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Diebe in der Nacht

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Von Artur K ö s 11 e r. Aus dem Englischen Ubersetzt von Dr. LHly Speiser. Danubia-Verlag, Wien. 458 Selten.

Chronik eines Experiments nennt der Autor sein Werk und hebt hervor, daß die Personen erdichtet seien, die Ereignisse jedoch nicht. Die .Chronik“ gilt dem Versuch, in Palästina einen jüdischen Nationalstaat auf sozialistischen Kommunen zu begründen. Das englische Original wurde in Jerusalem im Jahre 1945 niedergeschrieben. Die Beschreibung der Entstehung und Entwicklung der Kommune Esras-Turm erinnert unwillkürlich an Phantasien aus der Zeit des utopistischen Sozialismus, der vor etwa hundert Jahren vom Marxismus abgelöst worden ist, in dessen Ausbildungskursen seine Jünger belehrt wurden, nicht von der schöpferischen Kraft sich einer Idee leidenschaftlich hingebender Menschen die Umwandlung der Gesellschaft zu erwarten, sondern von der unwiderstehlichen Gewalt der „Entwicklung“ gemäß dem Gesetz der materialistischen Geschichtsauffassung. Daß in diesem Glauben an den kommenden Zukunftsstaat unter der rationalen Oberfläche Ideen der alten Utopisten fortlebten, bezeugt der Roman Köstlers. Roman? Reportage? Politisches Bekenntnisbuch? Von allen dreien sind Bestimmungsmerkmale jn der „Chronik“ zu finden, Neben fast ermüdenden Debatten über Theoreme des Zionismus, Sozialismus, Nationalismus und Pazifismus, über Chamberlain und die Araber begegnet der Leser einer stark bewegten Darstellung und fesselnden Personenschilderung. Schade, daß die Wirkung der Sprachkunst Köstlers nicht selten durch Flüchtigkeitsfehler der Übersetzung beeinträchtigt wird. Eine Hauptgestalt, die eines englischen Halbjuden, der in sich die Widersprüche zweier Welten zu überwinden hat, stellt den Zusammenhang her, ohne den die Reportage in ihre Stücke zerfallen müßte. In den zahlreichen Männern und Frauen seines Buches führt der Autor vor allem eindringlich charakterisierte Typen sozialistischer Menschen vor. Die interessanteste Erscheinung, der auch Köstler seine besondere Aufmerksamkeit entgegenbringt, nennt er Baumann. Er läßt den Wiener Juden als Mitglied des sozialdemokratischen Schutzbundes die Februartage 1934 erleben, an denen der bewaffnete Aufstand und der Generalstreik überraschend schnell zusammenbrachen, weil die große Mehrheit der Arbeiter sich diesen gefährlichen Experimenten fernhielt. Aus den Worten, die der Verfasser dem Emigranten in den Mund legt, flackert ein nach Jahren gemeinsamen Leides noch immer unversöhnlicher Haß, der es sogar zustande bringt, den als Märtyrer für die Freiheit des Vaterlandes gefallenen Gegner von einst persönlich zu beschimpfen. Jeder Bürgerkrieg ist ein Unglück, weil sein Erlebnis schwärende Wunden hinterläßt. Es ist das Recht des Dichters, das Leid solcher Gemüter zu beschreiben, es ist aber auch seine hohe Sendung, durch seine Kunst zur endlichen Heilung beizutragen. Davon ist bei Köstler leider nichts zu bemerken. Oder will er sein Urteil über Baumann dadurch ausdrücken, daß er ihn, der doch auf den Februarbarrikaden für die Demokratie gekämpft zu haben sich rühmt, nun, in Palästina, vor dem starken Widerstand der Gegner des unabhängigen Judenstaates die sozialdemokratische Tradition aufgeben und „Faschist“ werden läßt, der mit der Gewalt blutiger Waffen seine Ziele zu erreichen strebt? Ein anderer Sozialist des Buches nennt ihn deswegen einen modernen Schüler Machiavellis, dem alle Mittel für seine Partei erlaubt dünken, die er dem Gegner zum Vorwurf macht. Bei Köstler werden Baumann und andere Personen überraschend schnell von Internationalen zu fanatischen Nationalisten. Uber die Haltung seiner Gestalten zur Religion ist nicht viel zu lesen, und das wenige ist unerfreulich. Orthodoxe Rabbinatsschüler werden mit spöttischen Strichen gezeichnet, und das schwache Aufleuchten religiöser Tradition bei den Frauen von Esras-Turm, die eine Trauung nach dem Ritual vor dem Rabbiner doch dem Leben in „freier Ehe“ vorziehen, ist durch die lieblose Ironie der Einzelheiten verdunkelt. Von diesem Hintergrund heben sich die Gemeinschaftstugenden der Treue und Solidarität, des Gehorsams und Fleißes sowie der rasch erblühenden Heimatliebe als tröstliche Lichter ab. Die langwierigen Diskussionen verhindern schließlich nicht, daß — immer nach Köstlers Chronik — in der sozialistischen Kom. .une allmählich soziale Differenzierungen auftreten und daß eine regierende Schicht über den Regierten sich an der Macht erhält. Legt der Leser das Buch aus der Hand, steht er unter einem starken Eindruck und blättert gerne die Seiten nach, die ihn am meisten fesselten.

