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Engagierte und couragierte Literatur

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COLUMBUS 20. Roman von Roman Bradny. Kindler-Verlag, München. 658 Seiten, Leinen. Preis 158.40 S. — ASCHE UND DIAMANT. Roman von Jerzy Andrzejewski. Albert-Langcn-Ceorg-Müller-Verlag, München. 327 Seiten, Leinen. Preis 106.55 S. - FINSTERNIS BEDECKT DIE ERDE. Roman von Jerzy Andrzejewski. Albert-Langen-Ceorg-Müller-Verlag, München. 189 Seiten, Leinen. Preis 106.55 S. - PICKNICK DER FREIHEIT. Erzählungen von Tadeusz Nowakowski. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln-Berlin. 277 Seiten, Leinen. Preis 16.80 DM.

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COLUMBUS 20. Roman von Roman Bradny. Kindler-Verlag, München. 658 Seiten, Leinen. Preis 158.40 S. — ASCHE UND DIAMANT. Roman von Jerzy Andrzejewski. Albert-Langcn-Ceorg-Müller-Verlag, München. 327 Seiten, Leinen. Preis 106.55 S. - FINSTERNIS BEDECKT DIE ERDE. Roman von Jerzy Andrzejewski. Albert-Langen-Ceorg-Müller-Verlag, München. 189 Seiten, Leinen. Preis 106.55 S. - PICKNICK DER FREIHEIT. Erzählungen von Tadeusz Nowakowski. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln-Berlin. 277 Seiten, Leinen. Preis 16.80 DM.

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Auch andere Völker haben eine „un-bewältigte Vergangenheit“. Für das polnische Volk ist diese in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg zu suchen. Die Jahre der Teilung und der Okkupation hatten dieser Nation, die keinen Quisling kannte, schreckliche Opfer abgefordert. Ihre Einigkeit und Geschlossenheit war aber ohne Beispiel in der Geschichte. Dann kam der Sieg. Und mit ihm kamen die Männer von Lublin, kam die neue kommunistische Ordnung. Alte Bande zerbrachen über Nacht. Kameraden, die gestern noch auf den Barrikaden von Warschau bis zur letzten Patrone dem gemeinsamen Feind Trotz geboten hatten, wurden Fremde, Gegner, Feinde. Die Ressentiments der dem Londoner Exilkabinett verpflichteten Untergrundkämpfer und das Mißtrauen der Sowjets gegen die Offiziere und Soldaten der A. K. (Armija krajowa = Heimatarmee) stießen hart aufeinander. Willkürliche Verhaftungen wurden mit oft wahllosen Attentaten beantwortet. Dazu kamen bewaffnete Auseinandersetzungen mit ukrainischen Nationalisten. Die Jahre 1944 bis 1948 standen im Zeichen eines latenten Bürgerkriegs. Nur wenige Nachrichten drangen davon zu uns, die wir mit eigenen Problemen damals genug beschäftigt waren. Das schließlich etablierte stalinistische Bierut-Regime beendete diese Auseinandersetzung durch das große Schweigen. Erst 1956 setzte erneut die Diskussion über diese Jahre im Zwielicht ein. Allen voran bemächtigten sich die polnischen Schriftsteller dieses Problemkreises und lieferten ihren Beitrag zu dem Thema: Bewältigung der Vergangenheit, polnische Ausgabe.

