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Kunsthistorische Katastrophentheorie

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Karl Schefflers Lebenswerk war der Deskription jener vielfältigen und merkwürdigen Beziehungen gewidmet, die, offen und unterirdisch, die Kunst des 19. Jahrhunderts mit dem Barock verbinden. Seine großen Kenntnisse erweisen sich in diesem seines letzten Buch auf das deutlichste; diese kurzen Abrisse über die Künstler und Künstlergruppen, die Kunstrichtungen und Stiltendenzen des vergangenen Säkulums sind konzis und genau, manche Formulierungen unübertrefflich: etwa die des Kapitels über den Klassizismus, den Scheffler als den „Manierismus des Barocks“ verstanden wissen will, oder jene anderen über das plötzliche, und massenhafte Auftreten des Kitsches und der Salonmalerei der Gründerzeit.

Indessen gilt — ungeachtet des einschränkenden Untertiteis — ein Großteil des Buches den Phänomenen der Moderne, denen Scheffler übrigens schon lange vor 1933 unverständlich heftige Angriffe gewidmet hat. Man wird sogar den Verdacht nicht los, daß alle Ausführungen über die Kunst des Barocks eigentlich nur die Ausgangsbasis für eine Polemik wider die Zeitgenossen abzugeben haben — eine Polemik, die fatalerweise mit jenen quasibiologischen Argumenten Spenglerscher Prägung geführt wird, denen selbst Hinz und Kunz allmählich schon überdrüssig werden.

Man gestatte uns, den Gedankengang dieser Polemik kurz nachzuzeichnen: Scheffler nimmt an (und das ist zweifellos eine diskutable These), daß der Barock ein „Spätstil“ sei. Nun setzt er aber den Begriff „Spätstil“ mit einem anderen Begriff, nämlich „Altersstil“, gleich. Und nun beginnt die Spekulation: der Altersstil — der Barock also — ist schlechthin nicht zu überwinden, denn nach dem Alter kommt ja nur mehr der Tod. Infolgedessen muß jegliche nachbarocke Kunstproduktion entweder die Zeichen des todesnahen Alters tragen, im besten Fall kann es — wenn die

Stigmata des Ueberalterns nicht vorhanden sind — noch barock sein.

Man höre, wie solche Ueberlegungen gestützt werden: „Die Vegetation treibt im Frühling Blüten und Blätter, sie läßt im Sommer ihre Früchte reifen und braucht dazu ihre beste Kraft; im Herbst schießen die Pflanzen ins Kraut... der Geburtenüberschuß des 19. Jahrhunderts... die Familien erloschen schnell, sie hatten keine Tiefe... Die Geburtenvermehrung ist durch rücksichtslose Menschenvernichtung zum Teil wettgemacht worden, doch genügt diese Selbstkqrrek-tur nicht. Wenn man diesen Vorgang nicht als Beweis für die Selbstzerstörung, das ist für den Niedergang einer ganzen Rasse gelten läßt, dann ist schwer einzusehen, was noch beweiskräftig ist“ (Seite 41). Nein, diese Determination durch einen offenbar unzureichenden Biologismus treibt Schefflers Stilkritik zu vielen seltsamen Seitensprüngen. „Die Malerei Wilhelm Leibis, zum Beispiel, ist weniger bedeutend als die von Franz Hals“ (Seite 51). Vielleicht; aber man kann nicht, umgekehrt, aus der Tatsache, daß Franz van Mieris ein schwächerer Maler als Leibi war, schließen, daß das 17. Jahrhundert an das Zeitalter Leibis nicht heranreicht; und wir zitierten diesen Satz im Grunde nur, weil er aufs schönste zeigt, daß im Gefolge solcher Kunstbiologismen immer auch die echte Kritik verschwindet — Kunz und Hinz bezeichnen ja auch mit dem biologischen Begriff „entartet“, was sie nicht verstehen, und meinen doch, damit k u n s t kritisch geurteilt zu haben.

