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RITTER UND TRÄUMER

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Alexander Lernet-Holenia ist der Caballero, der Lordsiegelbewahrer, der Grandseigneur unter den Dichtern seiner Generation. Er ist, auch wenn er nicht von Minne singt, den großen Troubadours zuzurechnen, welche die hohe Schule ihrer Kunstübung mit ritterlicher Haltung verbanden — der letzte vielleicht, für dieses Jahrhundert und einige andere. Lernet-Holenia ist ein ritterlicher Poet. Ritterlich nicht so sehr durch die Wahl seiner Gegenstände, welche häufig, nicht ohne Schwermut, aber auch nicht ohne Ironie, die Lebensart und die Formen einer vergangenen Standeswelt widerspiegeln — sondern durch seine Ehrfurcht vor dem Adel des Wortes und seine zugleich herrschaftliche und dienstbare Behandlung der Sprache. Selbst wo diese, wie in manchen Passagen seines erzählerischen Werkes, fast salopp oder spielerisch gehandhabt wird, ist sie immer von einem traditionsgebundenen!, doch neu und echt erlebten, im heutigen Schrifttum nur ihm allein eigentümlichen Ritual geprägt.

.....damit sich Gott wie weiches Wachs

abforme, hält der Dichter seine Siegel ihm unter wie ein Großalmosenier.“

So kennzeichnet er selbst den ihm zuteil gewordenen Auftrag. Sein Stil ist sein Charakter, und sein Charakter ist, im besten Sinne der Wertbewahrung, konservativ, doch ebenso eigenwillig wie bravourös. Er scheut sich nicht, bei seinen Zeitgenossen rechts und links Anstoß zu erregen, und er ist unbeeinflußt von den Tagesparolen der Mode. Er setzt künstlerische Disziplinen fort, die er so korrekt meistert wie er sich zu kleiden pflegt, ohne jemals epigonal, unpersönlich oder altbacken zu werden. Heraldik und Mythologie sind in seiner Lyrik und seiner, Prosa keine äußerlich ornamentalen Züge, sondern, wie seine gelegentlichen Ausflüge in barocke Bildfülle und formprächtige Artistik, dem Gesetz und Wesen seiner Poesie zutiefst eingeboren und angehörig. Hätte er wählen können, so hätte er sich vermutlich das dreizehnte Jahrhundert für sein Leben und Dichten ausgesucht, und im damaligen Französisch oder Italienisch geschrieben. Da es ihm aber bestimmt war, im zwanzigsten und im Bereich der deutschen Hochsprache, mit dem besonderen Tonfall des alten Österreich, heranzuwachsen, bewegt sich seine Dichtung in einer Welt der Träume, die aber nicht wie unsere Schlafträume im Ungewissen verschwimmen. Es sind Tag- oder Denkträume, auserlesene Träume jedenfalls, denen er eine völlig unverwechselbare, bis ins konkrete Detail überzeugende und eigentümliche Wirklichkeit verleiht. Diese Wirklichkeit wiederum bedeutet ihm, so will es erscheinen, nur den Anlaß zu seinen, teils aus vorhandenen Weistümern

schöpfenden, teils von seiner eigenen Erfahrung ausgesponnenen Meditationen. So seltsam dies bei der Eleganz seiner Diktion, dem Kavaliersmilieu, in dem die meisten seiner Geschichten spielen, anmuten mag, sind diese Meditationen durchweg metaphysischer, ja eschatologischer Natur. Sie ziehen sich, wie kostbare Perlschnüre, lose gereiht und in unauffälliger Fassung, durch sein ganzes Werk. Sie befassen sich mit den Letzten Dingen — dem Geheimnis der Zeit, der

unendlichen Endlichkeit, und mit dem Unfaßbaren, dem Phänomen des Todes.