Hier muß zunächst Roman Bradny genannt werden, dessen mehrere Bände umfassender Roman „COLUMBUS 20“ nun, zusammengestrichen auf ein auch nicht gerade schmales Buch, dem deutschsprachigen Leser zugänglich ist. Der Autor berichtet von einer Generation polnischer Jugend, die wie der Held Kolumb ungefähr das Jahr 1920 zum Geburtsjahr hatte. Als Sterbedatum mußte man bei vielen von ihnen 1944 einsetzen. In diesem Jahr verblutete diese Jugend in der Wolastraße, in den Ruinen von Mokotow und in den Trümmern von Stare Miasto. Seinen toten Freunden und Kameraden hat der Autor in den ersten Kapiteln dieses Buches rweifellos ein eindrucksvolles literarisches Denkmal gesetzt. Er brach damit das große Tabu, das über ihrem Opfergang vom Regime verhängt war. Dieser Teil des Buches ist unbestritten. Problematischer ist dessen zweite Hälfte. Hier verfolgt der Verfasser die Schicksale der Oberlebenden und versucht deren Auseinandersetzung mit der neuen Wirklichkeit wiederzugeben. Er bemüht sich dabei um Gerechtigkeit, wenn er nicht verschwelet, wie man ehemalige verdiente A.-K.-Offiziere durch Bespitzelung und Schikane in einen neuen Untergrund abdrängt. Seine Sympathien aber gehören Georg, der sich bemüht, ehemalige Kameraden trotz des ihnen angetanen Unrechts für die Sache „Volkspolens“ zu gewinnen, und der deshalb auch einem Fememord zum Opfer fällt. Und Kolumb, jener Held, der dem Roman den Namen gab? Nun. der treibt sich in der weiten Welt .herum als Abenteurer und Schwarzhändler. Er will zwar in die Heimat zurückkehren — aber Genaues weiß man nicht... So werden letzten Endes in dem eindrucksvollen Bild, das der Autor von der polnischen Kriegsgeneration und ihrer zweimaligen Dezimierung zeichnet, die Konturen unscharf. Aber daran ist vielleicht weniger Bradny als das Leben selbst schuld, das vorwärtsdrängt und dem Beobachter keinen ruhigen Standort erlaubt.

Mit noch kräftigeren Strichen als Roman Bradny hat Jerzy Andrzejewski Nach-kriegs-Polen und seine Problematik in dem schon 1948 geschriebenen Buch „ASCHE UND DIAMANT“ aufgezeichnet.

Dieses Buch wurde geradezu — allerdings auch erst nach den Oktober-Ereignissen 1956 — zum Schlüsselroman dieser unguten Jahre. Daran ist allerdings auch der Regisseur Wajda mitbeteiligt, der aus dem an sich schon freimütigen Buch den gleichnamigen Film machte, der nach wie vor zu den bedeutungsvollsten geistigen Dokumenten des polnischen Oktobers zählt.

Links und Rechs stehen sich nach dem Sieg unversöhnlich gegenüber. Aber es sind nicht edle Kommunisten und düstere Reaktionäre, die Andrzejewski vorstellt, sondern Menschen im Gefängnis ihrer Ideologien. Mit einer Diktaturen völlig fremden und auch unter dem heutigen polnischen Regime nicht immer gern gesehenen Offenheit werden die Probleme herausgearbeitet: Der junge, „ewige UnteT-grundkämpfer“ Maciek ist nicht weniger sympathisch als der alte Bezirkssekretär Szczuka, in dessen Brust die kommunistische Idee schon lange erstorben war, bevor ihn Macieks Kugel trifft. Auch der junge Attentäter entgeht dem Schicksal derer nicht, die das Schwert gezogen haben. Die starken Charaktere gehen unter. Was bleibt? Im gleichnamigen Film besonders eindrucksvoll dargestellt, ein Reigen det überlebenden Karrieristen, der Geschäftemacher und der Anpassungsfähigen. Sonst nichts? Die Tröstung eines polnischen Dichters auf einem alten Grabstein wird zur Verheißung an sein Volk: „Und immer wieder entflammst du in dir Wie eine Pechfackel lohenden Zunder, Und brennend fragst du, ob größere Freiheit dir wird oder ob alles, was dein, Zuschanden gehen soll? Ob nur Asche bleibt

Und Staub, der mit dem Winde verweht? Oder ob auf der Asche Grund Strahlend ein Diamant erscheint, Der Morgen des ewigen Sieges...“ *

Das schmälste Büchlein ist vielleicht das eindrucksvollste. Es hat ebenfalls Jerzy .Andrzejewski zum Verfasser. In der auch in deutscher Übersetzung — den Übersetzern Walter Henke und Jan Tauschinski sei gesondert gedankt — stilistisch meisterhaften Novelle „FINSTERNIS BEDECKT DIE ERDE“ ist mit keinem Wort von Volkspolen, von Kommunismus, von der Auseinandersetzung mit ihm die Rede. Spanien ist die Szene. Man schreibt das Jahr 1485. Die Inquisition steht im Zenit ihrer Macht. Ein junger Dominikaner, der sich um Gottes und der Menschen willen zunächst empört, wird von der imposanten Gestalt des Großinquisitors Torquemada in seinen Bann gezogen und zum .gefügigen Werkzeug von dessen Befehlen gemacht. Ein Beitrag zu einer antireligiösen Kampagne? Alles andere als das. Gar bald merkt der Leser, daß unter der Finsternis, die die Erde bedeckt, die „Sonnenfinsternis“ Arthur Köstlers gemeint ist. Dem sterbenden Großinquisitor kommt in letzter Stunde in Fieberschauern die Einsicht:

