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Vom alten Rom bis Budapest

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TARQUINIUS DER ETRUSKER. Sein Leben und seine Zeit. Von Carlo Maria Franzero. Winkler-Verlag, München. 312 Seiten. Preis 18.80 DM.

Nach einer sagenhaften Prophezeiung — die sich übrigens ziemlich genau erfüllt hat — sollte die Macht der Etrusker 1100 Jahre dauern, von 434 vor der Gründung Roms bis zum Jahr 665 der römischen Zeitrechnung, das ist von 1187 bis 87 v. Chr. Jedoch noch vor Cäsar wurde den Etruskern von den Römern das gleiche Schicksal bereitet wie den Karthagern, und der Autor des vorliegenden Buches spricht von einem „schrecklichen Beispiel demokratischer Rachsucht, der es nicht genügte, Häuser und Städte zu zerstören, sondern die selbst das Wort Etrurien durch die römischen Geschichtsschreiber und Moralisten ausmerzte”. Aber die Etrurier waren ein „Gräbervolk”, das unter der Erde, in riesigen Gewölben, zu Ehren der Toten seine Tempel und Städte noch einmal aufbaute. So haben wir durch zahlreiche Ausgrabungen ein umfassendes Bild der etruskischen Kultur erhalten, für die gerade in den letzten Jahren, nicht zuletzt durch einige große Etruskerausstellungen, das besondere Interesse auch weiterer Kreise geweckt wurde. Franzero, der englisch schreibende Autor mit dem Italienischen Namen, Verfasser von Büchern über Nero und Kleopatra, hätte das Material und die Fähigkeit gehabt, ein wissenschaftliches und zugleich all- gemeinverständliches Buch über die Etrusker zu schreiben. Aber er wollte einen Roman vorlegen, dessen nicht sehr plastisch hervortretender Held Tarquinius der Stolze ist. Für einen historischen Roman wiederum schleppt der Autor zuviel gelehrten Ballast mit. Also eher für gründliche Leser, die mehr suchen als nur Unterhaltung. Das schön ausgestattete Buch enthält auch mehrere Bildtafeln, darunter eine mit den geheimnisvollen, noch nicht entzifferten Zeichen der etruskischen Schrift aus dem Museum von Perugia. *

GOTT IST IM EXIL GEBOREN. Roman. Von Vintila Horia. Paul-Neff- Verlag, Wien-Berlin-Stuttgärt. 329 Seiten. Preis 89 S.

Der in Paris lebende Rumäne (Jahrgang 1915) hat diesen Roman in französischer Sprache geschrieben und dafür den Prix Goncourt erhalten (den Horia dann wegen „Enthüllungen” über seine politische Vergangenheit zurückgegeben hat). Der Roman selbst bietet keinerlei Anlaß zu irgendwelchen Kontroversen. Die einzige „aktuelle” Beziehung zwischen dem Autor und seinem, Stoff ist die, daß Ovid ..die letzten acht Jahre seines Lebens in Tomi, dem heutigen Konstanza, am Schwarzen Meer verbrachte, von wo er mehrere Reisen ins Land der Daker unternahm, aus deren Vermischung mit den römischen Kolonisatoren das Volk der Rumänen hervorgegangen ist. In dem fiktiven, nach Jahren gegliederten Tagebuch Ovids beschreibt dieser seine Wandlung vom skeptischen Genießer, dem

Autor der „Ars amandi”, zum heimwehkranken Exilierten, vom spielerischen Leugner der römischen Götter zum Sucher nach etwas Neuem. Dieses Neue findet er bei dem ursprünglichen Volk der Daker, in dessen Glauben an einen einzigen Gott (Zamolxis) und schließlich in der Botschaft des griechischen Arztes Theodorus, der ihm (wir befinden uns im zweiten Jahrzehnt nach Christi Geburt) vom Erscheinen des von den Juden erwarteten Messias berichtet. Das alles geschieht aber in ziemlich nebulöser Art, und auch die Mischung von Weltschmerz, erotischen Abenteuern, blutrünstigen Schilderungen römischer Spiele und Gott- suchertum ist nicht angenehm. Ansprechend. stellenweise ergreifend ist der nostalgische Ton: das Lob eines zunächst als barbarisches Exil empfundenen Landes, dessen spröden Reiz der Dichter der „Tristia ex Ponto” allmählich entdeckt und lieben lernt.

ICH ZÄHMTE DIE WÖLFIN. Von

Marguerite Yourcenar. Deutscher Taschenbuch-Verlag. 239 Seiten. Preis 2.50 DM.

