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Die Kornblume

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Es gibt nicht nur eine blaue Blume der Romantik. Eine andere blaue Blume lockte und verlockte einmal Menschen dieses Landes. Viele fanden den Weg zurück, andere wieder irren noch heute im Dickicht. Die blaue Kornblume ist es, von der wir sprechen, das alte Symbol des „nationalen Lagers“ in Österreich.

Die Kornblume! Aus dem Kreis jener, die ein ganzes langes Leben hindurch diesem Idol auf geraden und anderen Pfaden, über Berg und Tal, ohne Blick zur Seite, nachgejagt sind, liegt nun eine Wortmeldung vor. Ein Mann, der in seiner oberösterreichischen Heimat durch Jahrzehnte im öffentlichen Leben tätig gewesen ist, gibt sie ab: Franz Lan-goth in seinem Buch „Kampf um Österreich“ (Verlag Weisermühl 1951).

Wie jeder Versuch zur Erhellung und Deutung der leidvollen letzten Jahrzehnte verdient auch dieser aufmerksames Interesse; doppeltes Interesse, da sein Verfasser erst kürzlich auf dem Parteitag einer im österreichischen Nationalrat vertretenen Partei sich für eine Überwindung der Vergangenheit aussprach.

Diese Stimme also — wird sie von der hohen Warte des Alters und der jahrzehntelangen Erfahrung herab Worte der Besinnung und der Einsicht, aber auch der Selbstkritik sprechen — oder sich allein auf einen späten Rechtfertigungsversuch beschränken, aus dumpfen Ressentiments Klage und Anklage zu erheben versuchen, aus denen doch nur wieder die heftige Gegenklage erwachsen kann? Die Worte, die der ehemalige Bürgermeister von Linz, Franz Langoth, eben vor jenem parteipolitischen Forum sprach, ließen der Hoffnung einen sehr breiten Raum. Dieser vermindert sich beim Studium seines Beitrages zur Geschichte unserer jüngsten Vergangenheit von Seite zu Seite.

Wieder einmal wird der Weg zurück gegangen. Ein Sohn aus kleinbürgerlicher Linzer Familie wächst während der letzten beiden Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts in Österreich-Ungarn heran. Noch ist die Verbundenheit mit dem Wesen und den Aufgaben des alten Staates lebendig. Namen wie Radecky und Tegett-hoff haben einen guten Klang. Langsam aber verblassen sie. Andere Namen sind jetzt im Ohr: Metz... Mars-la-Tour ... Sedan ... Bismarck. Das „Gott erhalte“ ist beinahe vergessen, sobald einmal die „Wacht am Rhein“ erdröhnt. Ein Georg Ritter von Schönerer und Karl Hermann Wolf ziehen durch das Land. „Ohne Juda, ohne Rom wird erbaut Germaniens Dom.“ Akademiker, Beamte, Lehrer gehören zu ihrer Gefolgschaft. Bald steckt auch der junge Volks- und Hauptschullehrer Franz Langoth, dem eine Teilnahme an einer nationalistischen Kundgebung die Relegierung eingetragen hat, die blaue

Kornblume in sein Knopfloch. Er wird ihr treubleiben. Wirklich, das wird er. Er trägt sie, als er in den oberösterreichischen Landtag einzieht, er zeigt sie mit besonderem Stolz, als er in den Geburtswehen der ersten Republik das Sicherheitsreferat der oberösterreichischen Landesregierung und die Stellvertretung des Landeshauptmannes übernimmt: groß ist die nationale Welle, die in jenen Jahren über Österreich schlägt, laut sind die Stimmen, die in der allgemeinen Desorientierung als Antwort auf die gewaltsame Zerschlagung des Vielvölkerstaates nach dem „Anschluß“ rufen. Sie kommen zu dieser Stunde aus allen Parteien. Herz und Hort dieser Bestrebungen aber ist die „Großdeutsche Volkspartei“. Franz Langoth ist in der Länderpolitik einer ihrer hervorragendsten Vertreter. Ihr Ziel: der „Anschluß“, das Aufgehen Österreichs im Deutschen Reich, bleibt aufrecht. Als Weg wird die Demokratie angesehen — denn Adolf Hitler und seine NSDAP sind noch nicht mehr als eine kleine politische Gruppe, die durch Lärm und Straßenumzüge von sich reden macht. Nur zögernd grüßt man sich mit ihr unter den Linden...

