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VON NEUEN BUCHERN

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Von Emil Waldmann. Verlag Anton Schroll & Co. in Wien. 79 Seiten und 97 Bilder.

In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts werden die Breschen geschlagen für die moderne Kunst; ihre bahnbrechenden Wegbereiter erwachsen “ dem europäischen Kulturkreis aus französischem Geist. Die gesamte neuere Malerei ist undenkbar ohne der entscheidenden Leistung Cecannes, wie die moderne Plastik ohne Auguste Rodin, dessen Werk als unausweichlicher Wegweiser inmitten einer stilauflösenden Periode steht und seither immer von neuem zu einer Auseinandersetzung zwingt. In dem vorliegenden Buch verzichtet der Kunsthistoriker Waldmann bewußt auf jede dichterische Verklärung und, indem er damit gänzlich andere Wege einschlägt als das berühmte Rodin-Buch Rilkes, das keine kunstgeschichtliche Studie, sondern ein Bekenntnis ist, in dem er Rodins Kunst auf der Höhe des Ruhmes wie ein Evangelium verkündet, füllt der Verfasser eine schon seit langem fühlbare Lücke in der deutschen Kunstliteratur. Mit den Augen des Kunstkenners führt Waldmann den Leser an das geniale Werk Rodins heran und entwirft mit einfühlungsstarker Sprache das Bild dieses virtuosen Bildhauers, der — bedrängt von der inneren Fülle der Gestalten — wie im Fieberrausch Werk um Werk geschaffen, in denen nicht nur die innere Erregung fast schon die Formen sprengt, sondern auch die Umwelt in jede Gebärde hineingenommen scheint.

Das erste Kapitel behandelt die Anfänge und das Werden der, Kunst Rodins, seinen lebenslangen Kampf gegen die offizielle Kunstwelt, die ihm im eigenen Lande erst lange nach den ersten Erfolgen in Wien und London Anerkennung zollte. In den weiteren Abschnitten wird versucht, das eigentliche Wesen und Geheimnis der Kunst Rodins zu klären. Schon in frühen Jahren, während der durch äußere Lebensnot bedingten Beschäftigung mit dem Kunstgewerbe gewinnt das Psychologische und das Suchen nach der Tiefe des Seelischen Gewalt über Rodin. Sein Werk erscheint wie die Verwirklichung jenes Ausspruches, den er einmal von einem anonymen Steinmetz in Paris erfahren: „Ich stelle mir die Modellierung als die höchste Spitze einer von innen, aus der Materie, aus dem Körper, aus dem Stein oder aus dem Ton nach außen drängenden Wellenbewegung vor.“ In dem Ringen, die tote Materie an ihrer Oberfläche mit tiefstem Ausdruck zu beseelen, zeichnet sich der Unterschied zur Kunst Michelangelos ab, deren Ausdrucksgewalt Rodins Ideal und Sehnsucht war.

Rodins innere Welt war unerschöpflich, sein Leben reichte nicht aus, um alle die ihn bestürzenden Intentionen in sichtbarer Gestalt reifen zu lassen und seine Leistungen blieben unvollendet. In seiner monumentalen Verbindung von Architektur und Plastik erscheint sein geplanter „Turm der Arbeit“ wie eine ins Moderne übertragene Vision einer mittelalterlichen Kathedrale, deren Wunder Rodins leidenschaftliche Liebe seinem Volke wiederentdeckt hatte. Mit mächtigen Schritten geht immer wieder Dante durch das Werk Rodins, das somit mit seinen tiefsten Wurzeln poetisch verankert erscheint. Wie der Dichter, so erschafft Rodin mit seinen Gestalten eine eigene Welt mit ihren eigenen Gesetzen. In dieser geistigen Verwandtschaft zur Literatur liegt die Berührung Rodins mit Balzac. In dem überwältigenden Entwurf zu dessen Denkmal gelang dem Meister nicht nur eine seiner packendsten Schöpfungen, sondern zugleich war der für die spätere Entwicklung entscheidende moderne Denkmaltypus geschaffen.

