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Hesses später Prosa neue Folge

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Seit dem „Glasperlenspiel“ trat bei Hesse mehr und mehr die Neigung hervor, sich nicht mehr in ronianesken Transkriptionen darzustellen, sondern nun sich selber Subjekt und Objekt zu sein und direkt von sich zu reden. Er war zwar schon immer mit sich beschäftigt, mit seinem Innern und seinen Erinnerungen, mit seinen Versuchungen und Möglichkeiten, seinen Träumen und Wünschen, und die Gestalten seiner Erzählungen und Romane, die Knulp und Harry Haller, die Camenzind und Kuhn und Eiselein waren Imaginationen seiner Innenschau, waren zwar von ihm fort erfundene Figuren, aber doch Bild und Gleichnis seiner selbst. Kaum einmal hat er von sich abgesehen, denn immer mischte er sich unter seine Gestalten oder dissoziierte sich in Narziss und Goldmund, und es war so, wie er einmal gestand: „Alle! meine Erzählungen handelten von mir selbst, spiegelten meinen eigenen Weg, meine eigenen heimlichen Träume und Wünsche, meine eigenen bitteren Nöte.“ Aber nach seinem siebzigsten Jahr ging die Lust am Sich-Verkleiden zurück, am Spiel mit dem Fingierten, und in den Büchern der späten Prosa hieß der Mann, um den es ging, nur noch Hermann Hesse.

Auch der neue Band „Beschwörungen“ (erschienen im Suhrkamp-Verlag, Berlin, 1955) enthält wieder — könnte man sagen — Marginalien zu seiner Biographie, Erinnerungsstücke und autobiographische Feuilletons und Meditationen eines Menschen, der noch einmal den Kreis seines Lebens abschreitet, sich an Vergangenes erinnert, das Land seiner Kindheit und Jugend aufsucht und das Exempel der Proustschen „Madelaine“ in Hessescher Gangart abzuwandeln versucht. Der alte Mann plaudert über vergangene Dinge, schreibt Briefe an eine etwas gespenstische Runde von Abgeschiedenen über das, was einmal war, vor mehr als einem halben Jahrhundert, und ist wie Odysseus auf der Fahrt ins Jenseitsland.

Man fühlt sich zwar manchmal an Theodor Storni erinnert, der noch ein Jahr vor seinem Tod damit begann, sich an den Originalen und Käuzen seiner Kindheit zu ergötzen und an den verblichenen Substraten seiner Husumer Novellen. Und so abgelegen wäre das nicht einmal, denn sie haben Gemeinsames, die beiden, mehr als man zuzugeben wagt, auch im Literarischen, auch in der Neigung zum Sentimentalischen, in der Melancholie des „Vorbei“ und in der mehr lyrischen als epischen Attitüde der Prosa; mit Storm hätte sich Hesse verständigen können. Aber bei Hesse, scheint mir, ist noch eine Dimension mehr im Spiel. Er ist trotz seines Mehr an Jahren wacher, reflektierender, komplizierter, auch ironischer und hintergründiger und — das Training jahrzehntelanger Selbstanalyse macht sich hier bemerkbar — während des Sich-Erinnerns beobachtet er sich, ist im Rückwärtsgang noch auf sich selbst zurückgebogen.

Das macht diese späte Prosa so merkwürdig und erstaunlich, daß hinter ihrer scheinbaren Einfachheit höchst Kompliziertes vor sich geht, nichts nur in einer Schicht verläuft, sondern in zwei, drei Schichten zugleich, die, unmöglich zu sagen wie, ineinandergreifen und miteinander korrespondieren. Wenn man von Altersprosa reden wollte, müßte man hier hinzufügen, daß sie ein bedeutendes Gebilde sei und eine Meisterschaft verrate, die man selten finden wird. Es ist nichts Defizientes darin, und die vorübergehenden Müdigkeiten, die auf einigen Seiten liegen, haben wenig zu sagen. Sie sind begreiflich und sie vermindern kaum unseren Gewinn und unser Erstaunen. Ja es ist zu sagen, daß Hesse in seinen frischesten Mannesjahren oft kaum besser geschrieben hat als heute — und manchmal weniger gut, in „Gertrud“ beispielsweise, wo sich doch vieles etwas salopp davontrollt, oder in ti Roßhalde“.