Das kann sich ändern, da h a t sich geändert mit dem 30. Jänner 1933, jenem Tag, an dem derselbe Adolf Hitler deutscher Reichskanzler wurde.

Die europäische Krise der Demokratie aber machte in der Zwischenzeit nicht vor Österreich halt. Der vorschnelle Abschied von jener Staatsform, die man erst, nachdem sie verspielt war, schätzen lernte, war ein allgemeiner. 1926: Linzer Programm ... 1930: Korneuburger Eid ... Im oberösterreichischen Landtag aber spricht der Abgeordnete Langoth:

„... möge dieses vielgeprüfte Land verschont bleiben von der einseitigen Diktatur einer Gruppe“ (S. 51).

Und doch war diese Verfassungstreue bedingt, denn schon einige Wochen später wird auch er zu einem Kollegen sagen:

„Klar muß man sich darüber sein, daß die Demokratie im alten Sinn erledigt ist. Nahezu dreihundert Millionen Menschen werden in Europa faschistisch regiert“ (S. 113).

Wieder einmal wird bestätigt, was allmählich schon zur Erkenntnis reift: die Zweifel, ja die Verzweiflung an der parlamentarischen Form der Demokratie waren in jenen Jahren eine allgemeine. Niemand darf seine Hände in Unschuld waschen. Auch Franz Langoth und seine Gesinnungsfreunde nicht. Sie schon gar nicht, galt doch ihre Opposition gegen die sich anbahnende Lösung, die doch in vielem dem Belagerungszustand in einer vom Feind berannten Festung glich, nichts anderem als der Verhinderung, der Verzögerung ihres politischen Traumes, dessen Verwirklichung sie sich schon so nahe wähnten. Böse Nachrächten kamen aus dem nationalsozialistischen Deutschland, „üble Feindpropaganda“ ... Nach wie vor blickten die Männer mit den Kornblumen sehnsüchtig über den Inn. So wurde das „blaue Lager“, aus einer eigenen politischen Kraft zu einem Paravant, hinter dem sich die braunen Kolonnen formierten. Die sogenannte

NSDAP—Steirischer Heimatschutz, brachte dies vor aller Welt zum Ausdruck. Hell, strahlend hell leuchtete das Blau der Kornblume. Es hemmte die Sicht für das blutige Rot der nationalsozialistischen Standarten.

Damals — und auch heute noch.

Sonst wäre es kaum zu verstehen, wie ein Mann, mag er auch der Person des letzten Bundeskanzlers fremd gegenübergestanden sein, über die Begegnung von Berchtesgaden und die ihr folgende Agonie eines kleinen Staates, der ja auch sein Vaterland war, nichts anderes zu sagen hat als eine Wiederholung all dessen, was die nationalsozialistische Publizistik im März 1938 schrieb. Die Welt aber kennt inzwischen die Wirklichkeit.

Jetzt war also erreicht wofür Langoth und seine Freunde ein Leben lang gestritten: im März 1938 holte Adolf Hitler den „Traum vom Reich“ auf die Erde herunter. Breiten, sehr breiten Raum widmet Langoth diesem Schicksalsmonat. Er berichtet von Heinrich Himmler, der nach Österreich kam, um hier „seines Amtes zu walten“ (S. 234), von jenem Zusammentreffen mit Adolf Hitler in Linz, wo er diesem gegenüber bekannte: „Mein Führer, das ist die größte Stunde der deutschen Geschichte“ (S. 241), von jener seither auch von anderen Diktatoren so oft mit demselben todsicheren Erfolg nachgeübten „Volksabstimmung“ vom 20. April 1938 — nach Langoth aber das „Beispiel einer wahren demokratischen Volksbefragung ... die freie, unbeeinflußte Entscheidung eines Volkes, das endlich zur Urne schreiten konnte, um das nationale Hochziel der ganzen Generation und der vorangegangenen Geschlechter zu verwirklichen“ (S. 323). So geschrieben nach 1945. Noch einmal leuchten die Augen, noch einmal ersteht die Welt — in der Farbe jener blauen Blume.

