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Österreichische Katholiken und der Anschluß

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Der Verfasser dieses Beitrages hat in damals noch sehr jungen Jahren, als er erstmals im Jahre 1927 als Hochschüler nach Wien kam und dort ab Jänner 1929 Sekretär der christlichsozialen Bundesratsfraktion, praktisch auch Sekretär des für seine Anschlußfreundlichkeit bekannten Vorsitzenden dieser Fraktion, Karl Gottfried Hugelmann, wurde, von dieser Position her dem Kreis der sogenannten „nationalen Katholiken“ angehört, also jenen österreichischen Katholiken, die für den Anschluß an „Deutschland“ (Weimarer Republik) waren. Und er hat sich im Zeitpunkt des Anschlusses sogar, um den ihm angedrohten Verfolgungen (Dachau) zu entgehen, auch um Aufnahme in die NSDAP bemüht.

Das wurde allerdings mit Hohn abgelehnt, worauf der Verfasser sich als maßgebliches Mitglied einer Widerstandsbewegung (W-Astra) anschloß und mehrfach sogar mit falschem Visum mit Vertretern des amerikanischen Geheimdienstes (Allan Dulles) wie auch der französischen katholischen Resistance traf. Darüber gibt es eine Reihe von Publikationen (Otto Molden, „Der Ruf des Gewissens“ und Radomir Luza, „Catholics of Austria“).

Zur Beurteilung der Frage, wie sich Österreichs Katholiken zum Anschluß an „Deutschland“ -dieser Begriff war damals und ist heute erst recht unpräzise und praktisch undefinierbar — verhielten, muß man zwei sehr unterschiedliche Phasen beurtpüen: jene von 1919 beziehungsweise vom Anschlußverbot im Staatsvertrag von St. Germain bis zur Machtergreifung Hitlers 1933, und sodann von dieser Machtergreifung bis zum 11./13. März 1938. Diese Unterscheidung ist deshalb so wichtig, weü auch die österreichischen Katholiken, soweit nicht einer ethnisch-sprachlichen Minderheit zugehörig oder Alemannen in Vorarlberg oder jüdischer Herkunft, in erdrückender Mehrheit für den Anschluß der Ersten Republik an das Weimarer Deutsche Reich waren, allerdings nicht so hundertprozentig wie die österreichischen Sozialdemokraten.

Daß die bürgerlichen Splitterparteien (Großdeutsche Volkspartei, Landbund) geschlossen für den Anschluß waren, ist bekannt. Die 1928 unter den Abgeordneten zum Nationalrat und den Mitgliedern des Bundesrates durchgeführte schriftliche Befragung, die dann in hoher Auflage vervielfältigt wurde, ergab eine sehr große Mehrheit für den Anschluß, aber die im wesentlichen betont katholischen Abgeordneten der christlichsozialen Partei sprachen sich doch nur zu 62 Prozent für den Anschluß aus. Es gab aber im Bereich der österreichischen Katholiken nur wenige, die in jener Zeit nicht für den Anschluß an „Deutschland“ gewesen und sich nicht als Deutsche dem Volk nach bekannt hätten.

Viele katholische Landeshauptleute der christlichsozialen Partei traten für den Anschluß ein, so etwa Franz Stumpf in Tirol, Franz Rehrl, Salzburg, Anton Rintelen, Steiermark (der sich allerdings später als Verräter an der christlichsozialen Partei erweisen sollte und im Zeitpunkt des Juli-Put-sches 1934 eben deswegen von Friedrich Funder gewissermaßen privat verhaftet wurde), aber auch der Oberösterreicher Josef Schlegel, während der Vorarlberger Otto Ender stets für einen Anschluß Vorarlbergs an die Schweiz eingetreten war, allerdings 1931 die von seinem Außenminister Johann Schober inszenierte Zollunion mit dem Deutschen Reich begünstigte, deren Scheitern zu seinem Sturz führte. Daß die Zollunion eine Vorbereitung für einen Anschluß bedeutete, liegt auf der Hand. Sie war eindeutig im Widerspruch zum Anschlußverbot des Vertrages von

St. Germain.

Daß es in der Zeit von 1919 bis 1933 auch Katholiken gab, die entschiedene Gegner jeglichen Anschlusses an „Deutschland“ waren, steht auch fest. Man braucht nur an Ernst Karl Winter zu denken, der sogar versuchte, eine Ha büitationsschrift herauszubringen, in der bewiesen werden sollte, daß Preußentum mit Satanismus identisch sei (sie wurde von der Universität Wien mit Hohn abgelehnt). Auch August Maria Knoll war einer dieser Gegner, aber bei Ignaz Seipel, mit dem der Verfasser wiederholt über solche Fragen in seiner Zelle in der Wiener Keinergasse sprach, verhielt sich ebenso ambivalent wie der Nachfolger von Kardinal Friedrich Gustav Piffl, Kardinal Theodor Innitzer, über dessen Haltung wir aus der Feder des kirchlichen Zeitgeschichtlers Maximilian Liebmann (Graz) sehr gediegene Studien besitzen.

