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Eine neue Lyrik-Anthologie

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„Sonores Saitenspiel.“ österreichische Lyrik seit der Jahrhundertwende. Luckmann-Verlag in Wien. 200 Seiten.

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„Sonores Saitenspiel.“ österreichische Lyrik seit der Jahrhundertwende. Luckmann-Verlag in Wien. 200 Seiten.

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Die beiden 'Herausgeber, Laurenz Wiedner und Franz Taucher, hatten ein außerordentlich reiches und wertvolles Material zur Verfügung, welches sich natürlich nach den verschiedensten Gesichtspunkten anordnen ließe. Sie haben sich für das chronologische Prinzip entschieden, beginnen mit Ferdinand von Saar (geb. 1833) und schließen mit Gedichten jener Generation die knapp vor dem ersten Weltkrieg geboren wurde.

Es ist unvermeidlich, daß eine Auswahl, welche sich auf höchstens zehn Gedichte des einzelnen Autors beschränken muß( immer vom persönlichen Geschmack der Herausgeber diktiert sein wird, wenn nicht bestimmte weltanschauliche oder stoffliche Gesichtspunkte entscheidend mitwirken. In dieser Hinsicht klingt uns aus dem „Sonoren Saitenspiel“ kein dominierender Grundton entgegen. Wollte man troic dieser Einschränkung das Auswahlprinzip der Sammlung charakterisieren, so könnte man es als ein ästhetisches bezeichnen. Im übrigen ist man an das Material, recht unbefangen und unvoreingenommen herangetreten und hat den Kreis der aufzunehmenden Dichter ziemlich weit gezogen. Zwei Stichproben mögen dies erweisen. Der Jahrgang 1874 etwa ist durch Hofmannsthal, Karl Kraus und Schaukal vertreten, Jahrgang 1887 mit Gütersloh, Alma J. Koenig, Paula von Preradovič und Georg Trakl, der Jahrgang 1897 mit Rudolf Henz, Felmayer, Theodor Kramer, Leitgeb, Lernet-Holenia und Scheibeireiter. — Karl Kraus mit neun und Gütersloh mit acht Gedichten sind allerdings gegenüber Franz Werfel und Max Mell — mit nur je drei Gedichten— als Lyriker überschätzt; außerdem erscheint mir die bei Werfel getroffene Auswahl allzu willkürlich und wenig glücklich. Nicht ganz auf der Höhe der älteren Generation sind die Gedichte der Jüngeren und, Essays über Dichtung. Von Rudolf B a y r. Verlag A. Sexl, Wien 1947.

Unter Berufung auf Heideggers Auffassung der Dichtung als Offenbarung von Existenz legt Bayr acht Aufsätze vor, in deren Mittelpunkt bezeichnenderweise Rilke und Hölderlin stehen. Methodisch verbindet der Verfasser mit dieser Betrachtungsweise das Bestreben, akute Gegenwartsproblem durch Heranziehung antiken Geistesgutes zu klären. Aber will sich nicht bereits zwischen den Zeilen dieser Essays der Heils- weg aus dem Inferno des „Existentialismus” abzeichnen? („Antike Tragödie und Gegenwart.“) Manches ist nur an den Rand anderer Arbeiten geschrieben („Der späte Hölderlin"), alle Aufsätze aber geben durchaus Eigenes — sosehr sie nur als auf engsten Raum zusammengedrängte Vorstudien aufzufassen sind. Die Sprache ist treffsicher, doch wünschte mm sie sich manchmal etwas schlichter. Dr. Karl Rohm

Die Große Flucht. Von Adalbert Welte. Roman. Schweizer Volks-Buchgemeinde Luzern.

