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Historische Romane

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DIE UNSELIGEN KÖNIGE. Roman. Von Maurice Druon. Verlag Henry Goverts, Stuttgart. 816 Seiten. Preis 19.80 DM.

DAS GEWAND DES ERLÖSERS. Roman. Von Lloyd Douglas. Ullstein-Taschenbuch Nr. 197/198. 398 Seiten.

DER DRACHE SIEGTE NICHT. Roman. Von Erwin K. Münz. Verlag Glock und Lutz, Nürnberg. 536 Seiten.

DIE UNHEIMLICHE MASKERADE. Roman. Von Gert Buchheit. Verlag Glock und Lutz, Nürnberg. 222 Seiten.

Historische Romane erfreuen sich, zum mindesten bei den Autoren unserer Zeit, wachsender Beliebtheit. Das mag daran liegen, daß sich in dieser Gattung fehlende schöpferische Gestaltungskraft leichter verschleiern läßt als in Werken, die allein auf der Phantasie und Imagination des Verfassers basieren. Man kann sich bei Mängeln in dieser Hinsicht dann dahin ausreden, daß man schließlich an die geschichtliche Wirklichkeit gebunden sei. Aber auch mit dieser nehmen es viele Autoren nicht so genau. In den landläufigen historischen Romanen gelingt es selten, das eigentliche Wesen geschichtlicher Gestalten oder ganzer Epochen klar herauszuarbeiten.

Historie — farbig und lebendig im Detail und dabei zuverlässig und treu der geschichtlichen Wahrheit in den Grundzügen — diese glückliche Verbindung finden wir selten genug. Weitgehend gelungen ist sie Druon in dem riesigen Romanzyklus „Die unseligen Könige”, in dem er das mittelalterliche Frankreich zur Zeit Philipps des! Schönen und seiner Nachfolger schildert. Da ist zunächst eine bunte und’ wilde Oberfläche. Frankreich auf einem Höhepunkt politischer Macht. Philipp der Schöne hat die Zügel seines Riesenreiches fest in der Hand. Sechs Könige zählen zu seinen Vasallen, seine Tochter ist Königin von England, und in Avignon residiert ein ihm willfähriger Papst. Im Innern seines Reiches hat der König den Einfluß der großen Feudalherren stark eingeschränkt, und nun holt er zum letzten Schlag gegen den bisher noch unabhängigen Orden der Templer aus. Mit Gewalttaten jeder Art, Foltern, falschen Zeugenaussagen und bestochenen Richtern, bringt er auch diese letzte mächtige Organisation zu Fall. Aber auf dem Scheiterhaufen verflucht der Großmeister des Ordens den König, seine Familie und seine Helfershelfer. Wie dieser Fluch sich an dem unseligen Geschlecht erfüllt, wird dann folgerichtig und spannend entwickelt. Und an diesem Geschehen wird noch ein neues, Druons eigentliches Thema sichtbar: es geht ihm um die heimliche und offenbare Schuld als Ursache aller Verstrickungen, in die die Menschen geraten. Marigny, der erste Minister des Königs Philipp, erkennt klar diese Zusammenhänge nach seinem Sturz:

„Der Fluch kam nicht von Gott. Er kam vielmehr aus ihm selber und lag lediglich in seinen eigene Taten begründet. Und das galt für alle Menschen und für alle Züchtigungen … Selbst wenn wir auf Grund falscher Anschuldigungen bestraft werden, so gibt es immer eine echte Ursache für unseren Sturz. Jede ungerechte Tat, sollte sie auch für eine gerechte Sache begangen sein, trägt den Fluch in sich…

Tausende von Einzelheiten — Zeitereignisse, Geschehnisse aus dem Dasein vieler Menschen aus allen Volksschichten — trägt Druon zusammen zu einem faszinierenden Bild der Epoche. Aehnlich wie in seinen Sittenromanen der Pariser Gesellschaft sind die dunklen Züge stark betont, sind seine Urteile hart und manchmal auch einseitig. Aber seine schriftstellerischen und psychologischen Fähigkeiten kann ihm niemand absprechen.

Lloyd Douglas, ein populärer amerikanischer Erzähler, dessen Bücher fast alle Bestseller in den USA wurden, schildert in dem Roman „Das Gewand des Erlösers” die Schicksale jenes römischen Tribuns Marcellus, der die Kreuzigung Christi leiten mußte und aus einem Gleichgültigen schließlich ein treuer Anhänger des Herrn wurde, bis er als Märtyrer starb. In diese Bekehrungsgeschichte sind allerlei sentimentale Episode • und natürlich auch eine Liebesgeschichte hineingewoben. Solch eine Mischung ist nicht jedermanns Sache. „Zweckliteratur mit moralischem Nutzeffekt” schreibe er, hat Douglas selbst einmal von sich gesagt. Er tut das jedenfalls spannend, man muß ihm zugestehen, daß er sein Handwerk kann. Ob sein Blickpunkt dem hier behandelten Thema gemäß ist, ist freilich eine andere Frage, auch wenn sein Buch ein Bestseller geworden ist und in 18 Sprachen übersetzt wurde. Zweifellos aber ist es besser als der nach dem Roman gedrehte Film.

