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„Europa-Archiv“

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Ein englischer Spruch lautet: “Next to kno-wing a thing is to know, where to find it!“ (Dem Wissen am nächsten kommt das Wissen, wo es zu finden ist.) Unsere unruhige Zeit ist so überreidi an Problemen, Ereignissen und Entwicklungen, daß der menschliche Geist mit der Aufnahme und Verarbeitung der auf ihn niederprasselnden Eindrücke einfach nicht mehr nachkommen kann. Versuche des Einzelnen, sich aus eigener Kraft auch nur halbwegs „auf dem laufenden zu. halten“, können nur zu Zersplitterung, Oberflächlichkeit und voreiligen Schlüssen führen. Es ist daher jeder, der sich in den Tagesfragen so weit zu orientieren bestrebt ist, daß er sich mit gutem Gewissen ein Urteil bilden kann, darauf angewiesen, aus einem „Materialspeicher“ zu schöpfen. Aufgabe eines solchen ist, einerseits Tatsachen und Dokumentierung zu sammeln und andererseits an Hand derselben bestimmte Entwicklungsgänge fortlaufend zu verfolgen und kritisch zu untersuchen. Dieser Aufgaben unterzieht sich die von Wilhelm Cornides jun. herausgegebene und in Frankfurt, Wien und Basel erscheinende Halbmonatsschrift „Europa-Archiv“ ebenso gewissenhaft wie erfolgreich. Der Primat ist darin den politischen und wirtschaftlichen Angelegenheiten eingeräumt, ohne daß die kulturellen, weltanschaulichen und literarischen Interessen zu kurz kämen. Die Publikationen des Archivs gliedern sich in mehrere Gruppen: „Politisdies Archiv“, „Wirtschaftsarchiv“, denen das auf beide Gebiete sich erstreckende Ost-Archiv“ angeschlossen ist, „Internationale Berichte“, und „Texte und Dokumentation“. Am Schlüsse jedes Heftes findet sich eine Rekapitulation der Tagesereignisse des betreffenden Zeitraums. Viele Arbeiten sind mit umfangreichen Statistiken, Diagrammen, Plänen und Karten ausgestattet.

Zu den aktuellen Entwicklungen, die im „Archiv“ fortlaufend in allen ihren Phasen — zuweilen vielleicht sogar mit allzu weitgehender Detailerfassung — behandelt werden, gehören in erster Linie der Schuman-Plan, der Atlantikpakt und die Arbeiten um die europäische Einigung. Das zu diesen Fragenkomplexen im „Archiv“ gespeicherte Material an Noten- und Vertragstexten, Konfeienzproto-kollen, Reden und kritischen Stellungnahmen dürfte jedem unentbehrlich sein, der ,sich mit diesen Problemen eingehend zu beschäftigen hat. Das „Archiv“ beschränkt sich aber nicht auf Sammlung und Sichtung des Materials, sondern läßt erfreulicherweise die durchaus positive Einstellung der Herausgeber zu diesen wichtigsten Problemen des Abendlandes in redaktionellen Auslassungen und Begleitbemerkungen klar erkennen. Weniger klar umrissen erscheint die Einstellung gegenüber gewissen Fragen der innerdeutschen Nach-kriegsentwicklung. Daß im Rahmen einer die ganze zeitgenössische Geisteshaltung erfassenden Schau auch die Stimmen und Strömungen registriert und behandelt werden müssen, die der Integrierung Europas entgegenwirken und damit den Bestrebungen des Ostens Vorspanndienste leisten, ist selbstverständlich, man würde aber ihnen gegenüber eine klarere und eindeutigere Ablehnung wünschen, als sie zum Beispiel in einem Artikel des Herausgebers über die „Neutralitätslehre des Nauheimer Kreises und den geistigen Hintergrund der deutschen West-Ost-Gespräche“

zum Ausdruck kommt. Bei aller Achtung vor den geistigen und moralischen Qualitäten von Männern wie Niemöller, Noack und Nadolny sollte doch nicht außer acht gelassen werden, daß von den beiden Kategorien der „trojanischen Kavallerie“ des Ostens — wie sie Schumacher nennt, die „Illusionräre“ fast gefährlicher sind, als die „Rückversicherer“.