Im späten Mittelalter sind aus dem Schweizer Wallis mehrere Wellen von Einwanderern in die Täler Vorarlbergs gekommen, die heute noch „Walsertal“ heißen. Adalbert Welte, der große Vorarlberger Erzähler, gestaltet jenen Abschnitt heimischer Geschichte mit bedeutender Kunst in seinem historischen Roman, in dem glücklicherweise nidit geschichtliches Wissen, sondern psychologische Darstellungsgabe vorherrschen. Die Probleme, die Weltes Walser beherrschen, sind die zeitlos-menschlichen, die in allen Jahrhunderten gleichbleiben. Die Gestalten des Dichters sind Menschen aus einem Guß, gezeichnet mit wenigen Strichen, aber ihr Tun entspringt ihrer Persönlichkeit. Die eigentliche Handlung des Romans ist mit großer Folgerichtigkeit, aber auch mit echt dichterischer Zartheit ausgearbeitet. Es ist hoch erfreulich, daß durch die vorliegende Ausgabe das Werk, eines der besten Erzeugnisse Vorarlberger Dichtkunst überhaupt, dem Schweizer Nachbarvolke vermittelt wird, das am geschichtlichen Untergründe gleichfalls seinen Anteil hat.

Der ferne Flügel. Roman von Viktor Capek. Amandus-Edition, Wien. 212 Seiten.

Weiße Ärztekittel, eine Kopfverletzung — Unfall oder Versicherungsbetrug —, die Handlung geschickt konstruiert, ein oder zwei gelungene Charakterzeichnungen; ein Schuß Romantizismus: der Genesende hört eine Sonate, die der Wind vom „fernen Flügel" herweht, verliebt sich in die Pianistin — und sie in ihn ... Liberale Moral durchmischt die Geschichte.

obwohl dies in erster Linie dem zur Verfügung stehenden Material zuzuschreiben ist, liegen hier auch gewisse Mängel in der Auswahl vor. Trotz dieser Einschränkungen wird die Sammlung allen jenen Freude machen, welche sich auch in unseren Tagen ein Gefühl und die Freude am lyrisdien Wortkunstwerk bewahrt haben.

Der Sorgfalt der Auswahl entspricht leider nicht die der Herstellung, insbesondere der Korrektur. Auf diesem Gebiet sind eine Reihe von Unachtsamkeiten und Irrtümern unterlaufen, welche geeignet sind, dem kritischen Leser diesen schönen Band bis zu einem gewissen Grade zu verleiden. Im Autorenverzeichnis wird das Todesjahr von Trakl mit 1924 angegeben (richtig: 1914), Rudolf Henz wurde um fast 20 Jahre älter gemacht (geb. 1879 — richtig: 1897), der bekannte Lyriker Rudolf Felmayer erscheint als Fehlrrälyer, der Name, des weniger bekannten Josef Kalmer steht im Register richtig verzeichnet, taucht aber bei den Gedichten als Rudolf Kalmer auf. Ähnlich erging es Hans Leifhelm, der ebenfalls im Register richtig angeführt ist, sich dagegen über seinem zweiten Gedicht in Franz Leifhelm verwandelt hat. — Alle diese Ungenauigkeiten mögen nicht als kleinliche Kritik an einem einzelnen Werk auf- gefaßt werden. Sie sind kennzeichnend für einen Großteil der österreichischen Buchproduktion der Gegenwart, der es sowohl an Fachkenntnis als auch an Gewissenhaftigkeit oft in erschreckendem Ausmaß fehlt. Dilettantismus und Lieblosigkeit bei der Herstellung erstrecken sich zumeist auch auf das äußere Kleid des Buches. In dieser Hinsicht macht das besprochene Werk mit seinem freundlichen Einband, seinem zweckmäßigen Schutzkarton und seinem gefälligen Satzspiegel eine erfreuliche Ausnahme.

Seite 100: „Die kirchlichen oder standesamtlichen (1) Zeremonien... sind gut und wichtig, ... aber erst von zweitrangiger Bedeutung." (Diese Auffassung machte den Weg zu den „Reichsjunker- und Mütterschulen“ frei.) — Schwierigkeiten zögern die Vereinigung der Liebenden hinaus; gegen Ende geht eine Pistole los, der Held mit der Kopfverletzung wird rückfällig. Wieder tönt der „ferne 'Flügel“: sie kriegen sich ... Wieder ein „Roman“ Wann werden wir von den wirklichkeitsfremden Erzeugnissen befreit werden? Es wäre ein Beitrag zum geistigen und sittlichen Wiederaufbau.

