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Ein österreichisches Vermächtnis

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Als erster Band der im Auftrag der Ferdinand-Ebner-Gesellschaft von Michael P f 1 i e g 1 e r und Ludwig H a e n s e 1 herausgegebenen Gesammelten Werke Ebners in der Thomas-Morus-Presse im Verlag Herder, Wien 1952, liegen nun die „Pneumatologischen Fragmente“, „Das Wort und die geistigen Realitäten“ vor. Oesterreich beginnt damit, seine Schuld an Ebner nicht nur in Worten, sondern auch in Taten abzugelten. Die Geschichte dieser Schuld ist bekannt; sie begann mit der oifenen Verhöhnung Ebners im Gutachten eines Ordinarius der Wiener Universität, der am vorliegenden Werk nichts bemerkenswert fand als einen „modernisierten und christianisierten Neu-platonismus“ und einen „ausgesprochen pathologischen Zug“, setzte sich dann bis zu seinem Tode (1931) fort in einer sträflichen Nichtsorge für den kranken einsamen Mann, auf den man im übrigen Europa, von Dänemark bis Frankreich bereits sehr zu achten begann, und begann, nachdem nur ein kleiner Kreis treuer Freunde (Hildegard Jone, Ludwig Ficker und andere) sein Andenken hütete, erst nach 1945 sich langsam in Akte tätiger Reue zu wandeln. — Der vorliegende Band enthält, mit einer Vorbemerkung von Pfliegler, einem Nachwort von L. Haensel, einem Auszug aus Ebners Tagebüchern 1918 bis 1922, einem Personen- und Sachregister eben die „pneumatologischen Fragmente“, die heute bereits ihren festen Rang in der europäischen Geistesgeschichte haben, bilden sie doch mit Martin Bubers und Gabriel Marcels Frühschriften die Ausgangsstellung des sogenannten „christlichen Existentialismus“. Damit ist einiges gesagt, wenn man die große Linie „christlicher Existentialisten“ von Paulus und Augustin über Pascal und Kierkegaard im Auge behält und nicht vergißt, daß es sich hier um ein Grundanliegen des christlichen Denkens überhaupt handelt.

„Das Christentum ist keine Idee“ (S. 304). „Das Ich und das Du, das sind die geistigen Realitäten des Lebens“ (S. 26). Von diesen beiden Lebenserfahrungen, die Ebner bezahlt hat (diese Fragmente sind ja nicht angelesene und angelernte, nachempfundene Sätze und Bildungsfrüchte) mit vielen Bitternissen, leib- und seelischen Nöten der Geburt, tastet er sich in zwei Räume vor: in den einer umfassenden Kulturkritik (seine Worte über „Kultur und Christentum“ gehören heute wieder so vielen Abendländern, Kongreß- und Bildungschristen ins Stammbuch geschrieben) und in jene innerste Dimension, in der Gott und Menschen-Ich sich begegnen. Ebner hat es sich wahrlich nicht leicht gemacht: über seinem Leben und Denken hängen die großen schweren Schatten der großen Einsamen, Pascal und Kierkegaard; langsam stößt er durch die zauberischen Hüllen und die grandiose Rhetorik dieser großen „Schriftsteller“, findet den Weg zu einer neuen Kommunikation, zum „Wir“, zur „Kirche“, zur „Menschheit“. Die „pneumatologischen Fragmente“ zeigen, daß dieser „Weg“ bereits „Erfüllung“ ist. Für einen Denker nämlich, der sich stets neu eingefordert weiß von der Wahrheit, der weiß, sie niemals in Positionen und Propositionen „besitzen“ zu können. Ebners Schrifttum hat deshalb etwas von jenem Erregendem, das autochthon christlichem Schrifttum eigen ist: dieses ist immer wieder „Fragment“, „Brief“, begonnene Beichte, ein „Memorial“, das offen, nie zu Ende gedacht und getan ist. Deshalb eignet sich Ebners „Wort und die geistigen Realitäten“ so gut für den heutigen Menschen, der in der Rede und Schreibe zu ersticken droht. Bei Ebner ist gut weilen. Auch dann, wenn man anderer „Meinung“ ist. Seine Sauberkeit, sein reiner Atem tut wohl. — Es steht zu hoffen, daß die weiteren Bände (Bd. II bis V) nicht allzu lange ein aufgeschlossenes Publikum warten lassen.

