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DIE LETZTEN WOCHEN VOR DEM 12. MÄRZ 1938

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Österreichs Zeitungen vermittelten nicht das Gefühl, daß eine tödliche Gefahr auf das Land zukam und man sich auf Abwehr einstellen mußte.

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Österreichs Zeitungen vermittelten nicht das Gefühl, daß eine tödliche Gefahr auf das Land zukam und man sich auf Abwehr einstellen mußte.

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Wieder einmal beginnt ein Jahr der historischen Daten, der Geschichte und Zeitgeschichte. 1998 jähren sich das Revolutionsjahr 1848, das Ende des Ersten Weltkrieges im November 1918, Österreichs Anschluß an Hitlerdeutschland am 12. März 1938, die Pogromnacht vom 9. November 1938, nicht zu vergessen 1968. Den Auftakt zum Reigen der historischen und zeitgeschichtlichen Reiträge bildet ein Stimmungsbild von den letzten Wochen und Monaten vor dem deutschen Einmarsch.

Wer die Zeitungen jener Phase liest, kann sich nur wundern. Es herrschte eine im Rückblick geradezu gespenstische Normalität. Auf Seite 1 der Neujahrsnummer der „Neuen Freien Presse" lesen wir einen Titel, der die Stimmung kennzeichnet, die uns durch den ganzen Jänner und Februar begleiten wird: „Optimismus trotz alledem." Nein, das alte Jahr habe „der Welt die heiß ersehnte Re-ruhigung nicht gebracht": Bürgerkrieg in Spanien, Krieg im Fernen Osten, die Welt sieht besorgt zu, wie die Japaner in China vordringen. ( Auch in Österreich spitzt sich die Lage zu, aber da es hier niemand merkt, merkt's auch die Welt nicht. Während sich die illegalen Nazis klammheimlich auf Hitler freuen, freuen sich Wiens Zeitungen auf „Das Land des l,ächelns", die erste Aufführung der Operette von Franz Lehär in der Wiener Staatsoper. Dem Land des Lächelns war das Lächeln bereits vergangen. Wenige Monate noch, dann wird China trotzdem das letzte Ufer für tausende österreichische Juden sein, das einzige Land, das ihnen ohne Umstände Visa erteilt -Zehntausende österreichische und deutsche Juden werden im japanisch besetzten Shanghai überleben.

Österreich, lesen wir, habe „im letzten Jahr seinen vorgezeichneten Weg unbeirrbar fortgesetzt, die Ruhe im Innern bewahrt, seine Verfassung fester verankert und die Aufbautätigkeit unverdrossen weitergeführt". Die Arbeitslosigkeit läßt sich nicht verschweigen. Allein in Wien, berichtet die „Reichspost", seien 33.722 Jugendliche arbeitslos, rund 4.000 würden noch dazukommen, doch könne man sich 10.000 wegdenken, die sich eine haus wirtschaftliche Stelle suchen oder im Elternhaus bleiben würden.

Genau einen Monat vor Bundeskanzler Schuschniggs Beise zu Hitler veranstalten die Monarchisten - im Einverständnis mit der „Vaterländischen Front" des Kanzlers - 50 Kundgebungen in ganz Österreich. Es kommt zu Störungen durch die Nazis, Baufereien und Hunderten Festnahmen. Das Nordlicht, das am 25. Jänner stundenlang den Himmel rot färbte, wurde wesentlich ausführlicher kommentiert. Es war etwas Neues. Von den Aktivitäten der Nazis konnte man dies nicht behaupten.

Hitler hatte die Brauchbarkeit des Badios als Mittel zur Massenbeeinflussung bereits entdeckt, hierzulande spielte es noch eine untergeordnete Rolle. Die Presse war das Medium der Zeit. Anhand der Zeitungen läßt sich nahezu lückenlos rekonstruieren, was die Österreicher im Jänner und Februar 1938 wissen durften. Sie durften nichts erfahren, was ihre Wachsamkeit geweckt, ihr Gefahrenbewußtsein geschärft hätte. Bald sollte sich zeigen, wie gründlich die Nazis den autoritären Obrigkeitsstaat unterwandert und ausgehöhlt hatten. Seit 1936 gab es den sogenannten Siebener-Ausschuß, in dem der Naziführer Tavs und andere Braune mit christlichsozialen Gesprächspartnern parlierten und diese im „Befriedungsgespräch" das bißchen Zeit vertaten, das Österreich noch hatte, um sich zu retten.

