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Schicksale deutscher Dichter

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Wenige Monate nach Beendigung des Krieges erschien in einer Wiener Tageszeitung ein Bericht von Frank Thieß über die „innere Emigration”; er verteidigte das Verhalten jener Dichter, die zwar den Nationalsozialismus entschieden ablehnten, sich aber nicht entschließen konnten, ihr Vaterland zu verlassen. Thieß zitierte auch eine Antwort Erich Ebermayers an Thomas Mann: als deutscher Dichter bedürfe er des deutschen Raumes, der Heimaterde und des Widerhalls deutscher Menschen —, Mächte, die letztlich kein Terror angreifen könne, auch wenn sie als wirkende Kräfte mehr und mehr zu verschwinden schienen. Und Thieß bekräftigt: „Das war richtig, denn die Welt, auf die wir innerdeuts :hen Emigranten uns stützten, war ein innerer Raum, dessen Eroberung Hitler trotz aller Bemühungen nicht gelungen ist. Wohl konnte er die deutsche Seele in einen hypnotischen Schlaf versenken, den deutschen Geist von jeder Teilnahme absperren, doch als Element nicht zerstören, andernfalls müßten wir für alle Zukunft die Hoffnung aufgeben, jemals wieder zu schöpferischem Leben zu erwachen.” Die Dichter der inneren Emigration machten keinem, der aus- wanderte, einen Vorwurf, denn für die meisten Emigranten hing Leben oder Tod von diesem Entschluß ab. Also sei es richtig gewesen, daß sie fortgingen. Ebensowenig aber könne er wünschen, daß die ungeheure Belastung und Schwere des Lebens aller jener, die blieben, verkannt werde. Denn für viele war dieser Entschluß gefolgt von wirtschaftlichem Ruin, körperlichem Zusammenbruch oder Tflid. „Ich glaube”, schrieb Thieß, „es war schwerer, sich hier seine Persönlichkeit zu bewahren, als von drüben Botschaften an das deutsche Volk zu senden, welche die Tauben im Volke ohnehin nicht vernahmen, während wir Wissenden uns ihnen stets um einige Längen vorausfühlten.”

Über das Schicksal dieser Dichter und ihres Schaffens erfahren wir nun Einzelheiten aus einer neuen deutschen Anthologie!), welche Gedichte von 65 Autoren vereinigt und Kurzbiographien der einzelnen Künstler bringt.

Die lange Reihe der Dichter weist verschiedene Gruppen auf. Sie beginnt bei jenen, die unter dem Regime publizieren durften, sich also in einer äußerlich erträg- liehen Situation befanden, und reicht bis zu den andern, die in den Folterkammern, in Konzentrationslagern oder unter dem Fallbeil starben.

Ein Großteil der deutschen Widerstandsdichtung war getarnt. „Denn Widerstandsbewegungen unter einer Diktatur sind ohne Tarnung nicht möglich… Obwohl das Ausland zu ahnen begann, daß eine moderne Diktatur nicht durch Volkserhebungen beseitigt werden konnte, ahnte es doch nicht, wie das stählerne Netz der Gestapo und der Konzentrationslager jeden Widerstand erstickte und wie die äußere und innere Situation des im Lande verbliebenen ,anderen Deutschland’ in Wirklichkeit war, das sich mehr und mehr auf verlorenem Posten wußte … Und wenn die deutschen Opportunisten von gestern und heute behaupten, sie hätten sich alle nur getarnt, so dürfen die Lügen der Mitschuldigen dennoch nicht die Wahrheit des Widerstandes auch unter der Maske diskriminieren. Die Welt aber kannte dies nicht, und ob ein in Deutschland lebender Deutscher für oder gegen das Regime war, vermochte sie im Grunde erst dann zu sehen, wenn das Regime ihn umgebracht hatte. Was blieb der Welt als Beweis also anderes übrig als das Urteil der Volksgerichtshöfe oder der Strick des Henkers”, schreibt Dr. Gunter Groll im Vorwort zu „De Profundis”.