Der Text des Buches wird durch Bilder unterstützt und ergänzt, in denen das Werk Rodins in einprägsamer Wirksamkeit dem Betrachter vor Augen geführt wird. Mit diesem Band setzt die Sammlung Schroll ihre durch vorbildliche Ausstattung bekannte Reihe der Kunstbücher wieder fort.

Zwischen Mars und Apoll. Unveröffentlichte Briefe des Cosimo dei Medici. Ins Deutsche übersetzt und herausgegeben von Richard Hoffmann. 269 Seiten. Wien, Andermann-Verlag.

Das Zeitalter der Renaissance mit seinen Menschen von höchster Begabung und von oft staunenerregender Charakterstärke, mit seinen grellen Lichtern und tiefen Schatten, mit seinen Extremen im Guten wie im Bösen, ist so reich in der Fülle seines geschichtlichen Lebens, daß man immer noch neue Wesenszüge an ihm entdeckt.

Mit großem Geschick ist hier das Persönlichste einer bedeutenden Individualität, durch Briefe, so zusammengestellt, daß ein Lebens- und ein Zeitbild daraus geworden ist. Die Ubersetzung und auch der verbindende Text des .Herausgebers erfreuen durch den gepflegten Stil und die schöne Sprache. Die prächtigen geschichtlichen Bilder des 16. Jahrhunderts und auch die Demütigungen, die das geistig hochstehende, aber innerlich zerrissene Italien, von mehreren Großmächten niedergehalten, auf sich nehmen mußte, werden vor dem Auge des Lesers wieder lebendig,

Cosimo dei Medici (1519 bis 1574) gehörte zu jenen Männern, deren Begabung und Geschicklichkeit, deren Festigkeit und Glaubensstärke das Vaterland seinen Wiederaufstieg zu verdanken hatte. Eine ganz andere Natur als viele feiner Zeitgenossen, schrieb er im Jahre 1546, daß es auf der Welt zwei Dinge gibt, die jeder Regierende achten muß: das eine ist die Gerechtigkeit, das andere das gegebene Wort und die Treue“. Gute Bildbeilagen, ein schöner Letternsatz und der geschmackvolle Einband vollenden die Ausstattung des Buches.

„Die Litterarische Welt.“ Geleitet von L. W. Rochowanski. Verlag Wilhelm Frick am Graben in Wien. 105 Seiten. Preis S 4.—.

Soeben erscheint das erste Heft einer neuen Viertel jahrsschrift, deren Namen an eine vor 1933 weitverbreitete Wochenschrift erinnert und deren Format und Haltung etwa dem der „Neuen Rundschau“ des Fischer-Verlages entsprechen. Belletristische Beiträge, Sachprosa und literarkritische Abhandlungen halten sich ungefähr die Waage. Aus dem Bestand der älteren Literatur stammt das Zwischenspiel „Der Advokat“ zu dem Fronleichnamsstück „Der Name Jesu“ von Lope de Vega, Charles Sealsfield, über den E. Castle in der gleichen Nummer eine Studie unter dem Titel „Carl Postls einsame Jahre“ .veröffentlicht, ist mit einem Kapitel (The Future of Europe) aus einem in englischer Sprache geschriebenen Roman vertreten. O. M. Fontana analysiert das Wesen des Wiener Theaters und S. von Radecki entdeckt im Kreis und in der Geraden die „Figuren unseres Zeiterlebens“. Von der zeitgenössischen Prosa ist vor. allem „Die Jonaspredigt“ aus dem Roman des Amerikaners Melville („Moby Dick“) hervorzuheben, mit dessen Werk sich zwei Essays auseinandersetzen. .„

O. Katann untersucht in einer umfangreicheren und gewichtigen Studie das Verhältnis zwischen Rasse und Religion und kommt — nach einer Kritik der Rassenlehre des Nationalsozialismus, insbesondere der „Rassenseelcnlehre“ und der These von der „artgemäßen Sittlichkeit und Religion“ — zu dem Schluß, daß nichts dazu berechtigt, „die Rasse als solche als das einzig schöpferische Prinzip zu betrachten; sondern schöpferisch ist vor allem die menschliche Natur“, die menschliche Phantasie und der menschliche Geist, der allerdings eine große Variationsbreite besitzt. Hieraus — und nicht aus der naturgegebenen Verschiedenheit der Menschenrassen — resultiere die Verschiedenheit der Religionen und der Kultformen.