Es wäre auch noch anderes zu sagen. Was uns Hesse manchmal etwas verleiden konnte, ist gemildert oder überwachsen: seine früheren Grämlichkeiten und Wehleidigkeiten, die Auslegeordnung seiner hypochondrischen Verdrießlichkeiten und anderes. Weltanschauliches, das sich, dem Geschmack der Zeit entsprechend, etwas zu indisch oder chinesisch gab. Man findet nicht mehr viel davon, dafür jetzt eine Neigung zu schalkhaftem Humor, der ganz ohne Bitterkeit ist, ohne Ressentiment, ohne die Zerrungen und Spannungen etwa der zwanziger und dreißiger Jahre. Das alles ist sympathisch und macht uns Hesse wieder lieb und wert, und man sieht ihn fast von einer neuen Seite, wenn man im Rundbrief über das Alter liest: „Neulich stand ich in meinem Garten, hatte ein Feuer brennen und speiste es mit Laub und dürren Zweigen. Da kam eine alte Frau, wohl gegen achtzig Jahre alt, an der Weißdornhecke vorbei, bleibt stehen und sah mir zu. Ich grüßte, da lachte sie und sagte: ,Sie haben ganz recht mit Ihrem Feuerchen, man muß sich in unserem Alter so allmählich mit der Hölle anfreunden.' Damit war die Tonart eines Gesprächs angeschlagen, in dem wir einander allerlei Leiden und Entbehrungen klagten, aber immer im Ton des Spaßes. Und am Ende unserer Unterhaltung gestanden wir uns ein, daß wir trotz allem ja eigentlich noch gar nicht so furchtbar alt seien und kaum als richtige Greise gelten könnten, solang in unserem Dorf noch unsere Aelteste, die Hundertjährige, lebe...“ Es vergrämt ihn also nicht, nun alt zu sein, denn er hat nun die Freuden des Alters entdeckt, und das ist ein neuer Reiz für ihn. Unermüdlich ist er jetzt damit beschäftigt, uns seine neuen Erfahrungen mitzuteilen und uns zu sagen, wie ihm ist im Altsein.

Bert Herzog

Geister werfen keinen Schatten. Roman. Von Frank T h i e ß. Paul-Zsolnay-Verlag, Hamburg-Wien. 526 Seiten. Preis 89 S.

Der neue Roman von Thieß steht in innerem Zusammenhang mit dem früher erschienenen Werk „Die Straßen des Labyrinths“, ist aber in sich abgeschlossen. Obwohl sehr viel in diesem Buch vorgeht — vor allem in den Bezirken des Seelischen —, kann man doch kaum von einer eigentlichen „Handlung“ sprechen. Die Geschichte der Familie Schalk — der Vater, ein Professor, seine Gattin Christa und der Sohn Valentin —, die von Hamburg in einen österreichischen Alpenkurort reist, um eine recht fragwürdige Erbschaft zu übernehmen, ist nach des Autors eigenen einleitenden Worten „eher eine Bilderparaphrase über das Thema der Verwandlung alles dessen, was wir festhalten wollen“. Sie ist „eine Darstellung wechselnder Seelenlagen, in deren Verlauf der Mensch sein Gesicht verändert“. Der antike Meergott Proteus, der jede Gestalt annehmen konnte, erscheint Thieß als Sinnbild des Lebens. Dem Wandel aller Dinge haftet etwas Unheimliches an, das der Mensch verspürt, wenn er alles Erleben in seine Ordnung zwingen will.

Dieses Thema bestimmt auch die besondere Technik des vorliegenden Romans. Mit breiter Ausführlichkeit schildert er das Milieu und die eigenartige Atmosphäre von St. Ctefani, die vielerlei vorder- und hintergründigen Beziehungen, welche die Mitglieder der Familie Schalk anknüpfen, und die oft absonderlichen Charaktere der handelnden Personen. In den Ereignissen der Gegenwart wirkt still, aber mächtig die Vergangenheit nach, die „Geister“ gehen um, natürlich nicht im Sinne des Spiritismus, sondern „Wesen, die wir weder begreifen noch erkennen können“, wie es in Valentins Tagebuch einmal heißt. Hinter allem steht der Schatten eines rätselhaften, dämonischen Mannes, eines unbekümmerten Individualisten.

Das Fließende, Unsichere, Bodenlose des menschlichen Seins darzustellen war die Absicht des Autors. Es gelangen ihm einige interessante Charakterstudien, vor allem die Frauen deutet er psychologisch fein. Dem jungen Schriftsteller Valentin stellte er den zynischen, morbiden Alexander als einen Zeittypus wirkungsvoll gegenüber. Die Schwächen des Buches sind seine allzu große Breite, die Hypertrophie des essayistischen Elements und die zu weit getriebene Aufsplitterung in Einzelepisoden. Der — gewiß geistvolle — Essayist und Kulturkritiker Thieß verdrängt ott den Erzähler. Die Personen sprechen häufig ganze Abhandlungen. Der Leser muß sich mühen, den Faden nicht zu verlieren, der ihn durch das Labyrinth der Begebenheiten führen kann. Auch der „Schluß“ läßt vieles offen, aber das ist wohl beabsichtigt.

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