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Politik hinter verschlossenen Türen

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STAATSMÄNNER UND DIPLOMATEN BEI HITLER. Vertrauliche Aufzeichnungen über Unterredungen mit Vertretern des Auslandes 1939 bis 1941. Herausgegeben und erläutert ▼on Andreas Hillgrube r. Bernard & Gr aefe Verlag für Wehrwesen, Frankfurt am Main, 1967, 699 Seiten, DM öS.-.

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STAATSMÄNNER UND DIPLOMATEN BEI HITLER. Vertrauliche Aufzeichnungen über Unterredungen mit Vertretern des Auslandes 1939 bis 1941. Herausgegeben und erläutert ▼on Andreas Hillgrube r. Bernard & Gr aefe Verlag für Wehrwesen, Frankfurt am Main, 1967, 699 Seiten, DM öS.-.

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Von Hitlers Besprechungen mit Politikern — und Soldaten — gibt es nur wenige Primärquellen. Die wichtigsten sind die sogenannten „Tischgespräche“, die H. Picker unter Mithilfe von Prof. Percy Ernst Schramm 1963 neu herausgab; ferner die Fragmente im sogenannten „Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht“ und die von Dr. Helmut Heiber herausgegebenen Aufzeichnungen von „Hitlers Lagebesprechungen 1942 bis 1945“, ebenfalls ein Fragment, das man für die erst Phase (1939 bis 1942) indirekt durch Halders Tagebuchaufzeichnungen ergänzen kann. Wenn man dazu noch die Gesamtausgabe von Hitlers Reden und Proklamationen aus den Jahren 1932 bis 1945 nimmt, die M. Domarus ediert hat, so ist der Bestand an Primärquellen fast erschöpft, denn die seinerzeit von W. Hubatsch herausgegebenen „Weisungen für die Kriegsführung 1939 bis 1945“ bilden nur eine Ergänzung. Für die Schlußphase des Dritten Reiches können als Sekundärquellen der in englischer Sprache erschienene Briefwechsel Bormanns mit seiner Frau und die letzten Diktate Hitlers an Bormann, die gleichfalls nur in englischer Sprache erschienen sind, herangezogen werden. Dennoch sind die Gespräche mit Staatsmännern und Diplomaten der verbündeten und neutralen Staaten erhalten geblieben, vor allem durch die Aufzeichnungen des Chefdolmetschers im Auswärtigen Amt, Gesandter Paul Otto Schmidt, und des vortragenden Legationsrates, zuletzt Botschafters Walter Hawel, der der ständige Vertreter Ribbentrops bei Hitler war. In der großen Edition der „Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918 bis 1945“, Serie D, ist sowohl in der deutschen als auch in der britisch-amerikanischen Ausgabe eine Vielzahl der Unterredungen Hitlers erhalten geblieben, die nun durch Andreas Hillgruber in einem ersten Band für die Jahre 1939 bis 1941 veröffentlicht wurden. Der Verfasser hat damit eine quellenmäßige Ergänzung zu seiner ausgezeichneten „Studie über die Strategie und Politik Hitlers in den Jahren 1939 bis 1941“ geliefert und in der Einleitung auch versucht, eine Analyse der Niederschriften zu geben, wobei er besonders darauf hinweist, welche queUenkritische Problematik sich zwischen der Niederschrift des Dolmetschers oder Augenzeugen und der Endfassung ergibt. Durch die Rückstellung der deutschen Akten an das politische Archiv des Auswärtigen Amtes in Bonn ergab sich eine genaue Überprüfung der ursprünglich nur auf Mikrofilm aus den amerikanischen Beutebeständen überlieferten Aufzeichnungen.

Aus der Fülle der veröffentlichten vertraulichen Aufzeichnungen, die von den Gesprächen mit dem vergeblichen Friedensvermittler Dahlerus aus dem September 1939 bis zu den Unterredungen mit dem japanischen Botschafter Oshima im Dezember 1941 reichen, lassen sich gewisse Grundlinien der Taktik Hitlers gegenüber ausländischen Staatsmännern . ablesen. Vor allem ist es bemerkenswert, daß neben der oft wiederholten Form bestimmter Argumentationen auf dem militärischen und politischen Sektor, wie etwa dem sicheren Kriegsgewinn oder der grandiosen militärischen Überlegenheit, echte Motive auftauchen, die durch den Kriegsverlauf bestimmt sind. Dazu gehört das Schwanken in der Beurteilung der Kraft der Sowjetunion; stark im Gegensatz dazu die sorgfältige Vorbereitung der Gespräche mit Molo-tow anläßlich der Berliner Besprechungen im November 1940, da es Hitler gelang, den russischen Gesprächspartner zu sehr präzisen, die russischen Ziele enthaltenden Aussagen zu veranlassen. Auch die Unterredung mit dem amerikanischen Unterstaatssekretär Sumner Welles vom 2. März 1940 zeigt, daß er versuchte, sich für ernsthafte Auseinandersetzungen vorzubereiten, so wie er umgekehrt im Gespräch mit den großen und kleineren Verbündeten sichere Siegesgewißheit zum Einsatz brachte. Wo Widerstand auftrat, wie in den Gesprächen mit General Antonescu, konnte er 'durchaus auf die Argumente des Gesprächspartners eingehen. Anderseits aber waren die Kleinstaaten für ihn Gelegenheit, die eigenen Ideen der weltumspannenden Konzeptionen darzulegen, ohne Rücksichtnahme auf die Notwendigkeit der sogenannten Verbündeten. Nicht uninteressant sind seine, vor allem für den Südostraum bemerkenswerten Reminiszenzen aus einer falsch verstandenen Jugenderinnerung an die österreichischungarische Monarchie. Diesbezüglich bilden die Unterredungen mit den jugoslawischen Staatsmännern, aber auch mit den kroatischen, slowakischen und ungarischen, eine Fundgrube für Hitlers Vorstellung von den Funktionen des multinationalen Reiches der Donaumonarchie. Vorstellungen, die letzten Endes auch für den binnendeutschen Leser nur erklärbar erscheinen aus den Erkenntnissen, die Hitler schon in „Mein Kampf“ über die Habsburger-Monarchie niederschrieb, und die von einer profunden Unkenntnis der wirklichen Lage Österreich—Ungarns im Verhältnis zu seinen Nationen vor 1914 zeugen.

Die vorliegende Dokumentation erweist auch sehr deutlich, wie sehr der Hauptverbündete, das Italien Mussolinis, durch sein militärisches und politisches Versagen im Ansehen Hitlers sank, und man kann von der Fortsetzung des vorliegenden Bandes zu diesem Themenkreis sicherlich noch manche aufschlußreiche Ergebnisse erwarten.

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