Alles in allem waren die österreichischen Katholiken bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland durchaus für den Anschluß und „deutsch“ gesinnt, was immer das auch gewesen sein mag, und das ist aus manchen katholischen Werken jener Zeit zu entnehmen, wie etwa „Katholischer Glaube und Deutsches Volkstum in Österreich“ (1933) und auch das 1930 in Wien erschienene Sammelwerk von Friedrich G. Klein-waechter und Heinz von Paller (dieser war dann später ein führender sozialistischer Publizist in Graz): „Die Anschlußfrage“, mit Vorwort des christlichsozialen Nationalratspräsidenten Alfred Gürtler wie auch des deutschen sozialdemokratischen Reichstagspräsidenten Paul Lobe enthält nebst Beiträgen von sehr betonten Deutschnationalen einschließlich rechtsgerichteter Katholiken wie Hans Eibl auch solche demokratischer Katholiken wie Karl Gottfried Hugelmann, Ernst Streeruwitz, Richard Ker-schagl, Alfred Verdroß, Adolf Merkl und des Prälaten Karl Dre-xel.

Alle Autoren bejahten, daß die Österreicher dem Volke nach Deutsche seien, mehr noch, daß sie in einem einzigen deutschen Bundesstaat leben wollten. Das war vielleicht auch für jene, die sich im Herzen keineswegs als Deutsche fühlten - wie die führenden katholischen Denker und Politiker Richard Schmitz, der frühe Ignaz Zangerle, Leopold Kun-schak, Michael Paulitsch oder Otto Ender -, deswegen von eher geringer Bedeutung, weü man ja wußte, daß aus völkerrechtlichen Gründen (Anschlußverbot) ein Anschluß an das Deutsche Reich ohnehin nicht in Frage kam.

Träger dieses Anschlußgedankens waren die katholischen Hochschülerverbände, die in den Universitätsstädten, vor allem in Wien, Innsbruck und Graz, aber auch an der Theologischen Fakultät in Salzburg und sogar an der Montanistischen Hochschule in Leoben, als „Katholische Akademiker-Ausschüsse“ (KAA) zusammengeschlossen waren und die in der Katholisch-Deutschen Hochschülerschaft Österreichs (KDHÖ) einen Dachverband aufwiesen. Dieser war im wesentlichen vom Cartellverband (CV) gesteuert, der damals ja noch in engstem Zusammenhang mit dem CV in Deutschland und im Sudetenland stand und „gesamtdeutsch“ orientiert war, wie man das gerne nannte^ Die anderen katholischen Akademikerverbände wie der Bund Neuland, über den kürzlich ein Werk erschienen ist, die „Akademia“, die Unitas und die Vereinigung Katholischer deutscher Hochschülerinnen (V.K.D.H.) spielten neben dem CV eine eher untergeordnete Rolle und waren womöglich noch mehr deutsch-betont als der CV.

Wenn man bedenkt, daß bis zur Machtergreifung Hitlers die gesamte österreichische Politik auf ein Bekenntnis zum Deutschtum hin orientiert war - mag dieses auch vielfach nur ein Lippenbekenntnis gewesen sein, das auch mit der angeblich fehlenden Lebensfähigkeit Österreichs zusammenhing („Staat wider Willen“) -, ist es nicht sehr verwunderlich, daß gerade in katholischen Akademikerkreisen die Anschlußfreudigkeit sehr groß war.

Sie wurde überdies durch den „Volksdeutschen Arbeitskreis österreichischer Katholiken“ genährt. Dieser bestand 1932 aus maßgebenden Personen: Wilhelm Wolf, Josef Peßl, Josef Lehrl, Ernst Klebel, Ernst Lagler, Taras Borodajkewycz, Karl Laus, Karl Lechner, Karl Rudolf, Karl Starkl, Anton Böhm, Eugen Ko-gon, Franz Reder, Fritz Flor, Reinhold Lorenz, Josef Barth, Walter Ernst Richter, Walter Ter-nik, Theodor Veiter, Werner Habel, Josef Klaus, Ernst Marboe, Franz H. Riedl und Peter Graff (Vater von Michael Graff).

