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REVUE IM AUSLAND

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Die 1836 gegründete Vierteljahrschrift „The Dublin Review” bringt in der zweiten Nummer dieses Jahres einen Artikel von E. R. Hughes, Lektor für chinesische Religion und Philosophie an der Universität Oxford, über „D ie große Tradition des chinesischen Volkes”. Nach einer eingehenden Darstellung der konfuzianischen Lehren und ihrer Wand-, lung unter dem Einfluß der stärker dem metaphysischen Bedürfnis entsprechenden religiösen Ideenwelt von Taoismus und Buddhismus erhebt der Autor die Frage, wieviel von dieser uralten geistigen und religiösen Tradition in der modernen, von Nationalismus und Industrialisierung bestimmten chinesischen Gegenwart fortleben könne, und weist auf die Gefahren hin, die diesem Erbe von seiten beider kämpfenden chinesischen Bürgerkriegsparteien drohen.

„Die Wahrheit ist, meiner Meinung nach, daß die alten intellektuellen Kompromisse der Tradition für intelligente Menschen angesichts der neuen Erkenntnisse nicht mehr annehmbar erscheinen, so daß die Gelehrten- klasse nicht mehr wie einst der Wächter und Exponent der Tradition sein kann. Wenn die Politiker den Platz der Gelehrten als Wächter einnehmen wollen, wie sie es zur Zeit tatsächlich versuchen, so offenbart sich ihre Ergebenheit gegenüber der Tradition sofort als Mißbrauch geistiger Werte zu materiellen Zwecken. Das letzte Wort — nach Gott — hat der Bauer, unausgeprägt, abergläubisch und heidnisch gesinnt in der Religion und doch bewußt des Willen und der Macht, die hinter dem Reigen der Jahreszeiten stehen. Er ist aus demselben Blut wie jene Bauern des siebzehnten Jahrhunderts, die zum katholischen Christentum bekehrt worden waren und deren Söhne, Enkel und Urenkel im achtzehnten Jahrhunderte, als alle Priester aus China verbannt waren, doch ihre religiösen Pflichten, so gut sie eben konnten, erfüllten und dabei von den fremden Priestern wieder angetroffen wurden, als diese ein Jahrhundert später zurückkehrten.”

Dieselbe Zeitschrift bestätigt erneut ihren weltweiten Charakter durch die folgenden Beiträge über „Nikolaus Berdj tieff und der Westen”, über den spanischen Philosophen Jaime Baimes (1810 bis 1848), der ebenso wie sein bekannterer Zeitgenosse Donoso Cortes die Wirren unserer Zeit voraussah und die Verbindung von Protestantismus und Demokratie erkannte, ferner einen Artikel über „Das Verständnis von Lateinamerika” im Anschluß an die beiden im Vorjahr erschienenen Werke Salvador de Mada- riagas über Aufstieg und Verfall des spanisch-amerikanischen Weltreiches, einen Artikel von Barbara Barclay Carter über „Die ,Menschenrechte’ in den neuen Verfassungen von Frankreich und Italien”, worin die Verfasserin (die Herausgeberin der Zeitschrift „People and Freedom”) ihr Bedauern darüber ausdrückt, daß che italienischen Juristen, welche diese hervorragenden Artikel über die Menschenrechte in ihrer Verfassung schufen, nicht zur Formulierung der „Charta der Menschenrechte” der Vereinten Nationen herangezogen werden. Sodann einen Beitrag des französischen Akademikers Robert d’Harcourt über „Das andere Deutschland”, der von Theodor H aeckeri „Tag- und Nachtbüchern” ausgeht, sowie zwei literarisch-kritische Untersuchungen, von denen besonders die von D. A. T r a v e r s i, dem Direktor des britischen Instituts in Barcelona, über T. S. E 1 i o t s Gedicht „T h e Waste Land” („Das öde Land”) herausgegriffen sei. Das berühmte, 1922 erschienene Gedicht, das nach des Dichters eigenem Bekenntnis „aus einem Haufen zerbrochener Bilder geschaffen wurde”, ist zunächst stets als ein Ausdruck von völliger Negation, Pessimismus und Verzweiflung aufgefaßt worden. Traversi zeigt nun in eingehender Analyse, daß es heute, nach 25 Jahren, von Eliots inzwischen geschaffener religiösen Dichtung her gesehen, als eine Vorstufe zu dieser Dichtung, zum „Aschermittwoch” oder den „Vier Quartetten”, erscheint, wenn es auch nicht als christlich in dem Sinne dieser späteren Werke aufgefaßt werden kann, sondern nur insofern, als es durch sein schonungslos- offenes Aufzeigen der Brüchigkeit der modernen Welt den Boden für die spätere aufbauende Lyrik bereitete.