Das nunmehr in einer volkstümlichen Ausgabe vorliegende Hauptwerk der in den USA lebenden, französisch schreibenden Belgierin Marguerite de Crayencour ist erstmalig 1951 bei Pion in Paris erschienen. Die „Mėmoires d’Hadrien” sind die fiktiven Lebenserinnerungen des Kaisers Hadrian, geschrieben auf dem letzten Krankenlager für seinen Nachfolger Marc Aurel. In ihrem Vorwort (über die Gestaltung historischer Stoffe und die dichterische Lizenz) beruft sich die Autorin auf Shakespeare und Montaigne. Bei diesem Passus wird der kritische Leser entweder die Stirn runzeln oder mit einem Schmunzeln denken: Wenn das nur gutgeht! … Aber schon nach den ersten Seiten vergeht einem das Lächeln, denn man ist wie durch Zauberei eingesponnen in eine Ausdruckswelt, in eine Tonart, in einen Darstellungsstil, die völlig neuartig und faszinierend sind. Allmählich kommt man darauf, daß der zugleich leichte und gehobene Ton des „tragischen Monologs” nur durch jahrzehntelangen Umgang mit griechischen und römischen Autoren erworben sein kann. Aber freilich, auf dieser Wellenlänge empfängt nur, wer die entsprechenden Antennen besitzt. Das bestätigt der Autorin eine so bededtende Autorität wie Ludwig Curtius, der große Altphilologe. Marguerite Yourcenar hat sich ein halbes Leben lang mit Hadrian und seiner Zeit beschäftigt. Am Schluß ihrer Arbeit gibt sie Hunderte yon Quellen an und schließt, sich auf Racine berufend (hier lächelt der Leser nicht mehr), mit einem genauen Rechenschaftsbericht über alle Abweichungen, die sie sich erlaubt hat. Diese sind nicht unbedeutend, aber man akzeptiert sie gern, weil Madame de Crayencour nicht nur eine hochgelehrte, blitzgescheite Frau, sondern auch eine glänzende Schriftstellerin ist. Es gelingt ihr nämlich bis zur Vollkommenheit, das zwiespältige Wesen Hadrians ins Wort zu bannen: diese paradoxe Mischung von Tatendrang und Meditation, Menschenfreundlichkeit und abgründigem Skeptizismus, Hadrians Stolz und seine Güte, die Liebe zu Frauen, Jünglingen und Männern, seine Hybris und seine Verzweiflung. — Ein mit Recht erfolgreiches Buch und eine hervorragende, dichterische Übersetzung von Fritz Jaffė.

. DER GERETTETE IKARUS. Roman. Von Anton B e t z n e r. Verlag Styria, Graz-Wien-Köln. 341 Seiten. Preis 78 S.

Ein Buch über die Welt des Rundfunks, geschrieben von einem, der als Mitarbeiter und Hörspielautor diese Sphäre aus eigener Erfahrung kennt: das hätte, auch in Romanform, eine wichtige und interessante Sache werden können. Auch das „Anliegen” des Autors, „den Anspruch einer technisierten Welt zu entlarven, die ihren Sinn verliert, wo und weil sie eigene Gesetze aufstellt (hier ist es die Hybris des „Funkischen”) und die Züge des Götzenhaften und Dämonischen annimmt” — das ist ein großes, bedeutendes Thema. Zwar fehlt es Betzner nicht an Erfahrungen und Kenntnissen, auch nicht an der deni dubiosen Gegenstand angemessenen kritischen Einstellung, auch nicht an positiven Gedanken, wie man diesem modernen Minotaurus begegnen könne — wohl aber an dichterischer Kraft, diesen schwierigen, vielschichtigen Stoff zu gestalten. Hier hätte es zwei Möglichkeiten gegeben: entweder eine Satire, ein Pamphlet zu schreiben oder den Gegenstand in eine symbolisch-phantastische, irreale Sphäre zu heben. Aber mit einer mehr oder weniger konventionellen Romanhandlung war er nicht zu bewältigen. Und vor allem nicht mit einer so matten, unprofilierten Figur als Helden. — Dieser Florens Holler ist nämlich nicht mehr als ein liebenswürdiger, talentierter, aber recht ungeschickter junger Mann. Das ist zuwenig, um . Furcht und Mitleid zu erregen. Trotz dieser Einwände: ein lesenswertes Buch, vor allem für alle jene, die den Rundfunk nur als Hörer kennen und einmal einen Blick hinter die Hörkulissen ins Labyrinth der diversen Abteilungen, Kompetenzen und Inkomnetenzen tun wollen. *

ES GESCHAH IN BUDAPEST. Von

A. Sovary. Verlag Welsermühl. München-Wels. 308 Seiten. Preis 88 S.

Dieser „Roman menschlicher Schicksale aus einer bewegten Zeit”, wie er im Untertitel heißt, wird uns im Vorwort des Verlages „als ein Zeitdokument, wie es wenige gibt” angepriesen. Nämlich an Realistik der Darstellung (woran es denn auch nicht gebricht) und Eindeutigkeit der Gesinnung (woran wir nicht zweifeln, wenn es sich um einen zeitgenössischen Ungarnroman handelt, der in einem österreichischen Verlag erscheint). Aber der Leser braucht sich nicht zu fürchten: „Wahrscheinlich würde uns dieser Roman”, heißt es im Vorwort des Verlages, „zu nachdenklich stimmen, trüge ihn nicht ein wunderbarer Humor, der viele seiner Szenen begleitet, über alle politischen Verirrungen hinweg …” usw. Nun, diesen Humor haben wir nicht erwartet, wir suchen ihn auch vergebens. Denn dieser ganze Budapestroman ist, im ganzen, eine traurige Sache. Hochdramatische, herz- und weltbewegende Ereignisse werden durch schriftstellerische Unfähigkeit verzerrt. sentimentalisiert, verwässert, kurzum: unglaubwürdig dargestellt. Obwohl die Autorin wahrscheinlich die Echtheit jeder Episode nachweisen könnte. Für diese Nichtbewältigung des Stoffes ist charakteristisch, daß gerade die bewegtesten Teile, der Anfang (die Eroberung Budapests durch die Russen) und der Schluß (der Volksaufstand von 1956) am schwächsten geraten sind. Dagegen bekommt man durch die Schilderungen von A. Sovary einen guten Eindruck vom Alltag in den Parteigremien einer Volksdemokratie, von den kleinen und großen Rivalitäten, den Intrigen, der Technik des politischen „Abschießens”, der Korruption der Funktionäre, dem Lebenshunger der endlich Arrivierten u. a. m. Die Autorin kennt ihre Leute, und sie hätte Interessantes, Wichtiges zu berichten. Aber es gelingt ihr leider nicht, weil sie anstatt eines schmucklosen Tatsachenberichts (der vielleicht erschütternd geworden wäre) einen Roman schreiben wollte.

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