Während des nationalsozialistischen Regimes gab es überall in Deutschland Gruppen deutscher Intellektueller, von denen eine bedeutende und wirksame Opposition gegen die Kulturpolitik des Dritten Reiches ausging. Diese Kreise — nicht immer mit denen der politischen Widerstandsbewegung identisch — bildeten eine Art unsichtbaren Orden. Hier wurden hinter verschlossenen Türen politische und künstlerische Sendungen des Auslandes im Radio gehört, hier wurde verbotene Musik gespielt und wurden verbotene Bilder ausgestellt, hier las man verbotene Reden von Ernst Wie- chert und Thomas Mann, geheim kursierende Verse von R. A. Schröder, Bergengruen, Reinhold Schneider und noch gänzlich unbekannten Autoren, hier las man auch die Aufrufe und handschn’Hich verbreiteten Predigten mutiger katholischer Bischöfe und evangelischer Bekenntnispfarrer, hier studierten die Sozialisten ihre wissenschaftliche Literatur, und hier las man die Bücher von Heiden und Rauschning, deren Entdeckung Kerker oder KZ bedeutet hätte. So suchte man in der Isolierung den Anschluß an die übrige Welt zu bewahren, „man hoffte damals auf ein neues Europa, das aus der Resistance, den Konzentrationslagern, den Versuchen zur Erneuerung der Arbeiterbewegung wie der christlichen Kirchen, den Fronten der jungen Soldaten und den Katakomben des Bombenkrieges erwachsen sollte. Man ahnte damals noch nicht, wie einsam der Weg des kommenden Deutschland nach der Niederlage sein müsse… Es war die Inselzeit des deutschen Geistes”.

Doch auch im Lande waren Dichter geblieben, an deren Versen sich der im Propagandaschwall Verlorene aufrichten, an deren Haltung er sich ein Beispiel nehmen konnte. Aus der langen Namensliste der Anthologie seien einige der bekanntesten und — als besonders charakteristisch — einige der jungen Generation herausgehoben.

Werner Bergengruen wurde 1892 in Riga geboren. Bis 1933 hatte er zahlreiche Romane und Erzählungen geschrieben. Im Dritten Reich wurden mehrere seiner Bücher verboten, außerdem erhielt er Rundfunk- und Vortragsverbot. 1937 aus der Schrifttumskammer ausgeschlossen, arbeitete er auf Grund einer „widerruflichen Sondergenehmigung” unter ständiger Überwachung. Obwohl er zahlreichen Bedrohungen ausgesetzt war, gelang ihm — in historischer Maske — die Veröffentlichung mehrerer Bücher, die kritische Auseinandersetzungen mit dem Zeitgeist enthielten, so vor allem in „Der Großtyrann und das Gericht” und „Am Himmel wie auf Erden”, das 1940 veröffentlicht und später gesperrt wurde.

Von nachhaltigem Einfluß waren geheim verbreitete Gedichte, von denen auch einzelne im Ausland erschienen. Diese Gedichte trug er auch in privaten Vorlesungen, die oft Hunderte von Zuhörern hatten, unter anderem in Kreisen der Arbeiterjugend vor. Er lebt heute in Aschenkirch in Tirol.

Der religiöse Grundton und ihre zeitkritische Tendenz machten die Gedichte der Gertrud von Le Fort im Dritten Reich „unerwünscht”. Zunächst wurden einzelne, später, ihre sämtlichen Werke gesperrt und ihr Familienbesitz durch die Partei enteignet. Ihr Gedicht „Stimme des Heilandes”, in den letzten Kriegsjahren entstanden, ging in zahlreichen Abschriften von Hand zu Hand.

Sebastian Grill, 1914 zu Liegnitz in Schlesien geboren, lebte bis 1933 als Student, Schriftsteller und Dramaturg in München. 1933 floh er ins Ausland, kehrte jedoch bald zurück und gehörte 1934 zu den Gründern der illegalen Widerstandsgruppe der Münchner Universität, welche in den folgenden Jahren die ersten Flugblattfeldzüge und Studentenrevolten gegen das Regime organisierte. —

Albrecht Haushofer war Wissenschaftler, Schriftsteller, Komponist und Politiker. Er stellte sich anfangs dem Regime zur Verfügung, in der Hoffnung, in einflußreicher Position künftiges Unheil verhüten und eine Wendung herbeiführen zu können. Aus dem oppositionellen Diplomaten wurde bald ein entschlossene: illegaler Kämpfer gegen das Regime. Er schloß sich jenen Widerstandskreisen an, aus denen später die Männer des 20. Juli hervorgingen. 1941 wurde er tum erstenmal von der Gestapo verhaftet und von allen Ämtern enthoben. Nadi der Aktion des 20. Juli 1944 wurde er in einem Berliner Gefängnis hingerichtet. In den Händen des Toten fand sein Bruder das Manuskript der „Moabiter Sonette”, seiner letzten Gedichte.

1933 erklärte Ricarda Huch demonstrativ ihren Austritt aus der Akademie der Wissenschaften und Künste. Seither stand sie unter der Anklage des sogenannten „Heimtückegesetzes” und hatte zahlreiche Angriffe und Gefahren zu bestehen. Trotzdem setzte sie sich immer wieder für Verfolgte und Verbotene ein und hörte nicht auf, in ihren Werken zu mahnen und anzuklagen. Noch 1944 konnte im Insel-Verlag ihr Gedichtband „Herbstfeuer” erscheinen.