Juden durften nicht mehr in österreichischen Filmen spielen, um deren Export nach Deutschland nicht zu gefährden. In den Wochen vor der Okkupation wurden dann viele, die ohnehin längst mit den Nazis geliebäugelt hatten, schnell noch illegale NSDAP-Mitglieder. Andere ließen sich noch nach dem 12. März von guten Nazifreunden rückwirkend zu Illegalen machen. 30 bis 50 Schilling sollen das übliche Trinkgeld dafür gewesen sein. Ein Wiener Schnitzel kostete einen Schilling. 1945 gab es um einige tausend Illegale mehr, als die illegale NSDAP tatsächlich je gehabt hatte.

Offensichtlich gehörte zu den großen Tabus der Zeitungen alles,, was geeignet war, Hitler zu verärgern. Wie in ganz Europa, kommentierte man auch in Österreich die Entlassung des deutschen Feldmarschalls Blomberg und des Generals von Fritsch, keine Bede aber von Konzentrationslagern und Judenverfolgungen. In den Wiener Zeitungen der letzten beiden Monate findet man auch so gut wie nichts über jene Vorgänge, von denen später immer wieder die Rede war, wenn gefragt wurde, warum sich Österreich nicht verteidigt habe.

Nichts über die Unterminierung des Bundesheeres durch den NS-Solda-tenring, nichts über die Wühlarbeit der Nazis in der Exekutive, schon gar nichts über die Verbreitung der nazistischen Ideologie oder die Zahl ihrer Anhänger. Nichts — gerade in jenen Wochen, in denen die Gefahr akut wurde. Österreichs Zeitungen pflegten das Trugbild eines Landes friedfertiger, loyal hinter ihrer Begierung stehender Patrioten. Die Stunde der Gefahr war die Stunde der Be-schwichtigungshofrä.te.

Am 11. Februar widmet sich die „Neue Freie Presse" der Demission der Begierung Goga in Bukarest, einem neuen „Angriff auf den Everest", der Ablösung des deutschen Außenministers Neurath durch Joachim von Bibbentrop und am ausführlichsten dem „Ball der Front", nämlich der Vaterländischen, in Wien. Der Ballbericht nimmt eine Seite und eine Spalte ein, weit über eine halbe Seite füllt die eng gedruckte Aufzählung der Anwesenden, eine ganze Spalte die ausführliche Schilderung der Balltoiletten. In einer Zeit schrecklicher Arbeitslosigkeit. Wenn je das Wort vom Tanz auf dem Vulkan zutraf: Dieser Ball der politischen Einheitsorganisation des christlichsozialen Ständestaates war wahrlich einer.

Die „Begegnung" mit Hitler kam überstürzt, ohne Möglichkeit für Schuschnigg, sich in Ruhe vorzubereiten. Die „Einladung" war eine Vorladung. Am 12. Februar, am vierten Jahrestag des österreichischen Bürgerkriegs - Hitler war ein Meister solcher Nadelstiche. In den Morgen-Zeitungen: Chinesische Offensive gegen die Japaner, Forderung von General Franco, die Waffenlieferungen über die französische Grenze für die Bepublikaner müßten aufhören, Unterzeichnung der neuen Genfer Flüchtlingskonvention. Kein Wort über Berchtesgaden.

Zu Mittag treffen sich einige Herren bei Staatssekretär Karwinsky zum Mittagessen, um über die finanziellen Ansprüche des Hauses Habsburg zu sprechen, dessen Interessen er in der Regierung vertritt. Auch Finanzmini - ster Neumayer sowie der Chef des Bundespressedienstes, Minister Ludwig, sind dabei. Knapp vor dem Essen zieht dieser seine Uhr und sagt zu den anderen: „Meine Herren, ich habe Ihnen eine wichtige Mitteilung zu machen. Zu der gleichen Stunde, da wir uns zu Tisch setzen, ist Schuschnigg bei Hitler. Die Nachricht war bisher streng geheim, aber nun geht bereits das Kommunique darüber an die Abendblätter."

