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Katholiken gegen das NS-Regime

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„Holocaust“ hat eine Debatte ausgelöst, die nach ursprünglich übereinstimmender Auffassung weitergeführt werden sollte. Aber bald schon, nachdem der Vorsatz gefaßt war, wurde er auch schon wieder vergessen. Bei der FURCHE nicht. Wir erinnern heute an den katholischen Widerstand in der NS-Zeit. Der Verfasser, Hofrat Danimann, Leiter des nö. Arbeitsamtes, kann aus eigener Erfahrung sich dem Thema nähern: Im Konzentrationslager Auschwitz war er zeitweise mit zwei Priesterseminaristen in einem Arbeitskommando zusammen.

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„Holocaust“ hat eine Debatte ausgelöst, die nach ursprünglich übereinstimmender Auffassung weitergeführt werden sollte. Aber bald schon, nachdem der Vorsatz gefaßt war, wurde er auch schon wieder vergessen. Bei der FURCHE nicht. Wir erinnern heute an den katholischen Widerstand in der NS-Zeit. Der Verfasser, Hofrat Danimann, Leiter des nö. Arbeitsamtes, kann aus eigener Erfahrung sich dem Thema nähern: Im Konzentrationslager Auschwitz war er zeitweise mit zwei Priesterseminaristen in einem Arbeitskommando zusammen.

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Die große mutige Demonstration am 7. Oktober 1938 vor dem Wiener Stephansdom, an der vor allem viele junge Menschen teilnahmen, war wohl die am stärksten in der öffentlichkeit beachtete Äußerung des christlichen Widerstandes in Österreich. Indessen wurde die ganzen sieben Jahre der Zugehörigkeit Österreichs zum „dritten Reich“ von kirchlichen Kreisen, Klerikern und Gläubigen eine Fülle von Aktivitäten der Menschenliebe und Nächstenliebe und der Solidarität gegenüber Gefährdeten und Verfolgten gesetzt. Was alles als Widerstand im Sinne der damaligen „Rechtsordnung“ galt. 'Aber auch die Zahl der aktiven Widerstandskämpfer war beachtlich.

Wenn sich Priester - die sicher nicht von vornherein zu den potentiellen Anführern gegen staatliche Autoritäten gehören - in der Zeit von 1938 bis 1945 unter dem Einsatz des eigenen Lebens aktiv an der unterirdischen Konspiration beteiligten, taten sie dies als österreichische Patrioten, vor allem aber, weil ihnen ihr Gewissen keine andere Wahl ließ.

Karl Roman Scholz, Chorherr von Klosterneuburg, schrieb in seinem letzten Brief, knapp vor seiner Hinrichtung am 10. 5.1944: „Man glaube mir, was ich getan habe, das tat ich aus der Not meines Gewissens heraus.“

Er konnte, wie viele seinesgleichen, nicht schweigen, weil Schweigen Zustimmung bedeutet hätte. Die Gläubigen aber erwarteten von ihren Priestern eine klare Haltung gegenüber dem vielfältigen Unrecht des NS-Regimes.

Das Thema wurde vor einiger Zeit in einem Vortragsabend in der Wiener Urania behandelt. Referenten waren Univ.-Prof. Dr. Erika Wein-zierl, Minister a. D. Dr. Wolfgang Schmitz und Domvikar Monsignore Pinzenöhler. Der Verfasser dieses Beitrages besorgte die Einführung und Diskussionleitung vor einem zahlreichen, sachkundigen und interessierten Publikum. Bemerkenswert waren dabei die zahlreichen jungen Menschen und vielen Lehrer im Publikum.

Die kirchlichen Kreise, die die Gefahren des Nationalsozialismus -nicht nur für den Glauben - bereits lange vor dem März 1938 erkannten, waren in einer etwas zwiespältigen Lage. Ihre natürlichen Verbündeten gegen die gewalttätigen Nationalsozialisten, nämlich die Angehörigen der Linken, waren illegal. Zudem standen die Toten des 12. Februar 1934 zwischen den Lagern, da insbesondere dem höheren Klerus ein gewisses Naheverhältnis zur Regierung der autoritären Vaterländischen Front angelastet wurde.

Die Linke - Sozialdemokraten, Freigewerkschafter und Kommunisten - mußte ihre Tätigkeit gegen die braune Gefahr im Untergrund ausüben. Aber auch die bürgerlichen Nazigegner wurden verschiedentlich behindert, insbesondere seit die Regierung Schuschnigg - angesichts der immer fragwürdiger werdenden Unterstützung durch das Ausland -sogenannte „Befriedungsakte“ gegenüber Hitler setzte.