OskarLoerke war Lektor des Fischer- Verlages und Mitglied der Preußischen Akademie der Dichtkunst. 1933 vom Posten des ständigen Sekretärs der Akademie entfernt, verbrachte er seine letzten Jahre erfüllt von innerer Qual und verzweifelter Verbitterung. Seine Gedichte enthielten in der „Katakombensprache” immer wieder Auseinandersetzungen mit der verachteten und gehaßten Zeit des Hitlerregimes. In seinem Testament bat er seine Freunde, jedem entgegenzutreten, der behaupte, er sei an irgendeiner Krankheit gestorben, da seine Krankheit „durch die feindlichen Handlungen und Anschauungen” jener Jahre verursacht worden sei.

Das Werk Reinhold Schneiders (1903 in Baden-Baden geboren) umfaßt zahlreiche religiöse und essayistische Schriften, dichterische Geschichtsdarstellungen und lyrische Gedichte… Seit 1933 zahllosen Schwierigkeiten ausgesetzt, wurde ihm 1941 die Druckerlaubnis entzogen. Seit 1943 stand er unter Anklage des Defaitismus, 1945 wurde er des Hochverrates angeklagt. Sein in historischer Verhüllung vorgetragener Protest gegen Unterdrückung, Unmenschlichkeit und imperialen Rassenwahn sprach unverhüllt fcus zahlreichen illegal verbreiteten Schriften und Gedichten, die in Zehntausenden von Exemplaren von Hand zu Hand gingen. Trotz scharfer Überwachung konnte er sich mit Hilfe eines Kreises Gleichgesinnter halten und war eine Stimme des Trostes und der religiösen Sinngebung.

Georg von der Vring, als Soldat Teilnehmer beider Weltkriege, Schriftsteller und Journalist, wurde 1934 wegen Verweigerung des Hitlergrußes von seinem Amt am Rundfunk, das er seit 1931 bekleidete, entlassen. Seitdem hatte er zahlreiche Schwierigkeiten zu bestehen. Sein Sohn, Angehöriger einer politischen Widerstandsgruppe, wurde während des Krieges zu einer Zuchthausstrafe verurteilt… Seine Gedichte aus dieser Zeit, Klagen eines besorgten Vaterherzens, sind erschütternd.

Das Schicksal eines wenig bekannten jungen Dichters möge die Reihe schließen. Gregor Waiden ist in Ratibor (Oberschlesien) geboren; 1933 floh er mit antifaschistischen Freunden in die Tschechoslowakei … 1934 kehrte er nach Deutschland zurück, organisierte die schlesische Widerstandsgruppe und nahm Verbindung zu den Widerstandskreisen in Berlin und Bayern auf. 1936 wurde er von der Gestapo verhaftet, aber wegen Mangel an Beweisen wieder entlassen. Als eine zweite Verhaftung drohte, floh er über die Grenze und kehrte wenige Monate später zum zweitenmal illegal zurück. 1940 wurde er zum Militär eingezogen, wegen „Tapferkeit vor dem Feind” zum Offizier befördert und 1942 „wegen Feigheit vor dem Feind und militärischen Ungehorsams” degradiert und in eine Strafkompagnie gesteckt: er hatte sich, geweigert, an der Erschießung von Partisanen teilzunehmen. 1943 an der Ostfront schwer verwundet, wurde Waiden aus der Wehrmacht entlassen. Er betätigte sich seither weiter illegal gegen das Regime und schrieb eine Reihe von Gediditen, die geheim verbreitet wurden. Seit der Besetzung Schlesiens durch Polen ist er, ebenso wie seine Familienangehörigen, vermißt. In einem seiner Gedichte sagt er:

Wir auf verlorenem Posten im zehnten Jahre des Krieges…

Wir, die Vergangenen, die Kommenden, wir aber wissen,

Daß wir allein sind. Wissen: daß keiner,

Keiner der Brüder von drüben uns heute noch hört und noch hilft.

Aber, so wir entkommen, ach, im anderen Land,

Wird niemand uns glauben. Gejagte und Jäger,

Mörder und Opfer sind eines für die rächende Welt,

Der unser Tod erst beweist, daß wir lebten.

O ewiges Dunkel!

Wir aber flehn für den Sieg aller Feinde, die morgen

An unsern Enkeln die Schuld unsrer Henker bestrafen …

Ach, wir flehn um den Untergang alles Geschaffnen,

Dessen Bewahrung und Hut unser Amt ist auf Erden.

Sieh uns verzweifeln, Herr dieser blutigen Erde,

Sieh uns erliegen, Herr, in den Kasematten des Unrechts,

Sieh uns verbluten im Dornengehege des Wahnsins

Aber siehe, o Herr, auch dies: daß wir weinen,

Ach, daß wir lächeln wie atemlos glückliche Kinder,

Wenn wir, Gehetzte, unter dem Himmel der Schmerzen

Einmal noch hören das einzige, kostbare Wort, Einmal noch: „Freiheit” …

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