Fast in allen seinen Romanen und Novellen, auch denen, die scheinbar mit leichter Hand hingeworfen sind, ist der Tod (als das einzige gemeinsame Schicksal aller Lebenden) immer gegenwärtig, oft sogar der eigentliche Inhalt seiner Untersuchung. Immer wieder handelt es sich um die visionäre Erforschung des Todes oder des Sterbevorgangs. Selbst in das genialisch-galante Scherzo seiner frühen Prosa, die „Abenteuer eines jungen Herrn in Polen“, gellt schon am Anfang die Todesfanfare, wenn sich das bei der Attacke zusammenschwindende Kavallerieregiment wie in verwehende Flocken aufzulösen beginnt. Und mitten in die amüsante und amouröse Anekdote (denn seine besten Romane ließen sich oft auf den Aktionsradius einer Anekdote komprimieren), fällt die Hinrichtungsszene eines wirklichen oder vermeintlichen Spions, wie der spitze Schatten eines Galgens, oder aber einer steil gegiebelten Kapelle, die der Aufbahrung der Verstorbenen dient. Doch ist seine Todesvision selten finster oder bedrückend. Manchmal, wie beim Hinsterben der Silverstoipe in dem wunderbar verflochtenen Roman „Beide Sizilien“ — der an keiner erkennbaren Krankheit stirbt, sondern einfach „des Todes“ ist —, gleicht sie einer, unserer Tonsetzung nicht mehr gewohnten äolischen Weise, oder der Auflösung einer fast schon überirdischen Mozart-Symphonie. Allerdings wird sie vorher von einem brennenden Gesicht des Weltuntergangs kontrapunktiert, das eine Frau, die niemals gelebt hat, in einem Traum, der niemals geträumt wurde, berichtet. Der unvermeidliche, weil seit den Anfängen des Menschengeschlechtes offenbarte doomsday, das Ende unseres Gestirns und all seiner Bewohner, stellt sich bei Lernet-Holenia stets als ein gewaltiges, alles verzehrendes Feuer dar — in diesem Fall aus kosmischen Ursachen, einer „Nova“ im Sonnenkörper, erklärt. Die Möglichkeit, daß die Menschen selber durch Mißbrauch ihrer Macht dieses furchtbare Endfeuer verursachen könnten, wird hier noch nicht in Betracht gezogen.

Wie die meisten Angehörigen dieser Jahrgänge, wurde Lernet-Holenia dem Tode und dem Sterben in sehr früher Jugend konfrontiert. Noch nicht siebzehnjährig, meldete er sich beim Ausbruch des ersten Weltkrieges zu einem österreichischen Kavallerieregiment, bei dem er den vierjährigen Feldzug als Offizier mitmachte. Doch löste das Kriegserlebnis bei ihm nicht, wie bei den anderen Autoren seiner Generation, entweder aktivistische Kriegsgegnerschaft, Ächtung des Krieges und seiner sozialen und politischen Ursachen aus, oder aber Glorifizierung des Krieges und damit aktivistischen Nationalismus. Keines von beiden. Alexander Lernet-Holenia betrachtet den Krieg, und die Geschehnisse seiner Zeit überhaupt, wie ein mystisches Schauspiel, an dem er zwar als Lebender teilnehmen muß, von dem er sich aber gleichzeitig als Schreibender distanziert. Dies läßt sich zum Teil damit erklären, daß er Österreicher ist —daß für ihn also mit dem Ausbruch, dem Verlauf und dem Ende dieses, des ersten Weltkrieges, etwas auseinanderflel, was ihm als das einzige noch Zusammenhängende erschienen war und worin all seine Lebens- und Wortbegriffe wurzelten. Anderseits damit, daß er, wenigstens zu Beginn des Feldzugs, als Kavallerist noch eine gewisse Schönheit des kriegerischen Vorgangs erlebt hat — soweit es bei einem Schreckensvorgang wie dem des Krieges überhaupt etwas wie Schönheit geben kann — und es gibt, die großen Maler haben es uns gezeigt, ästhetische Kategorien selbst beim Höllensturz, beim Martyrium, bei der Schlacht. Der Aufzug, die Anordnung und die Entwicklung eines attackierenden Kavallerieregiments hinterläßt bei dem, der es überlebt, vermutlich die Erinnerung an eine furchtbar mitreißende Dynamik, an ein schauerlich-blendendes Spiel mit dem Tod.