Die Herren sind überrascht. Ludwig meint, die Persönlichkeit Schuschniggs sei stark genug, um auf dem Obersalzberg den Sieg über Hitler davonzutragen. In den nächsten 48 Stunden ist Schuschnigg nicht zu sprechen. Er bildet, Hitlers Diktat folgend, seine Begierung um. Im ersten Ministerrat des neuen Kabinetts am 17. Februar um zwei Uhr früh sagt er: „Sie wissen, daß ich mit Hitler gesprochen habe. Die Aussprache war hart, aber nicht ohne Erfolg. Es kommt jetzt der deutsche Friede. Ich habe daher meine Begierung umgebildet, um sämtliche aufbauwilligen Kräfte darin zusammenzufassen."

Diese Schilderung stammt von einem, der dabei war, nämlich vom letzten österreichischen Finanzminister vor dem deutschen Einmarsch. Bu-dolf Neumayer gab sie im Jänner 1946 in seinem Hochverratsprozeß, der mit der Verurteilung zu einer lebenslangen Kerkerstrafe endete, weil er als österreichischer Minister einen Eid auf Hitler geleistet hatte. Gefragt, wie dieser gelautet habe, sagte er: „Ich habe nur halb hingehört... man hat als Beamter schon so viele Eide geleistet, daß ich mir dabei gar nichts gedacht habe."

Aber man darf ihm glauben, daß die Ereignisse von Berchtesgaden auch gegenüber den Ministern noch immer verniedlicht wurden. Schuschnigg war kaum zu Wort gekommen. Daß Hitler dem Kettenraucher die Zigaretten verbot, erhöhte den Druck. Mehrmals hatte Hitler den Namen Keitel gebrüllt und Schuschnigg hinausgeschickt wie einen Schulbuben. Er ließ den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht sich niedersetzen und warten, ohne mit ihm zu reden. Der Bluff wirkte. Schuschnigg und sein Außenminister Guido Schmidt glaubten, der Einmarsch stehe unmittelbar bevor.

Es ist erstaunlich, was die bloße Tatsache des Gespräches zwischen Schuschnigg und Hitler bewirkte. Die „Neue Freie Presse": „Bei so scharf umrissenen Persönlichkeiten, wie es der Bundeskanzler Dr. v. Schuschnigg und der Beichskanzler Adolf Hitler sind, ist wohl anzunehmen, daß bei den eingehenden Erörterungen die einzelnen Probleme auch scharf abgesteckt wurden ... Zweifellos war die Aussprache des gestrigen Tages bedeutsam. Sie bot die Gelegenheit, offen und freimütig die Standpunkte zu vertreten." In der „Reichspost" steht, „alles, was man bisher ... vernahm", berechtige zur „Hoffnung, daß Reichskanzler Hitler und Bundes kanzler Schuschnigg ... von Mann zu Mann einander nähergekommen sind."

Gerührt registriert das „Neue Wiener Abendblatt" vom 21. Februar die Osterreich betreffenden Passagen in Hitlers Reichstagsrede: „Befriedigung über das jüngst Erreichte war unverkennbar, mehr als das, Freude, ja eine gewisse menschliche Bewegtheit... Eindruck auf die österreichisch fühlende Bevölkerung wird auch die Tatsache machen, daß der Reichskanz-ler seinen aufrichtigen Dank' für das positive Ergebnis des Berchtesgadener Gespräches im besonderen und ausdrücklich an die Person des österreichischen Bundeskanzlers gerichtet hat..." Geradezu lieb, dieser Hitler. Es wäre besser gewesen, die Welt hätte schon am 13. Februar die Wahrheit vernommen.

Am 16. Februar machte Schuschnigg „vereinbarungsgemäß" den Nazi Arthur Seyß-Inquart zum Minister für Inneres und Sicherheitswesen. Ebensogut hätte er Hitler gleich um den Anschluß bitten können. Wieder wurde wochenlang verniedlicht, geheimgehalten, wurde die allerletzte Frist verspielt. Kein Schritt zur Versöhnung mit der Arbeiterschaft, der Sozialdemokratie, zur Verbreiterung der Abwehrfront im Inneren. Dafür brachen Hektik und Panik aus, als plötzlich der Druck zunahm, am 11. März Hitlers Ultimatum eintraf, seine Wehrmacht nun tatsächlich vor der Tür stand und in London und Paris (wo gerade Regierungskrise auf dem Programm stand) niemand mit dem Schlauch bereitstand, um Feuerwehr zu spielen.

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