„Es gilt ohne Aufschub viele Dinge in unserem Königreich zu ändern, eigentlich alles... es gibt keinen Glauben mehr, es gibt keine Hoffnung. Wir haben die Menschen zerbrochen, wir haben ihren Geist und ihre Herzen vernichtet. Wir sind verhaßt und verachtet. Nichts von diesem trüben Wahnsinn läßt sich retten. Man muß andere Wege zur Rettung 6uchen. Es ergibt sich für uns die dringende Notwendigkeit, selbst niederzureißen, was in Trümmer sinken muß.“

Die Leser in Andrzejewskis Heimat wissen wohl, wem diese Zeilen gelten. Und der Schlag, den der aus allen Wolken Befallene junge Mönch zuletzt gegen das Gesicht des toten Vaters führt, ist der Schlag der polnischen Intellektuellen gegen das Gesicht des toten, schnauzbärtigen Väterchens, das ihrem Geist so lange Gewalt angetan hatte.

In dem Lebenskreis des polnischen Volkes ist stets auch dessen Emigration mit einbezogen. So war es in früheren Jahrhunderten, so ist es heute wieder. Warum sollten wir diese „Spielregel“ geringer achten als selbst die Machthaber in „Volkspolen“. Deshalb darf in dieser Besprechung engagierter und couragierter polnischer Literatur auch der Beitrag eines Emigranten nicht fehlen — noch dazu einer, der beiden Forderungen entspricht.

Der heute in der Deutschen Bundesrepublik lebende Schriftsteller Tadeusz Nowakowski hat sich in dem autobiographischen Roman „Polonaise Allerheiligen“ („Die Furche“, Nr. 6/1960) als ein für Freund und Feind ebenso unbequemer Zeitgenosse wie eindrucksvoller Schreiber ausgewiesen. In den unter dem Titel „PICKNICK DER FREIHEIT“ erschienenen drei neuen Erzählungen setzt er diese Tradition fort Vor allem in der ersten Geschichte, die dem Band den Namen gab, zieht er alle Register von Scherz, Ironie und tieferer Bedeutung. An der tschechischen Grenze veranstalten Emigranten unter US-Patronanz eine Ballonpropagandaaktion. Die Initiative, der hochfliegende Gedanken Pate standen, löst jedoch bald einen Rummel menschlicher Schwächen und Intrigen aus. Anlaß genug für Nowakowski, seine Feder in Galle zu tauchen. Schon in dieser ersten Erzählung offenbart sich jedoch auch eine Schwäche des Autors, die die beiden folgenden Erzählungen nur bestätigen: Der dramatische Kontrapunkt gelingt nicht so glaubhaft und blutvoll wie die Beschwörung der Lemuren. Das „Gastspiel in Wien“, das in der zweiten Erzählung das polnische Ensemble „Morgenrot“ absolviert, endet mit einem reichlich feuchtfröhlichen Duell zwischen dessen Chef und einem Schriftsteller der polnischen Emigration. Hier ist ein weites Feld zur Karikie-rung der „Volksherrschaft“, aber auch zur Selbstironie. Wien und die Österreicher bekommen dabei auch ein wenig ab. obwohl sie nur Kulisse und Statisten abgeben. Einen amerikanischen Neger in Uniform in Wien tanzen gesehen (Seite 125) zu haben, wäre nach 1955 jedoch auch Nowakowski kaum gelungen. Irgend einmal etwas schon gehört von Staatsvertrag und Neutralität...

Die Amerikaner, Volkspolen und die Emigration haben ihren Teil 6chon weg. In der dritten Erzählung ist die Reihe an dem deutschen Wirtschaftswunder und seinen Kindern. Ein junger, aufgeweckter Deutscher entdeckt, wie auf dem Wohlstand und der Reputation seines Vaters düstere Schatten der Vergangenheit lasten. Da Tadeusz Nowakowski anschaulich gezeigt hat, daß er niemanden — auch nicht sich selbst — schont, dürfen ihm die deutschen Leser diesen vor die Augen gehaltenen Zerrspiegel nicht verübeln.

Wir aber halten fest: Evelyn Wauigh hat in diesem polnischen Schriftsteller seinen besten Schüler gefunden. Wir möchten noch öfter von ihm hören.

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