So scheint es manchmal, als spiele die Reiterei, auch wo sie aufgerieben und niedergemäht wird, für Lernet eine ähnliche Rolle wie für Emest Hemingway der Stierkampf: etwas, worüber er immer wieder schreiben muß, und was sich in gewissen Sequenzen seines Werkes fast litaneienhaft wiederholt. Hier vollzieht sich das Sterben, in seiner Sicht wie in dem Lied, dem alten Reiterlied, das er in der Szene, „als Einleitung zu einer Totenfeier für Rainer Maria Rilke“ geschrieben, zitiert: sie fallen wie Kräuter im Maien. Dazu gesellen sich mythische Urvorsteliungen vom Übergang aus der seienden Welt in die nicht mehr seiende, wie sie im Gilgamesch-Epos, in der Edda, bei Homer, Virgil und Dante angerührt werden oder wohl überhaupt den seherischen Dichtungen eigen sind, öfter wird in Lernets Lyrik sowohl wie in seiner Prosa die neuntägige Wanderung erwähnt (vermutlich einem keltischen Mythus entsprechend), die der Mann, wenn er sterben muß, antritt, indem er einen nach Norden zu verlaufenden, endlosen Hohlweg entlang reitet, bis er an dessen unkenntlichem Ziel in Nichts verschwindet. Sie vollzieht sich, nach unseren physikalischen Begriffen, in der Sekunde, oder dem Bruchteil der Sekunde, in welcher der körperliche Tod eintritt.

Völlig überzeugend ist dies in einer semer meisterhaften, in ihrem epischen Fluß unwiderstehlichen Erzählungen gestaltet, der Geschichte des „Baron Bagge“, der bei einem Angriff, von zwei Kugeln getroffen, vom Pferde stürzt und fast gleichzeitig, oder jedenfalls nur einige Augenblicke später, durch ein paar überlebende Reiter gerettet wird. In dem Moment jedoch, in dem er .gefallen“ war, erlebt er einen Traum, den der Leser mitzuträumen nicht aufhören kann, da er, wie der Betroffene selber, ganz in seinen Bann geschlagen wird; doch ist es eigentlich kein Traum, sondern eine exaktere, stärker belichtete Wirklichkeit, die nur durch das seltsame Verhalten einiger ganz realer, irdischer Personen, oder ihre plötzliche Anhäufung, oder durch eine gewisse Unverständlichkeit ihrer Äußerungen oder der Bedeutung ihrer Blicke geheimnisvoll und überwirklich erscheint. Das Phantastische besteht darin, daß alles so weiter geschieht, wie es hätte geschehen können, daß keine imaginäre, der irdischen entfremdete, sondern eine der gewohnten und bekannten entsprechende Landschaft das Geschehen umschließt, die nur in wenigen Zügen stygischen Wesens ist: der Fluß rauscht nicht, sondern er klirrt, als bestehe er aus Glasscherben (wobei allerdings, es ist Winter, auch an treibende Eisschollen gedacht werden kann) — der Schnee flockt nicht weiß, auch nicht wäßrig trübe herunter,

sondern scheint von einer grauen, unbekannten Aschensubstanz (wobei allerdings auch an eine Verfärbung durch den Staub in der Nähe befindlicher, erloschener Krater gedacht werden kann) —, kurzum, die Vorsteilungswelt bleibt irdisch real, und das Geschehen entwickelt sich in einer Logik, die Träumen nicht eignet, wenigstens nicht durch eine so lange Traumspanne hindurch — denn Träume, wie wir sie im Schlaf erleben, sind keine Wanderung ins Endgültige, ■ ins Nevenmore, sondern eine vielschichtige Reflexion der inneren und äußeren Lebensvibrationen, und daher in immer wechselnder, sich verschiebender Bewegung. Der Todes-oder Sterbetraum aber hat, in der Erkenntnis des Dichters, seine eigene Zielstrebigkeit, nämlich die einer letzten, geheimen Wunscherfüllung, einem sich mehrfach wiederholenden und abwandelnden Finale gleichend. Ich glaube, daß mit diesem „Baron Bagge“ dem Dichter ein absolutes Kunstwerk gelungen ist, wie es die Literatur nur selten aufzuweisen hat.