Die Entwicklung neuer germanischer Kultursprachen. Von Heinz Kloß. Band 1 der „Schriftenreihe des Goetherlnstituts“, Verlag Pohl, München, 1952. 253 Seiten. 10.80 DM.

Dieses schon lange erw'artete tiefschürfende Werk ist für Germanisten, Skandinavisten und Anglisten sowie für Sprachsoziologen und jeden Sprachwissenschaftler eine Fundgrube sonst manchmal schwer zugänglichen Wissens und Materials. In umfassender Behandlung berührt der Verfasser, Dr. H. Kloß, weniger die ursprünglichen germanischen Sprachkreise, sondern geht ein auf elf weitere Sprachen und Halbsprachen. Nach einem einleitenden Abschnitt über den linguistischen und soziologischen Sprachbegriff gibt der Verfasser im Hauptkapitel „Die Entwicklung neuer Schriftsprachen von 1800 bis 1950“ eine gute Uebersicht über neu sich entfaltende Sprachen (Jiddisch, Afrikaans, norweg. Landsmaal, Friesisch, Sassisch, Srananisch, Föroyisch, norweg. Bokmaal und Bietschlamar), Halbsprachen (Letzeburgisch, Lal-lans und Pennsilfaanisch) und Mundarten, wie Spielarten von Schriftsprachen (Schwyzertütsch, Zimbrisch, Amerikanisch, Flämisch und Gutnisch), über Sprachen abseits vom Strom der Geschichte (Negerholländisch, Sarawakisch u. a.). Ganz wesentlich ist es, daß Sprachproben in den meisten Fällen geboten werden und Nachbar- wie Außengebiete in übersichtlicher Weise dargestellt werden. Weitere Abschnitte bringen eine Zusammenfassung der geschichtlichen Entwicklung der Sprachen und nehmen Stellung zu den Merkmalen und Problemen der germanischen Sprachenfamilie.

Diese beachtliche Neuerscheinung auf dem deutschen Buchmarkt ist nicht nur ein wesentlicher Beitrag zur Entwicklung neuer Kultursprachen, sondern zugleich einer im Sinne der Völkerverständigung, in dem auch das scheinbar Kleine zu seinem Recht kommt.

Dozent Dr. Ernst K r e n n ■

Kehr wieder, Morgenröte. Von Gerhard Menzel. Tübingen, 1952. Heliopolis-Verlag, Ewald Katzmann. 528 Seiten.

Es fällt schwer, nach Lektüre dieses Pilatus-Romanes die Lobeshymne, die auf den Umschlag-Seiten zu lesen steht, noch einigermaßen ernst zu nehmen. Gerne anerkennen wir beim Verfasser ein gewisses Erzählertalent und gerne stellen wir fest, daß es ihm gelungen ist, hier einen Roman nicht nur der dekadenten Gesellschaft des ersten Jahrhunderts nach Christus, sondern auch der müden Tragödie der von Anfang an hoffnungslosen und dann allmählich zerfallenden Ehe zwischen dem 50jährigen „Hochkommissar“ Pontius Pilatus und der noch ganz jungen, aber schon sehr liederlichen Claudia Procula zu schreiben (dies freilich jenseits verbürgter Geschichtlichkeit). Nur müssen wir sagen, daß die Art, wie dieser Roman geschrieben wurde, in seiner Willkürlichkeit und in seiner Standpunktlosigkeit, die eigentlich schon nihilistisch zu nennen ist, selbst schon der Dekadenz bedenklich nahekommt. Inhaltlich setzt sich der Verfasser, besonders da es zum Prozeß gegen Christus kommt, über einige geschichtliche Tatsachen einfach hinweg, ja stellt sie sogar auf den Kopf, verfällt im übrigen ins Apokryphe und Unmögliche, so daß der Leser jedes echte Verständnis für Christus und das Christentum vermissen muß. Was die Form betrifft, ist der Versuch, die damalige Zeit auch sprachlich unserem Verständnis nahezubringen, wohl als mißlungen zu bezeichnen. Nicht nur stößt man immer wieder auf Anachronismen, die selbst dem ungebildeten Leser auffallen müssen und die bisweilen geradezu komisch wirken (etwa wenn Pilatus seine Claudia „Baby“ nennt), sondern es wirkt die ganze Sprache mit ihren betont banalen, ja oft ordinären Ausdrücken eher abstoßend oder doch ermüdend. Daß in diesem Sittenroman auch pornographische Szenen ihren Platz finden, kann nach alldem nicht verwundern. Es ist schade, daß das an sich dankbare Pilatus-Thema die schriftstellerischen Qualitäten des Verfassers nicht zu einem geschlosseneren und gültigeren Werk inspiriert hat.