Diese boten den Nationalsozialisten gewisse legale Möglichkeiten, die von ihnen auch geschickt und rücksichtlos ausgenützt wurden, ohne daß sie deswegen ihr hochverräterisches und österreichfeindliches Treiben auch nur im geringsten eingeschränkt hätten. Dafür wurden aber proösterreichische Aktivitäten als antideutsch und dem Abkommen mit Hitler von 1936 zuwiderlaufend verteufelt. Die demokratische Linke blieb weiter im Untergrund verbannt.

Da mit den ülegalen Kadern der Linken keine Massenbasis geschaffen werden konnte, weder zur Wiedererringung der demokratischen Freiheiten noch gegen die braune Gefahr, lag es nahe, sich gewisser legaler Möglichkeiten zu bedienen. Der Verfasser dieses Beitrages war selbst gleichzeitig Funktionär der illegalen Freigewerkschaften sowie der Katholischen „Jungen Front“, die ihre Heimabende in der Pfarrkirche in Klein Schwechat abhielt.

Eine Gesprächsbasis für die legalen und illegalen NS-Gegner aus dem bürgerlichen und dem linken Lager bot auch die offizielle Einheitsgewerkschaft, die allerdings von der Masse der Arbeiter abgelehnt wurde. Es gab aber vielfältige Kontakte und auch zahlreiche Gespräche zwischen christlichen Gewerkschaftern und Funktionären der in der Illegalität agierenden Freigewerkschaften. Mit dem Wachsen der NS-Gefahr wurden diese Verbindungen intensiviert. Im Februar und März 1938 kam es bereits zu gemeinsamen Kundgebungen unter den Losungen:

Für ein unabhängiges Österreich!

Volk frei! Freiheit Österreich!

Die sich anbahnende breite Bewegung, die hoffen ließ, daß die demokratische Linke wieder in die Legalität zurückkehren konnte, was die Basis der Verteidiger Österreichs wesentlich verbreitert hätte, wurde mit dem Einmarsch der Hitler-Wehrmacht am 11. März 1938 gewaltsam und jäh gestoppt.

Nach dem „Umbruch“ am 11. März waren dann auch die bürgerlichen NS-Gegner illegal und versuchten sich auf dem für sie ungewohnten

Boden des Widerstandskampfes. Von Einzelfällen abgesehen kam es aber kaum zu gemeinsamen Aktionen mit der in diesem Bereich erfahrenen Linken.

Indessen boten die Gefängnisse und Konzentrationslager, in die ab dem 11. März die aktiven NS-Gegner aller Richtungen massenhaft eingeliefert wurden, Gelegenheit, den Dialog aufzunehmen, die bestehenden Kontakte fortzusetzen und zu vertiefen. Man sprach über die Fehler der Vergangenheit und die Aufgaben der Zukunft.

Man erkannte, daß die Durchsetzung eigener Ziele dort ihre Grenzen finden muß, wo sie die Existenz der anderen Gruppe gefährdet Man lernte Toleranz gegenüber dem Anhänger der anderen Weltanschauung. Die praktische Solidarität der Häftlinge gegen die Vernichtungsmethoden der SS verband den Gläubigen mif dem Konfessionslosen und sie umfaßte den Priester wie den Kommunisten, den sozialistischen Gewerkschafter wie den ehemaligen Minister.

Den Totalitätsanspruch des NS-Staates duldete keine anderen Autoritäten neben sich. Auch nicht solche auf geistig-religiösem Gebiet. Weil sie sich - gleich anderen - gegen die religionsfeindlichen Maßnahmen der Nazis gewendet hatte, wurde die Ordensschwester Restituta (Helene Kafka) am 30. März 1943 hingerichtet. Unerschrocken war sie dagegen aufgetreten, daß man Kruzifixe und religiöse Büder aus den Sälen des Krankenhauses, in dem sie arbeitete, entfernte. Mit den Worten „Ich gehe zum Feste!“ verließ sie mit auf den Rük-ken gebundenen Händen ihre Zelle, um zur Hinrichtung zu gehen. „Nach Empfang der hl. Sakramente erneuerte sie mit lauter Stimme die hl. Gelübde und bat den himmlischen Vater um Verzeihung für die, die Schuld an ihrem Lose trugen. Ihre Mitgefangenen waren von dieser heroischen Opfergesinnung tief ergriffen“, hieß es in einer Gedenkschrift.

Die Erlebnisse, die der Jesuitenpater Johann Lenz während seiner mehrjährigen Haft in Dachau hatte, hielt er später in dem berühmten Buch „Christus in Dachau“ fest. Lenz gefährdete „nach dem Ergebnis der staatspolizeilichen Erhebungen durch sein Verhalten den Bestand und die Sicherheit des Volkes und Staates ... indem er das Vertrauen der Bevölkerung zur Regierung und Staatsführung zu erschüttern suchte ...“

Die gemeinsame Arbeit in schweren Kommandos, die Gefahr, das stundenlage Appellstehen, vor allem aber Gespräche trugen wesentlich zum Abbau von früheren Spannungen zwischen gläubigen und nichtgläubigen politischen Gefangenen bei, zur Uberwindung von tatsächlichen oder vermeintlichen Gegensätzen. Und zum Einbekennen zurückliegender Fehler. Mit diesen Erkenntnissen aber begann man 1945 mit dem Neuaufbau.