Aber sehen wir weiter auf Seite 51: „... der ebenfalls nazarenisch empfindende Vincent van Gogh...“ Nun, wenn jeder, der Züge eines Schwärmers trägt, ein Nazarener — und infolgedessen eine derivierte Barocknatur — ist, dann war Hitler auch ein Nazarener. Toulouse-Lautrec,? Seine Kunst enthielt „ein intellektuelles Rokoko... sein Talent brachte der Zeit eine Spätblüte der Lithographie“ (Seite 73). Uebrigens wurde die Lithographie der Kunst erst durch Toulouse-Lautrec wirklich geschenkt — aber das nur nebenbei. Beardsley brachte (Seite 73) ein „typographisch stilisiertes Rokoko“ hervor, der Jugendstil ist im ganzen (Seite 76) „drittes Rokoko“. Und selbst der Expressionismus (Seite 194) ist nichts anderes und nichts sonst als ein „Enkelkind der Gedankenromantik, unmittelbar gezeugt vom dekorativ gewordenen Impressionismus“. Aber so geht es weiter und so geht das fort: Der Impressionismus ist das letzte Kind des Barocks, und alles andere ist entweder barock oder mißverstandener Impressionismus. Und das ist alles entweder zu bestreiten oder nicht bestreitens-wert.

Die Philosophie des Glücks. Von Ludwig Marcus«. Europa-Verlag, Zürich-Wien. 351 Seiten.

Die uralte Frage nach dem Wesen des Glücks und nach den Wegen, die zum Glück führen, haben viele Denker aller Nationen und Zeiten zu beantworten versucht. Marcuse stellt einige dieser berühmten „Glückssucher“ dem Leser vor. Am Beginn der Reihe stehen der biblische Hiob, der für sein Recht auf Glück streitet, und der „Hans im Glück“ aus dem Märchen, der die Entdeckung macht, daß das Glück in der Seele selbst liegt. Es folgen der Grieche Epikur, der „Prediger Salomon“, der Stoiker Seneca, der heilige Augustinus, der byzantinische Gelehrte und Mönch Psellus, der Philosoph Spinoza, der Sozialreformer Robert Owen und der Dichter Tolstoi. In dem Kapitel „Die Freunde des Epikur und ihre Gegner“ wird auf Buddha, Epiktet, Montaigne, Kant, Schopenhauer und Sigmund Freud hingewiesen. Der Verfasser zeigt, wie vieldeutig das Wort Glück ist, wie es ein „Abladeplatz für die Ideen und Wertungen von Jahrhunderten“ (Seite 18) wurde und wie alle Versuche, den Begriff „Glück“ endgültig zu definieren, scheitern müssen. Glück könne nicht auf nur einem Wege entstehen. Marcuse stellt Leben und Lehre der Denker einander gegenüber und enthüllt die Widersprüche und die Relativität der Wertungen. Eine ironisch-skeptische Art bestimmt seine Darstellung. Manchmal werden die einzelnen Lehren zu flüchtig behandelt, wie etwa das Kapitel über Seneca beweist. Dem Christentum und seinen religiösen Werten bringt Marcuse kein rechtes Verständnis entgegen. Das sehr gut und oft geistreich geschriebene Buch will kein Rezept und keine Definition geben, es will aber „Mut zum eigenen Glück“ machen. Der Leser wird .trotz kritischer Einwände mancherlei fruchtbare Anregungen daraus schöpfen.

Dr. Theo Trümmer

Bindung und Freiheit des katholischen Denkens. Probleme der Gegenwart im Urteil der Kirche, herausgegeben von Albert Hart.mann SJ. Verlag Josef Knecht, Frankfurt a. M., 1952.