E. Dietrich

Jene Dame. Roman von Kate OB r i e n. (Der Lebensroman der Fünstin Eboli.) Paul-Zsolnay-Verlag, Wien. 515 Seiten.

„Das ist kein historischer Roman, sondern freies Spiel der Phantasie, die angeregt wurde durch die merkwürdigen Schicksale der Anna de Mendoza und König Philipp II. von Spanien“, sagt die Verfasserin im Vorwort, und so wäre es nicht angemessen, darum zu rechten, ob sich jene Gegebenheiten, um die sich die Handlung des Romans rankt, wirklich so zugetragen haben, wenn sie nicht fortfahren würde: „Ich habe mich an den geschichtlichen Ablauf der Ereignisse, in denen sie eine Rolle spielten, gehalten.“ Es kommt nun gerade im Falle Spaniens wesentlich auf die Quelle an, aus der eine literarische Arbeit ihr historisches Substrat schöpft. Wenige Epochen und auch wenige Herrscherpersönlichkeiten waren so lange Mißdeutungen der Geschichtsschreibung ausgesetzt wie gerade Philipp II. und sein Zeitalter: Philipp, der heute staatspolitisch und historisch völlig rehabilitiert ist. So ist auch gerade jene Handlung nicht erwiesen, die in dem Roman den Umschwung im Lebensschicksal der verwitweten Fürstin von Eboli auslöst: die Ermordung des Geheimschreibers Juan de Escobedo über Veranlassung seines Rivalen und Liebhabers der Fürstin, Antonio Perez, auf Philipps Geheiß.

Man mag es bedauern, diese Einwendung machen zu müssen. Denn es ist unstreitig ein starkes Buch, dessen Erfolg in der englischen Ursprache verständlich ist. Diese Fürstin von Eboli ist wirklich eine große Dame der Feudalzeit, eine ungebrochene Persönlichkeit, voll einer gewissen natürlichen Stärke und Geschlossenheit in ihren Vorzügen wie in ihren Abirrungen, deren Folgen sie ganz und mit voller Seelenhaltung trägt. Die träumerische, zarte wie brüderliche Zuneigung, die Philipp und sie einander entgegenbringen, ist mit zarten Farben gezeichnet, und der Schönheit jener Kapitel, die die spätere Leidenszeit der Fürstin schildern, wird man sich schwer zu entziehen vermögen. Carl v. Peez

Die Montanistische Hochschule Leoben 1849—1949. Festschrift zur Jubelfeier ihres hundertjährigen Bestandes. Springer-Verlag, Wien. %

Die Leobener Hochschule hat sich ans kleinsten Anfängen rasch zu einer Anstalt von Weltgeltung entwickelt, alle wirtschaftlichen und politischen Krisen glücklich überdauert und stets eine Spitzenstellung in der Lehre und Forschung der von ihr vertretenen Wissensgebiete eingehalten. Die Entstehung aller technischen Hochschulen — und die Leobener ist ja auch eine solche — wurzelt in den Vorgängen zu Beginn des vorigen Jahrhunderts, als die Industrie das Kleingewerbe mit seinen althergebrachten Verfahren, seiner mengenmäßig begrenzten Leistungsfähigkeit und seinen verhältnismäßig hohen Gestehungskosten zu verdrängen begann. Nur der zielbewußte Ausbau der theoretischen Grundlagen konnte die Urproduktion von zwei der wichtigsten Stoffe, Kohle und Eisen, auf die angestrebte Höhe bringen und damit den Vorsprung Englands über die kontinentale Industrie einholen. Lange Jahre vergingen, endlose bürokratische Schwierigkeiten mußten überwunden werden, bis der Wurtsch Erzherzog Johanns (der ja selbst einen Hochofen in Vordernberg besaß) nach einer Berghochschule verwirklicht werden konnte. 1840 wurde in Vordernberg die „Steiermärkisch-Ständische Montanlehranstalt“ begründet, mit Peter Tunner als Professor für alles. 1848 erfolgte die Verstaatlichung, 1849 die Ubersiedlung nach Leoben. Die Umwandlung zur Bergakademie 1861, die Erhebung zur Hochschule durch Einführung der Staatsprüfungen 1894, das Promotionsrecht 1904 (mit dem neuen Namen der „Montanistischen Hochschule“) sind die wichtigsten Entwicklungsstufen. — Eine Anzahl von Aufsätzen aus der Feder der Lehrkanzelvorstände geben eine lebendige Vorstellung von dem stetigen Anschwellen des technischen Wissensstoffes und der dadurch bedingten Aufgliederung in viele Teilfächer.

