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Myrtyrer unseres Jahrhunderts

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Nachdem in den letzten Jahren die Literatur über den christlichen Widerstand gegen Hitler und seine Opfer nicht allzu zahlreich war, sind 1966 zwei nicht nur für den Historiker wertvolle Werke über die verfolgte Kirche erschienen. Ihren Autoren ist — so verschieden ihr Leben bis 1933 und seit 1945 gewesen sein mag — eines gemeinsam: Sie waren Gegner Hitlers und mußten dafür, jeder auf seine Weise, bezahlen. Ihre eigenen Erlebnisse haben sie jedoch nicht daran gehindert, das, was sie darstellen wollten, frei von persönlichen Ressentiments zu schildern.

Reimund Schnabel, einem Laien, der heute in Berlin lebt, ging es darum, eine nüchterne Chronik vom Leben und Sterben der Priester in Dachau zu schreiben. Er wurde 1941 wegen Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt und hat die Schrek-ken dieses Lagers von 1942 bis 1945 selbst kennengelernt. Er weiß aus eigener Anschauung, daß dort nicht mehr Amt und Würde, Herkunft und Bildung zählten und auch nicht vor menschlichem Versagen schützten. Seine genaue Kenntnis des Lageralltags, der Mentalität der Häftlinge und ihrer Wächter befähigte ihn zur Zeichnung eines bei aller Zurückhaltung selten eindringlichen Bildes von Dachau und seiner priesterlichen Insassen. Die genaue Beschreibung des Lagerlebens und der immer wiederholte sehr richtige Hinweis, daß auch die Priester aller Konfessionen nur Menschen sind und man daher von vornherein von ihnen nicht mehr erwarten darf als von jedem anderen, auch wenn einige von ihnen einen Heroismus gezeigt haben, der ohne Beispiel war, gehören zu den großen Vorzügen des Buches von Schnabel. Auch seine Schilderung der ja bekannten Bewährung von Kommunisten im Lager sind überzeugend. Weniger überzeugend allerdings ist seine Feststellung in der einleitenden Skizzierung des Verhältnisses von Nationalsozialismus und Christentum, daß „in den Parlamenten und Regierungen der modernen sozialistischen Länder Atheisten und Christen gemeinsam die Verantwortung tragen...“ (Seite 16). Für den Historiker geradezu unentbehrlich aber sind Schnabels Statistiken und die 2771 Namen von Priestern aus ganz Europa, vor allem aber aus Polen enthaltende Liste der geistlichen Häftlinge des KZ Dachau von 1933 bis 1945.

Aus den Statistiken geht zum Beispiel für Österreich hervor, daß in den ersten drei Jahren der NS-Herr-schaft in Deutschland 0,25 Prozent der Geistlichen, in Österreich dagegen 1938 bis 1941 30,46 Prozent nach Dachau kamen. Bei den Verhaftungen in den jeweils ersten drei Jahren ist die Relation 1,75 Prozent zu 38,18 Prozent. Der prozentuale Anteil des höheren Klerus an den Häftlingen war in Deutschland 8,27 Prozent, in Österreich 18,08 Prozent. Der Anteil der Ordensgeistlichkeit an allen österreichischen inhaftierten Geistlichen betrug 22,86 Prozent, womit Österreich in dieser Beziehung an der Spitze aller Länder steht.

In Schnabels Namensliste, zweifellos die bisher verläßlichste und vollständigste (sie erfaßt, soweit möglich, Alter, Rang, Verhaftungstermin, Haftzeit, Entlassungs- oder Befreiungstermin und Tod), scheinen 102 österreichische Geistliche auf (die Aufnahme Franz Olahs unter Zitierung von P. Lenz beruht auf einem Irrtum). Zwölf von ihnen kamen bereits 1938/39 nach Dachau, elf starben im Lager, 23 verbrachten mehr als drei Jahre ihres Lebens dort, der Kaplan Georg Schelling sogar volle sieben Jahre. Schon diese nüchternen Zahlen, die obendrein nur die in Dachau inhaftierten österreichischen Geistlichen erfassen, zeigen die Unhaltbarkeit der kürzlich in der Hochschulwahlnummer der Zeitschrift der freiheitlichen Studenten „Der Ring“ aufgestellten Behauptung, daß sich die österreichische Widerstandsbewegung konstituierte, als „die russischen Truppen das Nordufer des Wiener Donau-kanals erreicht hatten“, und daß sie „nicht mit besonders prägnanten Heldentaten aufwarten“ könnte, „wenn man von jener absieht, die ein Wiener Wehrmachtsfeldwebel vollbrachte, als er sich durch den Einschließungsring schlich, um einem sowjetischen Brigadegeneral gute Ratschläge für die Eroberung Wiens zu erteilen.“