(Es mag am Rande darauf hingewiesen Wördfn, daß die „Dublin Review” in jeder Nummer eine Umschau über „Deutsche und österreichische Veröffentlichungen” von Edward Quinn enthält, wobei jedesmal auch verschiedene Artikel der „Furche” zitiert und besprochen werden.)

Die Schweizer Zeitschrift „Civitas” stellt an die Spitze ihres dem Jahrhundertjubiläum der Bundesverfassung gewidmeten Juniheftes einen Artikel von Gonzague de Reynold „Die Person, die den Namen Schweiz trag t”, in dem der bekannte französisch-schweizerische Historiker die Wechselwirkung zwischen dem Schicksal der Schweiz und dem Europas aufzeigt. In der Gegenwart sieht er „die christliche Aufgabe der Schweiz” in dem Widerstand ihres traditionellen Föderalismus gegen den modernen Zentralismus und totalitären Etatismus.

„Zwischen 1815 und 1848 war es notwendig, unseren Föderalismus durch die Errichtung eines zentr len Staates zu vollenden, denn es gibt keinen Föderalismus und keine Konföderation ohne einen zentralen Staat: unserem Hause fehlte das Dach. Heute müssen wir uns davor hüten, daß §as Haus nicht von einem zu schweren Dach erdrückt werde. Das ist kein Schweizer, sondern ein allgemeines Problem. Wenn wir weniger in uns selbst eingeschlossen wären, als wir tatsächlich sind; wenn wir stärker den geistigen Bewegungen und zeitgenössischen Sorgen folgen wollten, so würden wir erkennen, daß das Problem so gestellt ist: wie kommt man zu den ursprünglichen Grundlagen der Gesellschaft, wie befreit man sie von der staatlichen Überlastung, wie errichtet man einen Neubau, indem man von der menschlichen Persönlichkeit und den kleinen Gruppen als Zellen ausgeht? In den Büchern, Zeitschriften und Artikeln, welche diese beängstigende Frage zu beantworten suchen, bezieht man sich in Frankreich, in England, in den Vereinigten Staaten unablässig auf die Schweiz und zitiert sie als Beispiel. Es wäre folgenschwer für uns,

wenn man erkennen sollte, daß wir im Begriffe sind, diesen stets als Modell zitierten Föderalismus aufzugeben, um ein zentralisierter und vereinheitlichter Staat wie die andern zu werden. Folgenschwer, nicht nur weil wir dann unseren universellen Wert verloren, sondern weil wir auch gezeigt hätten, daß unser Fundamentaltyp sich erschöpft hat. In diesem Augenblick hätten wir unseren historischen Kreis geschlossen und es bliebe uns nichts übrig, als uns zu fragen, in welcher weiteren Gesamtheit wir aufgehen wollen. Es wäre die Zentralisation der Zen- tralisateure.”

„La Ci vilti Cat toli ca” bringt in ihren Nummern vom 15. Mai und vom 19. Juni in Fortsetzung einen umfangreichen Bericht von G. d e V r i e s S. J. „M oskau, das .Dritte Rom: heut e”, in dem die Bemühungen der russischen Kirche um die Angliederung aller orthodoxen Kirchen, ihre Erfolge und Mißerfolge bei diesem Versuch, Moskau heute wirklich zum „Dritten Rom” zu machen, dargestellt werden. Von den Kirchen in den Ländern der russischen Einflußzone haben sich nur die bulgarische Kirche und die zahlenmäßig unbedeutenden orthodoxen Kirchen Ungarns und der Tschechoslowakei dem Moskauer Führungsanspruch gefügt, während diesen Ansprüchen des Moskauer Patriarchen Alexius in der serbischen, rumänischen und polnischen Kirche entschiedener Widerstand geleistet wird. Von den alten, historischen Patriarchen des Orients haben wohl die von Antiochia, Jerusalem und Alexandria zunächst gewisse Sympathien für eine engere Verbindung mit der russischen Kirche gezeigt, doch ist hier zumindest bei dem Patriarchen von Alexandria in jüngster Zeit eine Wandlung feststellbar. Entscheidend ist nach wie vor die Haltung des ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel, der nach einer alten, nie gebrochenen Tradition die russische Kirche als „Tochterkirche” betrachtet und der den Bestrebungen der russischen Kirche um Angliederung der autokephalen orthodoxen Kirchen überall wirkungsvoll entgegentritt. Die Aspirationen der russischen Kirche gehen dabei auch nach dem Westen, wozu ein Fußfassen in Frankreich in der Form einer „orthodoxen Kirche mit lateinischem Ritus” - (vor allem am Institut von St.-Denis) helfen soll.