Dr. Georg J. S t r a n g f e 1 d SJ.

Die Kaiserin Galla Placidia. Von Henry Benrath. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart. 513 Seiten mit einem erläuternden Anhang und einer Stammtafel.

Fünfzehn Jahre nach dem ersten Erscheinen legt der Verlag diese Neuauflage der bedeutenden Geschichtsdichtung vor. Sie ist ein Teil — chronologisch gesehen der erste — der Trilogie, die Benrath drei großen Herrscherinnen des werdenden, währenden und sich vollendenden Mittelalters gewidmet hat: den Kaiserinnen Galla Placidia, Theodora und Konstanze. Galla Placidia: geboren in Byzanz, gestorben, 58jährig, in Rom. Tochter Theodosius I., unter dessen Zepter Ost-und Westrom zum letzten Male geeint waren, vermählt mit dem Westgotenkönig Athaulf, nach dessen Tod mit Kaiser Constantius III., Mutter Valentinians III., dessen Tochter dem vandalischen Kronprinzen Hunerich verlobt wurde. Welche Vielfalt der Ereignisse, Schauplätze und Völker, welches Auf- und Absteigen der Reiche, Ineinandergreifen und sich Ueberschneiden von politischen und geistigen Mächten! In ein Wort gefaßt: das schmerzvolle Werden des Abendlandes.

Henry Benrath hat für diese ihm eigene Art der Geschichtsdichtung eine kongenial? Form geprägt und in seiner starken, klaren, verhaltenen Sprache entsteht das Bild eines Schicksals, das den Leser bis zum erkenntnis- und verzichtvollen Aus-klang fesselt. Carl Peez

Phoebes Familie. Von Guy M c C r o n e. Paul Zsolnay Verlag, Wien. 397 Seiten.

Der vorliegende Band ist der dritte der „schottischen Forsythe Saga“, deren erster Teil schon, betitelt „Phoebe“, dem Namen Guy Mc Crones einen hervorragenden Platz in der Weltliteratur gesichert hat. Der Aufstieg der Familie Moor-house vom bescheidenen Niveau des schottischen Farmpächters zum üppigen Wohlstand des spät-viktorianischen Bürgertums ist nun vollendet. Phoebe selbst, deren Lebenslauf wir von ihrer frühen Jugend an mit gespannter Anteilnahme verfolgt haben, ist mittlerweile eine Vierzigerin geworden. Ein eigenes Kind blieb ihr versagt, doch erlebt sie alle Freuden und Sorgen einer Mutter an ihrem Ziehsohn Robin, dem reichbegabten, wenn auch allzu romantischen Kind einer Wienerin. Das dramatische Schicksal Robins, dessen Gestalt hier im Mittelpunkt steht, is-t mit fesselnder Lebendigkeit geschildert und mit einem psychologischen Einfühlungsvermögen, welches den Autor mehr noch als in seinen früheren Werken als einen ungewöhnlich aufmerksamen und zugleich liebevollen Beobachter der Menschen erkennen läßt. Kein Leser wird sich dem außerordentlichen Scharm dieses Buches, welches uns in eine versunkene, in ihrer Ruhe und Sicherheit glücklichere Welt zurückversetzt, entziehen können. Kurt Strachwitz

Neue Gedichte. Von Egon H a j e k. Bergland-Verlag, Wien. 78 Seiten.