Eine Reihe interessanter, bisher unveröffentlichter Briefe von H. Bahr und Anton Wildgans bringt uns die beiden Dichter menschlich nahe und legt Zeugnis ab von jenem edlen Gefühl und dauerhaftesten Glück, das Männerfreundschaft heißt.

Einige Glossen und Besprechungen von Neuerscheinungen aus dem anglo-amerikanischen Kulturkreis beschließen das gehaltvolle Heft. Diese letzte Abteilung (Sparte) wünscht man sich noch wesentlich mehr ausgebaut und erweitert. Vielleicht wird die „Litterarische Welt“ es sich angelegen sein lassen und in der Lage sein, auf diesem Gebiet eine empfindliche Lücke schließen zn helfen.

Agathon. Almanach auf das Jahr 46 des 20. Jahrhunderts. Agathonverlag Wien. Preis S 20.—.

Der Agathon-Almanach ist der letzte und — wie uns scheinen will —“ geschlossenste und einheitlichste dieses Jahres. Man spürt die leichte und wählerische Hand des Herausgebers, die Gedichte und poetische Prosa, Künstlerbriefe und Tagebuchblätter österreichischer, insbesondere Wiener Autoren, in abwechslungsreicher Folge aneinandergereiht hat. Von der Jahrhundertwende bis zur jüngsten Gegenwart wölbt sich der Bogen — ein Regenbogen in zarten und reinen Farben, kaum einmal von einem kräftig-grelleren Farbton unterbrochen.

Gedichte von Schaukai, Andrian, Trakl, Petzold und Ambrosi stehen zwischen Prosaarbeiten von Wildgans, Fontana, Robert Michel und Paula von Preradovic. Hofmannsthals dramatische Studie zur Ödipus-Tjagödie ist vielleicht der gewichtigste, Rochowanskis Hexameter-Idyll wohl der anmutigste Beitrag. Sachprosa hat das Werk von Karl Kraus, Hauers Zwölftonspiel unter anderem zum Gegenstand. Eingestreut sind Handschriftproben von Rilke, Werfel, Stefan Zweig und Petzold. Zeichnungen von Orlik, Faistauer, Schiele, Boeckl und Dobrowsky fügen sich organisch ein und geben dem Büchlein ein festlich-freundliches Gesicht,

„Todesstrafe und Schwurgericht.*1 Von Rechtsanwalt Dr. Hans Gürtler, Wien. Manz, Verlagsbuchhandlung 32 Seiten.