Die Ablehnung dieser weitgespannten Pläne durch einen großen Teil der selbständigen Kirchen hat die Verschiebung des in Moskau geplanten „panorthodoxen Kongresses” verursacht.

„Denn eine wesentliche Prämisse für die Idee des .Dritten Rom’ ist heute gefallen: Moskau ist nicht mehr die Hauptstadt eines christlichen Imperiums, welches die Mission der vergangenen Universalreihe des ersten und zweiten Rom fortsetzen könnte. Doch fährt man in den kirchlichen Kreisen von Moskau noch heute fort, selbst dem gegenwärtigen atheistischen Regime eine universale Mission für die Rettung der Menschheit zuzuschreiben. Der Patriarch Alexius selbst schrieb in seinem, anläßlich der Achthundertjahrfeier der Stadt Moskau veröffentlichten Hirtenbrief: .Moskau ist heute eine Hoffnung und eine Stütze für alle Völker, die den Frieden lieben, die in ihm den strengen Wächter des Friedens sehen und hoffen, daß es ohne Rücksicht die wahnsinnigen Bestrebungen entlarve, die den Frieden stören und die Flamme eines neuen Krieges entzünden wollen’.”

Die von den Dozenten und Studenten der Universität Hamburg herausgegebene „H amburger Akademische Rundschau” bringt in ihrem März- April-Heft neben zwei Aufsätzen über J. P. Sartre und sein Stück „Die Fliegen” vor allem, entsprechend der Hamburger Blickrichtung, aus der Feder englischer Autoren Aufsätze über die Tendenzen der britischen Personalistengruppe, den modernen englischen Roman, die britische Arbeiterpartei, den Zwist in der englischen Hochkirche, die Public Schools, über Goethe und England usw. Besonders hervorgehoben sei ein Bericht von Professor T. M. K n o x über das Lebenswerk des 1943 verstorbenen Geschichtsphilosophen R. G. Colling- w o o d, der in der bisher vorwiegend naturwissenschaftlich orientierten englischen Philosophie eine Stellung einnimmt, die der Croces in der italienischen, Diltheys und Meineckes in der deutschen Philosophie zum Teil entspricht.

„Diejenigen, für die Religion und Geschichte Erfahrungsarten mit eigener Gültigkeit sind, werden Anregungen in seinen Büchern finden und es wird ihre Aufgabe sein, seine Lebensarbeit dadurch fortzusetzen, daß ie seine Ideen ausarbeiten und eine neue und konstruktive Philosophie für unser Zeitalter schaffen; diejenigen aber, die in der Naturwissenschaft die einzige wahre Wissenschaft sehen, werden gerade dewegen das, was er geschrieben hat, nicht verstehet, und dem Dunkel des Skeptizismus verfallen.”

Findet man so, wie wir auch in der letzten Folge dieser Umschau feststellen konnten, in deutschen Zeitschriften in wachsendem Ausmaß Beiträge ausländischer Autoren, so räumen andererseits französische und englische Zeitschriften immer mehr deutschen Schriftstellern einen Platz in ihren Revuen ein — etwa die „fitudes”, welche ihr Juniheft mit einem Beitrag des jetzt eben in Paris als Vertreter des deutschen Geistes besonders gefeierten Religionswissenschaftlers Romano Guardini „Auf der Suche nach dem Frie- d e n” einleiten. Ja, manchmal wird ein in Deutschland selbst stark angegriffener Schriftsteller erst durch die Anerkennung des Auslandes wieder vor die deutsche Öffentlichkeit gebracht, wie etwa Ernst Jünger, über den Gottfried Stein in der Mainummer der „Frankfurter Hefte” schreibt:

„Jenseits der deutschen Grenzen, wo man bisherigen deutschen ,Idealen’ von jeher mehr Ablehnung entgegenbrachte als bei unsc, wo aber Gelassenheit und Noblesse eine bessere Stätte zu haben scheinen, ist das Urteil über Ernst Jünger (wie auch über seinen Bruder), wenn auch gewiß nicht einheitlich, doch unbefangen und sachlich genug, seine Bedeutung mit Nachdruck zu würdigen.

… Und so kann man auch in diesem Fall annehmen, daß jenseits der Grenzen Einsichten lebendig sind, um die sich Deutsche zu kümmern haben werden. Doch ist es nicht genug, dies festzustellen.’’

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