Es ist die dritte Fechsung, die Egon Hajek mit seiner neuen Gedichtsammlung vorlegt. Schon 1920 sind seine ersten Gedichte („Tor der Zukunft“) erschienen, denen 1935 die „Leuchter von oben“ folgten. Zu seinen epischen und dramatischen Werken, von denen die siebenbürgischen Romane „Zwischen zwei Welten“, „Meister Johannes“, „König Lautenschläger“, der Lenau-Roman „Der Gefangene seines Herzens“ genannt seien, tritt ergänzend die Lyrik. Während Hajek in den früheren Gedichten mehr religiöse Töne anschlägt, löst er sich in seiner neuen Sammlung mehr und mehr von dieser pastoralen Richtung und wendet sich auch weltlichen Stoffen zu, wenngleich die tiefe Frömmigkeit des Dichters immer wieder zum Durchbruch gelangt. Am stärksten tritt diese in den beiden Abteilungen „Des Jahres Lebensring“ und „Schöpfung im Wunder“ in Erscheinung, tiefen Betrachtungen über den Wechsel der Jahreszeiten und den Wandel des menschlichen Geschickes. Sehr originell sind die Teppichgedichte: die Geschichte der Entstehung und Erwerbung einzelner Perserteppiche und die Empfindungen bei ihrem Anschauen werden wiedergegeben, worein Hajek seine ganze Altersweisheit mit hineinverwoben hat, Beweis seiner lyrischen Begabung und dichterischen Reife.

Dr. Karl Wache

Die Netze im Meer. Roman von Paule R e-g n i e r. Originaltitel „Les filets dans la mer“, Uebersetzung von Karl August Ott. F. H. Kerle Verlag, Heidelberg. 224 Seiten.

Ein solches Buch kann heute nur in Frankreich geschrieben Werden. Nur dort ist ein so existentieller Katholizismus denkbar, bar aller Sentimentalität und von nahezu klassischer Wesenhaftigkeit und Zeitnähe. Paule Regnier knüpft in diesem ihrem letzten Roman unmittelbar an „Das enterbte Herz“ (L'abbaye d'Evolayne. F. H. Kerle Verlag, 1950) an, jenes Buch, das wahrhaft sensationell aufgenommen wurde und mit dem sich die Dichterin in die erste Reihe der französischen Gegenwartsliteratur neben Bernanos und Mauriac stellte.

Die schicksalhafte Begegnung zwischen Pater Stephan und der Sünderin Clarissa, die apokalyptischen Stunden der Eroberung von Paris durch die Deutschen und der Opfertod des Paters an Stelle eines Selbstmörders gestaltet Regnier zu einer eminent tiefgründigen Erzählung, in der die ganze Problematik und Tragik christlicher Existenz im Heute aufgerissen wird. In einer Situation ständigen Unvermögens und täglichen Scheiterns klingt die letzte Konklusion tiefster Erkenntnis des Menschen, Dichters und Christen Paule Regnier, die sie in den letzten Worten des Paters in dem Satz „Wir sind dazu geschaffen, besiegt zu werden“ zusammenfaßt, bestürzend und doch tröstend. Es ist das hohe Lied des besiegten Siegers, die den Heiden unfaßbare Paradoxie des Kreuzes, die sich im Herzen jedes Christen vollzieht, täglich, stündlich und in einem durch Konvention und weltliches Denken eingeengten Raum christlichen Wirkens mehr denn je. Dr. Hans M. L o e w

Stoan und Stern. Gedichte in oberösterreichischer Mundart. Von Otto J u n g m a i r. Linz, Oberösterreichischer Landesverlag, 1953. 104 Seiten. Geb. 38 S.

Da Mundartdichtung sich hauptsächlich dem Scherz- und Witzgedicht zuwendet und nur selten ernste Gebiete pflegt, was mit der eingeschränkten Verwendungsmöglichkeit der Mundart zusammenhängt, so ist eine Sammlung wie die O. Jungmairs immer zu begrüßen, wenn sie in Themen und Formen, in Konzeption und Durchführung solch beachtliche Höhe erreicht. Mit einigen Stücken — es seien besonders die letzten um den Tod kreisenden Gedichte hervorgehoben — kommt sie an die besten Vorbilder nicht nur seiner oberösterreichischen Heimat wie F. Stelzhamer heran. Hier ist, wie das beim echten Mundartgedicht sein muß, aus dem Geist der Mundart heraus gesprochen und empfunden. Ein Anhang: Worterklärungen erleichtern dem Mundartfremden die Aufnahme dieser Gedichte. Univ.-Prof. Dr. Moritz E n z i n g e r

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