Freilich gefällt auch 1938, Langoth nicht alles. Die Konzentrationslager, die Judenpogrome, die immer und deutlich auf den Krieg hinsteuernde Politik des Regimes? Nein, das ist es nicht. Zu ihrer Verurteilung wird kein Wort gesprochen, wohl aber erregen Bürckel und die Zerschlagung der Heimat in Reichsgaue Mißfallen. An der Idee aber wird all diesen Mahnzeichen zum Trotz festgehalten. Man vertraut „trotz aller Schönheitsfehler und Kinderkrankheiten“ den „heilenden Kräften“ der Zeit. Ein Popanz muß her, um alles Weitere zu erklären. Trotz München, entgegen dem „Appeasement“ wird hier noch einmal — oder schon wieder? — die Legende vom friedliebenden nationalsozialistischen Deutschland und von seinen zum Krieg treibenden bösen Feinden erzählt (S. 251). Eine Lektüre der einschlägigen Literatur, auch der deutschen — Görlitz' Standardwerk über den „Deutschen Generalstab“ wäre zum Beispiel zu empfehlen —, hätte diesen offensichtlichen Irrtum vermieden. Aber will man überhaupt die Wirklichkeit sehen, will man nicht lieber die Illusion fortsetzen, den Mythos bewahren, die geknickte Kornblume in frisches Wasser tun?

Ohne Zweifel: Franz Langoth war auch, als der Nationalsozialismus ihn mit Ehrenämtern überhäufte, Himmler ihn zum SS-Brigadeführer ernannte, Hitler ihn in den Reichstag berief und Eigruber ihn als Oberbürgermeister von Linz anerkannte, ein Mensch, der auf eigene saubere Hände Wert legte. Allein gerade solche brauchte das Regime und mißbrauchte sie. Es ist beinahe rührend zu lesen, mit welcher Fürsorge Langoth die

Kapitel seines Buches über die Zeit des Nationalsozialismus betreut, wie er seine Leser für die Leistungen der NSV zu begeistern sucht, sorgfältig den Unterschied zwischen blauen und braunen Schwestern erklärt und mit innerer Genugtuung Einzelheiten über die Leistungen seines Gaues auf dem Gebiet der NSV-Schweine-mast erzählt. Von größerem historischem Interesse ist da schon das Minutenprotokoll über den Kampf und die Übergabe von Linz, wie überhaupt jene Teile von Langoths Werk, wo er allein Rohmaterial liefert.

1945 stürzt für Langoth eine Welt zusammen. Die Mühlen einer falsch verstandenen, schablonenhaften Entnazifizierung ergreifen auch ihn: Glasenbach.

Da gerade in den Spalten dieses Blattes sehr früh der Ruf nach Besinnung erhoben und jede Vergeltung zurückgewiesen wurde, so darf jetzt andererseits der Versuch, den Camp Marcus W. Orr mit einem jener Lager der Gewalt gleichzusetzen, zurückgewiesen werden. Von diesen ließe sich wohl schwerlich berichten, was Langoth von Glasenbach zu erzählen weiß.

„Auf musikalischem Gebiet wurde auch besonderes geleistet. Ein großes Orchester war zusammengestellt worden. Chöre von Hunderten von Sängern fanden sich zusammen und gaben regelmäßige Vorführungen. An Dirigenten und Chormeistern war kein Mangel. Ganze Opernaufführungen mit prächtigen Solisten fanden statt. Weil es an Notenmaterial mangelte, schrieben hochbegabte Musiker die Partituren aus dem Kopfe nieder. Klavierkünstler gaben Konzerte. Daneben wurden regelmäßige Kurse in Buchführung, Stenographie, Mathematik, Geschichte und natürlich in allen Sprachen abgehalten. Journalisten veranstalteten die .Presseschau', die die Internierten über die Vorgänge außerhalb des Lagers informierte.

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