Dieser Arbeitskreis erarbeitete in den Jahren 1931/32 auch ein „Programm junger Katholiken. Grundlagen und Ziele völkischsozialer Neugestaltung“, das in sozialer Beziehung „links“ orientiert war, wie man heute sagen würde, aber außenpolitisch eher gesamtdeutsch. Das Dokument würde es, auch wenn manches daran aus heutiger Sicht völlig indiskutabel ist, verdienen, in der Zeitgeschichte im Wortlaut erwähnt zu werden. Die beiden Dissertationen zu den hochschulpolitischen Ereignissen, nämlich jene von Brigitte Fenz (heute verehelichte Lichtenberger), Wien 1977, und Michael Gehler, Innsbruck 1986, nehmen auf diese Fragen, obwohl ansonsten sehr gediegen, keinen Bezug.

Mit dem Heraufkommen des Nationalsozialismus im Deutschen Reich wandelte sich dieses Bild von einer Anschlußfreundlichkeit der österreichischen Katholiken grundlegend. Das kam schon in den geradezu unglaublichen Uberfällen völkischer Studentenverbindungen (durchwegs Burschenschaften) auf katholische — besonders farbentragende — Studenten in Wien (Universität) und in Graz am 3. November 1932 zum Ausdruck, auf welche hin die KDHÖ unter dem Vorsitz des Verfassers dieses Beitrages die deutsche Studentenschaft (D. St.) in Österreich für aufgelöst erklärte (endgültige Beschlußfassung Februar 1933). Wegen der Machtergreifung in Deutschland konnte sie auch nicht wieder in Gang gesetzt werden, vielmehr kam es zur Errichtung der sogenannten Sachwalterschaft unter Heinrich Drimmel durch eine Verordnung des Unterrichtsministeriums.

Aber schon bald zeigte es sich, daß die österreichischen Katholiken begannen, bei allem Bekenntnis zum Deutschtum, das ja noch, in der Ständestaatverfassung von 1934 in der Präambel steht, sich vom Anschlußgedanken zu distanzieren, auch wenn sich Bundeskanzler Engelbert Dollfuß noch im Herbst 1933 („Gesamtdeutscher Katholikentag“, der aber kein gesamtdeutscher war) zum Anschluß bekannte und dies auch im Zusammenhang mit persönlichen Aufgaben vom Verfasser dieses Berichtes verlangte.

Zunehmend mehr wurde Österreich auch zum Zufluchtsland deutscher Katholiken, die vor dem Nationalsozialismus fliehen mußten wie Bernhard Birk (Sei-pel-Biograph) oder Dietrich von Hüdebrand mit seiner Zeitschrift „Der christliche Ständestaat“. Und auch die „Vaterländische Front“ wollte, da zum Kampf gegen den Nationalsozialismus genötigt, von keinem Anschluß an ein nationalsozialistisches Deutsches Reich mehr etwas wissen.

Gewiß, es gab nunmehr die sogenannten „nationalen Katholiken“, die nur zu geringem Teil auch Nationalsozialisten waren — wie Fritz Flor, Taras Borodajke-wycz, Reinhold Lorenz, Pfarrer Schmid (in St. Rochus in Wien), möglicherweise auch Franz Reder -, aber im großen und ganzen waren die „nationalen Katholiken“ zwar deutschbetont, wie die ganze damalige Regierung und politische Führung, aber entschieden gegen den Nationalsozialismus eingestellt, den sie rundweg ablehnten.

Man hoffte zudem zunächst auch auf ein baldiges Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland. Und dem Verfasser dieses Beitrags sagte der Herausgeber der „Reichspost“, Friedrich Funder, wenige Tage vor dem Röhm-Putsch, daß in Kürze in München ein Putsch erfolgen und den ganzen Hitler-Spuk beseitigen werde.

Manche der zum Kreis der „nationalen Katholiken“ gehörigen Persönlichkeiten waren im übrigen glühende Gegner des Nationalsozialismus: Eugen Kogon (der noch 1932 in Wien eine eher deutschnational orientierte Zeitung, die „Neue Zeitung“, herausgab und teilweise auch redigierte, aber im Dritten Reich als Jude eingestuft wurde und ins KZ kam, worüber er sein berühmtes Buch „Der SS-Staat“ schrieb, nachdem er aber vorher in Berlin-Ost mit dem Buch „Das Recht auf Irrtum“ für Müde gegenüber Mitläufern des Nationalsozialismus warb), ebenso Josef Klaus, Lotte Leit-maier, Fritz Meznik und Dr. Gschließer (Innsbruck) sowie Alfred Hueber (Graz).