Der bekannte Wiener Rechtsanwalt macht, veranlaßt durch ein Todesurteil, das ein Wiener Gericht im Juni 1946 in einem Giftmordprozeß gefällt hat, in ausgezeichneter Darstellung geltend, daß die derzeitig in Geltung stehenden österreichischen Gesetze die Todesstrafe im ordentlichen Verfahren nicht zulassen und daß auch da Schwurgericht in der heutigen Art (drei Berufsrichter und drei Schöffen) eigentlich ungesetzlich'ist. Daß Rechtsanwalt Dr. Gürtler mit seiner schlüssig aufgebauten Schrift recht hat, beweist im übrigen auch der daraufhin dem Nationalrat vom Justizministerium im nachhinein vorgelegte Gesetzentwurf, der das heutige Schwurgericht und die Todesstrafe im ordentlichen Verfahren ausdrücklich bis 30. Juni 1947 zulässig erklären lassen will und dem man, wenn man der amtlichen Wiener Zeitung“ vom 10. Juli 1946 Glauben schenkt, „rückwi r-kende Kraft“ verleihen will. Eine Absicht, die man als bedenklich bezeichnen muß, denn in einem Rechtsstaat dürfen Gesetze nicht „zurückwirken“, schon gar nicht, wo es um Leben und Tod geht. Ein solcher Plan würde gegen die Grundprinzipien der demokratischen Staatsaüffassung verstoßen. — Die Broschüre ist eine ernste Mahnung an die zuständige Stelle; solche Fehler wie sie Doktor Gürtler treffend aufgezeigt hat, sollen und dürfen nicht geschehen. Man kann den einzelnen Nat'on4lräten, die aus den verschiedensten Berufskreisen stammen, nicht zumuten und auch von ihnen gar nicht verlangen, sich in die juristische Konstrukion eines Gesetzgebungswerkes zu vertiefen. Man kann ihnen nur vortragen, welche Absicht mit einem solchen Gesetze verbunden ist und sie müssen mit Sicherheit daran glauben können, daß diese Absicht mit dem ihnen zur Abstimmung vorgelegten Gesetzentwurf auch tatsächlich erreicht wird. Ist dies, wie beim vorliegenden Problem (Schwurgericht und Todesstrafe) nicht der Fall, tragen weder der Nationalrat im allgemeinen, noch die einzelnen Mitglieder selbstverständlich hiefür die Verantwortung.

AHes in allem muß die Öffentlichkeit dem Verfasser dankbar sein, daß er jetzt in dieser Richtung aufklärend gewirkt hat. Der Leser erhält im übrigen gleichzeitig einen kurzen, in gedrängter Darstellung gegebenen historischen Uberblick über die Institution des Schwurgerichts sowie über die Geschichte der Todesstrafe, der für viele Laien recht interessant sein mag.

Gesetzesvorschlag über die Wiedergutmachung in Österreich. Von L. P. P o g a n y und R. M. B 1 a v i e r z. Folge zwei des Europäischen Pressedienstes.

Die Frage der Wiedergutmachung der Schäden, die die nationalsozialistische Herrschaft aus politischen Gründen Verfolgten und jüdischen Personen zugefügt hat, gehört zu den dringenden und unerläßlichen Aufgaben unserer Gesetzgebung. Kein geringerer als Bundeskanzler Ingenieur Figl hat erst kürzlich darüber die Erklärung abgegeben, daß die Regierung bei der Wiedergutmachung selbstverständlich alle österreichischen Staatsbürger ohne Unterschied der Religion, der Rasse, des Standes und der Klasse in gleicher Weise behandeln wird.

Die Verfasser des „Gesetzesvorschlages“ bringen die Forderungen der Betroffenen in Gestalt eines Gesetzentwurfes vor, nachdem sie in einer % Einbegleitung darauf hinweisen, daß andere Länder, zum Beispiel Frankreich, Rumänien und Griechenland derartige Gesetze bereits erlassen haben. Leider unterlassen sie es, die Leser über Inhalt und Methoden dieser Gesetze zu unterrichten, was zum Verständnis und zur Würdigung ihres“ Vorschlages erheblich beitragen würde. Die Schrift ist sicherlich eintwert-volles Mittel, um der Öffentlichkeit das Problem in seinen Einzelheiten näherzubringen und weite Kreise mit ihm vertraut zu: machen.

Ob es dabei glücklich war, die Form des Gesetzentwurfes zu wählen, sei dahingestellt, zumal der „Gesctzesvorschlag“ in gesetzestech-nischer Hinsicht manche Mängel aufweist. Ob in materieller Hinsicht die Forderungen der Verfasser erfüllt werden können, ist eine Frage, die nicht vom Willen, sondern vom Vermögen abhängt. Zweifellos soll die Wiedergutmachung weitestgehend eine vollkommene sein. Bei den ungeheuren Schäden, die der Krieg unserem kleinen Staat zugefügt hat, sind hier zweifellos Grenzen gesetzt.

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