Auch in anderen von der Hitler-Wehrmacht besetzten Ländern beteiligten sich Kleriker am Widerstand. Der Verfasser dieses Beitrages arbeitete selbst im Konzentrationslager Auschwitz mit zwei Priesterseminaristen in einem Häftlingskommando.

Roman Karl Scholz richtete unmittelbar nach dem „Umbruch“ sogenannte Bibelstunden ein, die vor allem jungen Menschen eine Glaubensstütze geben sollten. Ab dem Mai 1938 begann Scholz mit der Sammlung und Organisation von NS-Gegnern aus dem katholischen Lager. Es schlössen sich vor allem Studenten an. Einer davon war der Burgschauspieler Fritz Lehmann. Die „österreichische Freiheitsfront“ von Scholz bekannte sich zu den Grundprinzipien der Freiheit des Glaubens, der Meinungsäußerung und der Freiheit von Not und Furcht.

Die Bevölkerung, die angesichts des Krieges, der Einschränkungen auf allen Lebensbereichen, des Polizeiterrors , nach jeder freiheitlichen Regung dürstete, wurde mit Flugblättern angesprochen. Die Gruppe wurde schließlich durch einen Spitzel, der sich eingeschlichen hatte, verraten. Die Gestapo griff zu. Auch mit Scholz verbundene Gruppen wurden betroffen. Unter den Verhafteten war auch Monsignore Pinzenöhler. Wenige Zellen weiter im Einzeltrakt des Polizeigefängnisses Roßauerlände saß auch der Schreiber dieser Zeilen.

Wie dem Buch „Die österreichische Freiheitsbewegung - Roman Karl Scholz“ von Christine Klusacek zu entnehmen ist, wurden gegen Mitglieder seiner Gruppe elf Todesurteile gefällt, von denen neun vollstreckt wurden. Mitglieder seiner und der gleichzeitig „aufgeflogenen“ verbündeten Gruppen büßten 362 Haftjahre ab. In Klosterneuburg wurde ein Platz nach R. K. Scholz benannt.

1940 wurde von Kardinal Innitzer die „Hilfsstelle für nichtarische Katholiken“ ins Leben gerufen, die jahrelang Hilfsbedürftige mit Kleidern, Wäsche und Schuhen versorgte. Juden erhielten ja während des Krieges - soferne sie von den Deportationen verschont blieben - keine Kleiderkarten und erheblich weniger Lebensmittel als die „Volksgenossen“.

Klöster, Pfarreien und zahlreiche anonyme Spender halfen, indem sie oft einen spürbaren Teil ihrer eigenen kargen Rationen zur Verfügung stellten. Die Hilfsstelle stand unter der Leitung des umsichtigen und mutigen Paters Born, der von vielen stillen Helfern unterstützt wurde und nur über eine kleine Anzahl direkter Mitarbeiter verfügte. Ein Teil von diesen fiel selbst unter die „Nürnberger Rassengesetze“. Neun von ihnen wurden deportiert.

Wegen seiner unbeugsamen österreichischen Gesinnung mußte Carl Lampert seine Pfarre in Innsbruck verlassen. Aber auch im Bereich der Erzdiözese Berlin setzte er seine Tä-

tigkeit gegen den Krieg und gegen die unmenschlichen Maßnahmen des Regimes fort. Die Zusammenkünfte fanden im Waldhaus des Pfarrers Plonka in Peenemünde statt. In Zusammenarbeit mit holländischen „Fremdarbeitern“ wurde auch versucht, die Tätigkeit der von der Wehrmacht betriebenen V-Rake-ten-Versuchsanstalt zu stören. Lampert erlebte das Ende des Naziregimes nicht. Er wurde 1944 mit einigen Gesinnungsgenossen hingerichtet. Im selben Prozeß vor dem „Volksgericht“ war auch Monsignore Weinbacher angeklagt.

Schwere Haftstrafen wurden nicht nur gegen aktive Widerstandskämpfer unter den Welt- und Ordenspriestern verhängt. Hauptsächliche weitere „Delikte“ waren: Kritische Äußerungen in Predigten, im Schulunterricht und bei Privatgesprächen, Abhören ausländischer Rundfunksender, angebliche Übertretungen staatlicher Verordnungen hinsichtlich des Gottesdienstes, der Einhaltung kirchlicher Feiertage, des Glok-kenläutens und so fort. Verweigerung des Hitler-Grußes, Werke karitativer Art, wie Verteilen von Zigaretten an Kriegsgefangene, Beherbergung von Flüchtlingen und vieles andere.

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