Es gab aber auch mehr oder weniger nationalsozialistisch orientierte Personen in dieser Gruppe, vor allem Fritz Flor, aber das waren Ausnahmen. Arthur Seyß-In-quart wurde zwar nach Berchtesgaden ebenso wie Edmund Glai-se-Horstenau in die letzte Regierung Schuschnigg als Vertreter der nationalen, ja vielleicht sogar nationalsozialistischen Gruppierungen mit auch katholischen Tendenzen aufgenommen, aber zum Personenkreis der „nationalen Katholiken“ hat Seyß-In-quart nicht gehört. Das kann man unschwer aus dem Buch „Katholischer Glaube und Deutsches Volkstum in Österreich“ des Volksdeutschen Arbeitskreises österreichischer Katholiken (Salzburg, Anton Pustet, 1933) entnehmen, wo aber extrem deutschnationale Personen aufscheinen, • etwa Edmund Glaise-Horstenau, Reinhold Lorenz.

Aber: Dieser Quelle zufolge gehörten zu diesen „nationalen“ — also auch weiterhin unter gewissen Voraussetzungen den Anschluß wünschenden - Personen Hugo Hantsch, Thomas Michels, P. Hieronymus Gaßner und (wie aus dem 1933 bei Anton Pustet erschienenen „Der christliche

Volksstaat“ ersichtlich) auch Alfred Verdroß, Karl Gottfried Hu-gelmann (der nie Mitglied der NSDAP wurde) und Josef Lehrl. Der Name Oswald Menghin ist dort nirgendwo zu finden, er war aber eine der maßgebenden Persönlichkeiten in dem genannten Volksdeutschen Arbeitskreis, vor allem aber der Vorarlberger Wü-helm Wolf, der ebenfalls niemals Mitglied der NSDAP geworden ist und der 1938 nach dem Anschluß, den er mit herbeigeführt hatte, nach einem Nachdenk-Aufenthalt auf Lopud ein Gegner des Dritten Reiches wurde, das ihn dann in Loosdorf ermorden ließ.

Der tragische Irrtum sehr vieler führender österreichischer Katholiken — einschließlich der Bischöfe Kardinal Theodor Innitzer, Adam Hefter, Erzbischof Sigismund Waitz und natürlich Alois Hudal — bestand darin, daß sie glaubten, nach erfolgtem .Anschluß“ würde die katholische Kirche nach Abgabe solcher Loyalitätserklärungen völlig unbehelligt bleiben. Diese Meinung entstand nicht zuletzt dadurch, daß in die Regierung Seyß-In-quart, der für manche sogar als ausgesprochen „katholisch“ galt, was er nach seiner Korrespondenz mit Karl Gottfried Hugel-mann während der vorgerückten Kriegsjahre gewiß nicht (mehr) war, sogenannte nationale Katholiken aufgenommen wurden, nämlich Wilhelm Wolf (der nie Mitglied der NSDAP gewesen ist), Oswald Menghin (Unterrichtsminister, ebenfalls nie Mitglied der NSDAP) und als Vizekanzler Edmund Glaise-Horste-nau. Aber auch die anderen Regierungsmitglieder waren mit Ausnahme von Sozialminister Hugo Jury - und vielleicht noch Hans Fischböck - keine wirklichen Nationalsozialisten. Der Finanzminister Rudolf Neumayer war geradezu ein Gegner der NSDAP und wurde denn auch bald abgesetzt und verhaftet.

Daß die Katholiken, die ins Anschlußkabinett aufgenommen waren, zusammen mit einigen Bischöfen unter den österreichischen Katholiken Verwirrung stifteten, ist sicherlich richtig. Auch Erzbischof Adam Hefter hat lange Jahre später dem Verfasser dieses Beitrages in einem stundenlangen Gespräch—er war resignierter Bischof mit Wohnsitz am Chiemsee — erklärt, daß er seine Pro-Hitler-Erklärungen im vollen Bewußtsein abgegeben habe, daß dies auf die Dauer gegenüber dem mendacium incarnatum, der NSDAP, nichts nützen würde, für den Augenblick sei es aber darum gegangen, möglichst vielen von Verfolgung bedrohten Katholiken (in Kärnten) ernstliche Verfolgung zu ersparen.

Sicher aus dem gleichen Grunde gaben die Kärntner Slowenenvertreter Franc Petek (Liberaler, später Titokommunist) und Joä-ko Tischler (führender slowenischer Katholik) laut „Nation und. Staat“ - wie im übrigen auch die betont katholischen Burgenland-kroaten in derselben Nummer vom März 1938, aber auch die „Hrvatske Novine“ und der „Ko-roäki Slovenec“ - Loyalitätserklärungen und Begrüßungsadressen an Adolf Hitler ab. Natürlich waren das alles Rückversicherungsversuche, von denen aber die heutige Zeitgeschichtsschreibung und Zeitgeschichtsbeschreibung durch Journalisten nichts weiß. Oder: nichts wissen will.

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