Nikodemus. Ein Pfarrer erzählt. Von Franz J a n t s c h. Verlag Ferd. Baumgartner, Wien. 216 Seiten.

Ein merkwürdiges Buch. Es packt dich, du weißt nicht wie. Ihm zum Vergleich ein anderes heranzuziehen, ist schwer. Denn es ist von ursprünglicher Eigenständigkeit. Ein Pfarrer, der ein bedeutender Schriftsteller ist, hat diese 33 Kurzgeschichten geschrieben; sie bilden ein zusammengehöriges Ganzes, obwohl sie Einzelausschnitte sind aus dem Leben, aus den Erfahrungen eines Seelsorgers, eines tiefen Kenners der menschlichen Seele und der Welt, ihrer Gottesschönheiten und ihrer Abgründe. Wer in der „Furche“ die Erzählung „Auf dem Veitberg“ von Franz Jantsch und einige, auch in diesem Bande wiedergegebenen Skizzen aus der religiösen Bannmeile der Großstadt gelesen hat, der bat auch die Besoderheit dieses künstlerischen Gestalters verspürt, dessen charakteri- stisdie Stärke gemütsliefe Menschen- und Naturschilderung ohne Pathos, man möchte sagen: beseelte Sachlichkeit ist. Diese Kurzgeschichten verraten etwas von . dem Werden dieses seltenen Erzählertalents, das von den höchsten Dingen zu sprechen vermag, ohne eine fromme Geschichte zu schreiben. Wanderlust und Erlebnisfreude haben den Verfasser schon als jungen Menschen weit durch die Welt geführt; früh meldet sich in ihm der priester- üche Beruf, in diesem reift sein brüderlicher Sinn und seine Hilfsbereitschaft für die Not seiner Mitmenschen zu voller Frucht. Das vorliegende Buch gehört zu dem Ertrag. Eine der feinen literarischen Schöpfungen der Nachkriegszeit im deutschen Sprachraum.

Das Betrachten von Kunstwerken. Von Ferdinand Eckhardt, Amandus-Edition, Wien.

Damit ein wirkliches Kunstwerk entsteht, müssen zwei Voraussetzungen gegeben sein: die geistige (nicht die intellektuelle) Stärke des Künstlers und ein großes technisches Können. Was der Künstler bei dem Schaffen eines Kunst werkes gefühlt hat, muß er technisch auszudrücken imstande sein. Um nun in dessen Geist einzudringen, hat sich im Betrachter das Gegenteil zu vollziehen. Diese fast selbstverständliche Forderung wird leider heute nicht mehr so befolgt wie einst, denn viele Besucher von Ausstellungen und Museen begnügen sich mit dem bloßen äußerlichen Studium der Werke. Um wirklich den inneren Zusammenhang von Volk und Kunst wieder herzustellen, der weithin verlorengegangen ist, erscheint es notwendig, daß möglichst viele Pädagogen und Kunstfreunde sich mit der Erziehung zur Betrachtung der Kunstwerke beschäftigen. Sie sollen nicht nur selbst den Weg zum richtigen Kunstgefühl finden, sondern ihn auch den ändern zeigen kön nen. Deshalb werden seit Kriegsende zahlreiche Führungen bei den Ausstellungen zu diesem Zwecke gemacht. Aber auch die Museen sollen künftig nicht nur der Kunstgeschichte dienen, sondern vielmehr als früher die Verbindung zum Volk finden. Dr. Eckhardt, der heute schon die Arbeit des Kunsterziehers an den Wiener staatlichen Kunstsammlungen durchführt, hat dieses Budh geschrieben, das hiefür sehr wichtig scheint. Es soll der Blick auf alle wichtigen Kunstwerke der europäischen Kunst gelenkt werden. — Wer dieses Buch genau studiert, der wird zu einer Kunstbetrachtung angeleitet, die zum Originalwerk führt und in den Gei? des Kunstwerkes eindringt.

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