Erwin K. Münz berichtet in seinem Roman „Der Drache siegte nicht” von den letzten Jahren der Zarenfamilie, beginnend mit der Zeit kurz vor der Abdankung Nikolaus II bis zur Ermordung der Romanows in Jekaterinenburg. Der Autor bedient sich dabei der Form eines fingierten „Prozesses”, in dem die an dem Geschehen Beteiligten — die Opfer und ihre Peiniger und Mörder, die Toten und die Ueber- lebenden — als Zeugen aufgerufen werden, um über die Ereignisse auszusagen:

„Am 4. Juli (alter Zeitrechnung) begann dieser Prozeß als Teil eines anderen, der die ganze Schöpfung umfaßt. Er wurde vom irdischen Untersuchungsrichter Sokolow vor dem Gericht in Omsk begonnen und bald mächtigeren Händen übergeben.

Die Zeugen sind aufgerufen. Einige haben geantwortet, irgendwo, in Paris, Rom, Charkow, Wilna, überall, wohin sie verweht wurden, erreichbar. Viele andere werden noch antworten müssen über das scheinbar eng umgrenzte Geschehen in Petrograd, Zarskoje-Selo, Tobolsk und Jekaterinenburg. Da es aber nur Teil eines umfassenden ‘Verfahrens ist, werden nur Bruchstücke eines Mosaiks enthüllt, dessen Ganzes Grundlage der Ewigkeit sein wird.”

Ein ziemlicher Anspruch also, dem der Verfasser nicht immer gerecht zu werden vermag. Er ist gewiß zutiefst bewegt vom Schicksal der Zarenfamilie, aber gerade diese Ergriffenheit hindert ihn an jener Distanz, die zur künstlerischen Gestaltung seines Vorwurfs Voraussetzung wäre. Am besten gelingt Münz die Zeichnung der Charaktere: der Mitglieder der Zarenfamilie, ihrer Gegenspieler und Verfolger, ihrer Helfer und Freunde. Er hat auch ein sicheres Gefühl für die Vielschichtigkeit und Hintergründigkeit russischen Wesens. Wo er sich aber, von der menschlichen Problematik weg, auf die politische Ebene begibt, schaltet er recht willkürlich mit der historischen Wirklichkeit und kommt nicht selten zu vereinfachenden Urteilen. Zudem hat sein’ Buch manche Schwächen eines Erstlingswerks; der Autor verliert sich leicht in ermüdenden Details und ihm fehlt die Fähigkeit straffer Zusammenfassung des Wesentlichen. Es gibt allerdings auch großartige Episoden. So etwa die Schilderung eines Besuches Kobylinskys, des Tobolsker Kommandanten, beim ‘Exzaren, um ihm die Offiziersepauletten abzunehmen. Oder das Gebet Awdjews, des Kommandanten von Jekaterinen- burg, zum heiligen Eustachius. Einzelne Szenen auch, die einen der Grundgedanken des Buches, daß Elend fruchtbarer sein kann als Glück, verdeutlichen. Und endlich am Schluß der Auftritt des „Zeugen Johannes, Sohn des Zebedäus”, aus dessen Offenbarung Teile herangezogen werden, die das eigentliche Anliegen des Autors: „Der Drache siegte nicht”, erst ganz erhellen.

Buchheits Roman kündigt der Verlag als „dichterisch erfundenen Kriminal- und Prozeßfall, der mitten ins Herz der Französischen Revolution führt” an, als „Roman nach großem klassischem Muster”. Um so peinlicher wirkt das Gebäude von ebenso willkürlichen wie künstlerischen Konstruktionen, das hier angeboten wird. Geschwollene, unausgegorene Diskussionen über die Ideen der Revolutionäre von 1/89 und ihrer Gegenspieler, die dann noch durch allerlei persönliche Verstrickungen der handelnden Personen kompliziert werden. Hier eine Probe solcher halsbrecherischen Kombinationen:

„Es kommt nämlich nicht auf das Ziel an, das wir uns gesetzt haben, sondern auf das Beispiel, das wir Vorleben. Es genügt daher auch nicht, dafl ich Jacqueline dem Leben wiedergebe, indem ich das Meine dafür setze. Damit allein würde Vivia- nens Tod, den . .. ich verschuldet habe, noch nicht in die Sphäre gerückt, die ihm gebührt… Viviane soll und darf nickt umsonst gestorben sein, und sie wird es auch nicht, weil jette äußerste Läuterung, die ich meinem Gewissen abgerungen habe, mich nunmehr befähigt, mein Werk zu vollenden: die neue Verfassung, die auf den ewigen menschlichen Rechten beruht und von deren heiligem Feuer getragen und gespeist wird Von der Notwendigkeit psychologischer Motivierung der Handlung und der Aktionen und Reaktionen der Beteiligten scheint der Verfasser ebensowenig zu wissen, wie er es für wichtig hält, zum mindesten Widersprüche in den geschilderten Begegebenheiten zu vermeiden. Da heißt es zum Beispiel auf Seite 220, der Marquis de la Tour-Descombes habe durch Doktor Brideau von seiner Vaterschaft erfahren, während dieser sich auf Seite 137, noch bevor Dr. Brideau wieder in seinem Leben auftaucht, munter über diese Tatsache und ihre unseligen Folgen äusläßt.

Da ist uns ein einigermaßen anständig geschriebener Kriminalreißer lieber, der wenigstens hochtrabende Ideen aus dem Spiel läßt und keine literarischen Ansprüche stellt. Freilich, es gibt auch Kriminalgeschichten mit Niveau, mit tiefgründiger Problematik sogar. Aber Herr Buchheit ist kein Chesterton und auch kein Dürrenmatt. Er hat seine literarischen Fähigkeiten entschieden überschätzt.

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