Als Alexander Lernet-Holenia im Jahre 1926 den Kleistpreis erhielt, war er bereits mit einem Gedichtband, „Der Kanzonnair“, hervorgetreten, der sich von der damals modernen Lyrik völlig abhob und Anklänge an Rilke erkennen ließ (was wäre ein Dichter, der keine Ahnen hat!). Solche Verse wirkten in dieser Zeit eher dekorativ oder „formalistisch“ und riefen die Parodisten auf den Plan. Aber da rauschte bereits in einer 'geformten Bilderfülle, wie sie auch bei seinen Vorgängern kaum zu finden ist, der „Drei-königszug“ vorüber, der mit der Zeile endet: „... und es kreiset der Wein in der Heiligen Nacht“ — da geschah der „bethlehemitische Kindermord“ wie ein grausiges, aber un-aufschiebsames Geschäft, dem der berittene Feldhauptmann, zwar etwas angewidert, doch eher gleichgültig, beiwohnt, „leicht vornübergeneigt, weil ihn das Schreien störte, und er sah an allem vorbei, bis er jemanden melden hörte, daß man jetzt fertig sei“. Eine Haltung, die wir nicht nur von Kreuzigungsgruppen aus dem 17. Jahrhundert, sondern auch aus unserer eigenen, damals noch unvorstellbaren Zeitgeschichte kennen.

Als ein völlig anderer, gleichsam Vollendeter, trat er zur selben Zeit mit seinen frühen Stücken auf die Bühne. In diesen, dem Einakter „Ollapotrida“, der „österreichischen Komödie“ zum Beispiel, war nichts von Anfängerturn zu spüren, auch nichts vom damals üblichen Umsturz oder von Sturm und Drang. Da erschien ein neuer Dramatiker, der das Metier in allen Fingerspitzen hatte, der Szenenführung und Dialog mit einer sicheren Leichtigkeit beherrschte, als habe er jahrelang, wie Moliere, seine eigenen Rollen geschrieben und seine Komödien mit seiner eigenen Truppe einstudiert. Von diesem Talent durfte man sich eine Erneuerung der Commedia dell'arte versprechen, eine Übertragung der spanischen und venezianischen Typenspiele auf die uns bekannten Züge und charakteristischen Masken der Gegenwart. Man wäre nicht überrascht gewesen, hätten Reinhardts „Kammerspiele“ von jetzt ab jede Saison mit einem neuen Lernet-Holenia eröffnet. Doch es traf nicht ein. Er schrieb noch einige, gleichfalls in sich vollendete Szenen, wie den düster-leuchtenden„ balladesken „Saul“, dann wandte er dem Theater den Rücken — vermutlich, weil es ihn langweilte, oder weil er es für eine untergeordnete Kunstübung hielt, in der er sich nur noch gelegentlich einmal, und ziemlich beiläufig, versuchte. Ich erinnere mich an seinen erstaunten Blick, als ich ihm irgendwann sagte, an einem Stück müsse ich ein halbes, manchmal ein ganzes Jahr arbeilten. „Für ein Theaterstück“, sagte er mit hochgezogenen Brauen, „braucht man ein verregnetes Wochenende.“ Aber offenbar bat es in dieser Zeit selbst im Salzkammergut samstags und sonntags zu wenig geregnet, und er fuhr lieber auf seinem schmalen Ausleger mit Rollsitz, den ich „den Einbaum“ nannte, auf dem Wolfgangsee umher. Vielleicht verspürte er auch schon hinter der glanzvollen Fülle des damals theatralisch Dargebotenen die kommende Agonie des Theaters.

Denn Lernet-Holenia hatte immer das Gespür für den geheimen Wind- und Wellengang seiner Zeit, auch wenn er sich in seinen Schriften niemals, wie man das heute nennt, „engagierte“. Durch die lange Reihe seiner umfangreicheren und kürzeren Erzählungen (unter denen es Kostbarkeiten gibt wie die kaum zwanzig Seiten lange, das Leben eines Pferdes und eines Menschen umfassende Novellette („Maresi“), auch durch seine lyrische Dichtung und nicht zuletzt die in» Faksimile seiner eigenen, dem Wesen seiner Dichtung und seiner persönlichen Erscheinung vollständig kongruenten Handschrift veröffentlichten Hymnen „Das Feuer“, durch sein ganzes Werk .geht ein Zug von gelassener, doch keineswegs müder, eher trotzigen Resignation.

