gerne spielt, gilt dafür als klassisches Exempel.

Die zweite Phase ist die der Erweiterung und des Umbaues. Sie vollzieht sich, im Gegensatz zu der berauschten Stimmung der besessenen löst, das logisch scheinbar mit der Aeußerung, auf die es reagiert, nichts zu tun hat.

Zwei Beispiele möchte ich dafür anführen:

In Shakespeares „Macbeth“ entwickelt die Lady, stärker darin als ihr schwankender Gatte, ihm den Mordplan an seinem Herrn und König. Macbeths Antwort ist darauf weder „ja“ noch „nein“, und dennoch stimmt er zu, freilich auf ganz besondere Art:

„Bring forth men-children only;

For thy undaunted mettle should compose Nothing but males..."

Auf den Männersinn der Gefährtin, die ihm den Plan zum Mord und Thronraub bringt, erwidert er typisch männlich mit der Sehnsucht nach männlichen Erben von der Frau, die ihm jenen Vorschlag machte.

Das zweite Beispiel stammt aus Strindbergs „Rausch“. Da sitzt das Paar, das Gier und Ehrgeiz zusammenführte, abends auf einer Bank des Luxemburger Gartens in Paris. Das Kind der früheren Gefährtin des Mannes, die er verließ, ist gestorben, und das Weib an seiner Seite, die

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