Selbst wenn Äußerungen dieser Art nicht auf purer Böswilligkeit, sondern auf Unkenntnis beruhen sollten, sind sie als Alarmzeichen für einen katastrophalen Mangel an politischer und zeitgeschichtlicher Bildung zu werten. 22 Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches müßten alle Österreicher wissen, daß in ihrem Land von der ersten Stunde der Herrschaft des Nationalsozialismus an in allen Bevölkerungsschichten Widerstand geleistet worden ist und daß dabei sehr wohl eine große Zahl von „besonders prägnanten Heldentaten“ vollbracht wurde.

Eine ganze Reihe wahrhaft erschütternder Beweise dafür erbringt das Buch der heute in Amerika lebenden deutschen Katholikin Benedicta Maria Kempner „Priester vor Hitlers Tribunalen“. Die Verfasserin, die ihr Leben im sozialen und pädagogischen Dienst verbracht hat und selbst während der Italienreise Hitlers als Geisel von der Gestapo verhaftet worden ist, hat in jahrelanger mühevoller Arbeit die Namen und Daten von 4000 vom NS-Regime umgebrachten Priestern ermittelt. Ihr Ziel ist die Anlegung eines neuen, großen Martyrologiums der römischen Kirche. Als Vorstufe dazu hat sie nun 130 von den Nationalsozialisten zum Tod verurteilte Priester beider Konfessionen aus Deutschland, Österreich und allen besetzten Ländern Europas herausgegriffen und auf Grund von Originalquellen (Briefe und Aufzeichnungen der Opfer, amtliche NS-Akten und Erinnerungen von Zeitgenossen) in alphabetischer Reihenfolge dargestellt. Wenn die Verfasserin auch infolge der Quellenlage nicht alle 130 Schicksale gleich dicht verlebendigen konnte (in einigen wenigen Fällen war nur die Tatsache der Hinrichtung zu ermitteln), so ist ihr doch ein großartiges Werk gelungen, das wohl niemand ohne Erschütterung zu lesen vermag. Kardinal Bea hat dem Buch „weiteste Verbreitung und tiefe Wirkung“ gewünscht. Diesem Wunsch kann man sich nur anschließen und vor allem für seine Realisierung im gesamten Unterrichtsbereich eintreten.

Die große, überzeugende Stärke des Werkes von Kempner liegt in der reichen Verwendung der Quellen. Aus ihnen spricht unwiderlegbar die totale Unmenschlichkeit jenes Systems, das mit Hilfe böswilliger oder dummer Denunzianten zahllose Menschen wegen einer Lappalie ihres Lebens beraubte. Vor allem aber erklingt in ihnen die Stimme wahrhafter Märtyrer und Helden, die zum Teil nach jahrelanger Haft mit ungebrochener Überzeugung in den Tod gingen. Die 17 Österreicher unter den 130 seien daher hier namentlich genannt: Abt Bernhard Burgstaller O. Cist, Pfarrer Heinrich Dalla Rosa, Pater Jakob Gapp, Pfarrer Dr. Anton Granig, Dr. Johann Gruber, Provikar Dr. Carl Lampert, Kaplan Dr. Heinrich Maier, P. Kapistran Pieller, P. Edmund Piller, P. Franz Reinisch, P. Dr. Karl Roman Scholz, Pater Johann Schwinghackl, P. Johann Steinmayr, P. Angelus Steinwender, Pfarrer Hermann Töpfer, August Wörndl und Schwester Restituta (Helene Kafka), die nach den bisherigen Untersuchungen einzige Nonne, die in einem Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt und auch hingerichtet worden ist.

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