Welcher Schreibende hat nicht schon die Empfindung gekannt, daß das, was er sagen möchte, eigentlich unsagbar, das Begonnene unvollendbar sei, ja daß das Beginnen bereits eine Vermessenheit bedeute? Diese Seelenlage ist kaum in einem anderen, mir bekannten Werk so ergreifend zum Ausdruck gebracht wie in Lernet-Holenias seltsamen Roman „Der Graf von Sadnt-Germain“, den er in einem Zwischenreich, zwischen den Lebenden und den Revenants, ansiedelt und mit dem Einmarsch der Hitlertruppen in Österreich enden läßt Selbst das fabelhafte Pilatusspiel, das von den Zöglingen eines Internates nächtlicherweise improvisiert wird, legt Zeugnis ab von der Unvollendbarkeit des groß Geträuniten — und am Ende des dritten Teiles dieser Erzählung, das ihren Wendepunkt bedeutet, zitiert er ein Gedicht, in dem es heißt:

„Denn dies ist's ein Dichter zu sein: viel aufzugeben, ja das Werk auch zuletzt und das Ungeheuer der ungeschriebenen Strophen, Unzuvollendendes aber auf immer bewahren zu müssen...“

Dies sei, schreibt Lernet, die Übersetzung eines Gedichtes von Theophile Gautier, ohne die Reime. Aber ich glaube, man wird bei Gautier das Gedicht vergebens suchen. Es weist die Thematik und den Tonfall auf, der sich in der späteren Poesie Lemet-Holenias immer wieder äußert, so in der tragischen Hymne „An Gottfried Benn“, in der er die Vergeblichkeit jeder Frage, das Stummbleiben aller vom Dichter beschworenen Gestalten und Geskhte elegisch besingt:

„sie bleiben stumm, wie alles stumm geblieben, was Du je befragt...“

Doch resigniert der Dichter nicht in seiner Haltung, als es galt, sie in den finsteren Zeiten zu bewahren. Das Tausendjährige Reich blieb für ihn eine Welt des Abseheus und der Schande, mit der es nicht den Schatten eines Kompromisses geben konnte, nur schweigende Verachtung. Nicht einen Augenblick zweifelte er am Untergang des Reiches, dessen Vorzeichen er einmal, in seinem Roman „Mars im Widder“, durch ein Bild, oder besser: ein Naturereignis, von unheimlicher Symbolkraft heraufbeschwört: den leise dahin-scharrenden Zug wandernder Krebse, ein sonst kaum je beobachtetes Phänomen, dem ein Offizier, nachts vor dem Einsatz in Polen, in einer Art von selbsthypnotischer Benommenheit beiwohnt.

Als aber die tausend Jahre herum waren und sich die Geheimschubladen der meisten verbotenen oder stumm gebliebenen Autoren als leer erwiesen, kam aus der seinen eine Elegie, oder auch ein Anruf, ins Neblichte, Dunkle, Ungewisse hinaus, ernst und trauervoll, doch von männlicher Klarsicht durchhellt: das Gedicht „Germanien“.

Warum fällt mir, wenn ich nach einer Zusammenfassung dieses Porträts einer ungewöhnlichen Dichterpersönlichkeit suche, der Name Marcus Aurelius ein? Ich wüßte nicht, daß er ihn je zitierte oder sich auf ihn beruft. Ist es nur wegen des herrlichen Reiterstandbildes auf dem römischen Kapital?

Oder ist es wegen der Strophe, mit der Alexander Lernet-Holenia sein Buch handgeschriebener Hymnen mit einer Ode „An Christus“ vollendet:

„Denn keine Unsterblichen gibt es, als unseresgleichen. Großes haben zwar die Heroen getan, Größeres die Götter, das Größte aber die Menschen.“

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