Sieben Vertreter der SJ. beleuchten in diesem Buch die wichtigsten und aktuellsten Probleme der katholischen Philosophie und Theologie, wobei sie mit besonderer Berücksichtigung der Enzyklika „Humani Genens“ Bindung und Freiheit des katholischen Denkens, d. h. Grenzen und Gefahren, aber auch die positiven Möglichkeiten neuerer Erkenntnisse aufzeigen. Die behandelten Themen lauten: Christliche Philosophie, Existentialismus, Gotteserkenntnis und Gottesbeweis, Katholische Schriftauslegung und Eigenart biblischer Geschichtsschreibung, Abstammung des Menschen, Wesen und Werden der Dogmen. Als Abschluß folgt eine deutsche Ueber-setzung der Enzyklika. Alle Abhandlungen wirken nicht nur durch ihre erfreuliche Offenheit bestechend, sondern vor allem durch die Klarheit der Sprache, die fast einheitlich ist. Wer als katholischer Theologe oder Laie in die moderne Problematik miteinbezogen ist, findet hier wohlüberlegte Richtlinien, die weder die Offenbarung gefährden noch die richtig verstandene Freiheit der katholischen Forschung einschränken. Sehr wertvoll scheint uns die Darstellung über den Existentialismus in seinen verschiedenen Formen sowie die Abhandlung über die katholische Schriftauslegung; hier wird nämlich auch für die geistige Interpretation eine Lanze gebrochen, aber gleichzeitig eine stärkere Bindung an den Verbal- oder Realsinn befürwortet. Die Ausführungen mögen vielleicht nicht so geistreich oder so „belesen“ wirken wie die eines Henri de Lubac, dafür aber scheinen sie uns als Wegführer zuverlässiger zu sein.

Dr. Nico Greitemann

Vierzig Stigmatisierte der neueren Zeit. Von Johannes Marie Höcht. Credo-Verlag, Wiesbaden, 1952. 250 Seiten. Mit 75 Abbildungen auf 32 Tafeln und im Text.

Das vorliegende Werk ist der zweite Band des Gesamtwerkes „Träger der Wundmale Christi“. Der erste Band umfaßt die Geschichte der Stigmatisierten von Franziskus von Assisi bis zur großen Heiligen Theresia von Avila. Der zweite Band gibt eine historische Darstellung über vierzig Stigmatisierte von zirka 1618 ab bis zur Gegenwart. Unter diesen befinden sich: Margareta Maria Alacoque, Veronika Giuliani, Anna Katharina Emmerich, Maria von Morl, Louise Lateau, Gemma Galgani, Pater Pio und Therese Neumann.

Das Werk ist von großer Bedeutung als historisches Nachschlagewerk und unbedingt nötig für jeden, der sich mit der Erforschung der Grenzzustände des menschlichen Seelenlebens beschäftigt. Univ.-Prof. DDDr. A. Niedermeyer

Einkommensteuergesetz. Von B 1 ü m i c h-

F a 1 k, 6. Auflage. Verlag für Rechtswissenschaft, vorm. Vahlen G. m. b. H., Berlin-Frankfurt a. M. 999 Seiten.

Da die reichsdeutschen Steuergesetze — etwas allgemein gesprochen — in Oesterreich noch in

Geltung stehen, ist für ihr Verständnis und ihre Auslegung die deutsche Fachliteratur nach wie vor von großer Bedeutung. Dies gilt besonders für das Einkommensteuergesetz, das mit den durch die rechtliche Eigenart der juristischen Personen bedingten Ergänzungen und Abänderungen, auch der Besteuerung der Kapitalgesellschaften zugrunde liegt. Als das reichsdeutsche Spezialwerk für diese praktisch fast jeden Staatsbürger berührende steuerliche Materie hat in der Fachwelt stets der „Blümieh-Falk“ gegolten. Seit 1945 hat sich wohl in Oesterreich und in Deutschland das beiden Staaten seit 1938 gemeinsame Einkommensteuergesetz vom Jahre 1938 in verschiedenartiger Weise weiterentwickelt. Trotzdem sind die Gemeinsamkeiten noch außerordentlich groß und die grundlegenden Begriffe in beiden Ländern weithin dieselben geblieben. Der Besitz dieses ungemein gründlichen, schon dank seines Umfanges die Materie voll ausschöpfenden Werkes ist deshalb für den österreichischen Fachmann zur Beurteilung schwierigerer Fälle von größtem Nutzen.

Carl Peel

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