Zur Illustration der geistigen und räumlichen Spannweite des „Europa-Archivs“ seien hier aus den letzten anderthalb Jahrgängen einige besonders interessante und wohldokumentierte Arbeiten hervorgehoben. Im Rahmen der Ost-Berichterstattung werden unter anderen folgende Themen behandelt: „Stalinistische Autokratie und bolschewistische Staatspartei“ i „Staatspolizei und Wehrmacht in der Sowjetunion“; „Sowjetrussische Be-wässerungs- und Energieprojekte“; „Mittel der Steigerung der Arbeitsproduktivität in der Sowjetunion“; „Wandlungen der Tendenz der sowjetrussischen Geschichtsschreibung“. Von den weltpolitischen Artikeln seien außer den Materialsammlungen und Berichten über Schuman-Plan und Europatagung usw. genannt: „Britische Außenpolitik seit 1945“, „Britische Diplomatie“, „Revision des Besatzungsstatuts“. Von den geschichtlichen Beiträgen verdienen Erwähnung: „Mussolinis Uberfall auf Griechenland“, „Finanzierung der Aufrüstung im Dritten Reich“, „Föderalismus als Element der russischen Geschichte“, „Geistesgeschichte der Widerstandsbewegung“; von den wirtschaftlichen Themen: „Liberalisierung des Welthandels“, „Europas Kraftstofflage“, „Energieprojekte im Mittleren Osten“, „Städteplanung in Großbritannien“, „Österreichs verstaatlichte Betriebe“, ferner viele Berichte über internationale Konferenzen. Weltanschauliche und soziologische Themen werden erörtert in Artikeln über „Caux-Bewegung“, „Europa und seine Kultur“, „Psychische Hygiene“, „Der Christ zwischen Ost und West“, „Die evangelische Kirche in der deutschen Gegenwart“.

Die weite Streuung des Themenbereichs wird vielleicht mit der Zeit eine stärkere Spezialisierung auf bestimmte Gebiete unter Fortlassung einiger anderer notwendig machen, da ein gleichmäßiger Ausbau aller Sparten den Umfang der Publikation sprengen und sie verteuern müßte. Derzeit muß jedoch unter ihren Vorzügen hervorgehoben werden, daß der Bezugspreis von 100 S für das Jahresabonnement angesichts der Fülle und dem inneren Wert des Gebotenen als sehr mäßig zu bezeichnen ist. Es ist zu wünschen, daß das „Europa-Archiv“ auch in Österreich weiteste Verbreitung finde.

Cromwell. Von Mirko J e 1 us i c h. Pilgram-

Verlag, Salzburg. 502 Seiten.

Jelusich erhebt, soviel man weiß, nicht den Anspruch, al6 Historiker betrachtet zu werden. Trotzdem zeigt er in diesem Roman weit mehr geschichtliches Verständnis als gewisse Vertreter der populär-historischen Belletristik, die sich, mit fast rührender Überheblichkeit als emstzunehmende Geschichtsforscher bezeichnen. Das bedeutet freilich nicht, daß er sich bemüht hätte, seinem übrigens gut und lebendig geschriebenen Werk einen halbwegs objektiven Charakter zu geben. Seine Vorliebe ist eindeutig. Cromwell ist für ihn die Idealgestalt, die Verkörperung germanischen Heldentums, das leuchtende Vorbild des aus der Masse hervorgegangenen „Führers“. Der Mann hatte recht, sein Land in einen unsagbar grausamen Bürgerkrieg zu stürzen, seinen König aufs Schafott zu schicken, und all die Verbrechen, tausendfach vermehrt, zu begehen, die er dem König Karl zur Last gelegt hatte; er war gerechtfertigt, denn er bildete „die Kristallisation der formlosen Strebungen und Gelü6te der Masse“, er „verkörperte die ewige Wahrheit, die* — man liest und staunt — „im Volke war*.

Schade, daß eine so bedeutsame dramatische Begabung, wie Jelusich sie zweifellos besitzt, in den Dien6t einer Ideologie gestellt worden ist, die ihren Anhängern kein höheres Vorbild menschlicher Größe zu empfehlen wußte als einen ruchlosen, blutbefleckten Diktator.

Kurt Strachwitz

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