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Ein Land auf den Rost gelegt

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Seit Konrad Heiden die erste große Hitler-Biographie schrieb, hat eine Reihe anderer Historiker und Journalisten versucht, den Lebenslauf dieses Mannes zu schildern. So sei etwa auf das Werk des Engländers Bullock, auf die Untersuchungen des Österreichers Jetzinger über die Jugend Hitlers und auf Trevor Ropers Arbeit über die letzten Tage in der Reichskanzlei hingewiesen, ganz abgesehen von manchen Veröffentlichungen, die das Institut für Zeitgeschichte in München herausgab, wo auch die sogenannten Führerlagebesprechungen von Dezember 1942 bis März 1945 trotz mancher Schwierigkeiten der Textedition vorbereitet werden. Prof. Percy Schramm (Göttingen) wird in vier Bänden die Kriegstagebücher des OKW herausgeben, und es ist noch nicht abzusehen, was.sich an Material über Hitler in der hoch un- erschlossenen Masse der Beuteakten, die vornehmlich in den USA lagern, befindet. Dazu kommt noch, daß Hitler unter Anwendung einer geradezu minuziösen Verschleierungstaktik alle ihm unangenehmen persönlichen Dokumente zum Verschwinden bringen ließ, darunter selbst die seinen Vater betreffenden Dienststücke in manchen österreichischen Archiven. Zum Unterschied von Mussolini gibt es vorläufig keinerlei aufgefundene Privatkorrespondenz, mit Ausnahme von belanglosen Briefen aus der Kriegs- und Vorkriegs

zeit. Dennoch ist das Wagnis von Helmut Heiber, auf 160 Seiten eine Biographie Hitlers zu versuchen, geglückt.

Der Verfasser, langjähriger Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte in München, ist durch verschiedene Arbeiten mit dem Thema wohlvertraut. Was Heiber besonders gelungen ist, sind die Kapitel über die Herkunft und den politischen Beginn, vor allem die zielsichere Machtpolitik, die Hitler in seinen Anfängen es ermöglichte, alle schon vorhandenen „völkischen und imperialistischen Strömungen Deutschlands, deren Wurzeln bis weit vor 1914 reichen, für sich zu mobilisieren und unter dem Druck der Wirtschaftskrise auszunützen. Auch die Rolle der Reichswehr als schützende Hand über all den Anfangsstadien der gegen die Republik von Weimar gerichteten Bestrebungen wird gut herausgearbeitet, ebenso wie die Hilfestellung mancher Industrieller und Gesellschaftskreise, bei denen einflußreiche Frauen eine nicht unerhebliche Rolle spielten. Und doch ist der gesamte Aufbau seiner Bewegung, ihre Organisation, Hitlers eigenstes Werk; er verstand es, in einer meisterhaften Taktik die verschiedensten Kräfte für sich einzuspannen, von Hugenberg bis zu den Sozialrevolutionären Kreisen um Gregor Strasser. Auch darf nicht übersehen werden, daß breite Mas-

sen des deutschen Bürgertums, vor allem die deklassierten Offiziere, durch die systematisch genährte Dolchstoßlegende immer in dem Glauben befangen waren, daß nur eine militärisch-machtpolitische Lösung Versailles ungeschehen machen könnte.

Dafür schien der „unbekannte Gefreite“ der geeignete Mann zu sein, der noch dazu die Votbereiturtgsarbeiten der Weimarer Republik (geheime Aufrüstung, Beseitigung der Reparationen, Arbeitsbeschaffungsprogramm der Regierungen Papen und Schleicher) billig für sich beanspruchen konnte. Sein außenpolitischer Weg, der scheinbar ohne Hindernis von Erfolg zu Erfolg führte, mündete in den Krieg, den er selbst schon in seinen ersten Reden und Schriften als notwendig erachtet hatte. Als Feldherr versuchte er sich nun in einem Krieg, der im Frühjahr 1942 ihm scheinbar die Neuordnung Europas überantwortete. Hitler hatte für diese Neuordnung keinen „Code Napoléon", ebensowenig wie für die politische und militärische Beendigung des Krieges ein Plan zu finden war. Heiter zeigt richtig, daß militärisch der Krieg nach 1941 nicht mehr zu gewinnen und eine politische Lösung unmöglich war, weil sie eben an der Person Hitlers scheitern mußte. Dabei ist es wertvoll, daß der Verfasser auf Grund seiner Kenntnisse der Führerlagebesprechungen darauf hinweist, daß Hitler theoretisch tatsächlich oft seinen Generälen als militärtechnischer Spezialist überlegen war und man nicht dem Schlagwort verfallen darf, es wäre alles anders gekommen, wenn man nur die Generäle hätte „machen“ lassen (S. 128). Schon Moltke hat auf die Tatsache verwiesen, daß die Grundzüge der höheren Truppenführung mit dem gesunden Menschenverstand sehr eng Zusammenhängen. Aber war Hitler, trotz aller speziellen fachlichen Kenntnisse, noch gesund? Manche Einseitigkeit der Beurteilung in den letzten Jahren unter dem Motto: „Der Führer starb, die Generäle schrieben", wird durch die in letzter Zeit aufgetauchten Quellen aufgehellt (S. 128) und zuungunsten mancher uniformierter Jasager revidiert, die sich nachträglich als politisch-voraussehende Denker den Historikern präsentieren wollen. Es gilt aber auch, wie Heiber richtig sagt, den viel breiteren Widerstand, der vor und nach dem 20. Juli vorhanden war, einmal zu erfassen, um damit das Kapitel der Résistance zu erweitern. Nichts konnte das Ende aufhalten, weder die „Wunderwaffen“ noch das Vertrauen auf ein Mirakel in letzter Stunde, angesichts der durch die Politik Hitlers herbeigeführten politischen Konstellation. Das Ende war die Reichskanzlei:

„Stalins Artillerie schießt aus dem Tiergarten herüber ihren Salut zum Leichenbegängnis Adolf Hitlers.

Noch zwei Tage, und es wird wieder still sein. Bis auf die Kommandos der Sieger. Bis auf das Rasseln der Ketten ihrer Panzer. Bis auf die monotonen Tritte der nach Osten abziehenden deutschen Gefangenenkolonnen. Bis auf die Schreie von Frauen. Bis auf das Zusammenstürzen einzelner Ruinen. Denn eines seiner Versprechen hatte Hitler jedenfalls gehalten: Deutschland war nicht mehr wiederzuerkennen.“

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