Prof. Dr. Alois K i e s 1 i n g e r

Vom Adventisten zum Benediktiner. Von

Pius D i m a n t O. S. B. Rex-Verlag, Luzern. 108 Seiten.

Das schmale Bändchen kann zu den seelsorglich verwendbarsten Darstellungen der letzten Jahre gerechnet werden. Der autobiographische Charakter — die entscheidenden Stationen in diesem Leben sind geschickt herausgehoben — sichert dem Buch das Interesse auch des einfachen Lesers, der die Darstellung des Konkreten liebt. Die lebendige Art, der einfache, aber keineswegs primitive Stil machen auch dem religiös Ungebildeten jene gedanklichen Auseinandersetzungen verständlich, auf die es, pastoral gesehen, wesentlich ankommt: die Fähigkeit des menschlichen Verstandes zur Gotteserkenntnis (81), die Gottessohnschaft Christi und die Wahrheit der

Kirche (78) und anderes mehr. Die Schilderung der Lehre, der Gesinnung und der Methode der Adventisten gibt ein sehr interessantes und aufklärendes Bild dieser auch bei uns verbreiteten Sekte-, wichtiger aber ist der Weg P. Dimants zum Glauben der katholischen Kirche, der psychologisch die Fragen der Ungläubigen oder Irrgläubigen gegenüber der katholischen Kirche (zum Beispiel Marien- und Heiiigenverehrung, Prie-stertum, Prunk in der Kirche usw.) aufhellend behandelt.

Är. Margarethe Schmid

Das Tiroler Unterland heimatgeschichtlich.

Heft 10: Das Sölland: Söll, Scheffau, Ellmau. Von Matthias M a y e r. Going 1949. Selbstverlag Pfarrer Dr. Matthias Mayer. 500 Seiten, 34 Abbildungen auf Tafeln, eine Stammbaumtafel, acht Karten.

Matthias Mayer eröffnet mit diesem umfangreichen Band eine gesonderte Heimatkunde des Tiroler Unterlandes, das ist Nordosttirol von Achensee—Jenbach—Zillertal an, so daß sein Werk „Der Tiroler Anteil des Erzbistums Salzburg“, von dem bisher drei Bände vorliegen, sich „nur“ mehr auf kirchen- und kunstgeschichtliche Darstellungen beschränkt. Mayer nützt die Aufgabe, alle Quellen dieses Gebietes für seine vierzehnbändige Diözesan-geschich;c durdizunehmen, soweit aus, daß er auch auf alle übrigen heimat- und volkskundlichen Fragen möglichst erschöpfend eingeht. Damit begründet er zwei gewichtige Schriftenisinen des Tiroler Unterlandes, wie sie woM kein zweites Land, geschweige ein so verhältnismäßig kleiner Landesteil besitzt. Dieser Landesteil ist für ganz Tirol und Salzburg, für Oberbayern und Kärnten volks- und kulturgeschichtlich freilich sehr bedeutsam. Man fragt sich aber, ob ein einzelner schon in den Sechzigerjahren stehender Mann neben seinem Beruf diese Doppelleistung auch nur halbwegs durchführen kann, da er zum größten Teil auf eigene Forschung und auf einen Selbstverlag angewiesen ist, und ob eine Aussicht besteht, daß ein zweiter, ebenso unermüdlicher Heimatforscher sie nötigenfalls fortzusetzen vermag. Doch alle diese Bedenken traten jeweils vor der Freude über das reiche und wertvolle, vornehmlich archivalische Material zurück, das M. Mayer mit jedem Bande in noch größerem Umfang und Ausmaß für die verschiedenen Gebiete der Landes- und Volkskunde erschließt. Angefangen von der Geologie und Morphologie des 3öllandes bis herauf zur Bevölkerung, Volkscharakter, Haus, Brauch und Tracht, Bildungs- und Kriegsgeschichte, Wirtschaft, Gewerbe, Handel und Verkehr ist das Gebiet südwestlich des Kaisergebirges, das bisher den vielen Sommergästen und Bergsteigern fast nur landschaftlich teuer geworden ist, auf das teilnahmsvollste erschlossen. Dazu die wertvollen Tafelbilder und Karten. Manch neues Licht fällt auch auf nachbarliche Verhältnisse, so durch den Rechtsbrauch des Juffinger-Bauern, dem der Urbarrichter beim Absteigen vom Pferde die Steigbügel zu halten hatte, ähnlich dem Vorgang beim Fürstenstein auf Karn-burg. Erfreulich ist es, daß die obersten geistlichen und weltlichen Stellen das Erscheinen des Werkes hilfsbereit ermöglichten.

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